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Open Access 30.09.2022 | Originalien

Zwei Jahre Pilotphase Gemeindenotfallsanitäter in der Region Oldenburg (Niedersachsen)

Eine retrospektive Querschnittsstudie zu den Erfahrungen der Mitarbeitenden

verfasst von: Anja Sommer, Dr. Cassandra Rehbock, Insa Seeger, Andrea Klausen, PD Dr. Ulf Günther, Hanna Schröder, Maresa Neuerer, Prof. Dr. Stefan K. Beckers, Prof. Dr. Thomas Krafft

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Zusammenfassung

Hintergrund

Steigende Einsatzzahlen im Rettungsdienst, demografischer Wandel sowie Veränderungen bei der Morbidität und in den Strukturen der Akutversorgung erfordern eine Weiterentwicklung der Versorgungsoptionen an den Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Zur Erprobung von Gemeindenotfallsanitätern (G-NFS) als eine unterstützende Ressource des Rettungsdienstes wird in der Region Oldenburg seit 2019 ein Modellprojekt mit wissenschaftlicher Begleitung durchgeführt.

Methodik

Im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie wurden Fokusgruppeninterviews mit den vier regionalen G‑NFS-Gruppen (Stadt Oldenburg und die Kreise Vechta, Cloppenburg und Ammerland) durchgeführt. Die Interviews (Teilnahme ca. 56,7 % aller G‑NFS) wurden jeweils durch eine kurze anonyme Online-Umfrage (Teilnahme ca. 53,3 % aller G‑NFS) mit denselben Teilnehmern ergänzt. Interviews und Online-Befragung zielten auf die persönlichen Einsatzerfahrungen vor und während der Coronapandemie ab. Die Interviewergebnisse wurden anhand thematischen Codierens analysiert und ausgewertet.

Ergebnisse

An den Interviews und der anschließenden Umfrage nahmen 17 bzw. 16 G-NFS teil. Aus Sicht der G‑NFS ergänzt die Ressource das bisherige Reaktionsspektrum des Rettungsdienstes in Form von Rettungswagen (RTW) oder Krankentransportwagen (KTW) um eine sinnvolle und fachgerechte Komponente, die insbesondere zur erforderlichen Entlastung der Einsatzmittel der Notfallversorgung beiträgt. Die notwendige sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Diensten verläuft in Abhängigkeit von den jeweiligen lokalen Gegebenheiten unterschiedlich, aber insgesamt zielgerichtet und effizient; Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den zuständigen Rettungsleitstellen. G‑NFS wurden in den Hochphasen der Pandemie in die Triagierung von COVID-Verdachtsfällen einbezogen und haben zur dringend gebotenen Entlastung des Rettungssystems in der Region beigetragen.

Diskussion

Das G‑NFS-Konzept hat sich aus Sicht der Mitarbeiter in der bisherigen Projektlaufzeit bewährt. Die vorliegenden Erfahrungen bieten eine gute Grundlage für die konzeptionelle Weiterentwicklung des G‑NFS.
Hinweise

