ZFA (Stuttgart) 2005; 81(5): 203-204
DOI: 10.1055/s-2005-836496
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Mini-Mental-Status-Test (MMST) als Demenz-Screening

Methodische Überlegungen zur Eignung in der Hausarzt-PraxisThe Mini-Mental-Status Examination as Dementia ScreeningMethodological Considerations for its Use in General PracticeM. Pentzek1
  • 1Abteilung für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
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Publication Date:
09 May 2005 (online)

Hausärzte spielen eine Schlüsselrolle in der Versorgung von Demenzpatienten. Die frühe Erkennung ist dabei eine Herausforderung, bei der kurze Testverfahren hilfreich sein können. Der Mini-Mental-Status-Test (MMST) ist der meist verwendete kognitive Kurztest. Doch ist seine diagnostische Präzision ausreichend, um den Einsatz in der Hausarztpraxis zu rechtfertigen? Eine neue Studie beantwortet diese Frage mit vergleichsweise hohen Sensitivitäts- und Spezifitätsangaben für den MMST.

In einer aktuellen belgischen Studie [1] wurde der Nutzen elf verschiedener psychometrischer Tests für die Erkennung einer Demenz in der Hausarztpraxis untersucht, darunter der MMST. Neben einem diagnostischen Algorithmus aus vier Tests (- für die Praxis zu zeitaufwändig -), mit dem die höchste Präzision erreicht werden konnte, wurde auch die diagnostische Güte der elf Einzeltests berechnet. Hierbei erreichte der MMST mit einem festgelegten cut-off-Wert von ≤ 24 (d. h.: ein Wert von 24 oder weniger spricht für eine Demenz) eine Sensitivität von 88 % und eine Spezifität von 86 %. Aus diesen Zahlen schließen die Autoren, dass der MMST als Screening-Instrument eingesetzt werden kann. Die Studie weist einige Schwachpunkte auf, die das Ergebnis in Richtung einer allzu positiven Bewertung des MMST verzerrt haben können.

1. Die untersuchte Stichprobe bestand aus vorselektierten Patienten, die bereits drei Jahre zuvor für eine epidemiologische Studie rekrutiert wurden und zu diesem Zeitpunkt u. a. mit dem MMST getestet wurden. An der aktuellen Studie nahmen 43 Patienten teil, die damals laut MMST keine Demenz hatten. Hinzu kommen 109 Patienten, die vor drei Jahren einen auffälligen Wert entweder auf dem MMST, auf einer Depressionsskala oder auf einem Fragebogen zum generellen Gesundheitszustand zeigten. Eine genaue Aufschlüsselung, wie viele davon nun dement, depressiv und/oder in schlechtem Gesundheitszustand waren, geben die Autoren nicht an. Allerdings werden hier zwei Aspekte deutlich:

Es handelt sich bei der untersuchten Stichprobe um vorselektierte Patienten und nicht um das unausgelesene Patientengut, auf welches ein Hausarzt einen Screening-Test anwenden soll. Diejenigen Patienten, die bei der Testung vor drei Jahren bereits im MMST als dement eingestuft wurden, werden zum Zeitpunkt der aktuellen Studie aufgrund des progredienten Krankheitsverlaufs schon eine fortgeschrittene Demenz gezeigt haben. Diese schwereren Formen werden durch den MMST natürlich besser erkannt als die beginnenden Demenzen. Insgesamt wird sich dadurch die Sensitivität des Tests erhöht haben.

Es bleibt also zu vermuten, dass sich die vorliegende Stichprobe aus Patienten zusammensetzt, die nicht dem diagnostisch schwierigen Graubereich zwischen leichter Demenz und normaler Kognition entstammen, sondern auf dem Kontinuum kognitiver Leistungsfähigkeit näher an den Endpunkten (gute Kognition vs. deutliche Demenz) liegen.

2. Laut Referenztest (CAMDEX) hatten von den 152 Teilnehmern der Studie 50 eine Demenz. Aus den Daten ist allerdings nicht ersichtlich, wie die Schweregrade der Demenz verteilt sind. Es ist also nicht klar, ob der MMST mit der genannten Sensitivität leicht-, mittel- oder schwergradige Demenzen erkennt. Der o. g. erste Kritikpunkt legt nahe, dass zumindest teilweise Patienten mit fortgeschrittener Demenz dabei waren, die besser erkannt werden können. Man müsste die Ergebnisse separat für leichte und mittlere/schwere Demenzstadien betrachten. Für das Problem, beginnende Demenzen zu erkennen, dürfte der MMST nämlich keine geeignete Lösung darstellen, da lediglich drei Punkte (von insgesamt 30) auf das episodische Gedächtnis entfallen. Dieser kognitive Bereich ist bereits in den Anfangsstadien besonders der Alzheimerkrankheit beeinträchtigt, während z. B. die Orientierung und die sprachlichen Funktionen (zwei Schwerpunkte des MMST) hier meist noch intakt sind. Ein isoliertes Defizit im episodischen Gedächtnis würde in einem Abzug von maximal drei Punkten resultieren; ein Wert von 27 gilt als unauffällig. Doch gerade die Erkennung früher Krankheitsstadien ist das Ziel eines Screening-Tests.

