NOTARZT 2009; 25(1): 1-10
DOI: 10.1055/s-0028-1090033
Berufspolitik

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Zur rechtlichen Zulässigkeit einer arztfreien Analgosedierung im Rettungsdienst[1]

Teil 1: Analgosedierung mittels Ketamin und Midazolam beim isolierten ExtremitätentraumaThe Legal Judicial Legitimacy of an Analgesic-Based Sedation in EMS Without Supervision of a PhysicianPart 1: Analgesic-Based Sedation by Ketamin and Midazolam in Case of an Isolated Extremity TraumaK.  Fehn1
  • 1Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Köln[2]
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Publication Date:
29 January 2009 (online)

Zusammenfassung

Eine Analgosedierung beim isolierten Extremitätentrauma mittels Ketamin und Midazolam durch Rettungsassistenten im Rahmen eines rettungsdienstlichen Notfalleinsatzes ist rechtlich zulässig, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: adäquate Aus- und Fortbildung der Rettungsassistenten betreffend Wirkweise, Nebenwirkung und Beherrschung von Komplikationen sowie Beurteilung der Notwendigkeit einer Analgosedierung im Vergleich zu weniger risikobehafteten Alternativmaßnahmen, Überwachung der Rettungsassistenten, klare Indikations-, Medikations-, Dosierungs- und ggf. Titrationsvorgaben, Einrichtung eines Call-back-Systems mit der Möglichkeit der Notarzt-Nachforderung und mit konkreten Vorgaben, wann die Rücksprache und Nachalarmierung zwingend sind. Begrenzt wird ein solches Standard Operating Procedure durch den Patientenwillen. Ob ein solcher Algorithmus aus medizinischer Sicht zu verantworten ist, muss der zuständige ÄLRD entscheiden. In keinem Fall ist ein solches Vorgehen zwingend. Vorzugswürdig bleibt die notärztliche Analgosedierung. In jedem Fall müssen die Mindestanforderungen des jeweiligen Landesrettungsdienstgesetzes oder des allgemein anerkannten Standards bezüglich der Eintreffzeiten gewahrt bleiben.

Abstract

An analgesic-based sedation in case of an isolated extremity trauma by Ketamin and Midazolam administrated by paramedics in EMS is legally allowed if the following conditions are complied: adequate training and further education of the paramedics concerning efficacy, adverse reaction and handling of complications as well as to judge the necessity of an analgesic-based sedation compared to less risky alternative measures, supervision of the paramedics, distinct defaults of indication, medication, dosage and if needed defaults of titration, arrangement of a call-back-system with the possibility of an additional demand of an emergency physician as well as concrete defaults of when a consultation and an additional demand are obligatory. A Standard Operating Procedure like this is restricted by the will of the patient. Wether or not such an algorithm can be answered from a medical point of view has to be decided by the Medical Superintendent of the EMS. A procedure like this is not obligatory in either case. Anyway the analgesic-based sedation by the emergency physician is preferable. In any rate the minimum standards of the particular state law regarding the EMS or at least the generally accepted standards concerning the times of the arrival have to be preserved.

1 Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Rechtsgutachten, das der Verfasser im Auftrag einer Hilfsorganisation erstattet hat.

1 Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Rechtsgutachten, das der Verfasser im Auftrag einer Hilfsorganisation erstattet hat.

2 Der Verfasser ist Partner der Sozietät Dr. Schneider & Partner, Frankfurt / Main – Köln – Koblenz, die u. a. auf das Medizinstrafrecht spezialisiert ist. Er ist zudem ordentl. Professor für Strafrecht und öffentliches Recht an der Fachhochschule Köln.

3 Der 2. Teil der Untersuchung wird in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift erscheinen und sich mit der Frage der Zulässigkeit der arztfreien Analgosedierung durch Rettungsassistenten mittels Morphin beim akuten Koronarsyndrom auseinandersetzen. Hierfür bildet der vorliegende 1. Teil die Grundlage.

4 Fehn, in: Steegmann, Recht des Feuerschutzes und der Hilfeleistung in NRW, § 4, Rn. 44, 58 m. w. N.; Fehn / Selen, Rechtshandbuch für Feuerwehr und Rettungsdienst, 2. Aufl., S. 172, vgl. auch Fischer, StGB, 55. Aufl., § 13, Rn. 4.

