FormalPara Information

Diese Stellungnahme wurde von den beteiligten Autoren im Auftrag der jeweiligen Fachgesellschaften erarbeitet:

Für die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI e. V):

Dr. Johannes Pfeil, Heidelberg

PD Dr. Markus Hufnagel, Freiburg

Für die Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP e. V.):

PD Dr. Robin Kobbe, Hamburg

Dr. Christa Kitz, Würzburg

Für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ e. V.):

Dr. Stefan Trapp, Bremen

Mitarbeit

An der Erarbeitung der Stellungnahme waren Vertreter der folgenden Fachgesellschaften und Organisationen beteiligt:

  • Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen (DAKJ),

  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG),

  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ),

  • Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG),

Folgende Personen haben an der Erarbeitung der Stellungnahme mitgewirkt:

  • Prof. Dr. Ralf Bialek (Infektionsdiagnostik; DGPI),

  • Prof. Ulrich Heininger (Impfungen; Sprecher der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der DAKJ, DGPI),

  • Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz (Gesamtkonzept; DAKJ, DGPI),

  • Prof. Dr. Thomas Junghanss (Tropenmedizinische Aspekte; DTG),

  • Dr. Carsten Krüger (Gesamtkonzept; GTP),

  • Dr. Mirjam Kunze (Schwangerenvorsorge; DGGG),

  • Prof. Dr. Johannes Liese (Gesamtkonzept, MRE-Screening; DGPI, DGKJ),

  • PD Dr. Nicole Ritz, PhD (Tuberkulose; DGPI – Ausschuss typische und atypische Mykobakteriosen),

  • PD Dr. Erika Sievers, MPH (Aspekte öffentlicher Kinder- und Jugendgesundheitsdienst; Fachausschuss Kinder- und Jugendgesundheitsdienst),

  • Prof. Dr. Arne Simon (MRE-Screening; DGPI),

  • Prof. Dr. August Stich (Gesamtkonzept, tropenmedizinische Aspekte; DTG).

Hintergrund

Deutschland und Europa erleben momentan eine zahlenmäßig unabsehbare Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten (v. a. Syrien, Afghanistan, Irak und Pakistan), den afrikanischen Staaten (v. a. Eritrea, Nigeria), sowie dem westlichen Balkan (v. a. Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Serbien – bei zuletzt abnehmenden Zahlen) und der Ukraine [5]. Mindestens jeder vierte Asylbewerber ist ein Kind oder Jugendlicher [9]. Bürgerkriege, Katastrophen und zunehmende Armut zwingen viele Menschen zur entbehrungsreichen Flucht in die Länder West- und Nord-Europas. Hieraus resultiert auch ein relevant erhöhter medizinischer Bedarf bei der medizinischen Versorgung vieler Flüchtlinge in Deutschland.

Die Grundhaltung zur ärztlichen Versorgung von minderjährigen Flüchtlingen leitet sich aus dem Artikel 24 [Gesundheitsvorsorge] der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 her. Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an. Flüchtlinge sind auf dem gleichen medizinischen Niveau zu versorgen wie die einheimische Wohnbevölkerung. Dies gilt für akute oder chronische Erkrankungen ebenso wie für alle Maßnahmen der medizinischen Prävention. In der aktuellen Ausnahmesituation mit dem plötzlichen massenhaften Auftreten von Leistungssuchenden können die Versorgungskapazitäten überfordert sein. Mögliche Versorgungslücken sollten dann in der weiteren medizinischen Betreuung geschlossen werden.

Eine aktuelle Querschnittserhebung unter 100 syrischen Flüchtlingskindern in einer Münchner Erstaufnahmestelle ergab, dass 80 % der Kinder unter somatischen (v. a. Atemwegserkrankungen) und 40 % unter psychischen/psychiatrischen Beschwerden (v. a. posttraumatische Belastungsstörungen) litten. Unter den somatischen Beschwerden fanden sich in 10 % infektiöse/parasitäre Erkrankungen (in erster Linie Hautinfektionen), weiterhin wiesen 40 % der Kinder, die Impfdokumente hatten, einen unvollständigen Impfstatus auf [7]. Häufig sind die Informationen zur medizinischen Anamnese und zum Impfstatus aufgrund der Sprachbarriere schwer zu erheben, fragmentarisch oder sie fehlen ganz.

Flüchtlinge und Asylsuchende sind eine besonders vulnerable Gruppe in unserer Gesellschaft. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche, die teilweise auch unbegleitet kommen, und für Schwangere. Sie benötigen eine angemessene und niederschwellige medizinische Versorgung, die an die individuelle Situation angepasst sein muss. Es ist eine professionelle, soziale und ethische Herausforderung, die medizinische Versorgung von Flüchtlingen adäquat zu organisieren und durchzuführen.

Infektiologische Fragen oder Beschwerden nehmen einen besonderen Stellenwert bei der Betreuung von Flüchtlingen ein [7, 15]. Die vorliegende Empfehlung konzentriert sich bewusst auf die Infektionsdiagnostik und Infektionsprävention, wohl wissend, dass Kindergesundheit weit darüber hinausgeht. Weitere Handlungsempfehlungen von Behörden und anderen Fachgesellschaften, die sich mit anderen gesundheitsbezogenen Aspekten und der psychosozialen Betreuung von Kindern und Jugendlichen befassen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind bereits publiziert [1, 15, 19] oder werden folgen.

Die vorliegenden Empfehlungen sollen Ärzte und medizinisches Personal in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter unterstützen mit dem Ziel,

  1. 1.

    einen unvollständigen Impfschutz frühzeitig zu erkennen und rasch zu vervollständigen – zum individuellen Schutz und um Ausbreitungen von Infektionen zu verhindern,

  2. 2.

    übliche Infektionskrankheiten im Kindes- und Jugendalter, auch vor dem Hintergrund von Sammelunterkünften, Sprachbarrieren und unterschiedlichen kulturellen Auffassungen, zu diagnostizieren und zu behandeln und

  3. 3.

    in Deutschland seltene Infektionskrankheiten (z. B. Tuberkulose, Malaria, Dengue-Fieber, kutane Leishmaniose) frühzeitig zu erkennen und zu therapieren.

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP) wollen mit dieser Stellungnahme Hilfestellung leisten, welche Routine-Maßnahmen in der Infektionsdiagnostik und Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter sinnvoll sind.

Die Stellungnahme beinhaltet keine Empfehlungen zum individuellen Umgang akuter infektiologischer Probleme. Hierzu wird auf Empfehlungen und Leitlinien der Fachgesellschaften (z. B. DGPI-Handbuch – Infektionen bei Kindern und Jugendlichen [6] oder RKI – Infektionskrankheiten von A–Z [17]) verwiesen. Das Robert Koch-Institut hat in einer aktuellen Publikation eine Liste mit den häufigsten ungewöhnlichen Infektionskrankheiten zusammengefasst, die bei der aktuellen Flüchtlingspopulation zu erwarten sind [15]. In Tab. 1 sind die häufigsten Leitsymptome, ihre wichtigsten infektiologischen Differenzialdiagnosen und eine Basisdiagnostik tabellarisch zusammengefasst. Sollte die Basisdiagnostik keinen wegweisenden Befund erbringen, ist die Kontaktaufnahme zu einem pädiatrischen Infektiologen/einer pädiatrischen Infektiologin oder einem Tropenmediziner/einer Tropenmedizinerin empfohlen.

