Stärkung präventiver Potenziale in der Pflegeberatung

Gut 75 % der Pflegebedürftigen (2,59 Mio.; [1]) werden zu Hause versorgt. Bei ca. zwei Dritteln dieser Gruppe (1,77 Mio.) erfolgt die Pflege in der Regel durch die Angehörigen [1]. Vor allem an diese Menschen richten sich die Beratungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) mit – je nach Format – unterschiedlicher Zielrichtung und Intensität. Die Pflegeberatung birgt in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung ein hohes Potenzial für pflegebedürftige Menschen wie auch für deren AngehörigeFootnote 1, nachhaltig präventiv zu wirken. Vorliegende Erkenntnisse zur InanspruchnahmeFootnote 2 und Befragungen der Zielgruppen bestätigen dieses Potenzial grundsätzlich, bedürfen aber insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt präventiver Potenziale der Pflegeberatung vertiefter Untersuchung.

Ziel dieses Beitrages ist eine Aufarbeitung der Voraussetzungen für Prävention in der Pflegeberatung und für eine Stärkung der bestehenden Möglichkeiten für die Zielgruppen der pflegebedürftigen Personen und ihrer Angehörigen. Erste Möglichkeiten zur Weiterentwicklung dieses präventiven Potenzials werden aufgezeigt.

Dazu werden zunächst die bestehenden rechtlichen und strukturellen Ansatzpunkte präventiver Maßnahmen in der Pflegeberatung nach SGB XI für in der Häuslichkeit lebende Pflegebedürftige und deren Angehörige vergleichend systematisiert. Darauffolgend wird das zugrunde liegende Verständnis von Prävention und Gesundheitsförderung für die Pflegeberatung beispielhaft verdeutlicht. Die Themen der Pflegeberatung mit direktem und indirektem präventiven Bezug werden ebenso aufgezeigt wie der Erkenntnisstand zur Inanspruchnahme der Pflegeberatung als Ausgangspunkt für deren Weiterentwicklung unter präventiven Gesichtspunkten. Vorliegende Hinweise zum potenziellen Nutzerinteresse vervollständigen die Aufarbeitung des Status quo. Auf dieser Grundlage werden Ansätze und Optionen zur Weiterentwicklung der präventiven Ausrichtung der Pflegeberatung nach SGB XI aufgezeigt – für jedes der drei Beratungsformate und in ihrem Zusammenwirken. Zunächst ergeben sich daraus insbesondere Ansatzpunkte für die Zielgruppe der pflegenden Angehörigen.

Beratungsangebote gemäß SGB XI

Das SGB XI sieht verschiedene Beratungs- und Schulungsformate vor, die sich an pflegebedürftige Personen und/oder pflegende Angehörige richten: die Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 SGB XI, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI sowie die Pflegekurse/Schulungen nach § 45 SGB XI.

Beratungsbesuch nach § 37 Abs. 3 SGB XI

Personen, die ausschließlich Pflegegeld beziehen, sind nach § 37 Abs. 3 SGB XI verpflichtet, abhängig von ihrem Pflegegrad jedes Halb- bzw. Vierteljahr Beratungsbesuche in der Häuslichkeit abzurufen. Weitere im Gesetz definierte Leistungsempfänger können die Beratung in Anspruch nehmen. Sie dient der Sicherung der Qualität der häuslichen Pflege und der regelmäßigen Hilfestellung und praktischen pflegefachlichen Unterstützung der häuslich Pflegenden. Der pflegende Angehörige ist regelhaft einbezogen.

Für die pflegebedürftige Person weisen die Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 SGB XI keinen expliziten Bezug zur Prävention auf. Im Vordergrund steht neben der Bewertung der Pflege- und Versorgungssituation deren Stabilisierung und Verbesserung. Für die pflegenden Angehörigen sind Informationen und erste Lösungsschritte zur Verbesserung von Pflegetechniken und zur Vermeidung von Überlastung feste Bestandteile der Beratung [2].