5 Vgl. hierzu Fehn, in: Steegmann, a. a. O., Rn. 44.

6 So z. B. LAG BaWü, Rettungsdienst 1990, 304; ArbG Elmshorn, Rettungsdienst 1991, 459. In arbeitsgerichtlichen Verfahren geht es in der Regel um Abmahnungen oder Kündigungen von Rettungsassistenten gegen bestimmte Anweisungen zur sog. Notkompetenz und damit nicht unmittelbar um das Konstrukt der sog. Notkompetenz als solches. Gleichwohl sind nach diesseitiger, strafrechtlich geprägter Auffassung etwa solche Anweisungen rechtswidrig und können gar zur Strafbarkeit führen, die Rettungsassistenten die Durchführung von sog. Notkompetenzmaßnahmen grds. untersagen.

7 Vgl. z. B. Prütting, RettG NRW, 3. Aufl., § 4, Rn. 31 f.; Lissel, Rechtsfragen im Rettungswesen 1998, Rn. 186 f.

8 Gesetz vom 17.2.1939, RGBl. I S. 251, geändert durch Art. 53 des EGStGB vom 2.3.1974, BGBl. I S. 469.

9 Gesetz vom 10.7.1989, BGBl. I S. 1384, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.4.2002, BGBl. III 2124-16.

10 Vgl. auch Fehn, in: Steegmann, a. a. O., Rn. 45; Fehn / Selen, a. a. O., S. 286 f.; Tries, a. a. O., S. 53.

11 So zu Recht Tries, a. a. O., S. 53 a.E.

12 Vgl. zur Systematik des § 13 Abs. 1 StGB Tröndle / Fischer, a. a. O., § 13, Rn. 5 m. w. N.; Lackner / Kühl, StGB, 25. Aufl., § 13, Rn. 6.

13 Vgl. Fischer, a. a. O., Rn. 15 f.; Lackner / Kühl, a. a. O., § 13, Rn. 5; Fehn, GesR 2007, 385 (388), jeweils m. w. N.

14 BGHSt 4, 23; Fischer, a. a. O., Rn. 15.

15 Prütting, a. a. O., will auf § 34 StGB zurückgreifen, weil der objektive Tatbestand des § 5 HeilprG erfüllt sei.

16 So zu Recht auch Tries, a. a. O., S. 54; Ufer, Rettungsdienst 2001, 596 ff.; ausführlich Fehn, Medizin im Dialog, Heft 4 / 2002, 9 ff. und Fehn, GesR 2007, 385 (386); unzutreffend Lissel, a. a. O., Rn. 186.

17 Ufer, a. a. O., 597; Tries, a. a. O., Fehn, a. a. O.; vgl. auch Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 5, Rn. 11; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Aufl., S. 19 f.

18 Rettungsdienst, Heft 10 / 2001, 69.

19 Tries, a. a. O.

20 Vgl. vorstehend a) und die Fußnoten 15 und 16.

21 Vgl. zum objektiv-abstrakten Fahrlässigkeitsmaßstab im Strafrecht Fehn, GesR 2007, 385 (386).

22 www.uni-duesseldorf/AWMF/ll-na/001-011.htm.

23 Vgl. oben Fußnoten 15 und 16.

24 Laufs / Uhlenbruck, a. a. O., § 47, Rn. 4; Narr, MedR 1989, 215, 216; Peikert, MedR 2000, S. 252 ff.

25 Laufs / Uhlenbruck, a. a. O.; Narr, a. a. O.; Peikert, a. a. O., S. 355 ff.

26 Laufs / Uhlenbruck, a. a. O., Rn. 5 m. w. N.

27 Vgl. z. B. Kill / Greb / Hartmann / Hündorf / Gliwitzky / Wulf, Notfall + Rettungsmedizin, Ausgabe 4 / 2007, S. 266 ff. Ein ähnliches Modell findet sich im Rettungsdienstbereich Reutlingen.

28 BGH, NJW 1979, 1935.

29 LG Berlin, NJW-RR 1994, 801.

30 Vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 RettAssPrV.

31 Eine besondere Schulung und Überprüfung verlangt auch Lippert, MedR 1995, S. 235 ff., für die Delegation der Aufgabe der Frühdefibrillation auf Rettungsassistenten verlangt. Allerdings ist diese Maßnahme entgegen der Ansicht von Lippert keine ärztliche Aufgabe, die der Delegation bedarf, sondern eine lebensrettende Maßnahme im Sinne des § 3 RettAssG und damit eine berufliche Kernaufgabe, die dem Rettungsassistenten schon per Gesetz obliegt.

32 In diesem Sinne etwa die – rechtlich ebenfalls unverbindliche (vgl. oben 3. a), b), c) sowie Fußnoten 15 und 16) – Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der BÄK zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen durch das Krankenpflegepersonal vom 11.3. / 18.4.1980, DÄBl. 1980, 1710.