Tab. 1 Symptom - und befundorientierte regionenspezifische infektiologische/tropenmedizinische Differentialdiagnosen bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter

Wichtig ist jedoch, zu betonen, dass „klassische“ Infektionskrankheiten, z. B. akute respiratorische Infekte, Magen-Darm-Infektionen und pyogene Haut- und Weichteilinfektionen bei Flüchtlingen häufiger sind als die in unseren Breiten seltenen importierten Infektionskrankheiten. Ebenso wichtig ist die Einschätzung, dass von Flüchtlingen weder für die Allgemeinbevölkerung noch für ihre Helfer ein generelles erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht. Flüchtlinge sind aus infektiologischer Sicht keine gefährliche, sondern aufgrund der besonderen Lebensumstände eine gefährdete Gruppe. Den Mitarbeitern in den Gemeinschaftseinrichtungen für Flüchtlinge, auch den ehrenamtlich Tätigen sowie der ansässigen Bevölkerung, sollte in diesem Zusammenhang nochmals die Bedeutung von Impfungen kommuniziert und ihnen ein Impfschutz nach den Empfehlungen der STIKO – wann immer möglich – angeboten werden.

Diese Stellungnahme basiert auf praktischen Erfahrungen von Experten der pädiatrischen Infektiologie und der internationalen Gesundheit im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. Frühere Empfehlungen der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ; zuletzt aktualisiert im Jahr 2013 [19]) bzw. der American Academy for Pediatrics (zuletzt aktualisiert im Jahr 2012 [1]) und der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (vom August 2012 [25]) wurden in der Erstellung zum Teil berücksichtigt.

Die Empfehlungen der DAKJ [19] unterscheiden sich von dieser Stellungnahme, da zum einen die umfassende medizinische Versorgung (nicht fokussiert auf infektiologische Aspekte) abgehandelt ist und die Empfehlungen für „einzelne“ Immigranten/internationale Adoptivkinder gedacht sind. Die große Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland zwingt neben der „bestmöglichen“ Versorgung des Einzelnen, zusätzlich Kosten- und Praktikabilitätsaspekte zu berücksichtigen.

Gesundheitssystem und gesetzliche Vorschriften

Kontakt zum deutschen Gesundheitssystem haben Flüchtlinge auf verschiedene Arten.

Kurzscreening in den Erstaufnahmestellen

Ziel des Kurzscreenings (der „Inaugenscheinnahme“) ist

  1. 1.

    die Früherkennung von potenziell übertragbaren Erkrankungen und

  2. 2.

    die Entscheidung, ob der neu angekommene Flüchtling in der Erstaufnahmestelle verbleiben kann oder sich akut in medizinische Behandlung (ambulant oder stationär) begeben muss.

Eine „Inaugenscheinnahme“ findet unmittelbar nach Ankunft der Flüchtlinge in der Erstaufnahmestelle statt. Hier spielen Durchfallerkrankungen, exanthematöse Erkrankungen und andere Erkrankungen mit hohem Übertragungsrisiko (insbesondere die Tuberkulose) eine entscheidende Rolle.

Die Tuberkulose ist in den Herkunftsländern der Flüchtlinge häufiger als in Deutschland. Flucht, unzureichende medizinische Versorgung und beengte sowie unhygienische Lebensbedingungen bergen ein zusätzliches Risiko, eine Tuberkulose zu erwerben oder zu reaktivieren. Gemäß § 36, Abs. 4 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) soll vor oder unverzüglich nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft/Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge oder Asylbewerber das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose ausgeschlossen werden. Dafür sieht der Gesetzgeber die Ausstellung einer medizinischen Bescheinigung vor. Gesetzliche Vorgaben, wie dieser Ausschluss zu führen ist, existieren nur für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahre. Für diesen Personenkreis muss sich die medizinische Bescheinigung (mit Ausnahme von Schwangeren) auf eine Röntgenaufnahme der Lunge stützen. Für alle asylsuchenden Kinder und Jugendliche < 15 Jahren empfiehlt die Arbeitsgruppe „AWMF-Leitlinie Diagnostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter“ ein immundiagnostisches Tuberkulose-Screening mittels Tuberkulin-Hauttest (THT) oder Interferon-gamma Release Assay (IGRA) [2]. Bei positivem Testergebnis sollen weitere Abklärungen und eine Therapie gemäß bestehenden nationalen Empfehlungen erfolgen [6].

Die praktische Umsetzbarkeit eines solchen allgemeinen Tuberkulosescreenings erfordert personelle und logistische Unterstützung für die vor Ort Tätigen durch Politik und Geldgeber. Ohne eine solche Unterstützung wird ein flächendeckendes, zeitnahes Screening nicht möglich sein. Für die infektionshygienische Überwachung ist nach § 36 (1) IfSG der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) verantwortlich.

Der Umfang des Kurzscreenings ist gesetzlich nicht vorgegeben.

Die Autoren dieser Stellungnahme unterstützen das Kölner Statement zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen vom 23.9.2015 [11], in dem es heißt, dass die reine (ärztliche) „Inaugenscheinnahme“ – neben einer möglichen Traumatisierung des Flüchtlings – eine Vergeudung von wertvollen Ressourcen ist, da für die Identifikation von vermeintlichen Ansteckungsgefahren eine strukturierte Anamnese und eine gezielte Untersuchung notwendig sind. Als bessere Alternative soll geschultes medizinisches Fachpersonal wie z. B. Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger und -pflegerinnen, medizinische Fachangestellte/Arzthelfer und Arzthelferinnen oder Sanitäter und Sanitäterinnen in ausreichender Zahl und mit ausreichendem Zeitdeputat in allen Erstaufnahmestellen als Ansprechpartner für alltägliche gesundheitliche Fragestellungen vorgehalten werden. Bei Notwendigkeit einer ärztlichen Expertise sollen die Flüchtlinge dann ärztlichem Personal vorgestellt werden. Idealerweise sollen Kurzscreening und Basisuntersuchung zusammengefasst werden.

Während die „Inaugenscheinnahme“ grundsätzlich zeitnah und ganztägig bei Ankunft der Personen erfolgen sollte, erfolgt die Basisuntersuchung zu festgelegten geordneten Sprechstundenzeiten im Tagesrhythmus der Einrichtung – möglichst innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft in der Erstaufnahmestelle.

Basisuntersuchung in den Erstaufnahmestellen

Die Basisuntersuchung („Gesundheitscheck“) sollte bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter idealerweise von einem Kinder- und Jugendarzt durchgeführt werden. Ziel dieser Untersuchung ist das Erkennen von

  1. 1.

    potenziell übertragbaren Erkrankungen und von

  2. 2.

    akut behandlungsbedürftigen, (auch) nicht infektiologischen Grunderkrankungen.

