Mangelernährung und ihre Bedeutung in der stationären Altenpflege

Ein in der stationären Altenpflege häufig vorkommendes Gesundheitsproblem ist die Mangelernährung – ein Problem, das zumindest in Deutschland nicht auf ein unzureichendes Nahrungsangebot zurückzuführen ist. In einer Recherche internationaler Literatur aus den Jahren 2008 bis 2014 fanden sich 21 Studien über Prävalenzen von Mangelernährung in Alten- und Pflegeheimen, nach denen von 3–48 % der BewohnerFootnote 1 eine Mangelernährung aufwiesen und bei 28–66 % konkrete Risiken für eine Mangelernährung festgestellt wurden [1]. In einer deutschen Studie waren 26 % der Bewohner wahrscheinlich von einer Mangelernährung betroffen, bei 28 % wurde ein konkretes Risiko festgestellt [2]. Ein Grund für die große Unterschiedlichkeit der Ergebnisse liegt u. a. darin, dass die Variablen trotz gleicher Begriffe nicht immer genau vergleichbar sind. Mangelernährung wird in den verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Instrumenten erfasst, auch die Populationen in Alten- und Pflegeheimen sind verschieden. Ein Vergleich von Prävalenzdaten zwischen den Niederlanden, Österreich und Deutschland zeigt, dass es bei gleichen Instrumenten in erster Linie die Charakteristika der Bewohner sind, die Prävalenzunterschiede erklären können [3].

Der Begriff Mangelernährung ist nicht einheitlich definiert, er unterscheidet sich vor allem in der Ausführlichkeit, mit der der Mangel charakterisiert wird. Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) definiert Mangelernährung folgendermaßen: „Anhaltendes Defizit an Energie und/oder Nährstoffen im Sinne einer negativen Bilanz zwischen Aufnahme und Bedarf mit Konsequenzen und Einbußen für Ernährungszustand, physiologische Funktionen und Gesundheitszustand“ [4]. Kernbestandteil ist also das anhaltende Defizit zwischen Aufnahme und Bedarf. Von Körpergewicht ist hier zunächst keine Rede, auch Übergewichtige können mit allen negativen Folgen mangelernährt sein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) empfiehlt mit Berufung auf internationale Definitionen drei alternative Kriterien für die Erfassung von gesundheitsbezogener Mangelernährung:

  • BMI (Body-Mass-Index = Körpergewicht in kg/(Körpergröße in m)2) < 18,5 kg/m2, ab 65 Jahren <20 kg/m2 oder

  • unbeabsichtigter Gewichtsverlust >10 % in den letzten 3–6 Monaten oder

  • BMI <20 kg/m2 und unbeabsichtigter Gewichtsverlust >5 % in den letzten 3–6 Monaten [5].

Die European Society of Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) nutzte 2015 ebenfalls die Kriterien BMI und Gewichtsverlust in einer etwas differenzierteren Weise zu einer einheitlichen europäischen Empfehlung [6].

Mangelernährung bei kranken und pflegebedürftigen Menschen kann gerade bei alten Menschen sehr gesundheitsschädigende, manchmal existenzbedrohende Auswirkungen haben. Bei der Entstehung der Mangelernährung ist ein vorherrschendes Problem die Appetitlosigkeit, die vielfältige Ursachen und Auslöser haben kann [7]. Pflegebedürftige alte Menschen sind meist multimorbide. Physiologische Veränderungen führen oft zu einem reduzierten Geschmacks- und Geruchssinn und wirken sich appetitmindernd aus. Meist erhalten Pflegebedürftige eine Reihe von Medikamenten, die ebenfalls appetitmindernd wirken können. Hinzu kommt möglicherweise eine eingeschränkte Kaufähigkeit durch einen mangelhaften Zahnstatus oder andere Symptome eingeschränkter Mundgesundheit wie Mundtrockenheit oder Entzündungen, die allesamt zu einer verminderten Nahrungsaufnahme führen können. Nicht übersehen werden dürfen Depressionen und kognitive Beeinträchtigungen, die die Nahrungsaufnahme behindern können. Viele Krankheiten können den Stoffwechsel beeinflussen und dadurch den Bedarf verändern. Ist der Bedarf längerfristig nicht gedeckt, wird der Immunstatus gesenkt. Dadurch haben Krankheiten geringere Heilungschancen oder drohen weitere negative Folgen nach sich zu ziehen. Volkert [7] spricht hier vom Teufelskreis der Mangelernährung (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Teufelskreis von Mangelernährung im Alter. (In Anlehnung an [7, S. 400])