Pflegeberatung nach § 7a SGB XI

Den sehr umfassenden Beratungsanspruch nach § 7a SGB XI haben Personen, die Leistungen nach dem SGB XI beziehen oder einen Antrag auf Leistungen gestellt haben und bei denen erkennbar ein Hilfe- und Beratungsbedarf besteht. Die Pflegeberatung erfolgt auf Wunsch auch gegenüber deren Angehörigen oder weiteren Personen oder unter deren Einbeziehung. Sie umfasst die Hilfestellung „bei der Auswahl und Inanspruchnahme von bundes- oder landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen sowie sonstigen Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege‑, Versorgungs- oder Betreuungsbedarf ausgerichtet sind.“ PflegeberaterFootnote 3 stellen den Hilfebedarf der pflegebedürftigen Person fest, erstellen gemeinsam mit ihr und ggf. den Angehörigen einen individuellen Versorgungsplan mit den erforderlichen Sozialleistungen und gesundheitsfördernden, präventiven, kurativen, rehabilitativen oder sonstigen medizinischen sowie pflegerischen und sozialen Hilfen. Sie wirken auf die Durchführung der Maßnahmen und die Genehmigung durch den jeweiligen Leistungsträger hin, überwachen den Versorgungsplan und passen ihn bei Bedarf an. Sie werten den Hilfeprozess aus und dokumentieren ihn. Weiterhin informieren sie über Leistungen zur Entlastung der pflegenden Angehörigen [3]. Auf Wunsch kann die Beratung in der häuslichen Umgebung oder in der Einrichtung, in der die pflegebedürftige Person lebt, erfolgen. Die Beratung richtet sich an den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes aus [4].

Die Beratung gemäß § 7a SGB XI beinhaltet ausdrücklich gesundheitsfördernde und präventive Hilfen für die Pflegebedürftigen sowie Entlastungsleistungen für pflegende Angehörige.

Pflegekurse nach § 45 SGB XI

Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen haben gemäß § 45 SGB XI Anspruch auf die Teilnahme an unentgeltlichen Schulungskursen. Die Kurse sollen Fertigkeiten für eine eigenständige Durchführung der Pflege vermitteln und finden auf Wunsch auch in der häuslichen Umgebung der pflegebedürftigen Person statt [5]. Im nicht eindeutigen Sprachgebrauch werden daher auch diese Schulungskurse als „Pflegeberatung“ bezeichnet.

Die Pflegekurse/Schulungen gemäß § 45 SGB XI weisen explizit präventiven Bezug auf. Sie sollen die Pflege und die Betreuung erleichtern und verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen mindern und ihrer Entstehung vorbeugen.

Alle Beratungsformate des SGB XI beinhalten in Ausrichtung, Struktur und Format somit präventive Elemente für pflegebedürftige Personen und deren pflegende Angehörige, auch wenn diese nicht Auslöser des Beratungswunsches waren oder expliziter Fokus des Gesprächs sind (Tab. 1).

Tab. 1 Übersicht Beratungsformate SGB XI

Prävention und Gesundheitsförderung

Das Verständnis von Prävention ist nicht immer einheitlich. Die Basis bildet in diesem Beitrag das Verständnis von Gesundheit als „Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren als auch äußeren Anforderungen gelingt. Gesundheit ist ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt“ [8]. Prävention nach diesem Grundverständnis fokussiert auf die Verhinderung und Abwendung von Gesundheitsschädigungen durch gefährdende Expositionen und personenbezogene Risiken. Dabei bezieht sie sowohl den Ansatz des Verhaltens als auch den der Verhältnisse mit ein. Die Verhaltensprävention fokussiert auf die Entwicklung und Stabilisierung von gesundheitsfördernden Verhaltensweisen sowie die Vermeidung bzw. Veränderung von gesundheitsgefährdendem Verhalten von Individuen. Dagegen verfolgt die Verhältnisprävention die Reduzierung bzw. Beseitigung von Umwelt- und Lebensbedingungen, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken [9].

