Geburtshilfe Frauenheilkd 2010; 70 - A4
DOI: 10.1055/s-0030-1269962

Seltene Differenzialdiagnose einer cystischen pelvinen Raumforderung

A Dittgen 1, M Lanowska 1, K Hasenbein 1, A Schneider 1
  • 1Berlin-Mitte

Vorgestellt wird der Fall einer 39-jährigen Patientin (172cm, 72kg) die sich in einem guten Allgemeinzustand mit einer größenprogredienten mehrkammrigen zystischen Raumforderung im Adnexbereich rechts vorstellte, die bei einer Routine-Vaginalsonografie als asymptomatischer Befund festgestellt wurde. Die Anamnese der III-Gravida III-Para wies 3 Spontanpartus aus. Die Menarche fand im 14. Lebensjahr statt. Die Menstruation war unauffällig. Kinderwunsch bestand nicht aktuell. Familienanamnese, Eigenanamnese und Sozialanamnese wiesen keine Besonderheiten auf. Bei der gynäkologischen Untersuchung war das Abdomen weich, indolent, die Nierenlager waren beidseits frei. Bei der Inspektion fand sich eine reizlose Vulva ohne auffällige Lymphknotenschwellungen sowie eine unauffällige Vagina. Ein Fluor albus wurde beschrieben. Die Portio war makroskopisch glatt. Der letzte PAP-Abstrich war unauffällig. Der Uterus war anteflektiert, normal groß, derb und mobil. Adnexe, Douglas und Parametrien waren ohne pathologischen Befund. Ein Tumor war im kleinen Becken nicht palpabel. Die Transvaginalsonografie zeigte einen anteflektierten, normal großen Uterus mit zyklusgerechter doppelter Endometriumdicke (DED). Freie Flüssigkeit im Douglas war nicht nachweisbar. Das linke Ovar war unauffällig, von normaler Größe. Im rechten Ovarialbereich sah man jedoch einen zystisch-soliden Tumor von 5×5cm, der durchaus gekammert erschien. Das Labor war unauffällig, auch der Tumormarker CA 125 war im Normbereich.

Es wurde die Indikation zur diagnostisch-operativen Laparoskopie gestellt. Zu Operationsbeginn erfolgte die Asservierung von Douglaszytologie, die sich dann später als unauffällig erwies. Intraoperativ zeigte sich der normal große Uterus, beide (!) Adnexe, der Douglas und die Parametrien waren unauffällig, ebenso wie die Rotundae. Das Peritoneum wies allseits keine Besonderheiten auf. Im Bereich der rechten Adnexregion wölbte sich unterhalb der Sakrouterinligamente jedoch eine zystische Struktur vor. Darüber erfolgte die Eröffnung des Retroperitoneums und die Darstellung des Befundes. In Anbetracht des unklaren retroperitonealen Tumors wurde die Operation jedoch beendet. Die Patientin erhielt postoperativ ein MRT des kleinen Beckens, das die Diagnose „ausgeprägte sakrale Wurzeltaschenzysten beidseits (2. und 3. SWK)“ ergab. Die neurochirurgischen Kollegen empfahlen keine weitere Operation, da die Wurzeltaschenzysten asymptomatische gutartige Fehlbildungen seien. Differenzialdiagnostisch kamen bei dieser Patientin Ovarialzysten in Frage, speziell Endometriosezysten, Dermoide oder funktionelle Zysten, aber auch ein Tuboovarial-Abszess. Zu denken wäre auch an eine Sakto- oder Hämatosaktosalpinx, an benigne oder maligne Tumore des Ovars und an Peritonealzysten (zum Beispiel retroperitoneale Hydatiden oder peritoneale Pseudozysten). Sakrale Wurzeltaschenzysten sollten nunmehr auch in das differenzialdiagnostische Denken einbezogen werden, ebenso wie sakrale Meningozelen oder präsakrale Tumore, wie die Schwannome, die Embryonaltumore (z.B. die Müller-Tumore, die Teratome), aber auch atypische Sinus pilonidalis, das zystische Hamartom, neuroendokrine Karzinome und Mesotheliome. Lymphangiome bzw. Lymphangioendotheliome sowie Lymphozelen wurden ebenfalls beschrieben, wie auch Echinkokkus-Zysten oder Mukozelen – speziell von einem sogenannten remnant Appendix vermiformis. Zusammenfassung: Sollte ein unklarer retroperitonealer Befund bei der diagnostischen oder operativen Laparoskopie auftreten, empfiehlt sich in keinem Fall die Entfernung oder die Biopsie. Es kann sich um eine Wurzeltaschenzyste mit Verbindung zum Spinalkanal handeln. Kommt es dann aufgrund der operativen Intervention zu einer Leckage und zu Liquoraustritt über 60ml, so besteht durchaus die Gefahr einer cerebralen Einklemmung. Im Zweifelsfall sollte ein zweitzeitiges Vorgehen gewählt werden, wobei ein Kontrastmittel-MRT klärt, ob eine Verbindung zum Spinalkanal vorliegt.

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