Für die Versorgung in Altenheimen ist von besonderer Bedeutung, dass Menschen mit Demenz, die ca. 70 % der Bewohner in Altenheimen ausmachen [8], ein besonders hohes Risiko für Mangelernährung haben. Darüber hinaus verstärkt Gewichtsverlust kognitive Beeinträchtigungen [9]. Allerdings ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob eine verbesserte Ernährung den Verlauf einer Demenz positiv beeinflussen kann.

Für die Versorgung allgemein und die Pflege insbesondere ist es wegen der vielfältigen Risikofaktoren für eine Mangelernährung, von denen eigentlich alle Bewohner eines Altenheims einige haben, schwierig, hier die besondere Interventionsnotwendigkeit rechtzeitig zu erkennen. Mangelernährung entwickelt sich in der Regel schleichend und ist nicht gleich an auffälligen Verhaltensweisen der Betroffenen zu erkennen. Hinzu kommt, dass die Entstehung von Mangelernährung bei jedem Bewohner unterschiedliche Gründe haben und sich in unterschiedlicher Form zeigen kann.

Prävention von Mangelernährung muss so früh einsetzen, dass mögliche beginnende Symptome ohne weitere medizinische Therapien rückgängig gemacht werden können. Das heißt, dass die orale Nahrungsaufnahme als normale Alltagsaktivität so sichergestellt sein muss, dass eine Mangelernährung nicht eintritt.

Ernährung bzw. die Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme ist eine traditionelle Pflegeaufgabe, die allerdings in der Eingrenzung auf die physische Unterstützung beim Essen viel zu kurz greift. Zur Prävention von Mangelernährung in der Pflege wurde daher vom DNQP der Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ [10] entwickelt.

Exkurs: Prävention und Pflege

Da sich der folgende Beitrag mit Prävention als Aufgabe der Pflege befasst, sei hier zur Begriffsklärung eine Anmerkung zum Verständnis von Pflege, genauer dem professionellen Pflegehandeln eingefügt.

Im Zuge der Entwicklung der Sozialgesetzgebung und insbesondere der Sozialen Pflegeversicherung wurde die Forderung „Prävention vor Pflege“ hervorgehoben (SGB XI, § 5). Diese Gegenüberstellung von Prävention und Pflege suggeriert, dass es sich dabei um zwei völlig unterschiedliche Maßnahmen der gesundheitlichen Versorgung handelt, die neben verschiedenen Methoden unterschiedliche Ziele für die Betroffenen haben. Für Prävention, wenn auch nicht immer einheitlich definiert, lässt sich relativ einfach ein gemeinsames Fachverständnis herstellen, zumindest wurde dies im Präventionsgesetz versucht [11]. Bei der Pflege sieht es etwas anders aus, wie die nunmehr vergangene Fassung des SGB XI gezeigt hat. Wie vielfach kritisiert, reduzierte sich dort das Pflegeverständnis auf die je nach Bedarf unterschiedlich geartete Kompensation von ausgewählten „Verrichtungen“, wie ein Teil der Aktivitäten des täglichen Lebens bezeichnet wurde (SGB XI bis 2016, § 14). Fachlich ist dies nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was unter Pflege zu verstehen ist [12]. Auch wenn an anderen Stellen des SGB XI (§ 6) schon in der ersten Fassung auf „aktivierende Pflege“ hingewiesen wurde, wurde dies in der Praxis eher ignoriert. In allen Definitionen von Pflege, seien sie national oder international [13, 14], sind Kernbestandteile und Ziele professioneller Pflege die Unterstützung der Betroffenen bei dem Umgang mit Krankheit, die Förderung von Ressourcen, die Verhinderung negativer Krankheitsfolgen und die Förderung von Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit. Prävention, häufig Sekundär-, aber auch Primärprävention, sowie Gesundheitsförderung sind also ein wesentlicher Bestandteil pflegerischen Handelns. Schon im Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen von 2003 wurde gefordert, Prävention und Gesundheitsförderung als berufliche Aufgaben der Pflege in allen Versorgungsbereichen durch entsprechende Anreizsysteme zu fördern [15]. Kompensation als pflegerische Maßnahme sollte Gesundheitsförderung (z. B. Beratung) und (Sekundär‑, Tertiär‑)Prävention immer mit einschließen. Aus diesem Grund enthalten die Expertenstandards des DNQP immer präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen mit dem Ziel der Vermeidung von Gesundheitsschäden und der Förderung von Selbstpflegekompetenzen.