Zusatzmaterial online

Die Online-Version dieses Beitrags (https://​doi.​org/​10.​1007/​s10049-022-01079-9) enthält ein Dokument mit weiteren Hinweisen zum Fragebogen und weiterführende Tabellen.
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Seit Jahren steigende Fallzahlen im deutschen Rettungsdienst [13, 33] und in den Notaufnahmen sowie die Fehlsteuerung von Patienten lassen den Ruf nach ergänzenden Versorgungsstrukturen laut werden [9]. Bürger1 mit Gesundheitsbeschwerden schaffen es oftmals nicht, sich selbständig durch das deutsche Gesundheitssystem zu navigieren. In direkter Konsequenz wird der Rettungsdienst vermehrt in Anspruch genommen [29]. Als ein Lösungsansatz, der dieser Entwicklung entgegenwirken kann, wurden Gemeindenotfallsanitäter (G-NFS) in der Region Oldenburg eingeführt.
Die vermehrte Inanspruchnahme von Ressourcen der Notfallversorgung bei nicht-akuten oder -lebensbedrohlichen Gesundheitszuständen, z. B. über die Notrufnummer 112 oder das selbständige Aufsuchen einer Notaufnahme, wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Die nationale Rufnummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts (ÄBD) 116117 als wichtiger Baustein in der Akutversorgung ist nur unzureichend bekannt (in Niedersachsen in 2019 ca. 30 % der gesetzlich Versicherten [15]) und verweist Patienten oftmals nicht zielführend [29]. Hinzu kommen lange Wartezeiten bei Fachärzten, eine zunehmende Anzahl von Patienten ohne betreuenden Hausarzt oder unterstützendes soziales Umfeld (v. a. vor dem Hintergrund des demografischen Wandels), Veränderungen in der Morbidität, fehlende Schnittstellen zwischen einzelnen Sektoren sowie die unzureichende Gesundheitskompetenz von Bürgern [9, 10, 13, 29, 33].
Besonders an den Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gibt es erhöhten Bedarf, die bestehenden prähospitalen und/oder akuten Versorgungsmöglichkeiten zu erweitern, um Patienten suffizient zu versorgen und gegebenenfalls gezielt weiterleiten zu können. Damit sollen Rettungsmittel wie Rettungswagen (RTW) und Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) zukünftig bedarfsgerechter eingesetzt werden können [9, 10, 28, 30]. Auch bei strukturierter und/oder standardisierter Abfrage in der Leitstelle sind nicht alle Notrufe immer zweifelsfrei einem Versorgungssektor zuzuordnen [20]. Ein weiteres Problem besteht darin, dass zurzeit für den Disponenten (mangels Systemalternativen) oftmals nur die Option der Entsendung eines RTW besteht, auch wenn es sich nicht um einen lebensbedrohlichen Notfall handelt. Die tatsächliche, oder auch nur empfundene, Rechtsunsicherheit für die Disponenten bei Nichtentsenden einer Ressource erhöht die Alarmierungszahlen für die knappe Ressource RTW oder NEF [9, 10, 28, 30]. Diese Problematik betrifft die überwiegende Mehrheit der Leitstellen in Deutschland, die nicht über ein klinisch validiertes, standardisiertes und strukturiertes Abfragesystem mit kontinuierlicher klinischer Qualitätssicherung verfügen [34]. Der G‑NFS bietet eine adäquate Systemantwort auf die veränderten Hilfeersuchen und eröffnet neue Möglichkeiten, um differenzierter auf diese reagieren zu können [10, 32].
Das G‑NFS-Konzept wurde an die Rahmenbedingungen des deutschen Rettungsdienstes adaptiert und im Januar 2019 in der Region Oldenburg eingeführt. Ein G‑NFS ist ein erfahrener (mindestens fünf Jahre im Rettungsdienst tätiger) Notfallsanitäter (NFS; [10]), der eine spezielle dreimonatige Weiterbildung erhält. Der G‑NFS wird von der Leitstelle vornehmlich bei Einsätzen, die nach der strukturierten Notrufabfrage (SNA) nicht als lebensbedrohlich eingestuft werden, eingesetzt [10]. Die Ausnahme von dieser Regel sind Notfälle mit unmittelbarer Lebensbedrohung, bei denen der G‑NFS als nächstgelegenes Einsatzmittel oder als zusätzliche Unterstützung für ein anderes Einsatzmittel disponiert wird. Bei den nicht-lebensbedrohlichen Einsätzen dient der G‑NFS als „medizinischer Wegweiser“ für den Patienten, gibt Hilfestellung zur Selbstmedikation und kann eigenständig erforderliche und durch den ärztlichen Leiter autorisierte Maßnahmen ergreifen sowie den Kontakt zur weiteren (ärztlichen) Versorgung herstellen [10, 32].
Erste Ergebnisse einer Beobachtungsstudie zeigen, dass ein G‑NFS ein sinnvolles Einsatzmittel ist und zur Entlastung des Gesamtsystems beiträgt [32]. Bei 61,1 % der versorgten Patienten im Jahr 2019 war keine unmittelbare (medizinisch dringliche) Krankenhausversorgung erforderlich [32]. Da ältere Menschen den Rettungsdienst häufiger in Anspruch nehmen als jede andere Altersgruppe [35], können G‑NFS besonders der Bevölkerung über 65 Jahre „als Alternative und Brücke zum Hausarzt“ [31] fungieren.
In den USA, Kanada, England und Australien wurden schon vor Jahren „community paramedics“ oder „extended care paramedics“ als Ergänzung der Patientenversorgung eingeführt. Diese versorgen die Patienten nicht nur bei akuten Notfällen vor Ort, sondern dienen auch bei anderen gesundheitlichen und psychosozialen Problemen als Ansprechpartner. Dabei können sie bei akuten gesundheitlichen Fragen beraten und an die geeigneten Versorgungsstrukturen weiterleiten [5, 7, 8, 16].
In Deutschland gibt es bisher nur erste ähnliche Ansätze wie z. B. das Rettungs-Einsatz-Fahrzeug (REF; [24, 26]) sowie die Einführung von NotSan-Erkundern [4] und HanseSani [25], die im Rahmen der Coronapandemie eingesetzt wurden. Das Modellprojekt G‑NFS untersucht erstmals die Möglichkeiten und Grenzen dieser neuen Ressource mit einem umfassenden systemischen Ansatz.
Während die vorangegangenen Studien zum G‑NFS-Konzept vor allem quantitative Ergebnisse aus der Beobachtungsstudie und Einsatzdokumentationen darlegten, verfolgt die vorliegende qualitative Erhebung das Ziel, die persönlichen Erfahrungen und die Zufriedenheit der G‑NFS mit ihrer Tätigkeit und hinsichtlich des Gesamtkonzepts G‑NFS zu erfassen, um eine Empfehlung über die Fortführung des Pilotprojekts und Übernahme in die Regelversorgung formulieren zu können.

Methodik

Abb. 1 zeigt die Rettungsdienstbereiche der Stadt Oldenburg und der Landkreise Ammerland und Cloppenburg (zugehörig zur Großleitstelle Oldenburger Land (GOL); der GOL-Bereich ist rot umrandet) sowie des Landkreises Vechta (eigene Leitstelle; gelb umrandet), in denen im Rahmen eines Pilotprojekts das G‑NFS-Konzept eingeführt wurde [10]. Die Evaluation erfolgt innerhalb des Projekts „Inanspruchnahme, Leistungen und Effekte des Gemeindenotfallsanitäters“ (ILEG), gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses [6].
Für die vorliegende retrospektive Mixed-Methods-Querschnittsstudie wurde je kommunalem Trägerbereich ein Fokusgruppeninterview sowie eine Online-Umfrage mit den dort tätigen G‑NFS durchgeführt. Aufgrund der anhaltenden Coronapandemie fanden die Interviews im März 2021 als Online-Zoom-Konferenz (Zoom Video Communications, Inc.) statt. Die Fokusgruppeninterviews für jede der vier Gruppen wurden dabei gemeinsam von je einem Wissenschaftler der Universität Maastricht und des Aachener Instituts für Rettungsmedizin und zivile Sicherheit durchgeführt. Ein Interviewleitfaden (siehe Appendix) für die semi-strukturierten Interviews wurde vorab von der Autorengruppe erarbeitet.
Die Intervieweinladungen wurden durch die Vorgesetzten per E‑Mail an alle G‑NFS weitergeleitet sowie in persönlichen Gruppentreffen kommuniziert. Die Teilnahme am Interview war freiwillig. Rekrutiert werden konnten 17 aktive oder ausgeschiedene G‑NFS (Tab. 1). Teilnehmer der Interviews waren die G‑NFS und die beiden befragenden Wissenschaftler. Ziel war es, die persönlichen Erfahrungen der G‑NFS ungefiltert zu sammeln und im Kontext der Gruppendynamik und -diskussion analysieren zu können.
Tab. 1
Interviewteilnehmer (N = 17)
Vechta
Cloppenburg
Ammerland
Oldenburg
In den Ergebnissen teilweise zusammengefasst, da gemeinsam der Großleitstelle Oldenburger Land zugehörig (GOL)
4
3
8
2
Die Interviews wurden mit einem digitalen Diktiergerät aufgezeichnet, verbatim (wortwörtlich) transkribiert und im Nachgang anonymisiert, codiert und analysiert.
Gale et al. beschreiben sieben Schritte in der Analyse von qualitativen Interviews, die hier ebenfalls angewandt wurden [11]:
1.
Die Interviews wurden vom erweiterten Studienteam transkribiert und von den Hauptautoren überprüft.
 
