NOTARZT 2019; 35(04): 224-235
DOI: 10.1055/a-0821-9236
Zusatzweiterbildung Notfallmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die vier Schockformen – Teil 1: hypovolämisch-hämorrhagischer Schock

Four Types of Shock – Key Knowledge for the Emergency Physician. Part 1: Haemorrhagic Shock
Martin Wunderl
,
Gayathiri Tharmaratnam
,
Karoline Schebler
,
Tobias Jacko
,
Holger Gässler
,
Björn Hossfeld
Further Information

Publication History

Publication Date:
13 August 2019 (online)

Zusammenfassung

In der Notfallmedizin begegnen dem Notarzt regelmäßig „Schockpatienten“ unterschiedlicher Genese. Mögen die Schockformen auf den ersten Blick sehr ähnlich aussehen, beeinflussen doch einige relevante Unterschiede in der jeweiligen Pathophysiologie die notärztliche Therapie.

Abstract

The haemorrhagic shock does not represent the most frequent type of shock (16%), but is still a challenge for the emergency service because of severe bleeding or seriously injured patients. It is necessary that the “shock” and a potential bleeding source are recognized very early for avoiding irreversible decompensation. There are few readings which are easy to raise and are very helpful for assessing the patientʼs state (for example digital palpation of radial pulse or the “recap test”). In summary the most important prehospital measures are:

  • effective stop of bleeding,

  • improving oxygenation,

  • stabilization of circulation (balanced electrolyte solution [BES], hydroxyethyl starch [HES], catecholamines),

  • avoiding hypothermia,

  • use of tranexamic acid (TXA),

  • correct choice of target hospital.

Maybe in the future new alternatives will be available for prehospital volume replacement with effective volume effect but without any side effects like when using HES. It further remains to be seen whether the uncritical use of tranexamic acid will be changed to a more selective and ROTEM-dependent usage.

Kernaussagen
  • Das frühzeitige Erkennen des Schocks ist relevant für eine zielgerichtete und effiziente Therapieeinleitung.

  • Vigilanz, Atemmuster, Hautkolorit und die Beurteilung des Radialispulses bzw. die Rekapillarisierungszeit liefern in nur kurzer Zeit in Zusammenschau einen aussagekräftigen Eindruck über den kardiozirkulatorischen Zustand des Patienten. Einzelwerte sind dabei kritisch zu beurteilen.

  • Ab etwa 30% Blutverlust kann durchschnittlich mit Erschöpfung der Kompensationsmechanismen gerechnet werden.

  • Eine offensichtliche und massive Blutung muss unmittelbar gestoppt werden.

  • Eine bestmögliche Oxygenierung des Patienten muss sichergestellt werden. Der PEEP sollte bei Volumenmangel und kontrollierter Beatmung möglichst niedrig (< 5 mbar) gewählt werden.

  • Der Ausgleich eines Volumenverlusts erfolgt primär durch balancierte Vollelektrolytlösung über großlumige periphervenöse Zugänge.

  • Hydroxyethylstärke (HAES) stellt unter Berücksichtigung der Herstellerangaben und Kontraindikationen beim hypovolämisch-hämorrhagischen Schock und instabilem Patienten noch eine eskalierende Option dar.

  • Bei nicht ausreichendem Volumeneffekt sollen Katecholamine (primär Noradrenalin) eingesetzt werden.

  • Bei nicht kontrollierbarer Blutung sind die permissive Hypotension und die prähospitale Gabe von Tranexamsäure zu erwägen.

  • Der Transport sollte bei adäquatem Wärmeerhalt erfolgen, wobei sich die Auswahl der Zielklinik an Zeit, Verletzungsmuster und Zustand des Patienten orientiert.