Ultraschall Med 2006; 27(6): 512-532
DOI: 10.1055/s-2006-927276
CME Fortbildung/Continuing Education

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Sonographie der Beinvenenthrombose

Ultrasound of Venous Thrombosis of the LegW. Habscheid1
  • 1Medizinische Klinik, Paracelsus-Krankenhaus Ruit
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eingereicht: 11.9.2006

angenommen: 11.9.2006

Publication Date:
19 December 2006 (online)

Lernziele

Allgemeine Kenntnisse der Anatomie, Epidemiologie, Äthiologie und Klinik der Beinvenenthrombose. Wichtigste Verfahren zur Diagnose mit Darstellung ihrer Stärken und Schwächen. Untersuchungstechnik, Thrombosekriterien und Aussagekraft der Sonographie. Stellenwert der Sonographie im diagnostischen Ablauf.

Mit einer jährlichen Inzidenz von ca. 0,1 % in der Gesamtbevölkerung und knapp 1 % der über 60-Jährigen sind thromboembolische Ereignisse häufig und manifestieren sich primär meist an den unteren Extremitäten [1]. Da die Symptomatik einer Beinvenenthrombose unspezifisch ist, bedarf die Diagnosestellung in der Regel einer Sicherung durch apparative Verfahren [2]. Diese sollte möglichst umgehend erfolgen, da wegen der Gefahr der Lungenembolie vor allem Thrombosen der Oberschenkel- und Beckenregion ein hohes Gefahrenpotenzial bergen. Die rasche Diagnostik ist eine Herausforderung für den Kliniker, da durch rechtzeitiges Erkennen und Einleitung einer Therapie mit Antikoagulantien die Gefahr einer Lungenembolie drastisch und die des postthrombotischen Syndroms deutlich reduziert werden kann. Wegen ihrer einfachen Handhabbarkeit und hohen Treffsicherheit ist die bildgebende Sonographie heute ein zentraler Bestandteil des diagnostischen Ablaufs.

Anatomie

Am Bein werden oberflächliche (epifasziale) und tiefe (subfasziale) Venen unterschieden [3].

Das tiefe Venensystem besteht aus den Muskel- und Leitvenen. Letztere sind die großen Blutleiter, drainieren 90 % des Blutflusses und befinden sich in Nachbarschaft der gleichnamigen Arterien. Im Unterschenkel liegen die paarig angelegte V. tibialis posterior und V. fibularis dorsal der Membrana interossea in Nachbarschaft der Zehenbeugermuskulatur tief in der Wade ([Abb. 1]). Die V. tibialis anterior kommt auf der Membran in der Peroneusloge zu liegen. Die drei Blutleiter kommunizieren in unterschiedlicher Höhe in der Kniekehle zur dorsal der Arterie liegenden V. poplitea. Diese zieht mit der Arterie als V. femoralis superficialis durch den Aduktorenkanal, um nach Aufnahme der V. profunda femoris in der Leistenregion den Namen in V. femoralis communis zu wechseln. Sie ist medial der Arterie platziert. Nach Passage unter dem Leistenband beginnt die V. iliaca externa, die nach Aufnahme der V. iliaca interna zur V. iliaca communis wird. Anomalien im Sinne von Doppelungen und Mehrfachteilungen sind im Bereich der V. femoralis superficialis und V. politea häufig (ca. 20 %).

Ebenfalls zu den tiefen Venen zählen die Muskelvenen. Hier sind im Unterschenkel die Soleus- und Gastrocnemiusvenen zu nennen. Die Soleusvenen drainieren in die die V. tibialis posterior oder fibularis. Die Venen des größeren Caput mediale des Musculus gastrocnemius sind fächerförmig mehrfachgeteilt und münden über einen kurzen Stamm in die V. politea. Beide Venengruppen können ektatisch degenerieren und sind bei Bettlägerigen nicht selten Keimzelle einer Thrombose der Leitvenen. Die V. profunda femoris ist die größte Muskelvene des Oberschenkels. Sie konjugiert unterhalb der Leistenregion mit der V. femoralis superficialis und dient häufig als kräftige Kollaterale bei Verschlüssen im Oberschenkelbereich. Allen Muskelvenen gemein ist, dass sie in der Phlebographie nur retrograd dargestellt werden können (Ausnahme: kräftige inferiore Anastomose der V. profunda femoris) und sich nur bei ausgefeilter Technik durch Rückfluss des Kontrastmittels zeigen.