2.
Die Autoren sichteten die Interviews und machten sich mit den Studiendaten vertraut.
 
3.
Thematisches (deduktives) Codieren basierend auf den Interviewfragen sowie offenes Codieren wurden angewandt, um möglichst alle relevanten Ergebnisse aufnehmen und kategorisieren zu können.
 
4.
Die Codes und Codegruppen wurden in der Autorengruppe iterativ diskutiert und angepasst.
 
5.
Diese definierten Codes wurden dann auf alle Interviews angewandt und in ATLAS.ti sortiert.
 
6.
Die Ergebnisse wurden schematisch dargestellt, analysiert und interpretiert.
 
7.
Dazu wurden die Hauptergebnisse herausgefiltert, Unterschiede zwischen den G‑NFS-Gruppen analysiert und Verbindungen zwischen den Codekategorien interpretiert [11, 12].
 
Die qualitativen Auswertungen wurden mit ATLAS.ti (ATLAS.ti Scientific Software Development GmbH, Berlin; Version 9.1.3) durchgeführt. Tabelle S‑1 im Appendix gibt einen Überblick über die genutzten Codes, Codegruppen und deren Verwendung.
Zusätzlich wurden den Teilnehmern im Anschluss an die Interviews 8 Fragen im Rahmen einer anonymen Online-Zoom-Umfrage gestellt, die sie auf einer 6‑Punkte-Likert-Skala (analog dem deutschen Schulnotensystem 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend) bewerten sollten (siehe Appendix). Darin wurden sie zu ihrer persönlichen Zufriedenheit mit der Tätigkeit, der Zusammenarbeit mit anderen Diensten und ihrer Einschätzung zur Überführung des Pilotprojekts G‑NFS in die Regelversorgung befragt. Die Teilnehmer der Online-Umfrage waren dieselben Personen wie die Interviewteilnehmer; an der Umfrage nahmen nur 16 Teilnehmer teil, da ein Teilnehmer im Einsatzdienst vor der Online-Umfrage zu einem Einsatz abgerufen wurde.
Nach Auswertung der Interviews und Umfrageergebnisse wurden im Sinne einer kommunikativen Validierung die Ergebnisse allen vier G‑NFS-Gruppen präsentiert und mit ihnen diskutiert. Damit keine Rückschlüsse auf einzelne G‑NFS und/oder G‑NFS-Gruppen gezogen werden können, werden die Ergebnisse mit anonymisierten Kürzeln (A/B/C/D) für die einzelnen Gruppen bzw. die vier Bereiche dargestellt.
Das Studienvorhaben wurde durch die Ethik-Kommission der RWTH Aachen als unbedenklich bewertet (EK 390/20). Alle Teilnehmer wurden über die Studie aufgeklärt, waren mit der Aufzeichnung, Verarbeitung und wissenschaftlichen Auswertung einverstanden und haben vor Interviewbeginn eine Einverständniserklärung unterschrieben.

Ergebnisse

Es nahmen 17 von insgesamt ca. 30 (die genaue Anzahl variiert durch Aushilfen etc.) G‑NFS-Voll- und Teilzeitkräften an den Interviews teil (ca. 56,7 %), alle waren männlich. Die Interviews dauerten zwischen 80 und 120 min.
Bei der Online-Zoom-Umfrage (16 Teilnehmer, ca. 53,3 %) der G‑NFS zeigte sich, dass die G‑NFS das Projekt insgesamt als positiv bewerten und eine Überführung des Pilotprojekts in die Regelversorgung als sinnvoll erachten. Die G‑NFS bewerteten die Zusammenarbeit sowohl mit dem übrigen Rettungsdienst als auch mit anderen Diensten (beispielsweise Pflegediensten und Hausärzten) als positiv. Abb. 2 zeigt die sehr ähnlichen Werte der Gruppe aus Vechta und der drei anderen Bereiche der Großleitstelle Oldenburger Land. In Bezug auf die Bewertung der Zusammenarbeit mit der jeweils zuständigen Rettungsleitstelle zeigten sich die größten Unterschiede.

