Gesundheitswesen 2011; 73(1): 13-19
DOI: 10.1055/s-0030-1255077
Originalarbeit

© J. A. Barth Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die ärztliche Behandlung einwilligungsunfähiger Patienten im Licht des neuen Patientenverfügungsrechts nach §§ 1901a und 1901b BGB

The Medical Treatment of Patients who are Incapable of Giving Consent to a Medical Measure in the Focus of the New Law of Living Will in §§ 1901a and 1901b BGBP. Kostorz1 [*]
  • 1Fachhochschule Münster, Fachbereich Pflege und Gesundheit
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Publication Date:
26 July 2010 (online)

Zusammenfassung

Mit dem am 1. September 2009 in Kraft getretenen sogenannten Patientenverfügungsgesetz hat der Gesetzgeber eine langjährige Diskussion über die Errichtung, die Reichweite und die Umsetzung von Patientenverfügungen beendet. Der vorliegende Beitrag stellt die Neuregelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) dar und zeichnet nach, welche Aspekte bei der Behandlung einwilligungs(un)fähiger Patienten (künftig) zu beachten sind.

Abstract

With the new law of living will which came into force on September 1st 2009 the legislator has ended a long-lasting discussion about the erection, the range and the putting into action of living wills. This essay describes the new regulations in the German Civil Code (BGB) and discusses which aspects need to be taken into consideration at the treatment of patients being (un)able to consent to a medical measure.

58 Der Autor ist Professor für Rechts- und Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Sozialrecht am Fachbereich Pflege und Gesundheit der Fachhochschule Münster, Leonardo Campus 8, 48149 Münster. Besonderer Dank für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die daraus resultierenden wertvollen Hinweise gilt Frau Rechtsanwältin Kathrin Hücking, Kaesenstraße 6, 50677 Köln

1 BGBl. I 2009: 2286 f.

2 BGH vom 17. März 2003 (Az. XII ZB 2/03). BGHZ 154: 205.

3 BT-Drucks. 16/8442, 16/11360 sowie 16/11493. Zum Vergleich des Entwurfs der Abgeordneten Joachim Stünker et al. mit den beiden konkurrierenden Gesetzentwürfen der Abgeordneten Wolfgang Bosbach et al. und Wolfgang Zöller et al. vgl. Kübler F, Kübler W. Selbstbestimmung am Lebensende? Die Patientenverfügung im Gesetzgebungsverfahren. ZRP 2008; 41 (8): 236–240, Nölling T. Patientenverfügung. Der aktuelle Stand. ArztRecht 2009; 44 (6): 144–151 sowie Dähne H. Die Patientenverfügung. www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/patientenverfuegung.pdf. Während eine schriftliche Patientenverfügung nach dem Stünker-Entwurf unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung verbindlich sein sollte, unterschied der Bosbach-Entwurf je nach Behandlungssituation: Bei einer schriftlich niedergelegten Patientenverfügung sollte der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung nur dann möglich sein, wenn eine „unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit” vorliegt oder der Patient dauerhaft bewusstlos ist; bei nicht tödlich verlaufenden Erkrankungen sollten lebenserhaltende Maßnahmen nur dann abgebrochen werden dürfen, wenn der Patient sich im Vorfeld umfassend medizinisch und rechtlich beraten ließ, die Patientenverfügung notariell beurkundet wurde und sie nicht älter als 5 Jahre gewesen wäre. Nach dem Zöller-Entwurf sollte eine Patientenverfügung ohne jede Reichweitenbegrenzung und ohne die Einhaltung einer besonderen Form verbindlich sein.

4 Vgl. Katzenmeier C. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. 6. Aufl. München: C. H. Beck; 2009: 104 ff. Zur gegenteiligen herrschenden Auffassung in der Literatur vgl. etwa Ulsenheimer K. In: Laufs A, Uhlenbruck W: Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. München: C. H. Beck; 2001: § 138 Rdnr. 5 ff. Mit Fehn K. Der medizinische Heileingriff als Körperverletzung und die strafrechtliche Bedeutung von Aufklärungsmängeln im Überblick. GesR 2009; 8 (1): 12 ist der im Schrifttum verbreiteten Meinung, eine ärztliche Maßnahme erfülle trotz fehlender Einwilligung nicht in jedem Fall a priori den Tatbestand des § 223 StGB, vor allem das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des Patienten entgegenzuhalten, das es einem Arzt generell versagt, „über den Kopf des Patienten hinweg” (a. a. O.) zu handeln und zu behandeln. Zur parallel geführten zivilrechtlichen Diskussion vgl. Laufs A. In: Laufs A. Uhlenbruck W: Handbuch des Arztrechts. 3. Aufl. München: C. H. Beck; 2001: § 103 Rdnr. 4 ff.