Die Interventionen finden in drei verschiedenen Stadien statt: Die Primärprävention beinhaltet Maßnahmen vor dem Auftreten unerwünschter Folgen sowie die Vorbeugung und Früherkennung von Risikofaktoren. Mögliche Maßnahmen sind Aufklärung, Informationsweitergabe sowie Gesundheitskompetenztrainings. Die Sekundärprävention beinhaltet Maßnahmen der Krankheitsfrüherkennung und -eindämmung im Frühstadium einer Erkrankung mit dem Ziel, deren Fortschreiten zu vermeiden und die Dauer zu reduzieren. Beispiele dafür können Trainings, Ernährungsumstellungen sowie die Nutzung von Entlastungsmöglichkeiten sein. Die Tertiärprävention beinhaltet Maßnahmen, die darauf abzielen, die Funktionsfähigkeit und Lebensqualität nach bzw. bei einer Erkrankung weitestgehend wiederherzustellen. Die Schwere der Krankheit und ihre Auswirkungen sollen reduziert werden. Beispiele dafür sind rehabilitative Maßnahmen [9].

Die Gesundheitsförderung, die in diesem Kontext mitbetrachtet werden muss, verfolgt die Verbesserung der individuellen gesundheitsrelevanten Fähigkeiten der Lebensbewältigung und der Lebensbedingungen aller Bevölkerungsgruppen [9]. Der Prozess der Gesundheitsförderung soll Menschen befähigen, „… mehr Kontrolle über ihre Gesundheit zu erlangen und sie zu verbessern durch Beeinflussung der Determinanten für Gesundheit“. Die Determinanten beinhalten sozioökonomische Faktoren, umweltbedingte Verhältnisse, Lebensweisen und Lebensstile sowie Alter, Geschlecht und erbliche Faktoren [10, 11].

Prävention und Gesundheitsförderung folgen somit einer gemeinsamen Zielsetzung mit unterschiedlichen Wirkprinzipien und ergänzen sich gegenseitig. Im Rahmen der Pflegeberatung können beide zum Tragen kommen. Bei den Pflegebedürftigen wird vor allem die Tertiärprävention, zum Teil die Sekundärprävention greifen. Es gilt, bei bereits eingetretener Pflegebedürftigkeit, die eine Einschränkung der individuellen Selbstständigkeit und Fähigkeiten beinhaltet, weitere Verschlechterungen möglichst zu verhindern bzw. aufzuhalten. Bei pflegenden Angehörigen können dagegen alle Formen der Prävention greifen. In der frühen Pflegesituation kann z. B. durch Aufklärung und Information und gezielte vorbeugende Trainings erreicht werden, dass ein gesunder Zustand erhalten bleibt. Sind bereits leichte Beeinträchtigungen wie Rückenbeschwerden oder psychische Belastungen eingetreten, greift ggf. die sekundäre Prävention, die mit Aufklärung, gezielten körperlichen Trainings oder auch Maßnahmen zur psychischen Entlastung dazu beiträgt, die Symptome zu verringern oder zu beseitigen und die Anwendung von Bewältigungsstrategien nachhaltig zu erlernen. Bei bereits stärkeren körperlichen und/oder mentalen Erscheinungsformen könnten auch hier Maßnahmen der Tertiärprävention angezeigt sein, denkbar sind Maßnahmen der Rehabilitation.

Prävention in der Pflegeberatung

Beratungsthemen

Die drei Beratungsformate nach SGB XI beinhalten explizit präventive Elemente. Während für die Pflegebedürftigen der Erhalt der vorhandenen Selbstständigkeit und Fähigkeiten und damit die Vermeidung einer zunehmenden Pflegebedürftigkeit den Schwerpunkt bilden, steht für die pflegenden Angehörigen klar die körperliche und seelische Entlastung bzw. die Vorbeugung entsprechender Belastungssymptome im Vordergrund. Für pflegende Angehörige kann auch schon Pflegeberatung an sich präventive Wirkung haben. Sie können ihre Situation im Gespräch benennen, mit dem Berater gemeinsam reflektieren und sich weitere Informationen einholen. Allein das Gespräch und das Aussprechen schwieriger und belastender Faktoren können bereits entlastend wirken.

