Gesundheitswesen 2017; 79(05): 382-387
DOI: 10.1055/s-0035-1549971
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Entwicklung der ärztlichen Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung

Current Status of Medical Care for Nursing Home Residents in Germany – Results of an Empirical Study
T. Kleina
1   Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld
,
A. Horn
1   Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld
,
R. Suhr
2   (ZQP), Zentrum für Qualität in der Pflege, Berlin
,
D. Schaeffer
1   Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld
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Publication Date:
25 June 2015 (online)

Zusammenfassung

Nachdem verschiedene Untersuchungen Defizite bei der Versorgung von Heimbewohnern durch Allgemein- und Fachärzte offengelegt haben, hat sich die Diskussion um die Qualität der ärztlichen Versorgung von Bewohnern stationärer Pflegeeinrichtungen in den vergangenen Jahren intensiviert. In Reaktion darauf wurden vonseiten der Politik verschiedene Versuche unternommen, Verbesserungen herbeizuführen. Um ein Bild über die aktuelle Situation in stationären Pflegeeinrichtungen zu gewinnen, wurden Daten zur gesundheitlichen Situation und der medizinischen Versorgung von insgesamt 778 Nutzern aus 8 Pflegeheimen erhoben. Es handelte sich bei ihnen überwiegend um multimorbide Personen, die zahlreiche ärztlich verordnete Medikamente einnahmen. Mit Blick auf die ärztliche Versorgung zeigte sich, dass rund 91% der Bewohner mindestens vierteljährlich persönlichen Kontakt zu Allgemeinmedizinern und/oder Internisten hatten und nur 1,3% von ihnen über einen Zeitraum von einem Jahr keine solchen Kontakte aufwiesen. Dem gegenüber erwies sich die Kontakthäufigkeit zu anderen Fachärzten als vergleichsweise gering. So hatten bspw. nur 18,9% der Nutzer mindestens einmal jährlich Kontakt zu Urologen, nur 16,7% mindestens einmal jährlich Kontakt zu Augenärzten, nur 39,6% mindestens einmal jährlich Kontakt zu Zahnärzten und nur 10,6% der weiblichen Bewohner mindestens einmal jährlich Kontakt zu Gynäkologen. Die Anteile lagen damit – trotz des Vorhandenseins spezifischer medizinischer Problemlagen – unter den Inanspruchnahmequoten älterer Bevölkerungsgruppen, die nicht im Heim leben. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die in den vergangenen Jahren getroffen Maßnahmen zur Optimierung der fachärztlichen Versorgung in Pflegeheimen bislang nur wenig Wirkung entfalten und bekannte Defizite fortbestehen. Angesichts der möglichen Folgen für die Nutzer bedarf es weiterer und intensiverer Anstrengungen zur Verbesserung der haus- und fachärztlichen Versorgung in Einrichtungen der stationären Langzeitversorgung.

Abstract

Following recent studies revealing deficits in general and specialised medical care of nursing home residents in Germany, the discussion on the quality of medical care of residents in residential care facilities has intensified in the past years. As a result, political efforts have been undertaken to facilitate improvements in this context. We collected data on the health status and medical care of 778 residents from 8 nursing homes in order to investigate the current situation regarding medical care for nursing home residents in Germany. Most of them were multimorbid, taking several prescribed medications. Our results showed that about 91% of the residents had personal contact to general practitioners or internists quarterly and only 1.3% had no such contacts within a year. The frequency of contacts to other medical specialists was comparably low. For example, within a year, only 18.9% of the residents had contact to urologists; only 16.7% had contact to ophthalmologists; only 39.6% had contact to dentists and only 10.6% of the female residents had contact to gynaecologists. Despite the fact that many of the residents showed specific medical care needs, these rates were below the utilisation rates of older population groups not living in long-term care homes. This leads to the conclusion that previous efforts to optimise medical care in nursing homes were only partially successful. Well known deficits are still remaining. Considering potential consequences for residents, further and consequent actions are required to improve the general and specialised medical care in institutionalised long-term care.

 
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