Notaufnahme up2date 2023; 5(02): 103-104
DOI: 10.1055/a-1994-7678
Editorial

Notfallmedizin und Intensivmedizin

Frühestmögliche Versorgung auch bei fehlender intensivmedizinischer Bettenkapazität
Martin Pin

Die Überfüllung von Notaufnahmen stellen die Notfallkliniken aktuell täglich vor große Herausforderungen. Wieder ansteigende Patientenzahlen und der Exit-Block aufgrund fehlender Bettenressourcen auf den Normal- und Intensivstationen sind unter den gegenwärtigen Organisationsstrukturen der Krankenhäuser der wesentliche Grund für Overcrowding in den Notfallkliniken. Dabei nimmt der fehlende Abfluss auf die Intensivstationen relevanten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und Belastungen der Notfallkliniken, die bisher nicht auf die personal- und ressourcenbindende Überwachung und Therapie von intensivpflichtigen Patient*innen über Stunden bis Tage konzipiert sind. In Studien belegt ist aber auch, dass Overcrowding und eine längere Verweildauer von intensivpflichtigen Patient*innen in der Notaufnahme mit einem schlechteren Behandlungsergebnis der Patient*innen hinsichtlich Mortalität und einer längeren Krankenhausverweildauer insgesamt assoziiert sind. Da nicht davon auszugehen ist, dass sich der intensivmedizinische Ressourcenmangel auf absehbare Zeit positiv verändern und beeinflussen lässt, ist eine optimale Ressourcenallokation bei gleichzeitig hoher Qualität der Patientenversorgung und Patientensicherheit die zukünftige Herausforderung. Brauchen wir also neue Konzepte?

Im angloamerikanischen Raum stellt man sich dieser Herausforderung mit der zunehmenden Etablierung von „Emergency Critical Care“-Einheiten (ECC) in der Notaufnahme. Grundlage hierfür ist, dass „notfallmedizinisch-intensivpflichtige“ Patient*innen häufig nur eine frühestmögliche kurzzeitige, intensive Therapie zur Verhinderung oder Verminderung eines Organversagens benötigen und hiernach oftmals auf Normalstationen verlegt werden können, sodass für Patient*innen mit manifestem Organversagen auf der Intensivstation mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. Allerdings müssen für dieses Konzept deutliche Investitionen in Strukturen, Personal und Qualifikation getätigt werden. In einer monozentrischen Studie von Gunnarson et al. der University of Michigan zeigte sich, dass die Etablierung einer ECC-Station in der Notaufnahme für Notfallpatient*innen mit einer geringeren risikoadjustierten Sterblichkeit und einer geringeren Aufnahmerate auf die Intensivstation einherging [1]. Auch in Deutschland finden erste Umsetzungen derartiger Konzepte statt. Eine wichtige Grundlage und Voraussetzung für diese Konzepte stellt das „Weißbuch zur Versorgung kritisch kranker nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum“ der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinärer Notfall- und Akutmedizin e.V. (DGINA) dar [2]. Die Autoren Michael, Fandler und Böhm stellen in einem Studienreferat und dem Leitlinie kompakt-Beitrag in dieser Ausgabe Notaufnahme up2date die wichtigsten Aspekte daraus vor.

Und ganz wichtig: Es geht also nicht darum Kompetenzen der Intensivmediziner*innen zu beschneiden, sondern den unterschiedlichen Entitäten von intensivpflichtigen Notfallpatient*innen Rechnung zu tragen und eine bestmögliche Patientenversorgung und Ressourcenallokation zu erzielen. Intensivpflichtige Patient*innen kommen in der Notaufnahme der Notfallklinik zur Aufnahme, auch wenn auf der Intensivstation keine Bettenkapazität zur Verfügung steht. Es bleibt also nicht zu diskutieren, ob die Versorgung dieser Patient*innen in Notaufnahmen sinnvoll ist, sondern wie ECC-Einheiten in Notaufnahme als Versorgungskonzept auch unter Berücksichtigung einer adäquaten Personalressource ein Teil einer wirksamen Strategie sein können, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen eines sich wandelnden Gesundheitssystems zu begegnen.

Hierfür werden wir weitere wissenschaftliche Untersuchungen benötigen um den Wert einer „Emergency Critical Care-Einheit“ als Teil einer Notfallklinik / Notaufnahme im gesamten Kontext zu ermitteln.

Ihre Herausgeber

Martin Pin, Thomas Henke, Dominik Michalski, Bernhard Kumle, Benjamin Ondruschka, Ingo Gräff, Sylvia Schacher, Philipp Kümpers, Frank Eifinger, Michael Bernhard



Publication History

Article published online:
12 April 2023

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Referenzen

  • 1 Gunnerson KJ, Bassin BS, Havey RA. et al. Association of an Emergency Department–Based Intensive Care Unit with Survival and Inpatient Intensive Care Unit Admissions. JAMA Network Open 2019; 2: e197584 DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2019.7584.
  • 2 Bernhard M, Kumle B, Dodt C. et al. Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin zur Strukturierung, Organisation und Ausstattung sowie Förderung von Qualität, Dokumentation und Sicherheit in der Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum in der Bundesrepublik Deutschland. Notfall Rettungsmedizin 2022; 55: S1-S14