Darüber hinaus haben weitere Beratungsthemen zwar keinen explizit präventiven Fokus, können aber für beide Zielgruppen präventiv wirken (Tab. 2).

Tab. 2 Prävention in der Pflegeberatung

Inanspruchnahme

Die Inanspruchnahme der Beratungsangebote gibt Hinweise auf Möglichkeiten und Grenzen präventiver Maßnahmen. Inanspruchnahme- und Wiederkehrerquote geben Hinweise auf Zugang, Prozesscharakter und Nachhaltigkeitspotenzial. Ebenso ergibt sich aus der Analyse der Inanspruchnahme, welche Gruppen von Menschen erreicht werden (können), pflegebedürftige Personen bzw. deren Angehörige, Alters- und Geschlechtsstruktur. Form und Ort der Inanspruchnahme weisen auf Nutzerpräferenzen und Möglichkeiten der Intervention. Die Beratungsthemen weisen auf Bedarfe der Ratsuchenden.

Die Datenlage für die Inanspruchnahme der drei Formen der Pflegeberatung ist sehr unterschiedlich. Hier fehlt derzeit eine systematische Analyse auch unter dem Gesichtspunkt des Präventionspotenzials. Dennoch ergeben sich Anhaltspunkte für präventive Maßnahmen.

Die Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 SGB XI müssen von allen Pflegebedürftigen mit den Pflegegraden 2 bis 5, die ausschließlich Pflegegeld beziehen, abgerufen werden. Bei dieser Gruppe liegt somit die Inanspruchnahme bei 100 %. Pflegebedürftige mit einem Pflegegrad 1 und Pflegebedürftige, die von einem ambulanten Pflegedienst Pflegesachleistungen beziehen, können die Beratungsbesuche einmal pro Halbjahr in Anspruch nehmen.

Die Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen zur Inanspruchnahme der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI stammt aus den Jahren bis 2012, d. h. den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Beratungsanspruches [12]. Seitdem hat der Gesetzgeber mehrfach den Beratungsanspruch gestärkt. Mitte 2020 und danach alle 3 Jahre wird gemäß § 7a Abs. 9 SGB XI ein Bericht des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen zur Beratung gemäß § 7a, § 7b, § 7c SGB XI sowie der Beratungsstrukturen nach § 37 Absatz 3 bis 8 vorliegen. Bei derzeit verfügbaren aktuellen Daten ist keine direkte Vergleichbarkeit gegeben, da beispielsweise unterschiedliche Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Formen von Pflegeberatung erfolgen. Offensichtlich wird aber die Pflegeberatung gerne und häufig in der Häuslichkeit in Anspruch genommen. In der Mehrzahl der Fälle findet die Beratung der Pflegebedürftigen gemeinsam mit den Angehörigen statt. Auch werden seitens der Ratsuchenden weitgehend gute Rückmeldungen zum Ergebnis der Beratung gegeben [13, 14]. Dies sind grundsätzlich gute Voraussetzungen für präventive Maßnahmen in der Beratung.

Für die Schulungskurse und Anleitungen in der Häuslichkeit nach § 45 SGB XI liegt die Inanspruchnahme unter 10 % [13,14,15].

In der Beratungspraxis der „compass private pflegeberatung GmbH“ ergeben sich aus der InanspruchnahmeFootnote 4 zahlreiche Hinweise, dass und für welche Zielgruppen präventive Maßnahmen in der Pflegeberatung Wirkung entfalten können:

  • Der Beratungsbedarf ist hoch und das Angebot wird angenommen: Die Nachfrage steigt kontinuierlich an. Allein im Jahr 2018 gab es mehr als 270.000 Klientenkontakte.

  • Das Angebot der Beratung zu Hause wird regelhaft angenommen in Kombination mit telefonischer Beratung. Im Jahr 2018 erfolgte gut die Hälfte der Beratungen in der Häuslichkeit.