Methodik der DNQP-Expertenstandards in der Pflege

DNQP-Expertenstandards, von denen in den vergangenen 20 Jahren zehn zu spezifischen Pflegefragen entwickelt wurden, werden methodisch aufwendig forschungsbasiert unter Einbeziehung von Experten erarbeitet [16, 17]. Die DNQP-Expertenstandards stellen „ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau dar, das dem Bedarf und den Bedürfnissen der damit angesprochenen Bevölkerung angepasst ist“ [17, S. 29]. Sie geben also einen Rahmen vor, der mit Leitlinien, Behandlungs- oder Versorgungspfaden ergänzt werden kann. Adressaten der Expertenstandards sind qualifizierte Pflegefachpersonen in allen Arten von Versorgungseinrichtungen.

Strukturiert sind die Expertenstandards nach Struktur‑, Prozess- und Ergebniskriterien in – je nach Thema – fünf bis sechs Ebenen, die dem Pflegeprozess folgen, also Pflegediagnostik, Planung, Durchführung, spezielle Beratung und Evaluation. Alle Standardkriterien werden ausführlich kommentiert mit Empfehlungen für die verschiedenen Settings, also ambulante Pflege, stationäre Akut- und Langzeitpflege.

Die Entwicklung eines Standards erfolgt in sechs Schritten:

  1. 1.

    Ein Lenkungsausschuss bestehend aus Pflegewissenschaftlern und Verbandsvertretern entscheidet auf Basis pflegeepidemiologischer Literatur und der Praxisrelevanz über die Themen.

  2. 2.

    Eine Expertenarbeitsgruppe wird über eine öffentliche Ausschreibung zusammen mit einer wissenschaftlichen Leitung für den Standard einberufen.

  3. 3.

    Nach entsprechender Themenpräzisierung wird eine internationale Literaturanalyse mit üblichen Evidence-Kriterien zum Thema durchgeführt, ihre Ergebnisse werden in der Expertengruppe diskutiert und daraus wird ein Entwurf des Expertenstandards formuliert.

  4. 4.

    Die Fachöffentlichkeit wird zu einer Konsensuskonferenz eingeladen. Zur Fachöffentlichkeit gehören hier auch Vertreter von nichtpflegerischen Organisationen, bei Ernährungsfragen z. B. die DGEM und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Kern dieser Veranstaltung ist eine strukturierte Erörterung eines jeden Standardkriteriums. Auch nach der Konferenz können Stellungnahmen der Fachöffentlichkeit angenommen werden. Anhand dieser und des protokollierten Fachdiskurses erarbeitet die Expertengruppe eine endgültige Formulierung.

  5. 5.

    Zur DNQP-Methodik gehört auch die modellhafte Implementierung des neuen Standards in geeigneten Einrichtungen der Akutversorgung, Langzeitpflege und ambulanten Pflege. Die Implementierung erfolgt in mehreren Schritten, die hier nicht weiter ausgeführt werden. Wichtig ist allerdings, dass das Ergebnis der Einführung über ein Audit unter Einbeziehung von Patienten/Bewohnern und Pflegenden sowie schriftlichen Dokumenten evaluiert wird.

Der Standard selbst besteht schließlich aus einer Präambel mit einigen allgemeineren Erläuterungen, den tabellarisch aufgeführten Standardkriterien und einer ausführlichen Kommentierung eines jeden Kriteriums. Die Veröffentlichung zum Standard enthält zusätzlich die Literaturanalyse und die Auditergebnisse.