Diese Untersuchung soll zeitnah nach der Erstaufnahme stattfinden, sie erfolgt ohne Behandlungsschein und wird von den Behörden, die für die Erstaufnahmestellen zuständig sind, organisiert und finanziert.

Der § 62 des Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) legt fest, dass zum Erkennen von kontagiösen Erkrankungen bestimmte Untersuchungen vom Flüchtling bzw. vom Asylbewerber/von der Asylbewerberin geduldet werden müssen. Hierzu können z. B. auch eine Blutentnahme, eine Stuhluntersuchung und ein Röntgenbild des Thorax gehören.

Der Umfang der Basisuntersuchung ist gesetzlich nicht vorgegeben.

Die Dokumentation der Befunde der Basisuntersuchung ist essenziell, um nachfolgenden medizinischen Einrichtungen die Informationen zur Verfügung zu stellen und Doppeluntersuchungen zu vermeiden! Ein Dokument über die Basisuntersuchung soll dem Flüchtling/dem Asylsuchenden mitgegeben werden, entweder in Papierform oder elektronisch (als digitales Medium könnten z. B. auch Fotoaufnahmen von Papierdokumenten mit den Smartphones der Flüchtlinge benutzt werden, in dessen Besitz viele Flüchtlinge sind). Ein entsprechendes Papierdokument ist z. B. in Bremen als „Bremer Gesundheitsheft“ entwickelt wordenFootnote 1. Zusätzlich sollte eine elektronische, zentrale Dokumentation und Übermittlung der Befunde angestrebt werden, auf die nachfolgende Untersuchungsstellen zurückgreifen können.

Ambulante Vorstellung bei niedergelassenen Ärzten/Ärztinnen

Eine Vorstellung bei den niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen, die Kinder und Jugendliche versorgen, kann zur Basisuntersuchung (falls diese nicht in den Erstaufnahmestellen geleistet wird) oder bei akuten Erkrankungen erfolgen. Im letzteren Fall sollten die Flüchtlinge – je nach landesrechtlicher Regelung – im Besitz einer Gesundheitskarte oder eines Behandlungsscheins sein, der nach Einzelantrag vom für sie zuständigen Sozialamt oder der Regierungsbehörde ausgestellt wird. In manchen Bundesländern, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, reicht ein von der Erstaufnahmestelle vergebener Behandlungsschein zur ambulanten Weiterbehandlung aus. In Ländern wie Bremen und Hamburg erhalten Flüchtlinge nach ihrer Registrierung eine Gesundheitskarte. Mit dieser fallen Einzelanträge auf Behandlungsscheine weg und erleichtern die medizinische Versorgung (mit reduziertem Leistungsanspruch gemäß AsylbLG). Entsprechende Versichertenkarten sollten in allen Bundesländern ausgestellt werden.

Stationäre Vorstellung in den Kinderkliniken bei akuten Erkrankungen

Auch für diese Behandlung sollte eine Gesundheitskarte bzw. ein Behandlungsschein des zuständigen Sozialamtes oder der Regierungsbehörde vorliegen, über den die Übernahme der Behandlungskosten gesichert ist. Notfallbehandlungen sind immer ohne Behandlungsschein zu leisten.

Praktisches Vorgehen

BVKJ, DGPI und GTP schlagen folgendes Untersuchungsprogramm bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter nach Ankunft in Deutschland für die Erkennung und Prävention von Infektionskrankheiten vor (zusammenfassende Darstellung in Abb. 1). Dabei sollte zur optimalen Nutzung ärztlicher Ressourcen das Kurzscreening mit der Basisuntersuchung kombiniert werden. Wichtig ist die Verfügbarkeit von Dolmetschern, wenn keine ausreichenden Deutschkenntnisse bei den Flüchtlingen vorhanden sind. Die Autoren der Stellungnahme befürworten eine Finanzierung von Dolmetschern über die gesetzlichen Krankenkassen.

Basisuntersuchung in den Erstaufnahmestellen

Ziel der Basisuntersuchung ist der Ausschluss von übertragbaren Infektionskrankheiten, akut behandlungsbedürftigen Erkrankungen und die Erhebung des Impfstatus. Das Untersuchungsprogramm umfasst Routineuntersuchungen, die obligat alle Flüchtlinge erhalten sollen, sowie spezielle Untersuchungen, die fakultativ bei bestimmten anamnestischen Hinweisen, Symptomen oder Befunden ergriffen werden sollen. Letztere sind unter Punkt „Ambulante Vorstellung“ dargestellt.

Empfohlene Routineuntersuchungen von Kindern und Flüchtlingen

Anamnese

  1. 1.

    Aktuelle Beschwerden und Vorerkrankungen

    • Hinweise auf übertragbare Erkrankungen, insbesondere exanthematöse Haut-, Durchfall- und Atemwegserkrankungen (inklusive Tuberkulose)

    • Akut behandlungsbedürftige Erkrankungen

    • Akut psychische DekompensationsrisikenFootnote 2

  2. 2.

    Familienanamnese und Begleitpersonen

    • Wer sind die Begleitpersonen? (Mit Dokumentation der Telefonnummer(n) der Begleitpersonen)

    • Ansteckende Erkrankungen der Begleitpersonen (insbesondere Tuberkulose)

  3. 3.

    Überprüfen der vorhandenen Dokumentation bekannter Tuberkulin-Hauttest-Ergebnisse oder Bluttests für Tuberkulose

Erfragen des Impfstatus Footnote 3

  • Nur Impfpässe oder Arztbriefe zählen als offizielle ImpfdokumenteFootnote 4

Klinische Untersuchung

  • Gewicht, Länge

  • Körperliche Untersuchung mit spezieller Beachtung von

    • Haut: Hinweise auf Infektionen (u. a. Erkennen von Skabies, Läusebefall, Pyodermie, Masern, Varizellen), Verletzungen

    • Lymphknoten (insbesondere tuberkulöse Lymphadenitis als häufigste extrapulmonale Manifestation)

    • Herz, Lunge, Abdomen

Erklärungen bzw. Begründungen des Untersuchungsprogramms:

  1. 1.

    Grundlage für die Erkennung von behandlungsbedürftigen Infektionskrankheiten sind die Anamnese sowie die körperliche Untersuchung. Aus logistischen Überlegungen werden diese im Rahmen einer Basisuntersuchung knapper und fokussierter gehalten, mit dem Ziel, schwere sowie hoch ansteckende Infektionskrankheiten zu erkennen.

  2. 2.

    Die Impfanamnese stellt einen wichtigen Teil der Basisuntersuchung dar. Hierdurch können Impflücken sicher erkannt werden und die notwendigen Nachholimpfungen zeitnah veranlasst werden, was insbesondere vor dem Hintergrund von Sammelunterkünften mit hohem Infektionsrisiko wichtig ist.

  3. 3.

