Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(10): e61-e73
DOI: 10.1055/s-0043-100639
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bedeutung der Notaufnahme für die ambulante medizinische Versorgung in einer ruralen Region in Sachsen-Anhalt: Qualitative Befragung von Patienten und Hausärzten

Perception of the Emergency Department for Outpatient Care in a Rural Region in Saxony-Anhalt: A Qualitative Survey of Patients and General Practitioners
Martina Schmiedhofer
,
Julia Searle
,
Anna Slagman
,
Johann Frick
,
Stephan Ruhla
,
Martin Möckel
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Publication History

Publication Date:
29 March 2017 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund Die Beanspruchung von Notaufnahmen durch Patienten mit akutem, aber nicht notfallmedizinischem Behandlungsbedarf nimmt seit Jahren zu und trägt zur Überfüllung bei. Ein Lösungskonzept, das die Notaufnahmen nachhaltig entlastet, erfordert die genaue Kenntnis der Patientenmotive.

Methode Zur Erfassung der Motive zum Aufsuchen einer Notaufnahme im ländlichen Raum wurden 31 ambulante Notaufnahmepatienten einer Mittelstadt Sachsen-Anhalts befragt. Anschließend wurden 12 Hausärzte zu ihrer Sichtweise auf das Patientenverhalten sowie eigenen Weiterleitungen von Patienten an die Notaufnahme interviewt. Die Auswertung erfolgte mit der Qualitativen Inhaltsanalyse.

Ergebnis Alle interviewten Patienten berichteten von hausärztlichen Bindungen und hatten die Notaufnahme ergänzend oder ersatzweise aufgesucht. Ein Drittel konnte die Sprechstundenzeiten nicht mit beruflichen Pflichten vereinbaren; ein weiteres Drittel suchte bei selbst eingeschätztem Bedarf gezielt das Diagnose- und Therapieangebot der Notaufnahme auf. Eine weitere Gruppe berichtete, von Hausärzten an die Notaufnahme verwiesen worden zu sein. Die befragten Hausärzte werteten das Ansteuern der Notaufnahme zur schnellen jederzeitigen Behandlung mehrheitlich als Ausdruck gestiegenen Anspruchsdenkens. Größere Empathie wurde dem Notaufnahmebesuch von um ihre Gesundheit besorgten Patienten entgegengebracht, auch bei medizinisch eingeschränkter Notwendigkeit. Der überwiegende Teil der befragten Ärzte nutzte die Notaufnahme gelegentlich zur Behandlungsbeschleunigung oder Absicherung bei diagnostischer Unsicherheit.

Schlussfolgerung Die Befragungsdaten verdeutlichen, dass die Notaufnahme als Anlaufstelle für ambulante nichtdringliche Versorgung aus unterschiedlichsten Motiven genutzt wird. Damit übernimmt sie neben der originären notfallmedizinischer Versorgung eine Sektor übergreifende Funktion. Die steigende Nachfrage nach ambulanten Behandlungen verweist auf den Bedarf neuer Versorgungsstrukturen.

Abstract

Background The increasing number of low-acuity visits to Emergency Departments (ED) is an important issue in Germany and contributes to ED crowding. A sustainable solution needs deeper knowledge of patients’ underlying rationales.

Methods To explore patients’ motives we conducted 31 semi-structured face-to-face interviews with low-acuity ED patients in a rural region in Saxony-Anhalt. Subsequently we interviewed 12 General Practitioners (GP)s about their perspectives on patients visiting ED with low-acuity conditions and referring patients to ED. A qualitative content analysis approach was used for data analysis.

Results All patients were connected to a GP. One third had visited ED because of 24/7 availability when consultation hours and working times overlapped. Another third had addressed EDs full range of laboratory and imaging technology with a subjective need for fast diagnosis. One group reported that they had been referred to the ED by their GP. The interviewed GPs classified patients’ ED usage for time-constraints as impatience and growing demand, while they expressed greater understanding for patients striving to ED for anxiety reasons. Most GPs sometimes referred patients to ED for diagnostic reasons.

Conclusion The findings demonstrate that ED usage with non-urgent conditions takes place for different reasons. Therefore, ED plays a pivotal role not only in emergency care, but also in ambulant care. The growing demand for ambulant care indicates a need for changed health care structures.

Extended Abstract