5 Vgl. etwa Hufen F. In dubio pro dignitate. Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens. NJW 2001; 54 (12): 853.

6 Hierzu grundlegend Fehn K. Der medizinische Heileingriff als Körperverletzung und die strafrechtliche Bedeutung von Aufklärungsmängeln im Überblick. GesR 2009; 8 (1): 11–17.

7 Vgl. Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 582, Gehrlein M. Leitfaden zur Arzthaftpflicht. München: Franz Vahlen; 2000: 122 und 164 sowie Geiß K, Greiner HP. Arzthaftpflichtrecht. 6. Aufl. München: C. H. Beck; 2009: 218.

8 Eine rechtswirksame Aufklärung bedarf vor allem der Elemente Diagnoseaufklärung, Verlaufs- und Therapieaufklärung sowie Risikoaufklärung; hierzu ausführlicher Großkopf V, Klein H. Recht in Medizin und Pflege. 3. Aufl. Balingen: Spitta; 2007: 75 ff.

9 So auch Ulsenheimer K. In: Laufs A, Uhlenbruck W: Handbuch des Arztrechts. 3. Aufl. München: C. H. Beck; 2001: § 139 Rdnr. 27 (m.w.N.).

10 Vgl. Fehn K. Der medizinische Heileingriff als Körperverletzung und die strafrechtliche Bedeutung von Aufklärungsmängeln im Überblick. GesR 2009; 8 (1): 14.

11 Hierzu näher Ulsenheimer K. In: Laufs A, Uhlenbruck W: Handbuch des Arztrechts. 3. Aufl. München: C. H. Beck; 2001: § 139 Rdnr. 27 ff. sowie Fehn K. Der medizinische Heileingriff als Körperverletzung und die strafrechtliche Bedeutung von Aufklärungsmängeln im Überblick. GesR 2009; 8 (1): 14 f.

12 Hierzu Katzenmeier C. Arzthaftung. Tübingen: Mohr Siebeck; 2002: 109 sowie ausführlich Killinger E. Die Besonderheiten der Arzthaftung im medizinischen Notfall. Berlin und Heidelberg: Springer; 2009: 23 ff.

13 Vgl. exemplarisch Gehrlein M. Leitfaden zur Arzthaftpflicht. München: Franz Vahlen; 2000: 9 sowie Katzenmeier C. Arzthaftung. Tübingen: Mohr Siebeck; 2002: 109 f.

14 Vgl. etwa BGH vom 25. März 1988 (Az. 2 StR 93/88). BGHSt 35: 246; daneben hat der BGH die altersbedingte Lebenserwartung des Patienten sowie das Erleiden von Schmerzen als individuelle, konkrete und aussagekräftige Anhaltspunkte für die Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens anerkannt.

15 Hierzu ausführlicher Geiß K, Greiner HP. Arzthaftpflichtrecht. 6. Aufl. München: C. H. Beck; 2009: 273 sowie Fehn K. Der medizinische Heileingriff als Körperverletzung und die strafrechtliche Bedeutung von Aufklärungsmängeln im Überblick. GesR 2009; 8 (1): 15. Nach Katzenmeier C. Arzthaftung. Tübingen: Mohr Siebeck; 2002: 109 f. gehören hierzu zunächst „nur die vital oder absolut indizierten Maßnahmen”; lediglich relativ indizierte Maßnahmen seien der Entscheidungsbefugnis des Patienten vorzubehalten.

16 Hierzu ausführlich Nordmann H, Schuldzinski W. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung. 11. Aufl. Düsseldorf: VZ NRW; 2009. Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 583 weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Neuregelungen im Betreuungsrecht Bevollmächtigte und Betreuer insofern gleichstellen.

