Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(27): 1648-1652
DOI: 10.1055/s-2005-871879
Übersichten
Rechtsmedizin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ärztliche Beurteilung der Gewahrsamstauglichkeit

Probleme mit dem FöderalismusMedical assessment of fitness for detention in police custodyProblems with the federalismS. Heide1 , D. Stiller1 , M. Kleiber1 , V. Henn1
  • 1Institut für Rechtsmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Further Information

Publication History

eingereicht: 24.3.2005

akzeptiert: 6.6.2005

Publication Date:
30 June 2005 (online)

Die Einholung einer ärztlichen Stellungnahme zur Tauglichkeit für den Polizeigewahrsam erweist sich immer wieder als problematisch, zumal in Deutschland einheitliche Richtlinien oder Kriterien für die Beurteilung fehlen [15]. Die Gewahrsamstauglichkeit muss meist unter erschwerten Bedingungen (wie begrenzte diagnostische Mittel, teilweise enge Gewahrsamszelle mit schlechten Lichtverhältnissen) und oft bei mangelnder Compliance beurteilt werden. Trotzdem wird vom Arzt eine verbindliche Stellungnahme erwartet, ob der Gesundheitszustand des Probanden eine zeitlich begrenzte Gewahrsamnahme durch die Polizei erlaubt [5]. Eine gewisse Entlastung bringt die Möglichkeit, das Attest nur unter konkreten Auflagen zu erteilen, wie Anforderungen an die Überwachung, Unterbringung, Nahrungsaufnahme und Medikamenteneinnahme. Dabei muss der untersuchende Arzt unbedingt mit der gesetzlichen Grundlage, der jeweiligen Polizeigewahrsamsordnung seines Bundeslandes, vertraut sein, um seine Vorgaben und Auflagen danach ausrichten zu können.

Unser Ziel ist die vergleichende Betrachtung aller derzeit gültigen Polizeigewahrsamsordnungen einschließlich eventueller Kommentierungen. Die unterschiedlichen Zeitpunkte des Inkrafttretens der Verordnungen reichen bis in die 1960er Jahre (Tab. [1]).

Tab. 1 Derzeitig gültige Verordnungen für den Polizeigewahrsam in den einzelnen Bundesländern. Baden-Württemberg Polizeigesetz Baden-Württemberg vom 13.01.1992; Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des Polizeigesetzes vom 16.09.1994 Bayern Haftvollzugsordnung der Polizei vom 20.03.1962, geändert am 09.03.1978 Berlin Geschäftsanweisung über die Gewahrsamsordnung im Polizeigewahrsam Tempelhof vom 29.01.2001; Verfahren bei Freiheitsentziehungen und den Transport Gefangener durch die Polizei vom 14.09.2001 Brandenburg Polizeigewahrsamsordnung vom 05.04.1995 Bremen Erlass über den Polizeigewahrsam vom 01.12.1998 Hamburg Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von 1966; Vorschrift „Täglicher Dienst der Polizei der Freien und Hansestadt Hamburg” Hessen Polizeigewahrsamsordnung vom 26.03.2002 Mecklenburg-Vorpommern Polizeigewahrsamsordnung vom 09.03.1994 Niedersachsen Polizeigewahrsamsordnung vom 02.07.2001 Nordrhein-Westfalen Polizeigewahrsamsordnung vom 27.07.1979 Rheinland-Pfalz Gewahrsamsordnung für die Polizei vom 08.03.2003 Saarland Polizeigewahrsamsordnung vom 29.07.1974; Erlass über die ärztliche Bescheinigung der Gewahrsamsfähigkeit vom 26.01.1979 Sachsen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Gewahrsams vom 01.11.1999 Sachsen-Anhalt Polizeigewahrsamsordnung vom 27.03.1995 Schleswig-Holstein Polizeigewahrsamsordnung vom 29.11.1982 (wird derzeit überarbeitet!) Thüringen Polizeigewahrsamsordnung vom 01.07.1993

Die Anlässe und die höchstzulässige Dauer der Gewahrsamnahme sind in den meisten Bundesländern in der Polizeigewahrsamsordnung, in einigen Ländern aber auch im Polizeigesetz festgelegt. Die gesetzlichen Vorgaben wurden vor allem hinsichtlich der für die ärztliche Begutachtung wichtigen Aspekte miteinander verglichen.

Literatur

  • 1 Berghaus G, Horny J, Dotzauer G. Ausnüchterungen im Polizeigewahrsam.  Arch Kriminol. 1981;  167 1-10
  • 2 Elsing C, Schlenker T, Stremmel W. Haft- und Gewahrsamsfähigkeit aus internistischer Sicht.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 1118-1121
  • 3 Giles H G, Sandrin S. Alcohol and deaths in police custody.  Alcohol Clin Exp Res. 1992;  16 670-672
  • 4 Greiner A. Der Tod in der Polizeizelle.  Die Polizei. 1999;  90 281-285
  • 5 Heide S, Stiller D, Kleiber M. Problematik der Gewahrsamstauglichkeit.  Dtsch Aerztebl. 2003;  12 A791-A794
  • 6 Heide S, Stiller D, Henn V, Kleiber M. Attest mit Einschränkungen? Erfahrungen aus der Praxis der Gewahrsamstauglichkeitsuntersuchung (Abstract).  Rechtsmedizin. 2003;  4 237
  • 7 Kiesecker R. Arzt und Gewahrsams-/Haftfähigkeit.  MedR. 1999;  2 51-57
  • 8 Levine M. Deaths in police custody.  Med Leg J. 1998;  66 97-108
  • 9 Lieske K, Püschel K. Todesfälle in der Ausnüchterungsambulanz.  Blutalkohol. 1986;  23 289-294
  • 10 Ochmann A, Berghaus G. Untersuchungen über den Personenkreis von 30.000 in Gewahrsam Genommenen. 1. Auflage Stuttgart, NewYork: Schattauer In: Dotzauer G, Hirschmann J., Hrsg. Fehldiagnose Trunkenheit 1968: 15-26
  • 11 Pedal W. Die ärztliche Gewahrsamsfähigkeitsuntersuchung.  Ärzteblatt Sachsen-Anhalt. 2001;  2 48-50
  • 12 Segest E. Police custody: death and medical attention.  J Forensic Sci. 1987;  32 1694-1703
  • 13 Stein K M. Diskussion zu dem Beitrag: Problematik der Gewahrsamstauglichkeit.  Dtsch Aerztebl. 2003;  38 A 2458
  • 14 Zack F, Rummel J, Weirich V. Tod im Polizeigewahrsam - Eine Kasuistik mit Leichenschaufehldiagnose (Abstract).  Rechtsmedizin. 1999;  9 A1-A112
  • 15 Weber B, Mattern R, Stein K M. Medizinische Aspekte des Polizeigewahrsams, Erfahrungen mit einem standardisierten Untersuchungsprotokoll (Abstract).  Rechtsmedizin. 2002;  4 285

Dr. med. S. Heide

Institut für Rechtsmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Franzosenweg 1

06112 Halle/S.

Phone: 0345/5571885

Fax: 0345/5571587

Email: steffen.heide@medizin.uni-halle.de

    >