  • Viele Ratsuchende nehmen die Möglichkeit der Beratung mehrfach in Anspruch. Die Quote der Wiederkehrer liegt für die Beratungen nach § 7a SGB XI bei gut 40 %. Bei den obligatorischen Beratungsbesuchen nach § 37 Abs. 3 (Wahl des Anbieters steht den Versicherten frei) liegt die Wiederkehrerquote deutlich höher.

  • Die Ratsuchenden sind vorwiegend ältere Menschen. Kontinuierlich ist die Mehrzahl der Ratsuchenden älter als 70 Jahre. Im Jahr 2018 lag das Durchschnittsalter bei 77 Jahren.

  • Die Nachfrage verteilt sich ca. hälftig auf Frauen und Männer.

  • Die Beratung wird auch im Vorfeld der Pflegebedürftigkeit in Anspruch genommen. 20 % der Ratsuchenden nach § 7a SGB XI hatten 2017 zum Zeitpunkt der Beratung keinen Pflegegrad. 75 % hatten den Pflegegrad 2 bis 4.

  • Pflegende Angehörige nehmen die Beratung gemeinsam mit der pflegebedürftigen Person oder in eigener Sache wahr.

  • Themen rund um die Entlastung der Angehörigen stehen an erster Stelle der Inhalte für die Beratung nach § 7a SGB XI.

Interesse an präventiver Beratung

Welche Hoffnungen und Erwartungen bestehen seitens der pflegebedürftigen Personen und ihrer Angehörigen an präventiven Maßnahmen und an deren Berücksichtigung in der Pflegeberatung?

Eine repräsentative Befragung von Personen ab 40 Jahren durch „compass“ ergab im Jahr 2016 hohe Erwartungen an die Auswirkungen präventiver Maßnahmen zum Erhalt von Mobilität und Selbstständigkeit. Knapp die Hälfte der Befragten wünschte sich mehr Information zu Prävention von Pflegebedürftigkeit. Personen mit pflegerischer Erfahrung schätzten pflegerische Präventionsmaßnahmen als hilfreich ein (87 %). Die ihnen bekannten Maßnahmen richteten sich vorwiegend an die pflegebedürftigen Personen und nur teilweise direkt an die pflegenden Angehörigen [16].

Eine nichtrepräsentative Befragung pflegender Angehöriger [17] in der „compass“-Pflegeberatung zeigte, dass sich knapp 60 % der Befragten (Alter ab 44 Jahre; 60 % der Befragten älter als 70 Jahre) mehr Information zu Prävention/Gesundheitsförderung wünschten und mehr als 70 % forderten entlastende und damit verbunden präventive Angebote für pflegende Angehörige als Bestandteil des Beratungsgespräches.

Eine aktuelle Studie der BARMER GEK stellt fest, dass pflegende Angehörige, die sich stärker belastet fühlen oder einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen, eher bereit sind, sich zu informieren und Beratungsangebote stärker nutzen [18].

Diese Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass präventive Angebote in der Pflegeberatung grundsätzlich auf Interesse bei pflegebedürftigen Personen und deren Angehörigen stoßen und diese sich positive Effekte erhoffen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Nutzung eines solchen Angebots und dessen Wirkung.

Ansätze und Optionen zur Weiterentwicklung der präventiven Ausrichtung der Pflegeberatung

Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI

Der Beratungsbesuch nach § 37 Abs. 3 SGB XI nimmt den Pflegebedürftigen und den pflegenden Angehörigen mit der Pflegesituation in den Blick. Eine umfassende Beratung zu Einzelpunkten ist nicht vorgesehen und in diesem Beratungsformat nicht leistbar. Der inhaltliche Rahmen der Beratung ermöglicht aber den Hinweis auf weitere Entlastungsmöglichkeiten, wie z. B. Kurzzeitpflege. Hier können also Erschwernisfaktoren, die auf die Gesundheit der Pflegebedürftigen wie auch der pflegenden Angehörigen einwirken, festgestellt, aber nicht tiefergehend bearbeitet werden.