Fig. 1 Schematic anatomical cross section of the lower leg. Abb. 1 Schematischer anatomischer Querschnitt des Unterschenkels.

Das oberflächliche Venensystem drainiert über zwei Stammvenen: die V. saphena magna mit Quellgebiet am Malleolus lateralis und Einmündung in die V. femoralis communis sowie die V. saphena parva mit Quellgebiet am Malleolus lateralis mit variabler Einmündung in der Poplitearegion. Die Stammvenen erhalten Zufluss über Astvenen (V. saphena magna: vordere und hintere Bogenvene, V. accessoria medialis und lateralis, V. saphena parva: V. femoropolitea). Blut aus den oberflächlichen Venen fließt durch Klappen gerichtet über Perforansvenen ins tiefe Venensystem. Am bedeutendsten sind der Einmündungstrichter (Crosse) der V. saphena magna im Bereich der V. femoralis communis sowie der V. saphena parva in der Poplitealregion. Weitere klinisch relevante Perforansvenen sind häufig mit Eigennamen belegt (Unterschenkel: Cockett I-III, Sherman, Boyd, May und seitliche Perforansvene; Oberschenkel: Dodd, Hunter und profunda Perforansvene).

Krankheitsbild

Die Virchow’sche Trias Hyperkoagulabilität, Stase und Gefäßwandschaden beschreibt pathophysiologisch wesentliche Faktoren, die zu einer Thrombose im Venensystem führen. Im klinischen Alltag sind Alter, Z. n. früherer Venenthrombose, Trauma, Operation, Immobilisation, Adipositas, Tumorleiden, Chemotherapie, Hormontherapie, Schwangerschaft und präexistierende (AT-III-, Protein-C-, S-Mangel, APC-Resistenz, Prothrombinmutante) sowie erworbene (Lupusantikoagulanz) hyperkoagulatorische Gerinnungsdefekte als Risikofaktoren zu nennen [2].

Die Symptome einer Venenthrombose bestehen in Wadenschmerzen, Spannungsgefühl, Zunahme des Beinumfangs, prätibialen Ödemen, verstärkter Venenzeichnung, Zyanose. Die Ausprägung des klinischen Bildes hängt ab vom Ausmaß, der Lokalisation und der Geschwindigkeit, mit der sich der Gefäßverschluss entwickelt. Beschwerden zeigen sich früher bei ambulanten als bei bettlägerigen Patienten.

Da Beinvenenthrombosen meist zunächst im Wadenbereich entstehen und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit häufig etappenweise aszendierend bis zum nächsten einmündenden größeren Blutleiter (z. B. Konjugation der Unterschenkelleitvenen zur V. poplitea) wachsen, beginnt die Klinik nicht selten zunächst unscheinbar und steigert sich über einen oft mehrere Tage umfassenden Zeitraum. Da auch bei noch geringer lokaler Symptomatik bereits die Gefahr einer potenziell lebensbedrohlichen Lungenembolie besteht, gilt es, die Thrombose frühzeitig zu erkennen und die Ausbildung des klinischen Vollbildes zu verhindern.

Zwar ist die Symptomatik für sich genommen unspezifisch, mithilfe der Analyse ihrer Ausprägung und der individuellen Thrombosegefährdung des Patienten gelingt es jedoch mit einfachen Mitteln, die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines venösen Verschlusses vorauszusagen. Hierzu hat sich vor allem der von Wells beschriebene Score bewährt ([Tab. 1]) [4]. Mit seiner Hilfe kann der Einsatz weiterer notwendiger diagnostischer Maßnahmen sinnvoll gestaltet werden.

Tab. 1 Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Thrombose aufgrund klinischer Kriterien nach Wells 4 klinische Charakteristik Score aktive Krebserkrankung 1,0 Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine 1,0 Bettruhe (> 3Tage); große Chirurgie (< 12 Wochen) 1,0 Schmerz/Verhärtung entlang der Venen 1,0 Schwellung ganzes Bein 1,0 Schwellung Unterschenkel > 3 cm gegenüber Gegenseite 1,0 eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein 1,0 Kollateralvenen 1,0 früher dokumentierte TVT 1,0 alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich wie tiefe Venenthrombose - 2,0 Wahrscheinlichkeit für TVT Score hoch ≥ 3,0 (74 %) mittel 1,0 - 2,0 (16,6 %) niedrig - 2,0 - 0,0 (3,0 %)

Literatur/References

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Prof. Dr. Wolfgang Habscheid

Paracelsus-Krankenhaus Ruit

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