17 Zur (analogen) Anwendbarkeit der §§ 164 ff. BGB vgl. etwa Schramm KH. In: Säcker FJ, Rixecker R (Hrsg.). Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Bd. 1/1, 5. Aufl. München: C. H. Beck; 2006: § 164 Rdnr. 5a.

18 Zur Subsidiarität der beiden Rechtsinstitute vgl. den sich aus § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB ergebenden Grundsatz „Vorsorgevollmacht vermeidet Betreuerbestellung”; danach ist eine Betreuerbestellung nicht erforderlich, wenn die Gesundheitsangelegenheiten des Patienten durch einen Bevollmächtigten ebenso gut besorgt werden können, wie durch einen Betreuer.

19 Da das Gesetz Betreuern eine derart starke Stellung beimisst, weist Hübner M. Patientenverfügungen werden verbindlich. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (36): 1718 zu Recht darauf hin, dass Betroffene gut beraten sind, vorsorglich eine vertraute Person zu benennen, die als Betreuer bestellt werden soll. Der Rechtsgrund für eine solche sogenannte Betreuungsverfügung findet sich in § 1897 Abs. 4 BGB.

20 Anders verhält es sich lediglich dann, wenn ein Patient „aufgrund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und eine Behandlung deshalb ablehnt” (BT-Drucksache 11/4528: 72): „In solchen Fällen einer krankheitsbedingten Behandlungsuneinsichtigkeit kann der Betreuer auch entgegen natürlicher und gegen die Behandlung gerichteter Willensäußerungen des Betreuten in die Behandlung einwilligen” (BT-Drucksache 16/8442: 10).

21 Hierzu etwa Enders C. In: Stern K, Becker F (Hrsg.): Grundrechte-Kommentar. Die Grundrechte des Grundgesetzes mit ihren europäischen Bezügen. Köln: Carl Heymanns; 2010: Art. 1 Rdnr. 52.

22 Vgl. hierzu BGH vom 17. März 2003 (Az. XII ZB 2/03). BGHZ 154: 205: „Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer sog. Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist.”

23 So auch Hübner, M. Patientenverfügungen werden verbindlich. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (36): 1717. Hierzu kritisch Höfling W. Das neue Patientenverfügungsgesetz. NJW 2009; 62 (39): 2852: „In der Auseinandersetzung mit Krankheit, Sterben und Tod zeigen die meisten Menschen ambivalente und sich wandelnde Einstellungen. Schon in Situationen, in denen der Betroffene selbst noch einsichts- und entscheidungsfähig ist, steht er oder sie vor schwierigen Herausforderungen und Erwägungen. Immerhin kann er sich insoweit dialogisch-kommunikativ damit auseinandersetzen und je auf den Krankheitsverlauf bezogenen fachkundigen Rat einholen. Dies aber kann er nach einer Vorausverfügung nicht mehr. Schon insoweit besteht eine kategoriale normative Asymmetrie zwischen den Vorausverfügungen als Akt der Selbstbestimmung und der Patientenautonomie eines Einwilligungsfähigen.”

24 So auch Laufs A. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. 6. Aufl. München: C. H. Beck; 2009: 206.

25 Vgl. hierzu § 126 BGB nebst den entsprechenden Kommentierungen. Eine Bestimmung darüber, wie Patientenverfügungen die Personen und Institutionen erreichen, die danach ihr Handeln ausrichten sollen, enthält das 3. BtRÄG nicht; so auch Hübner M. Patientenverfügungen werden verbindlich. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (36): 1718: „Dafür ist – wie bisher – der Verfügende verantwortlich.” In einigen Bundesländern besteht jedoch die Möglichkeit, Betreuungsverfügungen beim zuständigen Betreuungsgericht zu hinterlegen; zudem existiert bei der Bundesnotarkammer ein zentrales Vorsorgeregister, bei dem neben Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen auch Patientenverfügungen registriert werden können (vgl. http://www.vorsorgeregister.de).

26 So auch Bieg G, Jaschinski J. In: Herberger M et al. (Hrsg.): juris Praxiskommentar BGB. 4. Aufl. Saarbrücken: Juris; 2009: § 1901a Rdnr. 3.

27 Zum dennoch verbleibenden Erfordernis der Auslegung einer Patientenverfügung nach § 133 BGB vgl. Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 208 f.

