Zusammenfassung
In der Versorgung von Patienten, deren Bewusstsein gestört ist, kann auf die übliche Einwilligungsprozedur in den ärztlichen Eingriff nicht zurückgegriffen werden. Die deutsche Rechtssprechung räumt auch hier der Patientenautonomie Vorrang ein und wählt als Lösungsweg das Konstrukt des mutmaßlichen Willens. Dieser ist einerseits – soweit möglich – von Dritten (Arzt, Angehöriger, Betreuer, Amtsgericht) sorgsam zu erkunden und zu berücksichtigen, wobei Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen einfließen können. Zwar ist die Diskussion über die Reichweite und den Verbindlichkeitsanspruch solcher Willensbekundungen seit langem im Gange und wird aktuell im politischen Raum im Hinblick auf gesetzgeberische Aktivitäten kontrovers diskutiert. Gegenwärtig bleiben aber die Anwendbarkeit, die Wirksamkeit und die Reichweite solcher Verfügungen im Einzelfall kritisch zu prüfen. Andererseits berechtigt und verpflichtet die Garantenstellung des Arztes dazu, unverzüglich bei unklarer Informationslage zur Rettung von Leib und Leben in die körperliche Unversehrtheit des Kranken einzugreifen.
Aufwand und Zeitraum zu dieser Entscheidungsfindung werden durch den Grad der Invasivität und die Dringlichkeit eines medizinischen Eingriffs mitbestimmt. Zwar lassen sich die Entscheidungen selbst als auch die Zeiträume bis zur Entscheidungsfindung wegen der Vielzahl der Einflussgrößen nicht standardisieren, sie orientieren sich aber derzeit an den in dieser Übersicht aufgezeigten Grundsätzen, Eckpunkten und beispielhaften Einzelfallentscheidungen. Grundsätzlich sollen die ärztlichen Überlegungen zur Schadensabwendung im Kontext der primär voraussehbaren Krankheitsdynamik ebenso wie die Aktivitäten zur Willenserkundung ausführlich dokumentiert werden.
Summary
The principle of informed consent to invasive diagnostic or therapeutic procedures is not applicable in most patients suffering from consciousness disorders. As in other medical situations, German law assigns priority to the patient’s autonomy and employs the concept of presumed will inferred from third-party (e.g. relatives) communications or deduced from a living will. While discussion concerning the validity of such advance directives is ongoing, their applicability needs to be checked carefully in every case. When the patient’s attitude or wish however remains unclear or not discernible, in an emergency situation medical activities must be directed without loss of time towards damage reduction and life preservation under all circumstances (“guaranteed provision of medical attention”). In clinical practice, efforts to deduce the patient’s will must relate to the urgency and invasiveness of the intended medical procedures. This paper describes the framework of current legal rules and important case decisions involved in the process of decision-making for patients unable to give informed consent. Any such decisions must be documented comprehensively in hospital records.
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Die Autoren danken Herrn Notar A. Fegbeitel, Hohenwestedt, und Herrn Prof. Dr. T. Steiner, Heidelberg, für die kritische Durchsicht und Anregungen zu diesem Beitrag.
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Hansen, HC., Drews, R. & Gaidzik, P. Zwischen Patientenautonomie und ärztlicher Garantenstellung. Nervenarzt 79, 706–715 (2008). https://doi.org/10.1007/s00115-008-2444-z
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