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Dekonstruktion der „Ambivalenz“

Poststrukturalistische Neueinschreibungen des Konzepts der Ambivalenz aus bildungstheoretischer Perspektive

Deconstruction of “ambivalence”

Poststructuralistic reiterations of the concept of ambivalence from the perspective of educational theory

  • Originalarbeit
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Forum der Psychoanalyse Aims and scope

Zusammenfassung

Die poststrukturalistischen Neueinschreibungen (Reiterationen) des Konzepts der Ambivalenz geben wichtige Anhaltspunkte für seine Weiterentwicklung, insbesondere um Bildungsprozesse im Kontext von diskursiven Normierungen des Subjekts fassen zu können. Der Beitrag erläutert aus diesem bildungstheoretischen Erkenntnisinteresse erstens die Reiterationen, das heißt die Neueinschreibungen des Ambivalenzbegriffs im Kontext von Derridas Theorie und Praxis der Dekonstruktion, zweitens das Verhältnis von Ambivalenz und Ambiguität im Kontext von Derridas Theorie der „différance“ und Butlers Theorie der „Performativität“, um schließlich die bildungstheoretisch relevanten Implikationen von Ambivalenz im Kontext von Butlers Subjekttheorie zu fokussieren.

Abstract

Focusing on the relation between discourse and subject formation, the poststructuralistic reiterations and resignifications within the concept of ambivalence provide important aspects for a contemporary conceptualization of ambivalence, especially within the framework of educational theory (Bildungstheorie). From this point of view the paper explores firstly the notion of “ambivalence” in the context of Derrida’s theory and practice of deconstruction and secondly the relation between “ambivalence” and “ambiguity” considering Derrida’s theory of “différance” and Butler’s theory of “performativity”. Finally the article outlines the meaning of “ambivalence” in Butler’s theory of the subjectivation process.

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Notes

  1. Vgl. Lüscher (2011, in diesem Heft).

  2. Vgl. zu Ambivalenz und Dynamisierung den Beitrag von Lüscher (2011, in diesem Heft).

  3. Vgl. zur Veränderung der wertenden Einschätzung von Ambivalenz und ihren zunehmend positiven Konnotationen den Beitrag von Lüscher (2011, in diesem Heft).

  4. Lüscher verweist in seinem Beitrag (Lüscher2011, in diesem Heft) darauf, dass Ambiguität und Ambivalenz bisweilen sogar synonym gebraucht werden (vgl. zum Begriffsverständnis und der Begriffsverwendung von Ambivalenz und Ambiguität im zeitgenössischen psychologischen Diskurs (Ziegler2010, S. 125–171).

  5. In diesem Sinne sprechen Frauke Berndt und Stephan Kammer von „strukturaler Ambiguität“ als einer „antagonistisch-gleichzeitige Zweiwertigkeit generierenden Matrix“: Ambiguität ist also nach diesem Definitionsversuch die logisch-sprachliche, das heißt die zeichenhafte Matrix, die Ambivalenz erzeugt (Berndt und Kammer2009, S. 10).

  6. Vgl. Wirth (2009, S. 322): „Die Ambiguität des angelsächsischen Ausdrucksperformance hat dazu geführt, dass sich in diesem Wort zwei unabhängige Bedeutungen überschneiden. ‚Performativ‘ kann sich auf die Gelingensbedingungen von Sprechakten, aber auch auf die medialen Verkörperungsbedingungen von Äußerungen beziehen.“

  7. Vgl. Butler (1991): „In Excitable Speech, I sought to show that the speech act is at once performed (and thus theatrical, presented to an audience, subject to interpretation), and linguistic, inducing a set of effects through its implied relation to linguistic conventions. If one wonders how a linguistic theory of the speech act relates to bodily gestures, one need only consider that speech itself is a bodily act with specific linguistic consequences. Thus speech belongs exclusively neither to corporeal presentation nor to language, and its status as word and deed is necessarily ambiguous. This ambiguity has consequences for the practice of coming out, for the insurrectionary power of the speech act, for language as a condition of both bodily seduction and the threat of injury.“

  8. Vgl. zum Zusammenhang von Ambivalenz und Handlungsfähigkeit auch den Beitrag von Lüscher (2011, in diesem Heft).

  9. Vgl. zum Begriff der Subjektivation die Anmerkung des Übersetzers Reiner Ansén in der deutschen Übersetzung vonThe Psychic Life of Power (Butler2001, S. 187): „Der englische Begriff ‚subjection‘ bedeutet zwar im alltäglichen Gebrauch lediglich ‚Unterwerfung‘ (und auch ‚Abhängigkeit‘), erinnert aber durch die lateinische Wurzel auch an das ‚subjectum‘ und damit an den Prozeß der Subjektwerdung. Dieser im vorliegenden Buch entscheidende Doppelaspekt wäre im Deutschen nur durch die umständliche Verwendung von ‚Unterwerfung/Subjektwerdung‘ wiederzugeben. Daher wird hier für den Begriff ‚subjection‘, soweit der Kontext seine Bedeutung nicht eindeutig auf einen seiner beiden Aspekte einschränkt, konsequent der Neologismus ‚Subjektivation‘ verwendet; mit dem entsprechenden englischen Neologismus ‚subjectivation‘ gibt die Autorin in Kapitel 3 auch das französische ‚assujettissement‘ Foucaults wieder.“ Während Foucault mit ‚assujettissment‘ jedoch nur die „diskursive Identitätserzeugung“ als „die diskursive Forderung, ein kohärentes Subjekt zu werden“ (Butler2001, S. 83) als Form der Unterwerfung des Subjekts beschreibe, weist Butler in ihrer Relektüre der Subjekttheorien von Hegel, Nietzsche, Althusser und Freud auf, dass die diskursiven Setzungen des Subjekts als kohärentes und autonomes Subjekt selbst nicht ohne Ambivalenz auskommen. In dieser Ambivalenz der diskursiven Setzung des Subjekts erkennt Butler die dem Subjekt eigene Macht, die Normen zu resignifizieren.

  10. Vgl. als Überblick zur erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Theorien der Subjektivation: Ricken (2007).

  11. Vgl. Freud (1969, S. 427–447).

  12. In diesem Buch geht es ihr „um eine psychoanalytische Kritik an Foucault“, da sich ihres Erachtens „die Subjektivation und insbesondere der Vorgang, bei dem man zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung wird, ohne die psychoanalytische Erklärung der formativen und generativen Wirkungen von Restriktion und Verbot gar nicht verstehen“ lasse, aber zugleich auch darum, „einige romantisierende Vorstellungen vom Unbewu[ss]ten als notwendigem Widerstand kritisch unter die Lupe“ zu nehmen (Butler2001, S. 84).

  13. Vgl. im Original, S. 198: „Indeed, there appears to be no ‚one‘ without ambivalence, which is to say that the fictive redoubling necessary to become a self rules out the possibility of strict identity.“

  14. Vgl. als ausführlichere Interpretation von Butlers Bezug auf die Psychoanalyse: Campbell (2001, S. 35–48).

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Haller, M. Dekonstruktion der „Ambivalenz“. Forum Psychoanal 27, 359–371 (2011). https://doi.org/10.1007/s00451-011-0088-2

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