    Kontrovers diskutiert werden können die Notwendigkeit und der Umfang einer Blutentnahme im Rahmen der Basisuntersuchung. Gerade bei Kindern bedeutet die Blutentnahme einen hohen logistischen Aufwand. Demgegenüber ist die frühzeitige Erkennung mit Einleitung adäquater Therapie- und Präventionsmaßnahmen bei einigen Infektionskrankheiten nur durch Laboruntersuchungen möglich. Beispielsweise ist die Prävalenz der Hepatitis B in den Ursprungsländern der Flüchtlinge deutlich höher als in Deutschland (Balkanstaaten und Naher Osten im Bereich von je 2–4 %, in afrikanischen Ländern südlich der Sahara 5 bis > 8 % [22]). Auf Hepatitis B wird in diesen Ländern während der Schwangerschaft üblicherweise nicht gescreent.

  4. 4.

    Die routinemäßige Durchführung eines Tuberkulose-Screenings ist aufgrund der Vielzahl von Flüchtlingen eine Herausforderung für die praktische Umsetzung. Begründet wird die medizinische Notwendigkeit eines routinemäßigen Screenings mit der erhöhten Prävalenz der Tuberkulose innerhalb von Risikopopulationen wie Flüchtlingen [2]. Zuverlässige Daten zur Prävalenz der Tuberkulose bei Flüchtlingen in Deutschland fehlen. Die Prävalenz dürfte aber mindestens so hoch liegen wie im jeweiligen Herkunftsland der Flüchtlinge. Herkunftsländer von Flüchtlingen mit sehr hoher Tuberkuloseinzidenz (d. h. > 100 pro 100.000) sind: Afghanistan, Eritrea, Nigeria, Pakistan und die Ukraine [24]. Allerdings ist bekannt, dass Prävalenzdaten aufgrund der vielfältigen Expositionsrisiken in Krisengebieten ohne ausreichende medizinische Versorgung und während der Flucht unzuverlässig sind. In einem systemischen Review, der die nationalen Prävalenzdaten mit jenen in Krisenregionen verglich, konnte gezeigt werden, dass die Raten in Krisenregionen 2- bis 20-fach erhöht sind [13]. In die Abwägung eines routinemäßigen Tuberkulosescreenings muss letztendlich auch mit einbezogen werden, dass das Risiko einer Tuberkuloseübertragung, das von Kindern ausgeht, deutlich geringer ist als bei Erwachsenen (auch wenn Ansteckungen durch Sputum-negative Kinder und durch Säuglinge beschrieben sind).

    Falls ein routinemäßiges Tuberkulosescreening mit THT oder IGRA personell und organisatorisch nicht bei allen Kindern und Jugendlichen in den Erstaufnahmestellen umsetzbar ist, sollte das Screening zeitlich prioritär im Rahmen der Basisuntersuchung bei Vorliegen eines der folgenden Kriterien [10] durchgeführt werden: (1) bekannter Tuberkulose-Kontakt, (2a) Gewichtsstagnation oder Gewichtsverlust, (b) Husten > 2 Wochen Dauer, (c) unerklärtes Fieber > 1 Woche, (d) persistierende Müdigkeit, oder (3) Herkunft aus einem Land mit hoher Tuberkuloseinzidenz (> 100 pro 100.000 Bewohner). Das fehlende Tuberkulosescreening soll unter Angaben der Gründe dokumentiert und zeitnah bei allen Kindern und Jugendlichen nachgeholt werden.

  5. 5.

    Eine routinemäßige Röntgenuntersuchung des Thorax zum Ausschluss einer Lungentuberkulose, wie sie bei erwachsenen Flüchtlingen Standard ist, ist bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren aufgrund der niedrigen Sensitivität bei relevanter Strahlenbelastung abzulehnen. Bei Jugendlichen ab 15 Jahren ist nach IfSG eine Röntgen-Thorax-Untersuchung vorgeschrieben, um das Nichtvorliegen einer infektiösen Lungentuberkulose bescheinigen zu können [18].

Wichtig wäre zum Zeitpunkt der Basisuntersuchung bereits die Erkennung akuter und chronischer behandelbarer Erkrankungen. Zeitliche Limitationen und Kommunikationsschwierigkeiten im Rahmen der Basisuntersuchung erschweren oder verhindern einen solchen Anspruch. Die Diagnostik muss dann auf die ambulante Versorgung nach Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen verschoben werden.

Da die Erfahrungen im Umgang mit einer großen Anzahl an Flüchtlingen bisher beschränkt sind, müssen die Empfehlungen dieser Stellungnahme im Verlauf an neue Erkenntnisse angepasst werden („work in progress“).

Empfohlene Impfungen in Erstaufnahmestellen

Frühzeitige Impfungen der Flüchtlinge nach Ankunft in Deutschland sollen

  1. 1.

    den individuellen Schutz des Flüchtlings sicherstellen und

  2. 2.

    Ausbrüche impfpräventabler Infektionserkrankungen verhindern oder begrenzen.

Um zeitnah eine hohe Impfquote sicherzustellen, sind Impfangebote so früh als möglich nach Ankunft in den Räumlichkeiten der Aufnahmeeinrichtungen empfohlen (sogenannte Kohortenimpfung). Dazu sollen alle Flüchtlinge einen vollständigen Impfschutz bzw. eine Erstimpfung nach den aktuellen STIKO-Empfehlungen zur „Umsetzung frühzeitiger Impfungen bei Asylsuchenden nach Ankunft in Deutschland“ aufweisen bzw. erhalten [16].

Im Fokus der Verhinderung von Ausbrüchen steht ein möglichst rascher Impfschutz gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Unter Berücksichtigung von Kontraindikationen (z. B. Schwangerschaft, schwere Immunsuppression) haben Lebendimpfungen gegen diese Viruserkrankungen bei Nichtgeimpften in den Gemeinschaftseinrichtungen die höchste PrioritätFootnote 5. Auf eine Varizellenimpfung kann verzichtet werden, wenn durch die Eltern eine Varizellenerkrankung in der Anamnese des Kindes glaubhaft angegeben wird.

Darüber hinaus sind in Gemeinschaftseinrichtungen Ausbrüche von invasiven Meningokokkenerkrankungen (wie Meningitis, Sepsis), Pertussis und Influenza gefürchtet, weshalb diese Impfungen zusätzlich zu den Standardimpfungen allen Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Erstaufnahmeeinrichtungen angeboten werden sollen.

Die Standardimpfung gegen Rotaviren soll jungen Säuglingen STIKO-konform verabreicht werden. Dadurch kann das Risiko für Rotavirusausbrüche in den Einrichtungen reduziert werden.

Auch Hepatitis A kann prinzipiell zu Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen führen, allerdings ist derzeit die Ausprägung des Risikos nicht bekannt, weshalb zum jetzigen Zeitpunkt eine routinemäßige Hepatitis-A-Impfung in Erstaufnahmestellen nicht empfohlen werden kann.