3. Die CAMDEX (ein ausführliches und valides Diagnosesystem) als Referenztest für das Vorliegen einer Demenz in der aktuellen Studie enthält in seinem kognitiven Teil nochmals u. a. den gesamten MMST. Damit wird die Güte des MMST an einem Kriterium gemessen, welches diesen selbst beinhaltet. Dass der MMST einen besseren Zusammenhang mit der CAMDEX aufweisen wird als mit einem diagnostischen System, welches die kognitiven Leistungen unabhängig vom MMST erfasst, ist stark anzunehmen. Diese Überschneidung wird die Präzision (Sensitivität und Spezifität) des MMST weiter erhöht haben.

4. Die Spezifität des MMST (- ein Wert, der angibt, mit welcher Sicherheit nur demente, nicht aber kognitiv gesunde Patienten, einen auffälligen Punktwert erzielen -) liegt in dieser Studie sehr hoch. Das könnte u. a. daran liegen, dass hier erfahrene klinische Forscher den Test durchgeführt haben. Diese sind in der standardisierten Testdurchführung und in der adäquaten Interpretation der Fragebeantwortung sicher. So können sie evtl. besser abwägen, welche Fehler tatsächlich auf eine kognitive Störung oder auf andere Faktoren (s. u.) zurückzuführen sind; sie sind evtl. strikter in der Einhaltung bestimmter Bearbeitungszeiten und in der Zurückhaltung von Hilfestellungen. Wären die Tests von den Hausärzten selbst oder vom Praxispersonal gemacht worden, so ist es wahrscheinlich, dass darunter Sensitivität und Spezifität gelitten hätten, selbst wenn eine Schulung in der Anwendung des MMST vorausgegangen wäre. Als Beleg dafür kann eine Untersuchung von White et al. [2] angeführt werden, in der die Hausärzte oder das Praxispersonal - nach einer Einweisung in den MMST durch die Forscher - die Testung bei ihren Patienten selbst durchführten. Als Referenztest diente das Diagnosesystem GMS-AGECAT. Bei einem cut-off-Wert von ≤ 24 ergab sich eine Spezifität von lediglich 22 %, d. h. es wurden 78 % der kognitiv gesunden Patienten vom MMST als dement eingestuft. Gründe für dieses Ergebnis werden in der Studie nicht weiter erläutert.

Es ist bekannt, dass das Ergebnis in vielen psychometrischen Tests (auch das im MMST) stark vom Alter und vom Bildungsgrad abhängig ist. So kann ein hochbetagter Patient einen schlechten Punktwert erreichen, obwohl er nicht dement ist, ein Patient ohne ausreichende Schulbildung kann ebenfalls schlecht abschneiden, ohne dass die Defizite auf einen demenziellen Krankheitsprozess zurückzuführen sind. Die Verwendung von Normwerten für verschiedene Altersgruppen und Bildungsgrade bei der Ergebnisinterpretation kann die Präzision eines Tests erhöhen. Weitere Gründe für ein schlechtes Ergebnis speziell im MMST (obwohl ähnliche Probleme wohl auch auf andere Tests zutreffen) und für die fehlerhafte Beantwortung einzelner Items nennen Räihä et al. [3]. So waren u. a. eingeschränkte Sinnesfunktionen (Sehen, Hören), Tremor, Nervosität, Abneigung gegenüber der Testung, Schwierigkeiten beim Lesen, die Folgen eines Schlaganfalls und andere Faktoren für Fehler in bestimmten Items des MMST verantwortlich. Werden diese konfundierenden Faktoren bei der Ergebnisinterpretation nicht berücksichtigt, so sinkt die Spezifität des Tests.

Auch wenn die in Studien genannte Präzision des MMST hoch ausfällt, stellt sich immer die Frage, inwieweit die Ergebnisse auf den Einsatz im realen Umfeld einer Hausarztpraxis übertragbar sind. Ein kurzer kognitiver Test (wie der MMST) sollte nie alleinstehend zum Screening ganzer Patientengruppen benutzt werden. Anamnestische und fremdanamnestische Angaben, sowie Beobachtungen im Arzt-Patienten-Kontakt sollten die ersten Hinweise auf evtl. bestehende kognitive Defizite liefern. Eine Objektivierung kann dann am besten mit neueren Kurztests wie dem TFDD®1[1] oder dem DemTect®2[2] erfolgen, die a) nicht so unangenehme Fragen für den Patienten beinhalten und b) stärkeres Gewicht auf das episodische Gedächtnis als sensitives Symptom beginnender Demenzstadien legen.

Interessenkonflikte: keine angegeben.

Literatur

  • 1 De Lepeleire J, Heyrman J, Baro F, et al. A combination of tests for the diagnosis of dementia had a significant diagnostic value.  J Clin Epidem. 2005;  58 217-225
  • 2 White N, Scott A, Woods R T,. et al . The limited utility of the Mini-Mental-State Examination in screening people over the age of 75 years for dementia in primary care.  Brit J Gen Pract. 2002;  52 1002-1003
  • 3 Räihä I, Isoaho R, Ojanlatva A,. et al . Poor performance in the mini-mental state examination due to causes other than dementia.  Scand J Prim Health Care. 2001;  19 34-38

1 Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung® (Ihl & Grass-Kapanke; kostenlos zu bestellen bei Dr. Wilmar Schwabe Arzneimittel, info@schwabe.de)

2 DemTect® zur Unterstützung der Demenzdiagnostik (Kessler et al.; kostenlos zu bestellen bei Eisai GmbH, kontakt@eisai.net)

Michael Pentzek

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Email: pentzek@med.uni-duesseldorf.de

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