Allgemeines Resümee nach zwei Jahren G-NFS-Tätigkeit

Die Auswertung der Fokusgruppeninterviews zeigt, dass das Konzept als sehr sinnvoll angesehen wird, besonders vor dem Hintergrund steigender Einsatzzahlen von niederschwelligen Notfall- und Akuteinsätzen (A, B, C, D).
Alle Gruppen stimmten dahingehend überein, dass die Möglichkeit, als G‑NFS ohne Zeitdruck auf Erwartungen und Bedürfnisse der Patienten bei der Vor-Ort-Versorgung eingehen zu können, einen entscheidenden Punkt für die hohe Zufriedenheit mit der Tätigkeit darstelle. Bei der Patienteninteraktion werde häufig eine Qualität erreicht, die sonst in der rettungsdienstlichen Regelversorgung durch den hohen Zeitdruck verloren zu gehen drohe (A, B, C, D).
Der G‑NFS kann der Leitstelle als zusätzliches taktisches Mittel dienen, um Patienten ohne Zeitdruck vor Ort zu versorgen (v. a. auch bei „Banalitäten“ [C]), einen Lösungsweg aufzuzeigen (A, C) und in die geeigneten Versorgungsstrukturen weiterzuleiten (C, D).
Dem G‑NFS stehen vielfältige Möglichkeiten zur Problemlösung an der Einsatzstelle zur Verfügung (B, D).
„[Die] Idee, dass […] derjenige, der die höchste nichtärztliche medizinische Ausbildung hat, bei niederschwelligen Notfalleinsätzen zum Einsatzort fährt und sich dort mal einen Blick über den Patienten und die Situation verschafft, um dann noch mal zu gucken, muss der Patient jetzt überhaupt hospitalisiert werden und wenn ja, dann sogar noch ein adäquates oder angemessenes Rettungsmittel aufzusuchen, muss ja nicht immer der Rettungswagen sein, kann ja auch ein Krankentransportwagen oder sogar ein Taxi sein, je nachdem … finde ich eine super Idee und die Praxis zeigt auch, dass das ein unheimlich effektiver Weg ist […]. Ich bin der Meinung, dass […] noch viel, viel, viel mehr Luft nach oben ist“ (A).
„Der Rettungsdienst [ist] mit dem Zusatzmodul Gemeindenotfallsanitäter perfekt“ (B).
Es gibt eine nicht unerhebliche Schnittmenge zwischen den Einsätzen der G‑NFS und denen des ÄBD (A, B). Hier sei eine bessere Abstimmung mit dem ÄBD sowie anderen Ressourcen notwendig (B, D). Alternativ wäre aber auch eine engere Verzahnung der beiden Ressourcen für die Akutversorgung denkbar. Der G‑NFS könnte dabei als festes Bindeglied in Abstimmung mit den Ärzten des ÄBD fungieren und den Arzt als direkten Ansprechpartner konsultieren, um das Portfolio des G‑NFS in Richtung Taxischein, Medikamentenausgabe, Rezepterstellung oder Ähnliches zu erweitern (B).
Die Möglichkeit, einen urologischen Blasenkatheter zu wechseln oder zu legen, wird von den betroffenen Patienten dankbar angenommen, und unnötige (im ländlichen Bereich häufig mehrstündige) Transporte werden vermieden (A, C).
Gehört meiner Meinung nach ab sofort in jede Notfallsanitäterausbildung, das Legen und Wechseln eines Blasenkatheters, ein unheimlich großer Benefit, bin ich total begeistert und [es ist] eine absolut sinnvolle Maßnahme (A).
Abb. 3 zeigt die am häufigsten benutzten (Schlag‑)Wörter aus allen vier Fokusgruppeninterviews, die eine positive Assoziation mit der G‑NFS-Tätigkeit aufweisen:
Kritisch bewerteten die G‑NFS insbesondere die Transparenz von Organisationsentscheidungen und die Projektdurchführung. Allgemein fühlten sich die G‑NFS nach bisher zwei Jahren in ihrer Tätigkeit weder hinsichtlich ihrer tatsächlichen Aufgaben(-bereiche) noch hinsichtlich des Einsatzaufkommens ausgelastet und ausreichend unterstützt (A, B, C, D). Pandemiebedingt habe die organisationsinterne Betreuung des Projekts phasenweise keine hohe Aufmerksamkeit erhalten. Deshalb seien Änderungs- oder Verbesserungsvorschläge der G‑NFS nur mit zum Teil erheblichem Zeitverzug und oft auch nur unvollständig umgesetzt worden (A, B, D).
Bezüglich der eigenen Fortbildung bemängeln die G‑NFS, dass spezifische Fortbildungsmöglichkeiten in den ersten zwei Jahren nicht angeboten wurden (C).
Bezogen auf die Einsatzabläufe wird die Vermittlung von Patienten in die Kurzzeitpflege als besonders problematisch angesehen. Hier kommt es häufig zu sehr langen Einsatzbindungen der Ressource G‑NFS, die aber den regulären Rettungsdienst in dieser Zeit entlastet (A, B, D).
Also ich erinnere mich an einen Einsatz vor drei Monaten [in der Pandemie], da habe ich viereinhalb Stunden gebraucht, um eine Dame in eine Kurzzeitpflege zu bringen und habe bestimmt ungelogen 10–15 Telefonate führen müssen, also das war sehr nervenaufreibend, sehr anstrengend (A).
Vor der Coronapandemie gab es in einem der Trägerbereiche einen Pflegenotruf, der 24/7 erreichbar war, dieser ist nun nicht mehr verfügbar (A). In den anderen Bereichen gibt es keinen Pflegenotruf dieser Art (B, D). Wenn die Pflegeheime lokal gut vernetzt sind, sei eine kurzfristige Vermittlung von Patienten aber meist gut möglich (C).
Auch die Erreichbarkeit von anderen sozialen Diensten ist häufig problematisch, besonders in den Nachtstunden (D). Die G‑NFS können die betroffenen Patienten dann nur an den Hausarzt am nächsten Tag verweisen, was eine zeitnahe und adäquate Versorgung unmöglich macht (D).

Bewertung bezogen auf das Gesamtsystem der Notfall- und Akutversorgung

Zusammenarbeit mit anderen Diensten

Die G‑NFS holen oft eine Zweitmeinung des Hausarztes (auch außerhalb der Öffnungszeiten [B, D]) oder des ÄBD ein (A, C). Die fachliche Zusammenarbeit und der Austausch über therapeutische Maßnahmen seien sehr gut (D). Die Kontaktaufnahme zum ÄBD gestalte sich allerdings häufig schwierig. Für Rückfragen und zur Absicherung bei medizinischen Fragestellungen müssen die G‑NFS oft den klassischen Weg über die Rufnummer 116117 gehen und können sich nicht direkt mit dem diensthabenden Arzt in Verbindung setzen (A, B, C, D).