Bestehende Impflücken gegen Masern, Mumps, Pertussis, Röteln und Varizellen sollen bei der Erstuntersuchung erkannt und durch entsprechende Impfungen möglichst zeitnah geschlossen werden [16].

  1. 1.

    Dabei haben der Impfschutz gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen aus Sicht des Patienten und der Gemeinschaft die höchste Priorität.Footnote 6

  2. 2.

    Danach folgt in der Dringlichkeit der Individualschutz gegen Tetanus sowie der Schutz vor Diphtherie, Poliomyelitis und Pertussis (der auch aus der Sicht der Gemeinschaft zu fordern ist, um Ausbrüche zu verhindern).

  3. 3.

    Die Impfung aller Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter in Gemeinschaftseinrichtungen gegen Influenza, Meningokokken der Serogruppe C Footnote 7 und bei Säuglingen unter 3 Monaten gegen Rotaviren (Abschluss der Impfung vorzugsweise bis zum Alter von 16–22 Wochen) ist zur Vermeidung der Ausbreitung von Ausbrüchen sinnvoll.

  4. 4.

    Auch die Standardimpfungen gegen Pneumokokken und humane Papillomaviren sollen zeitnah verabreicht werden, möglichst bevor die Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt werden.

Aufgrund des Ausbreitungspotentials von Varizellen-Infektionen in Gemeinschaftseinrichtungen soll die erste Impfung – als MMR + V-Impfung – ab dem Alter von neun Lebensmonaten vorgezogen werden. Die 2. MMRV-Impfung sollte zu Beginn des 2. Lebensjahres gegeben werden, um einen optimalen Schutz vor Masern zu haben. Dabei muss ein Mindestabstand von 4–6 Wochen zur 1. MMRV-Impfung beachtet werden. Da die Impftiter bei einer so frühen Immunisierung niedriger ausfallen, ist eine 3. MMRV-Impfung zwischen dem Alter von 15 und 23 Monaten (mindestens 3 Monate Abstand zur 2. MMRV-Impfung) empfohlen.

Bei bestehendem fehlenden Impfschutz gegen Pertussis soll diese Impfung – je nach Alter des Flüchtlings und Impfstatus – mit Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis, ggf. auch mit Hepatitis B und H. influenzae Typ b kombiniert werden. Siehe dazu die aktuellen Impfempfehlungen der STIKO [14].

Bei der Rotavirusimpfung ist zu beachten, dass möglicherweise ein geringfügig erhöhtes Risiko für Darminvaginationen (ca. 1–2 Fälle pro 100.000 geimpfte Kinder) innerhalb der 1. Woche nach der 1. Rotavirusimpfung besteht. Dieses Risiko nimmt mit dem Alter der Impflinge zu. Daher empfiehlt die STIKO dringend, die Impfserie frühzeitig – spätestens bis zum Alter von 12 Wochen – zu beginnen und vorzugsweise bis zum Alter von 16 Wochen (Rotarix®) bzw. von 20–22 Wochen (RotaTeq®) abzuschließen. Die Impfserie muss für Rotarix® auf jeden Fall bis zum Alter von 24 Wochen und für RotaTeq® bis zum Alter von 32 Wochen abgeschlossen sein. Die Sorgeberechtigten müssen über die klinischen Symptome einer Invagination aufgeklärt werden können (cave: Sprachbarriere) und auch kurzfristig eine medizinische Vorstellung gewährleistet sein, falls ein Säugling symptomatisch wird.

Zu den empfohlenen Impfungen von medizinischem Personal und (ehrenamtlichen) Helfern wird auf die Anlage 4 der STIKO-Empfehlung vom 5. Oktober 2015 verwiesen [16].

Ambulante Vorstellung

Ambulante Vorstellungen bei Ärzten und Ärztinnen, die Kinder und Jugendliche versorgen, können zur Basisuntersuchung oder bei behandlungsbedürftigen akuten oder chronischen Erkrankungen erfolgen. Im Erkrankungsfall muss das Untersuchungsprogramm symptomorientiert individuell bestimmt werden. Bei Verdacht auf eine importierte Infektionskrankheit oder bei positiven Screeningbefunden soll frühzeitig Kontakt mit einem pädiatrischen Infektiologen/einer pädiatrischen Infektiologin oder einem Tropenmediziner/einer Tropenmedizinerin aufgenommen werden.

Anamnese und klinischer Untersuchungsbefund

Neben Anamnese und klinischer Untersuchung (siehe Tab. 2 und 3) sollen ein Basislabor bei allen Flüchtlingen abgenommen werden und ein Tuberkulosescreening durchgeführt werden, wenn dieses noch nicht in den Erstaufnahmestellen gemacht wurde.

Tab. 2 Anamnese bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter
Tab. 3 Klinische Untersuchung bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendaltera

Zur Weitergabe bereits erhobener medizinischer Befunde ist eine Kommunikationsstruktur/-kultur zwischen der lokalen Erstaufnahmestelle und den lokalen Praxisärzten und -ärztinnen notwendig. Eine solche Struktur existiert derzeit nicht flächendeckend und sollte aufgebaut werden. Hierbei sollten – außer bei akuter Notwendigkeit – die Untersuchungen möglichst dort zugeordnet werden, wo die strukturellen Bedingungen für die erforderliche Compliance und mögliche Therapie angenommen werden kann. Dies ist eher erst in der aufnehmenden Kommune der Fall. Selbstverständlich kann aufgrund von Befunden aus der Anamnese und/oder der klinischen Untersuchung des Kindes/Jugendlichen eine Erweiterung dieses Basislabors medizinisch indiziert sein.

Blutentnahme

Als Basislaboruntersuchungen werden Blutbild und Differenzialblutbild bestimmt. Weitere routinemäßige Blutentnahmen werden nur bei Flüchtlingen aus bestimmten Hochprävalenzgebieten Footnote 8 für ausgewählte Infektionskrankheiten empfohlen:

  • Serologien auf HIVFootnote 9 (idealerweise kombinierter Antigen-Antikörpertest),

  • Hepatitis B (HBs-Antigen).

Erklärungen bzw. Begründungen des Untersuchungsprogramms:

  1. 1.

    Die Prävalenz einer Anämie, in erster Linie einer Eisenmangel-Anämie (aber auch Hämoglobinopathien), ist bei Flüchtlingen hoch [1, 25] und kann jedoch auch auf eine chronische Infektion (z. B. HIV, Tuberkulose) hinweisen. Über das Differenzialblutbild kann außerdem eine Eosinophilie erkannt werden, die auf eine parasitäre Infektionserkrankung hinweisen und eine weitere Abklärung erfordern kann.

  2. 2.

    Die Auswahl der serologischen Testungen beschränkt sich auf chronische Infektionserkrankungen, die auch bei asymptomatischen Patienten entweder eine Therapie (HIV, ggf. Hepatitis B) erfordern oder ein wesentliches Übertragungsrisiko (HIV, Hepatitis B) aufweisen. Eine Testung auf Hepatitis C wird derzeit nicht empfohlen, da bisher für die Pädiatrie keine allgemein akzeptierte Therapie existiert und keine spezifische Prophylaxe möglich ist.