28 So auch Höfling W. Das neue Patientenverfügungsgesetz. NJW 2009; 62 (39): 2850, der in diesen Fällen ebenfalls davon ausgeht, dass eine entsprechende Erklärung nicht als Patientenverfügung anerkannt werden könne, auch wenn derart allgemeine Formulierungen „im ärztlichen wie forensischen Alltag häufig anzutreffen sind”.

29 An diesem Beispiel lässt sich der schmale Grat verdeutlichen, auf dem sich der Verfasser einer Patientenverfügung bewegt: Läge der Einschränkung der Hirnfunktion beispielsweise kein Schlaganfall, sondern Morbus Alzheimer zugrunde, würde die Patientenverfügung keine Wirkung entfalten und die PEG-Sonde gelegt. Läge hingegen tatsächlich eine irreversible Einschränkung der Hirnfunktionen aufgrund eines Schlaganfalles vor, das behandelnde Ärzteteam spräche sich aber für eine intravenöse künstliche Ernährung aus, bekäme der Patient eine entsprechende Infusion.

30 Insofern ist eine Angabe des Datums der Erstellung einer Patientenverfügung – auch wenn sie gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben ist – dringend anzuraten; sie kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht nur für die Auslegung, sondern auch für die generelle Frage der Gültigkeit der Patientenverfügung relevant sein; vgl. Hübner M. Patientenverfügungen werden verbindlich. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (36): 1716.

31 So auch Höfling W. Das neue Patientenverfügungsgesetz. NJW 2009; 62 (39): 2850.

32 Kritisch hingegen Höfling W. Das neue Patientenverfügungsgesetz. NJW 2009; 62 (39): 2852.

33 Vgl. BT-Drucksache 16/8442: 14; so wohl auch Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 207, nach dem eine Patientenverfügung „auch ohne Aufklärung durch den Arzt wirksam [wird], weil der Patient auf diese verzichten kann”. Anderer Auffassung Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 585, der ausführt, dass „der Verzicht auf den Nachweis der vorherigen Aufklärung noch damit gerechtfertigt werden [könne], dass jemand, der eine »uninformierte« Patientenverfügung verfasst, konkludent auf Aufklärung verzichtet”. Demgegenüber wird sowohl im Schrifttum als auch von der Judikatur darauf hingewiesen, dass ein „Blankoverzicht” auf jegliche Information im Interesse und zum Schutz des Patienten unwirksam ist, weshalb der wirksame (konkludente) Aufklärungsverzicht eine Art Grundaufklärung voraussetzt; vgl. Laufs A. In: Laufs A, Uhlenbruck W: Handbuch des Arztrechts. 3. Aufl. München: C. H. Beck; 2001: § 64 Rdnr. 18 sowie ausführlich Schwill F. Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie. Das Recht des Patienten zum Verzicht auf die ärztliche Aufklärung. Marburg: Tectum; 2007: 122 ff. Im Ergebnis ist die Verfügung eines Patienten, der mit ihr ohne Aufklärung durch einen Arzt und ohne ausdrücklich erklärten Verzicht auf die ärztliche Aufklärung in eine medizinische Maßnahme einwilligt, nur als Indiz für seinen mutmaßlichen Willen zu werten (hierzu sogleich unter Punkt 2.4); vgl. BT-Drucksache 16/8442: 14.

34 Hübner, M. Patientenverfügungen werden verbindlich. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (36): 1716 betont in diesem Zusammenhang, dass eine Patientenverfügung nur insoweit als verbindlich umzusetzen ist, als nicht rechtlich Verbotenes bestimmt worden ist (zum Beispiel Tötung auf Verlangen im Sinne des § 216 StGB); so auch Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 208.

35 Vgl. BT-Drucksache 16/8442: 14 f., Brosey D. Der Wille des Patienten ist entscheidend. Übersicht über die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung. BtPrax 2009; 18 (4): 175 und 176 sowie Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 210, nach dem das Vorliegen einer Patientenverfügung eine Erklärung des Vertreters gegenüber dem Arzt entbehrlich macht: „Ist ein Vertreter vorhanden, spielt daher der Unterschied zwischen einer antizipierten Einwilligung bzw. Untersagung des Patienten und einem konkreten behandlungsbezogenen Wunsch im Hinblick auf die Aufgabe des Vertreters praktisch gesehen keine Rolle.” Anders offensichtlich BGH vom 17. März 2003 (Az. XIII ZB 2/03). NJW 2003; 56 (22): 1588, nach dem die Umsetzung einer Patientenverfügung durch einen Betreuer dessen expliziter Einwilligung bedarf.