Zusammenarbeit Leitstelle

Insgesamt wurde die Zusammenarbeit mit der Leitstelle von allen G‑NFS als verbesserungsbedürftig angesehen, da die Alarmierung der G‑NFS „sehr disponentenabhängig“ geschehe (die Dispositionsentscheidung sei sehr unterschiedlich und abhängig vom jeweiligen Leitstellendisponenten [A, B, C, D]). Die Disponenten scheinen die Ressource G‑NFS „manchmal zu vergessen“ (B, C, D).
Die G‑NFS kritisieren, dass eine adäquate Schulung der Disponenten bei Projekteinführung fehlte (C) und die Disponenten nicht ausreichend über die G‑NFS-Ausbildung und deren Möglichkeiten informiert wurden (auch wenn die Standardarbeitsanweisungen auf dem Leitstellenrechner hinterlegt sind [A, B, C]).
Für die G‑NFS entsteht mitunter der Eindruck, dass es für die Disponenten einfacher sei, einen (Notfall‑)KTW oder RTW zu entsenden, der die Transportoption bereits implizit vorsieht (B) und dann auch häufig einen „unnötigen“ Transport durchführt (B, D). Ein solcher („unnötiger“) Transport des Patienten suggeriert wiederum dem Disponenten, eine richtige Dispositionsentscheidung in Bezug auf die Auswahl des Rettungsmittels getroffen zu haben, obwohl der Einsatz möglicherweise bedarfsgerechter durch einen G‑NFS hätte abgearbeitet werden können (B). Regelmäßige und strukturierte telefonische Nachbesprechungen zwischen G‑NFS und Leitstelle mit dem Ziel, Meldebild und Dispositionsentscheidung auf der Grundlage der späteren Vor-Ort-Erfahrung des G‑NFS zu reflektieren, finden nur in einem der beiden Leitstellenbereiche statt (B, C, D).
Die G‑NFS berichten jedoch auch von der positiven und informativen Zusammenarbeit mit den Leitstellen („freundlicher Austausch“). In einem der beiden Leitstellenbereiche kennen sich fast alle G‑NFS und Disponenten persönlich, was zu einer positiven und vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre führt (A, C).
Die G‑NFS empfehlen eine regelmäßige Hospitation in der Leitstelle und umgekehrt, um einen interdisziplinären Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und um beide Seiten für die jeweilige Arbeit zu sensibilisieren (A, B). Beides fand bisher aufgrund der Coronapandemie nur vereinzelt oder gar nicht mehr statt (A, B).

Zukunftsperspektiven für G-NFS

Erweiterung des Aufgabenspektrums

Die Aufgaben der G‑NFS sind je nach G‑NFS-Bereich aufgrund der unterschiedlichen rettungsdienstlichen Strukturen verschieden. Die G‑NFS bezeichnen es als sinnvoll, dass ihnen weitere Aufgaben zugeordnet werden, die den Regelrettungsdienst entlasten können (A). Tab. 2 zeigt einen Überblick über die im Modellprojekt bereits bestehenden Aufgaben und die in den Interviews genannten möglichen weiteren Aufgaben.
Tab. 2
Mögliche Aufgaben der G‑NFS (Status quo und in der Zukunft)
Aufgaben, die …
Bereich
… in einzelnen G‑NFS-Bereichen bereits etabliert sind
Allgemeine Unterstützung an Einsatzstellen
(A, B)
Pflege zu Hause oder im Altersheim: Infusionstherapie o. Ä. (in Abstimmung mit Hausarzt oder ÄBD), auch für Krankheitsausbrüche/Public-Health-Ereignisse (z. B. Norovirusausbruch)
(C)
Zuführung von mechanischer Reanimationshilfe
(C, D)
Parallele Alarmierung zur Unterstützung bei einer Reanimation (→ dies könnte laut den G‑NFS noch öfter passieren)
(A, B, C, D)
Tragehilfe
(C)
… sich die G‑NFS zukünftig vorstellen können
Besondere Unterstützung an Einsatzstellen z. B. für Notfall-KTW
„zum Beispiel Unterstützung eines Notfall-KTW, Durchführung einer moderaten Analgesie, um dann noch mal Ressourcen wie zum Beispiel ein NEF oder einen Rettungswagen einzusparen“ (A)
(A, B, D)
Festes Bindeglied zu ÄBD
(B)
Betreuung des Patienten bei Psych-KGa bis zum Transportbeginn
(C)
Transport von Blutkonserven o. Ä.
(A, D)
Team-Leader in gewissen Situationen (schweres Trauma, Reanimation)
(C)
Führungshilfe bei einem Massenanfall von Verletzten
(B, C, D)
Supervisor-Funktion im Rahmen des Qualitätsmanagements
(A)
Entlassungsmanagement für Krankenhäuser
(B, D)
Weitere Versorgungsmöglichkeiten optimieren im Bereich psychosoziale Unterstützung und Kurzzeitpflegeorganisation (auch beispielsweise im Rahmen von Pflegenetzwerken)
(D)
aVorübergehender Freiheitsentzug nach Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten

Veränderungen während der Coronapandemie

Laut den G‑NFS gingen zu Beginn der ersten Pandemiewelle die Einsatzzahlen zunächst zurück, stiegen dann aber in der Folgezeit stark an (B). Dies habe sich im Laufe der Pandemie wieder normalisiert (B) und das Einsatzaufkommen sowie -spektrum entspricht zum Zeitpunkt der Interviews wieder dem Zustand vor der Coronapandemie (B).

