NOTARZT 2009; 25(1): 17-18
DOI: 10.1055/s-0028-1090087
Stellungnahme

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stellungnahme des Bundesverbandes der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst e. V.

Zu den Artikeln von Prof. Dr. jur. Karsten Fehn zur rechtlichen Zulässigkeit einer arztfreien Analgosedierung im RettungsdienstComment From the German Association of Emergency Medical Directorson the Article by Prof. Karsten Fehn About the Legal Permissibility of Effecting Deep Sedation in the Absence of a PhysicianA.  Lechleuthner1
  • 1Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst e. V.
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Publication Date:
29 January 2009 (online)

In den Artikeln entwickelte der Autor ein organisatorisches Durchführungssystem (wird dort als Algorithmus bezeichnet), innerhalb dessen er die Gabe einer Analgosedierung mit Midazolam-Ketamin durch Rettungsassistenten ohne Notarztnachforderung für rechtmäßig erachtet (Teil 1). Des Weiteren erachtet er die Applikation von Morphin innerhalb eines bestimmten organisatorischen Durchführungssystems mit Notarztnachforderung ebenfalls für rechtmäßig (Teil 2).

Der Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (BV-ÄLRD) kann keine Einschätzung zur Rechtmäßigkeit machen und unterstellt deshalb, dass die Aussagen des Fachjuristen korrekt sind.

Ziel dieser Algorithmen soll sein, Notfallpatienten so schnell wie möglich Schmerzlinderung zu gewährleisten, auch wenn kein Notarzt zur Verfügung steht, oder erst später nachkommen kann.

Bezüglich der durchgängigen organisatorischen Machbarkeit dieser Algorithmen hat der BV-ÄLRD jedoch erhebliche Zweifel. Der Begriff Analgosedierung ist hier irreführend, da es bei diesem Verfahren dosisabhängig sehr schnell zu einer besonderen Form der Allgemeinanästhesie („dissoziativen Anästhesie”) kommen kann. Bei der Analgosedierung mit einer Kombination von Medikamenten handelt es sich deshalb um ein sehr invasives Verfahren, bei dem es bereits zu Todesfällen gekommen ist. Es geht deshalb nicht nur um die korrekte Vorinstruktion des nichtärztlichen Personals zu Indikation, Applikation und Dosierung dieser Medikamentenkombination, sondern es müssen dazu auch die Risiken und Zwischenfälle überblickt und beherrscht werden. Für die Applikation von Medikamenten nach dem Betäubungsmittelgesetz wird darüber hinaus fehlerhaftes Handeln sogar strafrechtlich geahndet. Insofern muss nicht nur das Bedürfnis des Notfallpatienten nach schneller Schmerzlinderung Beachtung finden, sondern auch die Sicherheit des rettungsmedizinischen Betriebes für die Patienten und die Absicherung der beteiligten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Aufgrund der Komplexität der vom Autor entwickelten organisatorischen Durchführungsmodelle ist es aus Sicht des BV-ÄLRD zweifelhaft, ob sich solche Algorithmen auf Dauer mit allen personellen Rahmenbedingungen und organisatorisch-technischen Voraussetzungen durchhalten lassen, insbesondere wenn lediglich „ärztliche Fachberater” einbezogen werden sollen. Es besteht damit die Gefahr, dass bei Abweichungen von dem ursprünglich rechtmäßig konzipierten Durchführungssystem die handelnden Personen (z. B. die Rettungsassistenten) nicht mehr vollständig rechtmäßig handeln und verteilte Verantwortlichkeiten von wechselnden Beteiligten (z. B. unterschiedliche Notärzte und Fachberater) nicht in jedem Fall übernommen werden. Bei Zwischenfällen ist dann ein eindeutig Verantwortlicher nicht mehr fassbar.

Diese Artikel zeigen nach Auffassung des Bundesverbandes der ÄLRD eindeutig, wie komplex ein System wird, wenn notärztliche Kompetenz nachgelagert organisiert werden soll. Insbesondere den Rettungsassistenten in Rettungsdienstbereichen, in denen ein derartiges System aufgebaut werden soll, kann nur empfohlen werden, sich selbst sehr genau abzusichern, wie die Verantwortlichkeiten in diesem System sind und wer nicht nur für die Rechtmäßigkeit der Durchführung gerade steht, sondern auch bei möglichen Zwischenfällen für die daraus folgenden strafrechtlichen und zivilrechtlichen Folgen. Die Tatsache, dass am 7.11.2008 das Landesarbeitsgericht Koblenz (Az nicht bekannt) die Kündigung eines Rettungsdienstmitarbeiters aufgehoben hat, der eigenständig ohne Notarztnachforderung Medikamente verabreicht haben soll, belegt die Komplexität der Sachverhalte und die Unsicherheit im System. Des Weiteren wird damit aufgezeigt, dass weitere rechtliche Felder (Arbeitsrecht) von diesen Fragestellungen betroffen sind, deshalb einfache Betrachtungen oder Schlussfolgerungen nicht zielführend sind.

Die Reduktion der Betrachtungsweise auf eine isolierte rechtliche Betrachtung ließe sogar die rechtliche Bewertung eines notarztlosen Rettungssystems zu und denkbar erscheinen. Bedauerlicherweise findet der Autor auch dorthin den Einstieg (Teil 1 Punkt 6. Verfassungsrechtliche Aspekte). Er liefert damit Eiferern den ersten Stein zu einer Brücke in ein notarztloses Paramedic System. Damit würden die rettungsmedizinischen Errungenschaften der vergangenen Jahre gekippt, die gerade von engagierten Notärztinnen und Notärzten aufgebaut wurden. Des Weiteren würden damit auch die rettungsmedizinischen Notwendigkeiten bei Schwerstkranken und -verletzten negiert, die nur von umfangreich ausgebildeten und erfahrenen Notärztinnen und Notärzten geleistet werden können.

Dieses gesamte Spannungsfeld macht es vielmehr erforderlich, dass Rettungsdienste fachlich klar und organisatorisch eindeutig organisiert sein müssen. Eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeit wird es nur dort geben können, wo stabile personelle und organisatorische Voraussetzungen herrschen. Dies ist dort am ehesten gegeben, wo ein vom Träger des Rettungsdienstes bestellter Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes die Verantwortung übernimmt und organisatorisch gestalten kann. Das heißt, dass der zuständige ÄLRD auch bei fehlender Personalhoheit ein derartiges System steuern können muss. Angesichts der in den Bundesländern sehr unterschiedlichen gesetzlichen Vorschriften für die Organisation und den Betrieb des Rettungsdienstes ist es notwendig, die jeweiligen organisatorischen Voraussetzungen sorgfältig zu prüfen.

Für den Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst e. V.
im Oktober 2008

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alex Lechleuthner

Vorsitzender

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alex Lechleuthner

Institut für Notfallmedizin der BF Köln

Scheibenstr. 13

50737 Köln

Email: alex.lechleuthner@directbox.com

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