Für die Gruppe der reinen Pflegegeldempfänger ab Pflegegrad 2 und ihrer Angehörigen haben die Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 das Potenzial eines kontinuierlichen „Türöffners“ mit dem Charakter der Analyse, einer ersten Hilfestellung und dem Hinweis auf weitergehende Unterstützungsmöglichkeiten. Hier setzen auch die Empfehlungen zur Qualitätssicherung der Beratungsbesuche nach § 37 Absatz 3 SGB XI vom 29.05.2018 an, wo bei Bedarf eine Weitervermittlung in die Beratung gemäß § 7a wie auch in die Pflegekurse/Schulungen nach § 45 SGB XI vorgesehen sind [2].

Beratung nach § 7a SGB XI

Die Beratung nach § 7a SGB XI ist ein freiwillig zu nutzendes Angebot, das die gesamte Pflege- und Lebenssituation betrachtet. Aufbauend auf den Ergebnissen der Informationssammlung, die durch Assessments strukturiert werden kann, können individuelle Ziele vereinbart werden, die unter Nutzung vorhandener Ressourcen und abgestimmter Maßnahmen verfolgt werden. Der gesamte Prozess wird begleitet und abschließend evaluiert. Im umfassenden Fallmanagement kann ein Problemlösungsprozess gestaltet werden. Dieser beinhaltet eine Informationssammlung der Ressourcen und Probleme, eine Ziel- und Maßnahmenvereinbarung, die Durchführung von Maßnahmen und die Überprüfung ihrer Umsetzung und Wirksamkeit, die entsprechend nötigen Anpassungen und eine abschließende Evaluation. So kann im Beratungsprozess die individuelle Pflegesituation stabilisiert werden.

Die Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI hat somit für alle Menschen mit erkennbarem Pflegebedarf und deren Angehörige das Potenzial der systematischen Unterstützung und nachhaltigen Begleitung, auch präventiv. Es gibt Hinweise darauf, inwieweit und unter welchen Rahmenbedingungen dieses Potenzial tatsächlich greift. Der Zugang zur Beratung gemäß § 7a SGB XI wurde durch die gesetzlichen Vorgaben des Pflegestärkungsgesetzes II gestärkt. Allerdings liegen derzeit noch keine aktuellen vergleichbaren Daten zur Inanspruchnahme vor und auch keine Untersuchungen unter präventiven Gesichtspunkten, die allgemeingültige Schlussfolgerungen zulassen.

Pflegekurse/Schulungen nach § 45 SGB XI

Das Beratungsformat nach § 45 SGB XI ist ebenfalls ein freiwillig zu nutzendes Angebot, das sich explizit mit präventiver Ausrichtung an die pflegenden Angehörigen richtet. Durch Problemanalyse, gemeinsame Erarbeitung einer Zielsetzung und die darauf aufbauende Vermittlung von Fertigkeiten in der praktischen Pflege und das gleichzeitige Aufzeigen von Entlastungstechniken profitieren aber sowohl der Angehörige wie auch der Pflegebedürftige. Ein fachlich korrekter Transfer entlastet den Angehörigen und schützt den Pflegebedürftigen vor Folgeschäden. In der Häuslichkeit bieten die Schulungen individuell passgenaue Interventionen, im Kursformat mit anderen pflegenden Angehörigen bieten sie auch die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs.

Gründe für die bisher geringe Inanspruchnahme können in mangelnder Information liegen, in mangelndem Wissen der Angehörigen, an wen sie sich wenden können, wenn sie an einem Kurs teilnehmen wollen, oder an der ohnehin starken zeitlichen Belastung durch die Pflege und sonstige Verpflichtungen. Eventuell ist auch die Möglichkeit der individuellen Schulung in der Häuslichkeit unbekannt [13]. Gegebenenfalls können hier die Empfehlungen zur Qualitätssicherung der Beratungsbesuche nach § 37 Absatz 3 SGB XI vom 29.05.2018 mit der Weitervermittlung in die Pflegekurse/Schulungen nach § 45 SGB XI Wirkung zeigen [2].