G-NFS für Sichtung und Triage

In einem der ländlich strukturierten Rettungsdienstbereiche wurde der G‑NFS im Verlauf der Pandemie explizit für die Sichtung von COVID-Patienten eingesetzt; dies ist im Pandemieplan des betreffenden Bereichs vorgeschrieben und wird entsprechend durch die Leitstelle umgesetzt (C). Die G‑NFS aus den anderen Bereichen werden ebenfalls zu COVID-(Verdachts‑)Fällen alarmiert und als Sichtungs- bzw. Triageeinheit benutzt, auch wenn es dazu keine festen Algorithmen oder Behandlungspfade gibt (D). Die Versorgung erfolgt dann anhand der allgemeinen Standardarbeitsanweisungen/Behandlungspfade (D). Der Einsatz der G‑NFS als Sichtungsinstrument führte in Einzelfällen zu Verzögerungen bei der Versorgung von kritischen COVID-Patienten (C).
Dennoch stimmten alle G‑NFS überein, dass ihr Einsatz als Sichtungsressource sinnvoll sei, da sie Patienten an der Einsatzstelle ambulant versorgen und in ihrer gewohnten Umgebung belassen können (A, B, C, D), beispielsweise auch nach der Rücksprache mit dem ÄBD (C).

Diskussion

Die Auswertungen der Interviews und der Online-Umfrage der G‑NFS zeigen, dass das G‑NFS-Konzept in der Bewertung durch die G‑NFS nach zweijähriger Pilotphase als sinnvoll und effektiv bewertet und eine Überführung in die Regelversorgung durch die G‑NFS befürwortet wird. Das Konzept bietet viele Vorteile, u. a. die notwendige Zeit für eine adäquate Versorgung und die richtige Steuerung von prähospitalen Patienten (besonders der nicht-lebensbedrohlich erkrankten) in die passenden Versorgungsstrukturen, die i. d. R. bei herkömmlichen RTW-Einsätzen insbesondere zu niederschwelligen Einsätzen nicht gegeben ist.
Verschiedene Faktoren führen zu vermehrten Notrufen an die Leitstellen [9, 10, 13, 29, 33]. Diese besitzen momentan nur beschränkte Alternativen zur Alarmierung von KTW, RTW oder NEF [28]. Die G‑NFS bieten hier eine sinnvolle Ergänzung des Regelrettungsdienstes, um Hilfeersuchen der Bevölkerung adäquat beantworten zu können (besonders bei der steigenden Anzahl von psychosozialen und niedrigschwelligen Einsätzen). Bei der Vermittlung von Patienten in die Kurzzeitpflege zeigt sich, dass der G‑NFS diese Einsätze sinnvollerweise anstatt eines RTW übernehmen kann. G‑NFS können sich die notwendige Zeit nehmen, um Patienten in einer geeigneten Einrichtung unterzubringen, während der RTW weiter für Notfälle zur Verfügung steht. Weitere Studien sollten untersuchen, wodurch die in der Öffentlichkeit allgemein wahrgenommene schlechte Zufriedenheit und steigende Belastung im deutschen Rettungsdienst beeinflusst werden. Dabei könnten sowohl die hohe Anzahl von nicht-lebensbedrohlichen Einsätzen mit Herausforderungen außerhalb der Notfallrettung sowie die fehlende Zeit, sich diesen zu widmen, eine entscheidende Rolle spielen. Weiterführend sollte ebenfalls untersucht werden, ob die Zufriedenheit beim übrigen Rettungsdienstpersonal steigen kann, wenn G‑NFS einen Großteil der nicht-lebensbedrohlichen Einsätze übernehmen würden.
Den Leitstellen kommt bei der Alarmierung und Steuerung aller rettungsdienstlichen Ressourcen eine entscheidende Bedeutung zu. Für den adäquaten Einsatz von G‑NFS ist es erforderlich, dass Disponenten über die Ausbildung und die Handlungskompetenzen der G‑NFS umfassend aufgeklärt sind und kontinuierlich über die zeitnahe Evaluation von Einsätzen informiert werden. Als lernendes System ist es so möglich, gemeinsam das Konzept sinnvoll weiterzuentwickeln. Klare und bindende Entscheidungsalgorithmen müssen für die Leitstellen geschaffen werden, um eine „disponentenabhängige Alarmierung“ zu verhindern und die rechtliche Absicherung der Disponenten zu gewährleisten. Die geringe Auslastung der Ressource G‑NFS während der ersten Wellen der Pandemie lässt sich vermutlich auf das Fehlen der rechtlichen Rahmenbedingungen zurückführen.
Die Großleitstelle Oldenburger Land und die Leitstelle Vechta haben kurz vor der Erhebung zu dieser Studie (Mitte März 2021) jeweils ein neues standardisiertes Abfragesystem eingeführt, welches die Alarmierungsstandards und Alarmierungsstichworte verändert und mittlerweile zu Veränderungen im Alarmierungsverhalten der Leitstelle geführt hat. Eine erneute Betrachtung der Alarmierung der Ressource G‑NFS wird in einer weiteren Studie erhoben werden. Die vorliegende Studie unterstützt jedoch jetzt schon die These, dass es ein Versorgungsspektrum gibt, das auch bei standardisierter und strukturierter Notrufabfrage und bei rechtlich klaren Verantwortlichkeiten und Handlungsspielräumen von alternativen Versorgungssystemen wie der Ressource G‑NFS abgedeckt werden sollte [34].
Die subjektive Wahrnehmung der G‑NFS, nach der die Zusammenarbeit mit einer kleinen lokalen Leitstelle als positiver empfunden wurde als mit einer großen Regionalleitstelle, ist auf den persönlicheren Umgangston („man kennt sich“) und die höhere Transparenz bezogen auf den Systemstatus und die Einsatzentscheidung in einem überschaubaren Einsatzgebiet zurückzuführen. Diese Empfindung steht aber im Widerspruch zur internationalen Entwicklung von Leitstellenzusammenlegungen und -verbünden, die eine qualitativ hochwertige Einsatzbearbeitung und Steuerung ermöglichen [34]. Die genauen Faktoren und Gründe sollten in weiteren Studien ebenfalls untersucht und diskutiert werden.