36 Ähnlich Spickhoff A. Die Patientenautonomie am Lebensende: Ende der Patientenautonomie? Zur Feststellbarkeit und Durchsetzbarkeit des realen oder hypothetischen Willens des Patienten. NJW 2000; 63 (32): 2303 sowie Nordmann H, Schuldzinski W. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung. 11. Aufl. Düsseldorf: VZ NRW; 2009: 53 f. Anders offenbar Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 585, nach dem der rechtliche Vertreter des Patienten „keine genuin eigene, sondern eine vom Willen des Patienten abgeleitete Entscheidung treffen soll”. Auch wenn dem dem Grunde nach zuzustimmen ist, gibt der Vertreter im Rahmen der ihm eingeräumten Vertretungsmacht insofern eine eigene Willenserklärung ab, als er selbstbestimmt und eigenverantwortlich den mutmaßlichen Willen des Patienten nach seinem Erkenntnishorizont eruiert, analysiert und artikuliert – er gelangt mithin zu einer eigenen Einschätzung und gibt nicht lediglich (wie beim Vorliegen einer Patientenverfügung) als Bote einen von einem anderen gebildeten und erklärten Willen weiter; ähnlich Brosey D. Der Wille des Patienten ist entscheidend. Übersicht über die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung. BtPrax 2009; 18 (4): 177: „Der mutmaßliche Wille ist kein realer, vom Patienten geäußerter Wille, sondern ein Entscheidungsmaßstab für den Vertreter, der anstelle des Patienten über die Behandlung zu entscheiden hat.”

37 Hierzu insgesamt kritisch Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 584 (m.w.N.).

38 Hierzu ausführlich Spickhoff A. Die Patientenautonomie am Lebensende: Ende der Patientenautonomie? Zur Feststellbarkeit und Durchsetzbarkeit des realen oder hypothetischen Willens des Patienten. NJW 2000; 63 (32): 2297–2304.

39 Vgl. hierzu auch Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 210 sowie Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 586.

40 So etwa Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 584; vgl. auch BT-Drucksache 16/8442: 4: „Ist ein mutmaßlicher Wille nicht feststellbar, entscheidet der Betreuer nach allgemeinen Grundsätzen, also unter Berücksichtigung der Wünsche und des Wohls des Betreuten. Im Zweifel hat hier der Lebensschutz Vorrang.”

41 Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 585, der in diesem Zusammenhang von einen „Aufklärungssurrogat” spricht, da der Patient die Aufklärung nicht selbst erhält und auch nicht selbst in die Maßnahme einwilligt bzw. sie ablehnt.

42 Vgl. hierzu ausführlich Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 582–586, der sehr anschaulich und strukturiert den Ablauf des Dialog- sowie des betreuungsgerichtlichen Verfahrens beschreibt und hierzu ein Ablaufdiagramm über die Entscheidungswege bei einer ärztlichen Behandlung bei schwerer Krankheit und am Lebensende entwickelt hat (ebd., 585).

43 Hierzu Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 210 f.

44 Zur insofern grundlegenden Verantwortung des Arztes für das weitere Procedere vgl. unter anderem Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 582.

45 Nahe Angehörige sind neben engen Verwandten (bspw. Kinder und Eltern) und Ehegatten oder Lebenspartnern, bei denen es allein auf das Bestehen der familienrechtlichen Verbindung ankommt, alle diejenigen Angehörigen, die in einem tatsächlichen persönlichen Näheverhältnis zu dem Betroffenen stehen. Der Grad der Verwandtschaft oder Schwägerschaft nach §§ 1589 f. BGB ist insoweit unerheblich. Zudem sollen Vertrauenspersonen des Betroffenen einbezogen werden. Damit wird auch eine Einbeziehung beispielsweise von Pflegekindern, Pflegeeltern oder Lebensgefährten, aber auch von engen Freunden oder Seelsorgern ermöglicht. Diese Neuregelung zur Hinzuziehung naher Angehöriger oder sonstiger Vertrauenspersonen des Betreuten bei der Feststellung des Patientenwillens wird in der Praxis künftig vor allem dann eine Rolle spielen, wenn sogenannte Berufsbetreuer keine Kenntnisse über frühere Äußerungen des Betreuten oder seine Überzeugungen haben; vgl. Hübner M. Patientenverfügungen werden verbindlich. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (36): 1717.

