IM BLICKPUNKT
Wie können krebsspezifische Gesundheitskompetenzen gemessen werden? – Ein systematischer Review über die Qualität vorhandener MessinstrumenteHow can we measure cancer literacy? – A systematic review on the quality of available measurement tools

https://doi.org/10.1016/j.zefq.2015.06.006Get rights and content

Zusammenfassung

Hintergrund und Zielsetzung

Gesundheitskompetenzen (GK), definiert als die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu suchen, zu verstehen und bei gesundheitsbezogenen Entscheidungen einzusetzen, werden insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern wie Krebserkrankungen immer relevanter. Internationale Untersuchungen zeigen, dass geringe GK bei Krebserkrankungen sowohl das Präventionsverhalten als auch die Krankheitsbewältigung negativ beeinflussen und Interventionen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen unzureichende GK berücksichtigen sollten. Dabei stellt sich immer mehr die Frage, wie krebsspezifische GK operationalisiert und gemessen werden können.

Methodik

Anhand einer systematischen Übersichtsarbeit nach der PRISMA Leitlinie wurden Instrumente zur Messung krebsspezifischer GK identifiziert und bezüglich ihrer Konstruktdefinition, Operationalisierungsansätze und psychometrischen Eigenschaften bewertet.

Ergebnisse

Es konnten N=12 Publikationen identifiziert werden, die von der Entwicklung/Validierung von 11 Instrumenten zur Messung krebsspezifischer GK berichten. Definiert werden krebsspezifische GK entweder als Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu suchen, zu verstehen und bei Entscheidungen zu nutzen (allgemeine Gesundheitskompetenzen) oder als Maß an Wissen über das ein medizinischer Laie verfügen sollte, um die Ursachen von Krebserkrankungen, Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen sowie Diagnose- und Therapieansätze zu verstehen. Die Operationalisierung der Konstrukte erfolgt in der Mehrheit der Instrumente durch die Anwendung von Wissensdomänen, die mit Hilfe von Wissenstests abgebildet werden. Hinsichtlich der psychometrischen Eigenschaften zeigt sich, dass nur bei der Hälfte der Publikationen (n=6) Angaben zur Reliabilität als auch Validität vorhanden sind. Insgesamt sind die Reliabilitätsangaben weitgehend zufriedenstellend, wohingegen bei den Validitätsermittlungen eher geringe bis mittlere Zusammenhänge mit externen Kriterien und vergleichbaren Messinstrumenten festzustellen sind.

Schlussfolgerungen

International werden Erhebungen der krebsspezifischen GK im Rahmen der Qualitätssicherung und Patientensicherheit immer bedeutsamer. Derzeit gibt es nur wenige Instrumente zur Messung von krebsspezifischen GK. Die Definition der Konstrukte und die Konzeption der Instrumente fußt sehr stark auf dem Aspekt des Wissens über Krebserkrankungen, so dass es schwer fällt, das Konstrukt von Krebswissen abzugrenzen. Zukünftig sollte man sich bei der Entwicklung von Instrumenten vermehrt an elaborierten Messansätzen der allgemeinen Gesundheitskompetenz orientieren.

Summary

Background and objectives

Health literacy denoted as the ability to search for, understand and use health related information in health care decision-making is becoming increasingly important for complex chronic diseases such as cancer. There is growing evidence that limited health literacy has a negative impact on individual cancer prevention and disease coping behavior suggesting that interventions for quality assurance in cancer care should consider the health literacy of the target population. This poses the question of how cancer literacy should be operationalized and measured.

Methods

We conducted a systematic review on available instruments to measure cancer literacy. The review was performed according to the PRISMA guideline. Relevant instruments were categorized and evaluated in regard to construct definition, operationalization approach and psychometric properties.

Results

Overall, N = 12 publications reporting on the development and validation of a cancer literacy instrument could be identified. Cancer literacy is defined as the ability to search for, understand and use health related information in health care decision-making (health literacy) or as the knowledge a layperson needs to understand the information and advice the health system offers with regard to preventing, diagnosing and treating cancerous conditions. In most cases, cancer literacy is operationalized by using cancer knowledge tests across distinct knowledge areas. The analysis of the psychometric properties yields the finding that only every second paper (N = 6) is reporting reliability and validity data. Altogether, reliability data is quite satisfactory whereas construct and criterion validity data demonstrates low to moderate correlations between the instruments developed and external criteria as well as comparative instruments.

Conclusion

The aspect of cancer literacy is gaining relevance in terms of its contribution to quality assurance and patient safety. Currently, there are a limited number of cancer literacy instruments available. Definitions of constructs and instrument conceptions mostly rely on the aspect of cancer knowledge making it difficult to differentiate cancer literacy from cancer knowledge. Prospective studies should take greater account of more sophisticated measurement approaches used to assess health literacy.

Section snippets

Hintergrund und Zielsetzung

Die Fähigkeit gesundheitsrelevante Informationen zu suchen, zu verarbeiten sowie zu verstehen ist essentiell, wenn es darum geht, gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen [1]. Diese Kompetenz wird in der internationalen Literatur als Health Literacy bezeichnet und hat sich im deutschen Kontext unter dem Begriff Gesundheitskompetenz angesiedelt [2]. Das Konstrukt der Gesundheitskompetenz umfasst das „Wissen, die Motivation und die Fähigkeit von Individuen, Gesundheitsinformationen zu

Methodik

Zur Identifizierung von Erhebungsinstrumenten zur Messung von krebsspezifischen Gesundheitskompetenzen wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Die Durchführung erfolgte nach den Vorgaben der PRISMA Leitlinie (Preferred Reporting Items for Systematic reviews and Meta-Analyses) zur Darstellung systematischer Übersichtsarbeiten [24]. Die dazugehörige PRISMA Checkliste ist Anhang B zu entnehmen.