    Eine Untersuchung von Antikörpern gegen spezielle tropische Infektionserreger wird bei anamnestischen und klinischen Hinweisen regionenspezifisch neben anderen Nachweisverfahren durchgeführt, in der Regel jedoch durch Tropenmediziner und -medizinerinnen. Es wird in nächster Zeit noch zu diskutieren sein, ob nicht regionenspezifisch ein Screening z. B. bzgl. Schistosomiasis sinnvoll ist, da chronische Infektionen lange asymptomatisch (und ohne Eosinophilie) verlaufen und zu schweren, irreversiblen Schäden führen können.

  3. 3.

    Eine routinemäßige Untersuchung von Urin oder Stuhl ist ohne entsprechende Symptomatik nicht sinnvoll [25]. Bevor ein Stuhlscreening allgemein empfohlen werden kann, sind regionenspezifische Daten zur Prävalenz von Darmparasitosen unter den Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland notwendig. Erst wenn diese Daten vorliegen, kann über die empirische Gabe von luminalen Antihelmintika (z. B. Mebendazol) als Alternative [20] zum Stuhlscreening oder gar keiner Maßnahme entschieden werden.

Eventuell muss ein immundiagnostisches Tuberkulosescreening mittels Tuberkulin-Hauttest (THT) oder Interferon-gamma Release Assay (IGRA)Footnote 10 nachgeholt werden, falls ein solches nicht in der Erstaufnahmeeinrichtung stattgefunden hat.

Ein Tuberkulosescreening soll nach den Vorgaben der Arbeitsgruppe „AWMF-Leitlinie Diagnostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter“ bei allen asylsuchenden Kindern und Jugendlichen < 15 Jahren unabhängig von der Tuberkuloseinzidenz des Herkunftslandes durchgeführt werden [2]. Bei positivem Testergebnis sollen weitere Abklärungen und die Therapie gemäß bestehenden nationalen Empfehlungen erfolgen. Wenn die Infektion weniger als 8 Wochen zurückliegt oder eine Miliartuberkulose vorliegt, können beide Teste negativ sein.

  • Wahl des Testverfahrens bei Kindern < 5 Jahren:

    In dieser Altersgruppe soll in erster Linie ein Tuberkulin-Hauttest (THT) angelegt werden.

    Bei eingeschränkter Verfügbarkeit von PPD RT-23 kann auch bei Kindern < 5 Jahren ein IGRA verwendet werden.

  • Wahl des Testverfahrens bei Kindern und Jugendlichen ≥ 5–15 Jahren:

    Bei Kindern ab 5 Jahren kann ein Tuberkulin-Hauttest (THT) oder ein Interferon-gamma Release Assay (IGRA) verwendet werden.

  • Interpretation des THT:

    Die Interpretation des THT-Ergebnisses muss unter Berücksichtigung des BCG-Impfstatus (evtl. falsch-positiv) und des Ernährungs- bzw. Krankheitsstatus (falsch-negativ bei schwerer Malnutrition oder nach Masernerkrankung) erfolgen. Eine Induration von ≥ 10 mm ist eine Indikation zur weiteren Untersuchung unabhängig vom BCG-Impfstatus.

  • Interaktion THT/IGRA und Maserninfektion/-impfung:

    Eine Masernimpfung oder -infektion kann zu einer temporären Suppression der zellvermittelten Immunantwort und damit zu einem falsch-negativen THT- oder IGRA-Testergebnis führen [21]. Das immunodiagnostische Screening sollte deshalb zeitgleich oder vor einer MMR(V)-Impfung durchgeführt werden. Falls eine Masernimpfung kürzlich verabreicht wurde oder eine Masernerkrankung vorliegt, sollten 4–6 Wochen Abstand zur Masernimpfung/-infektion für die Testung eingehalten werden [21].

Bei gesicherter Exposition und initial negativem THT oder IGRA muss der Test nach 3 Monaten wiederholt werden. Bei Kindern < 5 Jahren soll in dieser Situation bis zum wiederholten Test eine Chemoprophylaxe mit Isoniazid gegeben werden [6].

Bei folgenden anamnestischen Hinweisen, Symptomen oder Befunden muss eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden und die Patienten sollen frühzeitig an einen pädiatrischen Infektiologen/eine pädiatrische Infektiologin oder einen Tropenmediziner/eine Tropenmedizinerin überwiesen werden:

  • Durchfall (v. a. wenn blutig-schleimig, mit hohem Fieber oder chronisch [d. h. > 2 Wochen bestehend]),

  • Splenomegalie,

  • Verdacht auf sexuellen Missbrauch (u. a. zum Ausschluss einer sexuell übertragbaren Erkrankung; Absprache zwischen pädiatrischen Infektiologen/Tropenmediziner und Jugendgynäkologen empfohlen),

  • Normozytäre Anämie (u. a. zum Ausschluss einer chronischen Infektion),

  • Eosinophilie (bei Werten > 500/µl).

Empfohlene Nachholimpfungen im Rahmen der ambulanten Versorgung

Neben der ambulanten Versorgung von akuten oder chronischen Erkrankungen sollen im Rahmen der ambulanten Versorgung der Flüchtlinge (nach Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen oder bei längeren Aufenthalten in Erstaufnahmeeinrichtungen) bestehende Impflücken geschlossen werden.

Bei den Nachholimpfungen gelten folgende Prinzipien [14]:

  • Nur dokumentierte Impfungen sind applizierte Impfungen4.

  • Jede dokumentierte Impfung zählt, egal wie lange sie her ist, das Immunsystem „vergisst nicht“.

  • Jede Nachimpfung soll in einem Impfausweis dokumentiert werdenFootnote 11.

  • Auffrischen oder Vervollständigen von Standardimpfungen, falls weniger Impfungen als von der STIKO aktuell empfohlen [14] dokumentiert sind und wenn der Patient die folgenden Alterskriterien erfüllt (Tab. 4).

    Tab. 4 Empfohlene Altersgruppe und Anzahl der Impfstoffdosen bzw. Impfsequenz der empfohlenen Nachholimpfungen für Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter [14]

Die STIKO hat seit dem Jahr 2012 Tabellen für verschiedene Altersgruppen publiziert,Footnote 12 die als Anhaltspunkte für eine individuelle Planung von Nachholimpfungen zu verwenden sind und seitdem jährlich aktualisiert werden [14].

Da die meisten Flüchtlinge nach der Verteilung auf die Kommunen weiter in Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Asylbewerberheime) wohnen werden, ist dort die Infektionsgefährdung für Flüchtlinge höher als in der Allgemeinbevölkerung.

Der in dieser Stellungnahme empfohlene Impfkalender geht wegen der potenziell besseren medizinischen Versorgung in den Kommunen und dem längeren Aufenthalt der Flüchtlinge in den Gemeinschaftseinrichtungen (im Vergleich zu den Erstaufnahmestellen) über das Mindest-Impfangebot hinaus, dass das Robert Koch-Institut – in Abstimmung mit der STIKO – für Flüchtlinge in Erstaufnahmestellen veröffentlicht hat [16].

