Anamnese

Eine 83-jährige Pflegeheimbewohnerin wurde aufgrund von Schmerzen im rechten Hüftgelenk mit klassisch verkürzt imponierendem, außenrotiertem Bein vorstellig. Nativradiologisch wurde eine pertrochantäre Femurfraktur diagnostiziert. Als Nebenbefunde litt die Patientin unter Osteoporose, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule sowie Zeichen einer chronischen Gastritis. Das präoperativ durchgeführte Routinelabor ergab keinen Hinweis auf weitere Pathologien; die Hautverhältnisse waren blande. Die Indikation zur operativen Sanierung mittels intramedullärer Versorgung wurde gestellt. Fünf Stunden nach Aufnahme konnte die Patientin in den OP gebracht werden.

Befund

Nach erfolgter Spinalanästhesie wurde die Patientin am Extensionstisch gelagert und die Fraktur geschlossen reponiert. Nach Hautschnitt, Aufpfriemen und Einbringen des Führungsdrahtes erfolgte das stufenweise Aufbohren des Markraumes. Bereits nach Einbringen des Marknagels fiel dem Operateur erstmalig eine geringe Verschlechterung der Röntgenqualität aufgrund von suspekten Lufteinlagerungen in den lokalen Weichteilen auf. Ein klassisches Hautemphysem war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig tastbar. Schließlich konnte die Fraktur mittels Gamma-Nagel (125°/11 mm Durchmesser/340 mm Länge) versorgt werden.

Die postoperativ (6 h später) durchgeführten Röntgenaufnahmen (Beckenübersicht, Hüfte in 2 Ebenen) zeigten in allen Ebenen eine korrekte Implantatlage, auffällig waren jedoch nun deutlich sichtbare Lufteinlagerungen im Bereich der Femurweichteile (Abb. 1). Lokal entwickelten sich ein deutlich tastbares subkutanes Emphysem, welches sich distal bis zum rechten Kniegelenk und proximal schräg über das Abdomen erstreckte, sowie eine geringe lokale Rötung. Die Patientin klagte über massive Schmerzen sowie Übelkeit ohne zufriedenstellende Besserung auf die verabreichten Analgetika (nichtsteroidale Antirheumatika [NSAR], Piritramid).

Abb. 1
figure 1

Postoperative Röntgenaufnahmen des rechten Femurs, welche das subkutane Emphysem zeigen. a Axiale Schichtung durch das Abdomen. b Frontalebene. c Sagittalebene

Diagnose

Das postoperative Labor ergab eine Leukozytose (12,670 G/l; Normwert bis 7,090 G/l). In der durchgeführten CT Thorax-Kniegelenke kam ein ausgeprägtes Emphysem thorakal beidseits, im kaudalen Bereich des Mediastinums und im Retroperitoneum ausgehend von der rechten Regio inguinalis, übergreifend auf das Colon ascendens und das Zäkum sowie auf die komplette Bauchwand zur Darstellung (Abb. 2). Zusätzlich war die rechte Glutäalregion betroffen.

Abb. 2
figure 2

Retro- und intraperitoneales Emphysem in der Computertomographie. a Oberschenkel a/p. b Hüfte a/p. c Hüfte axial. d Oberschenkel seitlich

Therapie und Verlauf

Aufgrund des rasch progredienten Emphysems, der Rötung und der fast unbeherrschbaren Schmerzen wurde bei Verdacht auf eine Clostridieninfektion die sofortige Revision, inklusive Abstrichentnahme sowie die Abnahme von Blutkulturen zur Diagnostik bezüglich anaerober Erreger, indiziert. Intraoperatives Débridement sowohl im Bereich der Nageleintrittsstelle als auch im Bereich der distalen Verriegelung, die ausgiebige Lavagierung und die Einlage zweier Redon-Drainagen konnten komplikationslos durchgeführt werden. Die Patientin wurde im Anschluss, kreislaufstabil zur Observanz auf die Intensivstation verlegt und erhielt eine parenterale Antibiose (Piperacillin/Tazobactam).

Eine Stunde post revisionem erfolgte die Entwarnung; eine Clostridieninfektion konnte durch eine Gram-Färbung ausgeschlossen werden. Die Bakterienkulturen blieben 24, 48 und 72 h nach Abstrichentnahme steril.

Am ersten postoperativen Tag fiel die Leukozytenzahl auf 9,850 G/l (Normwert bis 7,090 G/l). Am zweiten postoperativen Tag zeigten sich die Leukozyten im Normbereich; erstmalig wurde auch das C‑reaktive Protein bestimmt (5,3 mg/l; Normwert bis 5,0 mg/l).

Die Patientin konnte am 4. postoperativen Tag nach komplikationslosem Intensivaufenthalt auf die Normalstation verlegt werden. Das Emphysem bildete sich klinisch und computertomographisch zurück; das C-reaktive Protein (CRP) fiel auf 1,4 mg/dl. Am 8. postoperativen Tag wurde die Patientin in die Rehabilitation entlassen. Im Rahmen einer Verlaufskontrolle am 14. postoperativen Tag präsentierte sich die Patientin mit blanden Operationsnarben, und das Emphysem hatte sich vollständig resorbiert.