Datenbanken und Datenauswahl

Zur Durchführung der Übersichtsarbeit wurden zwischen September und Dezember 2014 die Datenbanken PubMed, Web of Science und Google Scholar unter Verwendung datenbankspezifischer Suchstrategien, die in Anhang A dargestellt werden, durchsucht. Zusätzlich erfolgte zur Identifizierung grauer Literatur eine manuelle Recherche. Es wurden alle Publikationen eingeschlossen, die Instrumente zur Messung krebsspezifischer Gesundheitskompetenzen entwickeln/validieren. Da dieser Forschungsbereich sehr jung

Datenanalyse

Auf die Auswahl der relevanten Artikel folgte die Kategorisierung der Instrumentencharakteristika. Hierzu wurden folgende Kategorien genutzt: Definition des genutzten Konstrukts, Begründung für die Entwicklung des Instruments, Instrument Design als auch Einzelheiten zur Studienpopulation, die genutzten Scoring Methode sowie Reliabilität und Validität des Instruments. Die Kategorien wurden der SURGE Leitlinie zur Darstellung von Erhebungsergebnissen entnommen [25].

Ergebnis

Die systematische Literaturrecherche ergab N=12 relevante Publikationen, die über die Entwicklung und/oder Validierung von N=11 Instrumenten zur Messung von krebsspezifischen Gesundheitskompetenzen berichteten. Bei der Auswahl der relevanten Artikel wurden n=214 Publikationen ausgeschlossen, in denen keine Messung der Cancer Literacy erfolgte. Der Literatursuch- und Einschlussprozess ist in Abb. 1 dargestellt.

Vorhandene Definitionen des Konstrukts

Der erste Schritt bei der Entwicklung eines Erhebungsinstruments besteht darin, das zu erhebende Konstrukt zu definieren und von anderen Konstrukten abzugrenzen. Erst auf der Grundlage einer klaren Konstruktdefinition kann im zweiten Schritt eine Operationalisierung des Konstrukts erfolgen. Wie in Tab. 1 dargestellt, werden bei fast der Hälfte (n=5) der identifizierten Instrumente zur Messung krebsspezifische Gesundheitskompetenzen Konstruktdefinitionen verwendet, die in der Literatur zur

Operationalisierung des Konstrukts

Bei der Operationalisierung der Konzepte finden sich verschiedene Ansätze wieder. Nach Diviani erfordert eine auf Krebserkrankungen zugeschnittene Gesundheitskompetenz zum einen ein deklaratives Wissen zu den einzelnen Gesundheitsfragen und zum anderen prozedurales Wissen, um Gesundheitsinformationen handlungsleitend zu nutzen. In dem Instrument von Diviani (Cancer Literacy Scale) werden Gesundheitskompetenzen in den Domänen Krankheitsrisiken, Prävention, Diagnose- und Therapieverfahren sowie

Psychometrische Eigenschaften der identifizierten Instrumente

Die Ermittlung psychometrischer Kennwerte ist bei der Entwicklung von Messinstrumenten von großer Bedeutung [37]. Diese kann nach dem Messmodell der klassischen Testtheorie oder nach neueren Modellansätzen wie der probabilistischen Testtheorie erfolgen. Gemäß der klassischen Testtheorie erfolgt die Ermittlung der Validität eines Messinstruments auf der Basis der Berechnung von Kennwerten für die Reliabilität der Skala. Die Bestimmung der Validität selbst kann durch die Ermittlung der

Diskussion

Derzeit gibt es nur wenige Instrumente, die zur Messung krebsspezifischer Gesundheitskompetenzen eingesetzt werden können. Die genutzten Definitionen der Konstrukte und die Konzeption der Instrumente fußen sehr stark auf dem Aspekt des Wissens über Krebserkrankungen, so dass es schwer fällt, das Konstrukt der krebsspezifischen Gesundheitskompetenz von dem Konstrukt des Krebswissens abzugrenzen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch bei Instrumenten, deren Konstruktdefinitionen sich an der

Schlussfolgerung

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass derzeit nur wenige Instrumente zur Messung von krebsspezifischen Gesundheitskompetenzen vorhanden sind und diese nur zum Teil methodisch einwandfrei validiert sind. Darüber hinaus besteht kein einheitliches Konstrukt krebsspezifischer Gesundheitskompetenzen, sondern es gibt zwei konkurrierende Ansätze, die zum einen auf der Definition allgemeiner Gesundheitskompetenz und zum anderen auf der Definition von Krebswissen basieren. Da die Integration von

Interessenskonflikt

Die Autoren sind am Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie und am Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR) beschäftigt. Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Die Autorinnen danken Frau Sibylle Kautz-Freimuth für die Unterstützung bei der Editierung des Manuskripts. Die Arbeit wurde von der Universität zu Köln im Rahmen des Förderformats UoC Forum gefördert.

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