In dieser vorliegenden Stellungnahme werden Impfempfehlungen aufgrund der speziellen Lebenssituation in einer Gemeinschaftseinrichtung (in Tab. 4 kursiv gedruckt) mit den Standardimpfempfehlungen der STIKO [14] kombiniert. Manche Impfzeitpunkte sind aufgrund der Dringlichkeit eines Immunschutzes bei Unterkunft in einer Gemeinschaftseinrichtung (in Analogie zu den STIKO-Empfehlungen für Erstaufnahmeeinrichtungen [16]) vorgezogen (in Tab. 5 mit j gekennzeichnet).

Tab. 5 Empfohlener Impfkalender für Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter in Gemeinschaftseinrichtungen (nach Verteilung auf die Kommunen, gültig für Flüchtlinge, die das Stadium des Aufenthaltes in Erstaufnahmestellen bereits hinter sich haben, oder bei längeren Aufenthalten in Erstaufnahmeeinrichtungen)

Müssen Flüchtlinge aus logistischen, administrativen oder politischen Gründen länger in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben (> 4–6 Wochen), sollte auch diese Population sämtliche in Tab. 5 angeführten Nachholimpfungen erhalten.

Abstriche, die dem Nachweis einer Besiedelung mit multiresistenten Erregern (MRE) dienen (sogenanntes Kolonisationsscreening) sind bei Flüchtlingen und Asylbewerbern im Kindes- und Jugendalter im ambulanten Setting routinemäßig nicht empfohlen.

Anstelle eines routinemäßigen MRE-Screenings ist im ambulanten Bereich die sorgfältige Beachtung der Basishygiene [12] zielführend für den Umgang mit allen Patienten. Bei bekannter Besiedelung mit MRE sind spezielle Hygienemaßnahmen im ambulanten wie im stationären Setting zu ergreifen [8].

Die Frage der Notwendigkeit einer Dekolonisierung bei Nachweis einer Besiedelung mit MRSA bei einem ansonsten gesunden Kind ist Gegenstand einer sorgfältigen individualmedizinischen Risikoanalyse des behandelnden Kinder- und Jugendarztes. Im Falle einer MRSA-Infektion sollte parallel zur Behandlung eine Dekolonisation des Kindes angestrebt werden.

Stationäre Vorstellung in den Kinderkliniken

Die Vorstellung in einer Kinderklinik wird meist bei akuten Erkrankungen erfolgen. Neben dem symptomorientierten individuellen Untersuchungsprogramm soll die Vorstellung in einer Kinderklinik genutzt werden, um eventuell noch fehlende Untersuchungen aus dem Umfang der Basisuntersuchung zu ergänzen. Dazu ist entweder eine Dokumentation der Basisuntersuchung notwendig (z. B. Einlegeblatt mit den Ergebnissen der Basisuntersuchung im U-Heft oder Impfausweis) oder eine Kommunikationsstruktur mit der lokalen Erstaufnahmestelle bzw. den lokalen Praxisärzten und -ärztinnen notwendig. Eine solche Struktur existiert derzeit nicht und sollte aufgebaut werden.

Zusätzlich zur eventuellen Komplettierung der Basisuntersuchung soll bei Flüchtlingen ein MRE-Screening vor/bei jeder stationären Aufnahme erfolgen, wenn der Patient

  1. 1.

    innerhalb der letzten 12 Monate im Herkunftsland bzw. im Transit einen Krankenhausaufenthalt oder wiederholten Kontakt mit Einrichtungen des Gesundheitssystem hatte oder

  2. 2.

    eine bekannte frühere Kolonisierung oder Infektion mit MRE hatte oder

  3. 3.

    chronische Wunden/Hautläsionen aufweist.

Darüber hinaus sollte ein MRE-Screening erfolgen, wenn der Patient in der Klinik Kontakte zu potenziell gefährdeten Risikopatienten, z.B. aus den Bereichen Intensivtherapie, Onkologie oder Transplantation hat und

  1. 1.

    eine Flüchtlingsanamnese in den letzten 3 MonatenFootnote 13 hatte oder

  2. 2.

    in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht ist.

Zum Screening benötigte Proben werden von folgenden Körperstellen abgenommen:

  • beide Nasenvorhöfe und Rachen (MRSA) – 2 Tupfer,

  • beide Leisten (MRSA) – ein Tupfer für beide Stellen ausreichend,

  • Rektalabstrich (multiresistente gram-negative Bakterien; MRGN) – ein Tupfer ausreichend, Durchtritt durch den Analsphinkter notwendig!

Bis zum Erhalt der MRE-Screeningergebnisse ist bei stationären Patienten eine prophylaktische Isolierung empfohlen (soweit dies die baulichen Bedingungen zulassen).

Untersuchungsprogramm für schwangere Flüchtlinge bei Erstvorstellung

  • Frage nach Husten, Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß,

  • Impfstatus erheben,

  • Messung von Körpertemperatur, Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck, Körpergewicht,

  • körperliche Untersuchung von Lunge, Abdomen (inkl. Nieren).

Schwangere sollen danach bzw. nach Feststellung einer Schwangerschaft einer niedergelassenen FrauenärztinFootnote 14 vorgestellt werden. Dort sind folgende zusätzliche Untersuchungen – nach den „Mutterschafts-Richtlinien“ – empfohlen:

  • Urin-Status auf Eiweiß,

  • kapilläres/venöses Blutbild zur Hämoglobin-Kontrolle,

  • serologische Untersuchungen auf Hepatitis B (HBs-Antigen; idealerweise nach der 32. Schwangerschaftswoche, möglichst nahe am errechneten Geburtstermin), HIV (anti-HIV; nach entsprechender Aufklärung), Lues (TPPA/TPHA/ELISA), Röteln (falls keine zwei Röteln-Impfungen erfolgt sind),

  • Ein Rektovaginalabstrich zwischen der 34. und 37. Schwangerschaftswoche auf Gruppe-B-Streptokokken und multiresistente gram-negative Erreger (MRGN) sollte aufgrund der zu erwartenden höheren Inzidenz einer Besiedelung in der Flüchtlingspopulation durchgeführt werden,

  • Abstriche auf multiresistente Erreger (MRE) sind bei schwangeren Flüchtlingen im Jugendalter im ambulanten Setting routinemäßig nicht zu fordern. Die Testung macht jedoch Sinn bei allen Schwangeren in der Spätschwangerschaft (z. B. mit einem GBS-Screening kombiniert), spätestens bei stationärer Aufnahme zur Geburt oder bei vorzeitiger Wehentätigkeit,

  • Influenza-Impfung mit Influenza-Totimpfstoffen sind zu empfehlen (ab der 20. Schwangerschaftswoche),

  • bei negativer Röteln-Serologie Aufklärung über Verhalten bei Röteln-Exposition und aktive Röteln-Impfung nach der Entbindung empfehlen; dann kombiniert als MMR-Impfung (ggf. zusätzliche Varizellenimpfung),

  • Totimpfstoffe wie Tdap-Impfstoffe können in der Schwangerschaft gegeben werden, sodass bestehende Impflücken ggf. auch in der Schwangerschaft geschlossen werden können. Impfungen sollten jedoch nicht vor dem 2. Trimenon durchgeführt werden.