Zusammenwirken der Beratungsangebote

Grundsätzlich bieten somit alle drei Beratungsformen – für sich betrachtet, vor allem aber auch in ihrem Zusammenspiel – für pflegebedürftige Personen und deren pflegende Angehörige sehr gute Zugangswege zu nachhaltigen Möglichkeiten der Prävention. Insbesondere die Beratungen nach § 37 Abs. 3 SGB XI und nach § 7a SGB XI bieten ein großes Potenzial, wenn sie stärker als bisher aufeinander abgestimmt und verzahnt würden. Die Schulungen nach § 45 SGB XI sind in diesem abgestimmten Verfahren eine präventive Maßnahme, die angeboten werden sollte, wo dies angezeigt ist. Die Möglichkeiten zur Abstimmung und Verzahnung hat der Gesetzgeber bereits geschaffen. In der Beratungslandschaft jedoch muss ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt werden. Die Berater aller drei Beratungsleistungen müssen die Inhalte der jeweils anderen Formate und die Überleitungsmöglichkeiten kennen, um so den Pflegebedürftigen wie auch den pflegenden Angehörigen die für sie optimalen Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten. Dies beinhaltet – wenn beide Beratungsformen nicht aus einer Hand erfolgen – auch die Kenntnis der Beratungslandschaft bzw. die Vernetzung mit anderen Leistungserbringern (Beratungsstellen, Pflegedienste, Pflegeberater, Pflegestützpunkte etc.) vor Ort. Hier sind eine gute Aufklärung und Schulung der Berater zu leisten, die über entsprechende fachliche und personale Kompetenzen verfügen und entsprechend fortgebildet sein müssen.

Für eine gezielte Weiterentwicklung der Beratungsformate unter präventiven Gesichtspunkten sind die Bedarfe und Möglichkeiten der Zielgruppen – Menschen mit erkennbarem Pflegebedarf, Pflegegeldempfänger und pflegende Angehörige – genauer zu analysieren. Dies betrifft die Beratungsinhalte gleichermaßen wie die Faktoren, die das Nutzerverhalten beeinflussen: Information, zeitlicher Rahmen, Format, Ort (aufsuchend in der Häuslichkeit oder anderes Format).

Die Qualifikation der Berater beinhaltet derzeit nicht explizit präventive Themen. Die derzeitigen präventiven Bestandteile der Pflegeberatungsformate werden auf Basis der Grundqualifikationen und bei der Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI der Weiterbildung zum Pflegeberater geleistet. Hier ist ggf. nachzusteuern je nach Ausgestaltung der weiteren präventiven Ausrichtung.

Präventive Beratung für pflegende Angehörige

Insbesondere für die pflegenden Angehörigen weisen alle Pflegeberatungsformate eine explizite präventive Orientierung auf. Im Vordergrund stehen die körperliche und seelische Entlastung bzw. die Vorbeugung entsprechender Belastungssymptome. Mit gutem Grund, denn in vielen Untersuchungen wird deutlich, dass pflegende Angehörige besonderen Belastungen ausgesetzt sind, die Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben. Der aktuelle BARMER-Pflegereport diskutiert diese Ergebnisse im Zusammenhang mit einer statistischen Auswertung und einer Versichertenbefragung. Starken Einfluss, ob die Pflege als belastend wahrgenommen wird, hat die Motivation für die Übernahme der Pflege. Zeitmangel stellt ein häufiges Problem dar, auch die fehlende Zeit, sich zu entspannen oder sportlich zu betätigen. Nach der Erhebung zum Ende des Jahres 2017 waren 48,7 % der Hauptpflegepersonen von psychischen Leiden betroffen mit deutlich zunehmender Tendenz. Insgesamt hat die Pflege stärkere Auswirkungen auf die psychischen als auf die körperlichen Leiden [18]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die psychischen Belastungen häufig auf verschiedenen Faktoren beruhen, die unter anderem in der Person des pflegenden Angehörigen selbst, im Familien- bzw. Beziehungssystem, den individuellen Umständen sowie der konkreten Pflegesituation begründet sein können.