Diskussion

Die Marknagelosteosynthese ist der Goldstandard zur Stabilisierung pertrochantärer Frakturen und gilt als minimalinvasives, sicheres Verfahren. Sie erlaubt die frühe Mobilisierung und ist bekannt für ihr gutes Outcome. Nichtsdestotrotz wurden zahlreiche Komplikationen, die mitunter aufgrund technischer Fehler entstehen, beschrieben [6]. Während des Aufbohrens eines langen Röhrenknochens entsteht neben großer Hitze u. a. ein hoher intramedullärer Druck. Diese können zu weiteren lokalen, aber auch systemischen Komplikationen, wie z. B. Nekrosen, Frakturen, Embolien u. a. führen [5, 8, 9]. Die Infektionsrate, als weitere Komplikation der intramedullären Versorgung proximaler Femurfrakturen, wird in der Literatur mit 1,1–3,2 % beziffert [6, 10]. Als ausgesprochen rare Komplikation wurde bis dato nur einziger weiterer Fall eines lokal begrenzten nichtinfektiösen Hautemphysems nach Marknagelung einer Humerusfraktur beschrieben. Hierbei handelte es sich um ein „benignes“ Emphysem, welches sich im Rahmen der Marknagelung einer pathologischen Oberarmfraktur eines 74-Jährigen gebildet hatte. Die Autoren vermuten die durch den Frakturspalt hinausgepresste Luft, welche durch den erhöhten intramedullären Druck entstand, als wahrscheinlichste Ursache des Emphysems. [5].

Bei Auftreten eines Hautemphysems an Extremitäten muss an die Möglichkeit einer lebensbedrohlichen Infektion mit Gasbrand (Clostridium perfringens) gedacht werden. Warnzeichen, die eine Unterscheidung zwischen infektiösem Emphysem und einem nichtinfektiösen Weichteilemphysem erleichtern sollen, sind in Tab. 1 aufgelistet.

Tab. 1 Unterscheidungshilfe nichtinfektiöses vs. infektiöses Emphysem

Clostridien sind anaerobe, grampositive ubiquitär vorkommende Bakterien, die beim hospitalisierten Patienten auch als kolonisierte Hautkeime beschrieben wurden [2, 4]. Differenzialdiagnostisch kommen als infektiöse Ursachen eines Hautemphysems anaerobe Streptokokken, aber auch coliforme Anaerobier infrage [3].

Die Inkubationszeit einer Gasbrandinfektion beträgt üblicherweise 24–48 h, sie kann sich jedoch auf bis zu 6 h reduzieren [4]. Besonders erwähnenswert ist, dass diese Keime resistent gegen die aseptischen präoperativen Standardverfahren mittels Betadine und Chlorhexidin sind [4].

Die in unserem Fallbericht beschriebene Patientin lebte bereits seit mehreren Jahren in einer Pflegeeinrichtung; an eine potenzielle Hautkolonialisierung mittels Clostridien muss somit gedacht werden. Die klinische Symptomatik der Rötung, der fast unbeherrschbaren Schmerzen, die Leukozytose und das typische Krepitieren sprächen ebenfalls für eine solche. Das bereits intraoperative suspekte Auftreten von Luft wäre für die Infektion mit Clostridien bezüglich der Inkubationszeit, soweit es in der Literatur beschrieben wurde, zu früh. Die Spinalanästhesie wäre jedoch eine mögliche Eintrittsquelle, da beispielsweise bei intraartikulären Injektionen iatrogene Gasbrandinfektionen bereits beschrieben wurden [4]. Die Diagnostik wird durch die Tatsache erschwert, dass nur in 10–25 % der Fälle ein Erregernachweis mittels Abstrich bzw. in nur 20 % mittels Blutkulturen erreicht werden kann [1, 7]. Die Entscheidung zur sofortigen chirurgischen Revision wird durch die hohe Letalität im Falle einer Clostridium-perfringens-Infektion gerechtfertigt. Der Verdacht der Infektion insgesamt konnte glücklicherweise nicht bestätigt werden; auch die Gewebeproben blieben negativ.

Um die Frage der Entstehung des massiven Emphysems weiter zu ergründen, wäre eine mögliche Erklärung von einem Tierversuchsmodell ableitbar. Stürmer demonstrierte die Auswirkungen des intramedullären Bohrens an Schaf-Tibiae und beobachteten einen Austritt von Blut und Fett durch venöse Knochenkanäle [8]. Möglicherweise könnten die Kanäle auch als potenzielle Luftkanäle funktionieren, insbesondere, wenn, wie im Falle der Osteoporose, die Knochenstruktur bereits erheblich geschwächt ist. Durch die Wucht und Geschwindigkeit könnten die Hohlräume verdichtet werden und die Luft so in das subkutane Gewebe gepresst worden sein.

Fazit für die Praxis

Dieser Fall veranschaulicht gut, wie differenzialdiagnostisch nahe eine lebensbedrohliche Infektion und ein nichtinfektiöses Weichteilemphysem aneinander liegen können. Im Zweifelsfall ist hier wohl immer eine proaktive Entscheidung mittels rascher Revisionsoperation zu treffen.