Finanzierungsaspekte

Die Finanzierung von medizinischen Leistungen bei Flüchtlingen ist nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Flüchtlinge erhalten – über den Umweg einer Einzelbeantragung bei den Behörden – einen Krankenbehandlungsschein (oder Versichertenkarte – ja nach Bundesland) mit eingeschränktem Leistungsanspruch. In einigen Bundesländern (z. B. Hamburg, Bremen) wurde dieses Verfahren durch Gesundheitskarten ersetzt. Kosten werden erstattet für Behandlungen von

  1. 3.

    akut notwendigen, nicht aufschiebbaren Erkrankungen,

  2. 4.

    Schmerzen,

  3. 5.

    Mutterschaftsvorsorgeleistungen,

  4. 6.

    Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9,

  5. 7.

    Gesundheitsuntersuchung J1,

  6. 8.

    Schutzimpfungen.

Leistungen für vorbestehende chronische Erkrankungen müssen nicht vergütet werden. In diesen Fällen muss laut Gesetzeslage immer eine Kostenzusage vor der Behandlung eingeholt werden. Diese restriktive Haltung wurde vom 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt/M. kritisiert und als ethisch fragwürdig angesehen [3]. Die Einschränkung von medizinischen Leistungen ist auch ökonomisch nicht sinnvoll, da höhere Folgekosten damit verbunden sind [4]. So lagen in einer Studie die Pro-Kopf-Ausgaben für die eingeschränkte medizinische Versorgung um ca. 40 % höher als bei Asylsuchenden mit regulärem Anspruch auf kassenärztliche Leistungen [4]. Zusätzlich ist der Verwaltungsaufwand für Einzelbegutachtungen von Leistungsanträgen erheblich und verursacht zusätzliche Kosten für die zuständigen Ämter.

Kostenträger im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes ist die jeweilige Kommune, in Einzelfällen das Bundesland. Die Abwicklung erfolgt über das örtlich zuständige Sozialamt.

Nach Gewährung von Asyl oder nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland – bei noch nicht abgeschlossenem Asylverfahren – hat der Asylbewerber einen Anspruch auf eine Vollversicherung über eine gesetzliche Krankenkasse. Einige bundesdeutsche Länder (z. B. Hamburg und Bremen) stellen bereits nach Antrag auf Asyl eine Gesundheitskarte aus, über die Asylbewerber bei einer gesetzlichen Krankenversicherung mit den vorgenannten Einschränkungen versichert sind und sich direkt bei einem Arzt mit Kassenzulassung vorstellen können. Nordrhein-Westfalen hat im August 2015 mit Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Einführung der Gesundheitskarte beschlossen, in einigen Ländern ist dies geplant.Footnote 15 Die Delegierten des 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt/M. fordern für alle Flüchtlinge in Deutschland die Einführung einer Versichertenkarte [3].

Im Gegensatz zu Kindern, die gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland flüchten und nach dem AsylbLG einen eingeschränkten Leistungsanspruch auf medizinische Versorgung haben, erhalten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), die in die Obhut des Jugendamtes genommen werden, ab diesem Moment die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Versorgung der Flüchtlinge insbesondere im stationären Bereich mit schweren Erkrankungen, eingreifenden Therapien einschließlich Operationen und unterschiedlicher Prognose erfordert erhebliche zusätzliche Ressourcen. Es müssen Dolmetscher gefunden und bezahlt werden. Alle Untersuchungen, Aufklärungen, Therapien und Visiten dauern meist ein Mehrfaches der bei deutschen Patienten aufzuwendenden Zeit. Die problematische Unterkunft in den Heimen macht es notwendig, Kinder aufzunehmen, die bei Vorhandensein einer intakten Wohnung zu Hause gepflegt werden könnten. Kinder können aus dem gleichen Grund nicht nach Hause entlassen werden, wenn eine häusliche Nachbehandlung nicht gewährleistet ist. Deshalb müssen zusätzliche Mittel für die Versorgung dieser Kinder bereitgestellt werden, z. B. in Form einer Zusatz-DRG, deren Wert auszuhandeln ist.

Die Delegierten des 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt/M. beschlossen: „Alle Flüchtlinge müssen vollen Zugang zu allen Gesundheitsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen bekommen“ [3]. Die Delegierten berufen sich dabei auf die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 24, Abs. 1), die „das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“ als ein Grundrecht jedes Kindes nennt. Neben dem Zugang zu optimaler gesundheitlicher Versorgung fordert die UN-Kinderrechtskonvention auch einen Zugang zu Bildung und zu sozialer Teilhabe aller Flüchtlingskinder. Die Autoren der Stellungnahme unterstützen die Forderung nach Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte und Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Flüchtlinge in Deutschland.

Abb. 1
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Inhalte der infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland

Fazit für die Praxis

  • Die Sicherstellung einer adäquaten medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter stellt eine große Herausforderung dar.

  • Bei Kindern und Jugendlichen soll frühzeitig nach Ankunft in einer Erstaufnahmestelle eine ärztliche Basisuntersuchung mit fokussierter Anamnese, klinischer Untersuchung und Erfassung des Impfstatus erfolgen.

  • Ein generelles Tuberkulosescreening (mit Tuberkulin-Hauttest [0-14 Jahre] oder Interferon-gamma Release Assay [5-14 Jahre]) ist bei allen Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in den Erstaufnahmestellen empfohlen, wird dort aber erfahrungsgemäß personell und organisatorisch an seine Grenzen stoßen. Ist ein generelles Tuberkulosescreening nicht umsetzbar, soll zunächst ein risikobasiertes Tuberkulosescreening erfolgen. Das Screeningergebnis bzw. ein nichtdurchgeführtes Screening ist entsprechend zu dokumentieren.

  • Bestehende Impflücken sollen in der Erstaufnahmestelle sobald wie möglich geschlossen werden. Dabei haben Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen die höchste Priorität, gefolgt von Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, sowie saisonale Influenza.

  • Im Rahmen einer ambulanten Weiterbehandlung ist die Bestimmung eines Differenzialblutbildes, bei Herkunft aus Hochprävalenzländern (nicht Syrien) auch eine serologische Untersuchung auf HIV und Hepatitis B empfohlen.

  • Bei der stationären Aufnahme in Kinderkliniken sollte ein Screening auf multiresistente Erreger durchgeführt werden, insbesondere wenn Hinweise auf einen früheren Krankenhausaufenthalt bestehen.

  • Unabdingbar, und derzeit vielerorts unzureichend, ist die Dokumentation und Weitergabe medizinischer Befunde an den Schnittstellen zwischen Erstaufnahmestelle sowie ambulanter und stationärer Versorgung.