Die stärkere Fokussierung auf die pflegenden Angehörigen ist deshalb zielführend bei der Weiterentwicklung der präventiven Ausrichtung aller drei Beratungsformate. Hier kann eine Präventionsberatung schon sehr früh greifen. Der Zugangsweg kann eine Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI sein, da dort häufig der erste Kontakt mit einem Berater stattfindet. Aber auch eine Beratung nach § 7a SGB XI oder eine Schulung nach § 45 SGB XI kann Zugang für weitere präventive Unterstützung bieten. Dem interessierten Angehörigen wird die Möglichkeit der Beratung nach § 7a SGB XI in eigener Sache erläutert und möglichst ein Ansprechpartner dafür genannt.

Für die tatsächliche Nutzung und Wirkung präventiver Angebote in der Pflegeberatung gilt allerdings, wie für die Pflegeberatung generell, dass die Angebote bekannt sein müssen, als tatsächlich hilfreich wahrgenommen werden und dass die „Kosten“, wie beispielweise der damit verbundene Zeitaufwand, angemessen sind [13]. Ebenso gilt, dass die Beratung endet, wenn therapeutische Hilfe notwendig ist. Der Berater kann dem pflegenden Angehörigen dann aber seine Lotsenfunktion anbieten und ihm die möglichen Hilfs- und Therapieangebote aufzeigen sowie konkrete Ansprechpartner nennen.

Resümee

Die Beratungsformate nach SGB XI beinhalten explizit und implizit Ansätze für die präventive Beratung pflegebedürftiger Menschen, die in der Häuslichkeit versorgt werden, und ihrer pflegenden Angehörigen. Dies gilt für jedes Beratungsformat an sich, jedoch insbesondere für deren Zusammenwirken, das im Gesetz und dessen Konkretisierung in Form von Richtlinien und Empfehlungen ausdrücklich angelegt ist, auch wenn die Zielgruppen der drei Beratungsformate nicht ganz deckungsgleich sind.

Es gibt Anhaltspunkte, dass und von welcher Zielgruppe eine Stärkung der präventiven Potenziale in der Pflegeberatung angenommen würde. Es gibt auch Anhaltspunkte für die strukturellen Voraussetzungen. Allerdings ist hier eine weitere systematische Analyse notwendig mit zwei Schwerpunkten: Zum einen ist die Datenlage zu den optimalen Bedingungen für die zielgruppengenaue Inanspruchnahme, insbesondere der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, derzeit nicht aktuell bzw. nicht vergleichbar. Zum anderen fehlt eine systematische Analyse unter dem Gesichtspunkt des Präventionspotenzials. Sind die Inhalte angemessen und ausreichend und welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass die Angebote als hilfreich wahrgenommen werden?

Greifen kann eine präventive Weiterentwicklung der Pflegeberatung sowohl für die Pflegebedürftigen wie auch für deren Angehörige. Insbesondere für pflegende Angehörige ist bereits heute eine explizit präventive Ausrichtung der Beratungsformate vorhanden mit dem Schwerpunkt der Vorbeugung und Minderung pflegebedingter körperlicher und seelischer Belastungen. Dies ist von Relevanz, weil diese Menschen besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind und oft noch keinerlei Unterstützung bekommen. Die Pflegeberatung eröffnet die Möglichkeit, diese Personengruppe frühzeitig mit präventiven Angeboten zu erreichen. Deshalb bietet die schon bestehende präventive Ausrichtung der Pflegeberatung für diese Zielgruppe besonders gute Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung. Vor allem die verpflichtenden regelmäßigen Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 SGB XI können ein sehr niedrigschwelliger Türöffner für weitere Beratungsangebote sein. Aber auch andere Zugangswege sind möglich. Die Beratung nach § 7a SGB XI bietet umfassende Analyse- und Unterstützungsmöglichkeiten – auch für pflegende Angehörige, unter der Voraussetzung, dass deren Rolle und Beratungsanspruch geschärft werden. Die Schulungen nach § 45 SGB XI sollten als konkrete Unterstützung gestärkt werden. Dabei ist entscheidend, dass die Zielgruppe über die Beratungsangebote wirklich informiert ist und weiß, wie sie sie in Anspruch nehmen kann.