Ziele des Expertenstandards Ernährungsmanagement

Vorwegzunehmen ist, dass der Expertenstandard Ernährungsmanagement sich nur mit einem Teil der Prävention von Mangelernährung befasst, allerdings dem wichtigsten: der oralen Nahrungsaufnahme. Enterale oder parenterale Ernährung werden thematisch lediglich angeschnitten, wenn die orale Nahrungsaufnahme an ihre Grenzen stößt. Zudem bezieht sich der Standard nur auf die Ernährung von Erwachsenen.

In dem Gesamtziel des Standards wird davon ausgegangen, dass bei der Sicherstellung der oralen Nahrungsaufnahme einer Mangelernährung entgegengewirkt werden kann. Formuliert ist als Ziel: „Bei jedem Patienten/Bewohner mit pflegerischem Unterstützungsbedarf ist die orale Nahrungsaufnahme entsprechend seinen Bedürfnissen und seinem Bedarf gesichert und es wird einer drohenden oder bestehenden Mangelernährung entgegengewirkt“ [10, S. 21]. Genau genommen sind also zwei Ziele formuliert, wobei mit Erreichen des ersten Ziels das zweite ebenfalls erreicht ist.

Das erste Ziel stellt im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit in der Versorgung kranker Menschen dar, insbesondere, wenn es sich um eine stationäre Versorgung handelt. Wie oben bereits angesprochen, hat eigentlich jeder Pflegebedürftige, wenn auch in unterschiedlichem Maße, ein gewisses Risiko für eine Mangelernährung, sodass dem Thema der Nahrungsaufnahme in der Pflege generell besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Prävention und kompensierende Unterstützung sind, wie ebenfalls oben ausgeführt, nicht zu trennen.

Als ethische Grundlage wird auch in diesem Expertenstandard festgehalten, dass die Bedürfnisse der Bewohner/Patienten Vorrang vor dem festgestellten Bedarf haben. Zwang oder Gewalt sind unakzeptabel. Hier das richtige Verhältnis zwischen Bedürfnis und Bedarf herzustellen, ist eine große Herausforderung für alle, die mit der Ernährung alter Menschen befasst sind.

Pflegediagnostik der Ernährungssituation

Ähnlich wie in den Leitlinien zum Thema wird im Expertenstandard eine strukturierte Erfassung der individuellen Risiken für eine unzureichende Nahrungsaufnahme als Screening vorgeschlagen. Dazu gehört mindestens eine der drei Variablen: a) eine auffällig geringe Nahrungsaufnahme, b) ein erhöhter Energie- oder Nährstoffbedarf, z. B. bei einer akuten Erkrankung, Fieber oder demenzbegleitender Hyperaktivität, c) das Gewicht oder der BMI (kg/m2). Der BMI sollte allerdings bei alten Menschen sehr vorsichtig verwendet werden, weil er falsche Sicherheit vorspiegeln kann, wenn Übergewichtige von Mangelernährung betroffen sind. Wesentlich aussagekräftiger sind Gewichtsverläufe. Dieses Screening sollte Teil der allgemeinen Pflegeanamnese sein.

Als Screeninginstrument wird häufig das Mini Nutritional Assessment (MNA) für die stationäre Altenpflege empfohlen, das ursprünglich von einem großen Nahrungsmittelkonzern entwickelt und inzwischen vielfach getestet und untersucht wurde [18]. Meist wird es in seiner Kurzform MNA Short Form (MNA-SF) genutzt [19]. Es besteht aus sechs Items: Reduzierung der Nahrungsaufnahme in den letzten 3 Monaten, Gewichtsverlust, Ausmaß der Mobilität, akute Krankheit oder psychischer Stress, Ausmaß von Demenz, BMI (oder Wadenumfang, falls BMI nicht möglich). Für den Fall, dass das Ergebnis ein nach Punktzahl definiertes Risiko für Mangelernährung anzeigt, wird ein vertiefter, zweiter Teil empfohlen, der Genaueres zu Inhalten und Häufigkeit der Nahrungsaufnahme erfasst. Dieser zweite Teil präzisiert das MNA-SF, enthält aber kaum Angaben, die hilfreich für weitere Maßnahmen sein können [20].