46 Sofern es um die Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen geht, sind in der Praxis indes kaum Fälle denkbar, bei denen „aus Zeitgründen” auf eine Anhörung der Angehörigen und Vertrauenspersonen verzichtet werden muss; hier wäre im Zweifel eine gewisse Verzögerung in Kauf zu nehmen, um eine möglichst gründliche Entscheidungsvorbereitung sicherzustellen; vgl. Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 583.

47 Hiervon zu unterscheiden sind die Maßnahmen der sogenannten Basisbetreuung, für die Ärzte und Pflegepersonal in jedem Fall zu sorgen haben. Dazu gehören nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Deutsches Ärzteblatt 2004; 101 (19): 1298 f. eine menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, das Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Hunger und Durst auf natürlichem Wege. Sind zur Ermöglichung oder Aufrechterhaltung von Grundfunktionen des Organismus wie Atmung, Ernährung und Ausscheidung jedoch ärztlich Eingriffe erforderlich, ist hierfür wie für jeden anderen ärztlichen Eingriff die Einwilligung des Patienten erforderlich.

48 So auch Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 211: „Kommen sie [Arzt und Betreuer; d. V.] zu keiner Übereinstimmung, bietet das gerichtliche Genehmigungsverfahren eine prozedurale Lösung.” Zur Rolle des Betreuungsgerichts vgl. insbesondere Diekmann A. Neue Verfahrensvorschriften in Betreuungssachen nach dem FamFG – ein Überblick. BtPrax 2009; 18 (4): 149–155.

49 Hierzu sowie zur Befugnis des Betreuungsgerichts, von Amts wegen die zum Wohl des Patienten erforderlichen Maßnahmen zu treffen, vgl. ausführlicher Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 583.

50 Hierzu Katzenmeier C. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht. München: C. H. Beck; 2009: 121.

51 Ebenso Höfling W. Das neue Patientenverfügungsgesetz. NJW 2009; 62 (39): 2851.

52 Hierzu Lipp V. In: Laufs A et al. (Hrsg.): Arztrecht München: C. H. Beck; 2009: 211: „Insofern ist die Bestellung eines Betreuers auch dann erforderlich i.S.d. § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB, wenn eine wirksame und einschlägige Patientenverfügung vorliegt. Betreuungsvermeidende Wirkung hat daher nur eine Vorsorgevollmacht für Gesundheitsangelegenheiten.”

53 So auch Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 583; zur (notfalls) vorläufigen Betreuerbestellung durch einstweilige Anordnung siehe § 300 Abs. 1 FamFG.

54 In dieser Frage offensichtlich unschlüssiger Höfling W. Das neue Patientenverfügungsgesetz. NJW 2009; 62 (39): 2850, der kritisiert, dass das 3. BtRÄG offen lasse, „was geschieht, wenn weder ein Betreuer bestellt noch ein Bevollmächtigter benannt ist”.

55 Vgl. etwa Beckmann R. Patientenverfügungen. Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung. MedR 2009; 27 (10): 584; im Ergebnis wohl auch Nordmann H, Schuldzinski W. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung. 11. Aufl. Düsseldorf: VZ NRW; 2009: 14.

56 Zu den in § 1901a Abs. 2 BGB genannten und auch im Rahmen der Anwendung der Regelung zur GoA zu berücksichtigenden Kriterien der Eruierung des tatsächlichen bzw. mutmaßlichen Patientenwillens vgl. bereits oben Anm. 14.

57 Vgl. hierzu bereits oben unter Punkt 2.4.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. P. Kostorz

Fachhochschule Münster

Fachbereich Pflege und Gesundheit

Leonardo Campus 8

48149 Münster

Email: kostorz@fh-muenster.de

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