Sektoren in der ambulanten Versorgung

Die Sektorengrenzen zwischen prähospitaler Notfallversorgung und dringlicher Akutversorgung sind nicht immer eindeutig abgrenzbar. Daraus resultiert eine große Schnittmenge zwischen den G‑NFS-Einsätzen und Einsätzen des ÄBD. In der Zukunft müssen vollständig komplementäre (zwischen 112 und 116117) und klinisch validierte Ersteinschätzungsverfahren zu einer deutlichen und sicheren Dispositionsentscheidung beitragen, beispielsweise im Sinne einer gemeinsamen „Gesundheitsleitstelle“ mit einer einheitlichen Rufnummer oder zumindest einer digitalen Vernetzung der Anrufe an die Leitstellen von Rettungsdienst und ÄBD. Dies wird seit Längerem von Experten gefordert und in einzelnen Pilotprojekten schon durchgeführt [2, 17, 27, 30]. Auf diese Weise laufen alle medizinischen Anfragen aus der Bevölkerung an einem Punkt zusammen und die Disponenten können sowohl (Notfall‑)Rettungsmittel als auch Einsatzkräfte der ambulanten Versorgung und des ÄBD entsenden. Damit könnten auch Patienten direkt an den ÄBD verwiesen werden, denen die jetzige Nummer 116117 nicht bekannt ist. Die Quote der Kenntnisse der Nummer war 2019 in Niedersachsen zwar bundesweit die zweithöchste, dennoch lag sie nur bei 29 % und beim Spitzenreiter Thüringen bei 32 % [15].
Beispiele aus dem Ausland (zum Beispiel Dänemark und Österreich) zeigen, dass die Vernetzung der Leitstellen bzw. Versorgungssektoren und Community Care als integratives Konzept zu einer deutlich besseren Steuerung der Anfragen aus der Bevölkerung und Entlastung des Gesamtsystems führt [19, 22]. Bedeutsam ist dabei nicht nur die Vernetzung der Leitstellen, sondern auch die sektorenübergreifende Vernetzung der Ressourcen inkl. Rettungsdienst, ÄBD, Gemeindenotfallsanitäter, Pflegedienste, Beratungsstellen und psychosozialer Dienste sowie die Einrichtung einer Telefonnummer für allgemeine Gesundheitsprobleme („Medical Help Line“; [19, 22, 36]).

Der G-NFS in der Coronapandemie

In der Coronapandemie wurde deutlich, dass die Ressource G‑NFS sinnvoll als Sichtungs- und Triageeinheit genutzt werden kann. Einsätze mit COVID-(Verdachts‑)Fällen können adäquat vom G‑NFS abgearbeitet werden. Unnötige Transporte ins Krankenhaus werden vermieden und RTW-Ressourcen geschont. Die G‑NFS sind in der Lage, auch bei anderen kritischen Public-Health-Ereignissen (wie beispielsweise anderen Pandemien, lokalen Virusausbrüchen etc.) aufkommende Einsätze für den Rettungsdienst abzufangen und Patienten adäquat im häuslichen oder pflegerischen Umfeld zu versorgen. Diese Erkenntnisse nutzen auch andere Länder, um „community paramedics“ in der Pandemie sinnvoll einzusetzen, und sehen über die genannten Aspekte hinaus Möglichkeiten für den Einsatz der Ressource u. a. zum ambulanten Testen, Impfen und Versorgen von Patienten [8].

Allgemeines Fazit

G‑NFS versorgen Patienten, deren Anrufe in Rettungsleitstellen auflaufen und bisher nicht adäquat abgedeckt werden konnten. Sie sind deshalb nach Ansicht der Befragten die geeignete Systemantwort auf spezifische Hilfeersuchen der Bevölkerung. Der G‑NFS ist eine wirksame Ergänzung zu den regulären Rettungsmitteln im deutschen Rettungsdienst und die Einführung des G‑NFS-Konzepts führt insgesamt zu einem bedarfsgerechten und ressourcenschonenden Einsatz aller (Notfall‑)Rettungsmittel. In der Coronapandemie hat sich gezeigt, dass die Ressource sinnvoll als Triageeinheit genutzt werden und primäre Rettungsmittel entlasten kann.
In anderen Ländern, mitunter auch in komplett paramedizinischen Systemen ohne traditionellen Notarzt, werden solche zusätzlichen hoch mobilen Einheiten (z. B. „community paramedic/nurse“ oder „rapid responder“) auch strategisch positioniert (zur Raumabdeckung) und übernehmen gleichzeitig die Rolle als allgemeiner Unterstützer im Rettungsdienst und „field supervisor“ anderer Teams [3, 5, 7, 16, 21]. Auch der G‑NFS kann auf vielfältige Weise bei anderen, mitunter komplexen Einsätzen im Rettungsdienst in Deutschland sinnvoll die Teams vor Ort unterstützen und ggf. in Zukunft die Teams im Sinne eines Qualitätsmanagements auch evaluieren oder einzelne Notfallsanitäter „on the job“ zertifizieren.
Zum Thema G‑NFS in Deutschland gibt es wie aufgezeigt weiteren Forschungsbedarf. Die Übertragbarkeit des Pilotprojekts aus der Region Oldenburg auf andere Standorte, auch in anderen Bundesländern, ist generell sicherlich gegeben; dennoch müssen die lokalen Bedarfe und Voraussetzungen analysiert und die Einführung der Ressource darauf abgestimmt werden. Unabdingbar ist der Einbezug aller Stakeholder bei der Implementierung dieser neuen Ressource.
Die Tatsache, dass in mehreren Bundesländern (u. a. Bremen und Sachsen-Anhalt) Möglichkeiten geschaffen werden, um alternative Versorgungskonzepte wie den G‑NFS oder den HanseSani zum Beispiel im Rahmen einer Experimentierklausel im Rettungsdienstgesetz zu verankern [1, 18], zeigt den Bedarf, den es im deutschen Rettungsdienst dafür gibt.