33 Vgl. nachfolgend e).

34 BGH, NJW 1983, 1374 ff.

35 http://www.dgai.de/downloads/MuensteranerErklaerung_Parallelnarkose11-04.pdf.

36 Bezüglich der rechtlichen Verbindlichkeit kann auf die Ausführungen oben zu Stellungnahmen und Empfehlungen unter 3. a., b., c. und die Fußnoten 14 und 15 Bezug genommen werden.

37 Pschyrembel, Stichwort „Narkose”.

38 Pschyrembel, Stichwort „Sedativa”.

39 Man denke insbesondere an ländliche Bereiche, in denen der Notarzt weite Fahrstrecken zurückzulegen hat oder an großstädtische Gebiete, wo häufig dichter Verkehr eine schnelle Anfahrt zur Einsatzstelle verhindert.

40 Vgl. Fehn / Lechleuthner, a. a. O., m. w. N.

41 Vgl. hierzu nachfolgend 7.

42 Zur Einwilligung vgl. nachfolgend 5.

43 Vgl. oben 3. a., b., c. und Fußnoten 14 und 15.

44 Vgl. auch BGHSt 35, 246, 249.

45 RGSt 25, 375; 38, 34; BGHSt 11, 111; 16, 309; 35, 246; 43, 306, 308; BGHZ 29, 33; 29, 46; 85, 327; 108, 357; BGH, NJW 1971, 1887; NJW 1972, 336; NJW 1978, 1206; NJW 2000, 885; BGH, NStZ 1996, 34; OLG Karlsruhe, NJW 1983, 352; Lackner / Kühl, a. a. O., § 223, Rn. 8; Tröndle / Fischer, a. a. O., § 223, Rn. 9.

46 Zur Aufklärungspflicht und zu den Voraussetzungen einer wirksamen Aufklärung vgl. Laufs / Uhlenbruck, a. a. O., 11. Kapitel; Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, 2. Aufl., C 143 ff.; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 1 / 2002, 2 (4).

47 Vgl. etwa BGHZ 88, 248, 252.

48 BGH, NJW 1982, 2121.

49 BGHSt 12, 382; Lackner / Kühl, a. a. O., § 228, Rn. 14; Tröndle / Fischer, a. a. O., § 223, Rn. 16.

50 BGHSt 35, 246 (249); 45, 219; BGHZ 29, 185; BGH, NJW 1966, 1885; Fischer, a. a. O., Rn. 15.

51 BGHSt a. a. O.

52 BGHSt a. a. O.; Fischer, a. a. O.

53 Roxin, Medizinstrafrecht, § 18, Rn. 25; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 3 / 2001, 1 (6); Fehn / Selen, a. a. O., S. 1102, 1105; vgl. auch Tries, a. a. O., S. 53.

54 Vgl. nur Fehn / Lechleuthner, MedR 2000, 114 ff.

55 Vgl. zur sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht BVerfGE 56, 54 (73 / 78); 77, 381 (402 f.); BVerwGE 101, 1 (10); Jarass / Pieroth, GG, 8. Aufl., Art. 2, Rn. 91.

56 BVerfGE 79, 202; Antoni, in: Hömig, GG, 8. Aufl. Art. 2, Rn. 12; Jarass / Pieroth, a. a. O., Rn. 92.

57 BVerfGE 77, 170 (175).

58 Insoweit ist es im Übrigen nicht einzusehen, dass eine bestimmte medizinische Maßnahme in einem Land dem Arzt vorbehalten sein soll, in einem anderen aber nicht. Ausschlaggebend für die Frage, wieweit die Kompetenzen des Assistenzpersonals reichen, können nicht die Kompetenz der Ärzte, sondern nur einerseits die Ausbildung des Assistenzpersonals und andererseits die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten sein. Wird die Basisausbildung der Rettungsassistenten in bestimmten Bereichen durch gezielte Fortbildungsmaßnahmen angehoben, können diese ohne Weiteres zusätzliche Aufgaben wie etwa die Analgosedierung übernehmen, soweit der Patient (mutmaßlich) einverstanden ist.

59 Wobei insoweit divergierende medizinische Auffassungen möglich erscheinen mit der Folge unterschiedlicher Organisationsansätze des Rettungsdienstes. Der ÄLRD hat seine Organisationsentscheidung in jedem Fall zu verantworten.

Prof. Dr. Karsten Fehn

Dr. Schneider & Partner GbR, Rechtsanwälte
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