NOTARZT 2008; 24(3): 96-98
DOI: 10.1055/s-2008-1067349
Berufspolitik

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Regelkompetenz und Notkompetenz vor dem Hintergrund der Novellierung des Rettungsassistentengesetzes

Normal Competence and Emergency Competence in the Context of Amendments to the Emergency Service and Rescue LawP.  Sefrin1
  • 1Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Zentrum für Operative Medizin (em. Leiter der Sektion für präklinische Notfallmedizin)
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Publication Date:
16 May 2008 (online)

Wie auch in sonstigen medizinischen Bereichen hat jeder Patient auch unter Notfallbedingungen ein Anrecht auf eine ärztliche Versorgung. Dies gilt in besonderer Weise in der Situation eines medizinischen Notfalls, wobei, wie in keiner anderen Situation, am ehesten im wahrsten Sinne des Wortes über Leben und Tod entscheiden werden muss. Der Arzt ist als gesamtverantwortlich Handelnder, insbesondere bei hochspezialisierten Tätigkeiten, zu denen die Notfallmedizin gehört, auf Assistenz angewiesen. Alle bisherigen medizinischen Assistenzberufe sind bezüglich ihrer Ausbildung in gleicher Weise konzipiert, dazu sollte auch das Assistenzpersonal im Bereich des Rettungsdienstes gehören. Das dem bisher nicht so war, hat historische Gründe, was aber nicht davon abhalten darf, den Beruf des Rettungsassistenten in Zukunft den Bedürfnissen der Praxis anzupassen. Eine Novellierung des Rettungsassistentengesetzes ist vor dem Hintergrund der neuen Aufgaben und der Entwicklungen im Bereich der Notfallmedizin unabdingbar.

Unstrittig und inzwischen durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen ist, dass die notfallmedizinische Versorgung im Bereich des Rettungsdienstes zu einer höheren Überlebensrate, zu einer verbesserten Wiederherstellungsquote, zu einer verkürzten Hospitalisierungszeit, zu weniger neurologischen Defiziten und zu einer rascheren Rehabilitation beiträgt. Dies rechtfertigt das Bemühen, im präklinischen Bereich eine hohe Leistungsqualität zu fordern. Ohne Frage erheben aber auch andere medizinische Fachberufe den Anspruch diesen grundlegenden Anforderungen des Patienten, jeder in seinem Fachbereich, zu entsprechen. Es ist somit bei gleicher Zielsetzung logisch, dass auch der Weg zum Erreichen einer notwendigen Qualifikation identisch sein müsste. Eine Orientierung an bestehenden gesetzlichen Vorgaben bei anderen medizinischen Fachberufen ist somit nahe liegend.

In Analogie zu den anderen medizinischen Fachberufen ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung das Tätigkeitsfeld des Berufes zu beschreiben, aus dem sich dann auch der Ausbildungsumfang und die Kompetenzen ableiten. Die erforderliche Kompetenz muss sich dabei an den Bedürfnissen des Notfallpatienten orientieren. Die Ausbildung soll die zukünftige Fachkraft befähigen, bei Notfall- und Akutpatienten bis zur Übernahme der Behandlung durch den Arzt lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, bei der ärztlichen Versorgung zu assistieren, die Transportfähigkeit herzustellen, den sach- und fachgerechten Transport unter Monitoring der lebenswichtigen Körperfunktionen durchzuführen und dem Patienten während der Versorgung zu betreuen. Die zur Vermittlung und zum Verständnis der dafür erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen sich an den intellektuellen Fähigkeiten, dem Umfang der Ausbildung und dem Erreichen des Ausbildungszieles orientieren. Es darf keinesfalls unterstellt werden - wie auch bei den anderen medizinischen Fachberufen - dass der Auszubildende bereits spezifische Kenntnisse oder praktische Erfahrung im medizinischen Bereich mitbringt. Ein Ziel der zu fordernden Verlängerung der Ausbildung zukünftiger Rettungsassistenten ist eine Steigerung der medizinischen Qualifikation. Die Verlängerung und Intensivierung der Ausbildung soll auch eine Erweiterung der Handlungskompetenz in der Ausübung des Berufes gewährleisten. Dies kann aber nicht automatisch eine Übernahme notärztlicher Maßnahmen sein unter der Vorgabe, dass ein genereller Notarztmangel besteht.

Grundsätzlich wird auch in Zukunft - und so sollte es auch im Gesetz fixiert sein - die Versorgung von Notfallpatienten eine gemeinsame Aufgabe von Notärzten und Rettungsdienstpersonal sein. Zur Erfüllung des Anspruchs der Patienten und zur Wahrung der Qualität der medizinischen Versorgung haben Ärzte, die im Team arbeiten, gegenüber dem Patienten alleine die Verantwortung, die definierten Standards sicherzustellen. Es kann nicht Ziel eines neuen Gesetzes sein, momentan eventuell bestehende Engpässe bei der Verfügbarkeit von Notärzten durch eine Ausweitung der medizinischen Kompetenz im Sinne der Übernahme notärztlicher Maßnahmen für Rettungspersonal zu kompensieren. Der immer wieder dafür herangezogene „Notärztemangel” ist

keine bundesweite Erscheinung und keine Ausgangsposition sowie keine Basis für eine Abweichung von der Verantwortlichkeit der einzelnen Leistungserbringer.

Es kann nicht Ziel eines neuen Gesetzes sein, einen Mangel zu kompensieren durch eine Verschiebung der Leistungen im Sinne eines Kompromisses. Der Ärztemangel kann als politischer Grund für eine Novellierung des Gesetzes nicht herangezogen werden, sondern Ziel der Politik muss es sein, den Einsatz von Ärzten im Rettungsdienst attraktiver zu machen. Der Patient hat vielmehr einen Anspruch auf eine am Bedarf ausgerichtete medizinische Versorgung, besonders unter den Bedingungen des Notfalls und dies erfordert den dafür qualifizierten Arzt. Das derzeitige politische Argument wegen des Ärztemangels ärztliche Aufgaben auf Assistenzpersonal zu übertragen, um Ärzte von Routineaufgaben zu entlasten, kann in der präklinischen Notfallmedizin nicht greifen, da die Versorgung von Notfällen aufgrund ihrer Komplexität keine Routineaufgabe darstellt. Das amerikanische Paramedic-System ist nicht entstanden, weil man glaubte, dass es besser sei als ein arztgestütztes System, sondern aus einem Mangel an präklinisch verfügbaren Ärzten. Amerikanische Notfallmediziner bemühen sich momentan gerade das derzeitige deutsche System zu kopieren. Invasive (ärztliche) Maßnahmen sind keine verpflichtenden Sofortmaßnahmen.

Ziel des neuen Gesetzes kann es auch nicht sein, ärztliche Maßnahmen in die Regelkompetenz des medizinischen Fachpersonals zu überführen. Auch bei der angestrebten erweiterten 3-jährigen Ausbildung kann eine Umwandlung der derzeitigen, unter die Notkompetenz fallenden ärztlichen Maßnahmen in eine Regelkompetenz, nicht zur Diskussion stehen.

Die Übernahme ärztlicher Maßnahmen durch den Rettungsassistenten im Rahmen seiner durch das Rettungsassistentengesetz definierten Tätigkeit und ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben kann nur erfolgen

als Delegation und in Notkompetenz.

Prof. Dr. med. Peter Sefrin

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Zentrum für Operative Medizin

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

Email: sefrin@agbn.de

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