Limitationen

Da nur etwas mehr als die Hälfte der G‑NFS an der Studie teilgenommen hat (56,7 % an den Interviews bzw. 53,3 % an der Umfrage), kann diese Studie nicht die Erfahrungen aller G‑NFS aus den vier Kommunen in der Region Oldenburg darstellen. Einige der G‑NFS befanden sich im aktiven Einsatzdienst und waren durch das aktuelle Einsatzgeschehen verhindert, an der gesamten Sitzung teilzunehmen.
Durch die Coronapandemie war eine Befragung der G‑NFS vor Ort nicht möglich. Die Gruppendynamik und -diskussion ist dadurch nicht mit der einer Präsenzveranstaltung zu vergleichen (da unter anderem Störungen und Verzögerungen durch die Stummschaltung des Mikrofons oder durch die Internetverbindung auftreten können). Die Teilnahme der G‑NFS an einer Online-Konferenz war jedoch wie von Ristau et al. diskutiert praktikabel und mit der Gruppe der Interviewten gut anwendbar [23]. Zusätzlich haben die Forscher die Interviews so gelenkt, dass alle Teilnehmer in den Austausch mit einbezogen wurden. Daher kann davon ausgegangen werden, dass alle wichtigen Aussagen in den Interviews dennoch getätigt wurden und in die Analyse mit eingeflossen sind, auch wenn persönliche Interviews vor Ort meistens längere und detailreichere Antworten liefern [14].
Unter Bezugnahme auf die Gütekriterien qualitativer Sozialforschung nach Mayring wurde durch die genaue Dokumentation des Forschungsprozesses und Verwendung der standardisierten Methode des fokussierten Gruppeninterviews auf Objektivität und Rekonstruktivität Wert gelegt. Ergänzt wurden die Interviews durch eine quantitative Umfrage zu den gleichen Sachverhalten im Sinne der Triangulation. Durch die kommunikative Validierung im Rahmen der Konfrontation der Interviewteilnehmer mit den Ergebnissen im Nachgang wird das Kriterium der externen Validität erfüllt. Die Studiendarstellung erfolgte so transparent wie möglich, ohne die Identität der Befragten zu kompromittieren.

Fazit für die Praxis

  • Das Konzept G‑NFS wird von den Mitarbeitern als sinnvolle und effektive Systemantwort des Rettungsdienstes angesehen, um die sektorenübergreifende Versorgung bei Nicht-Notfall-Patienten zu verbessern und andere Rettungsmittel wie RTW nicht unnötig zu binden.
  • Die G‑NFS betrachten es als besonders positiv, die Patienten adäquat und mit ausreichend Zeit betreuen und eine weitergehende Versorgung sicherstellen zu können.
  • Die regelhafte Disposition der Ressource G‑NFS durch die Leitstellen bedarf klar definierter Abfrage- und Dispositionsalgorithmen, um eine einheitliche Entsendung der Ressource zu ermöglichen.
  • Der G‑NFS kann als relevantes Instrument bei kritischen Public-Health-Ereignissen (beispielswiese in der Coronapandemie) eingesetzt werden.
  • Änderungs- und Verbesserungsvorschläge der G‑NFS sollten umgesetzt werden, um das Potenzial der Ressource voll auszuschöpfen.
  • Speziell auf die Bedürfnisse der G‑NFS zugeschnittene Fortbildungen sollten angeboten werden.

Danksagung

Ein besonderer Dank gilt allen G‑NFS für die Teilnahme und den ehrlichen und offenen Austausch sowie der Projektgruppe G‑NFS für die Ermöglichung dieser Befragungen. Ein weiterer Dank gilt allen Unterstützern und Beitragenden der Studie.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Sommer, C. Rehbock, I. Seeger, A. Klausen, U. Günther, H. Schröder, M. Neuerer, S.K. Beckers und T. Krafft geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Das Studienvorhaben wurde durch die Ethik-Kommission der RWTH Aachen als unbedenklich bewertet (EK 390/20). Alle Teilnehmer wurden über die Studie aufgeklärt, waren mit der Aufzeichnung, Verarbeitung und wissenschaftlichen Auswertung einverstanden und haben vor Interviewbeginn eine Einverständniserklärung unterschrieben.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers wird im Folgenden aufgrund der besseren Lesbarkeit verzichtet. Das generische Maskulin wird verwendet und gilt für alle Geschlechter.
 
Literatur
2.
Zurück zum Zitat Bertelsmann Stiftung (2022) Neuordnung der Notfallversorgung – Ergebnisse eines Panels von Expertinnen und Experten zur Entwicklung einer umsetzbaren Reform. Bertelsmann, Gütersloh Bertelsmann Stiftung (2022) Neuordnung der Notfallversorgung – Ergebnisse eines Panels von Expertinnen und Experten zur Entwicklung einer umsetzbaren Reform. Bertelsmann, Gütersloh
8.
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Metadaten
Titel
Zwei Jahre Pilotphase Gemeindenotfallsanitäter in der Region Oldenburg (Niedersachsen)
Eine retrospektive Querschnittsstudie zu den Erfahrungen der Mitarbeitenden
verfasst von
Anja Sommer
Dr. Cassandra Rehbock
Insa Seeger
Andrea Klausen
PD Dr. Ulf Günther
Hanna Schröder
Maresa Neuerer
Prof. Dr. Stefan K. Beckers
Prof. Dr. Thomas Krafft
Publikationsdatum
30.09.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-022-01079-9