Sollte sich bei dem Screening herausstellen, dass ein besonderes Risiko für eine unzureichende Nahrungsaufnahme besteht, dann sollte dies genauer untersucht werden. Als erster Schritt sind genaue Beobachtungen erforderlich, so ist zu empfehlen, mithilfe von einfachen Essprotokollen Verzehrmengen zu erfassen. Sollte sich der Verdacht auf eine zu geringe Nahrungsaufnahme damit bestätigen, muss eine genaue Suche nach den Gründen erfolgen, denn nur mit deren Kenntnis können angemessene Maßnahmen ergriffen werden.

Bei einer Suche nach den Gründen ist immer einzubeziehen, dass Essen nicht nur aus physiologischen Gründen lebensnotwendig ist, sondern eine in allen Kulturen bedeutsame Lebensaktivität mit unterschiedlichen Sitten und sozialen Gebräuchen, individuellen Vorlieben und Abneigungen. Daher sind nicht nur die gesundheitsbezogenen Variablen, wie sie in dem „Teufelskreis“ beschrieben wurden, in eine Suche einzubeziehen, sondern auch psychische und soziale. In dem Expertenstandard wurde eine Strukturierung der Gründe in fünf Gruppen vorgenommen: körperliche oder kognitive Beeinträchtigungen, fehlende Lust und Ablehnung bestimmter Speisen, Umgebungsfaktoren, Angebot der Speisen und Getränke, Gründe für einen erhöhten Bedarf. Als Leitfaden für die Suche nach den Gründen wurde für die stationäre Langzeitpflege das Instrument „Pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen (PEMU)“ entwickelt [21]. Leider ist dieses Instrument kaum wissenschaftlich untersucht [22], auch wenn es sich in der Praxis gut bewährt zu haben scheint.

Der Pflegediagnostik kommt ein besonderer Stellenwert zu, weil beim Pflegethema Ernährung das Risikobewusstsein der Pflegenden relativ gering ist [23]. Relativierend muss aber festgehalten werden, dass qualifizierte Pflegende in der stationären Altenpflege deutlich mehr Kenntnisse zum Thema haben als ihre Kollegen im Krankenhaus. Darüber hinaus ist bei Bewohnern im Altenheim das Risiko für eine unzureichende Nahrungsaufnahme relativ hoch, weil einer deutschen Studie zufolge über 70 % Unterstützung beim Essen und Trinken benötigen und mindestens 50 % – zumindest in dieser Studie – eine Demenz haben [2].

Maßnahmen zur Verbesserung des Ernährungszustands

Die nach einem vertieften Assessment zu ergreifenden Maßnahmen müssen sich nach den Assessmentergebnissen richten, die häufig zunächst nur als Hypothesen genutzt werden können. Dazu kommt, dass das Ernährungsmanagement keine monodisziplinäre Aufgabe ist, sondern daran immer eine Reihe von Professionen beteiligt ist. Den Pflegenden nicht nur im Altenheim kommt hier eine Sonderrolle zu, weil sie wegen ihrer Nähe zu den Bewohnern – oder Patienten – als Erste die Risiken erkennen können. Viele Maßnahmen erfordern die Hinzuziehung von Ärzten, möglicherweise Diätassistenten oder anderen Ernährungsexperten sowie von Hauswirtschaft und Küche. Besteht beispielsweise der Verdacht, dass Medikamente Appetitmangel hervorrufen [24], muss der behandelnde Arzt hinzugezogen werden. Ist es wahrscheinlich der Tischnachbar, dessen Verhalten beim Essen irritiert, dann sind die Pflegenden gefordert. Besteht eine Angst, das Essen nicht vertragen zu können, ist Beratung evtl. durch Küchenmitarbeiter, Hauswirtschaft oder Pflegende gefragt.

Eine Ernährungsplanung sollte möglichst immer gemeinsam mit dem Bewohner, im Idealfall mit einem Angehörigen, durchgeführt werden. Ein kurzer Draht zur Küche und der Hauswirtschaft sollte immer gegeben sein. Um die Speisen auch bei besonderem Bedarf oder speziellen Bedürfnissen möglichst zeitnah her- und bereitstellen zu können, empfiehlt der Expertenstandard eine multiprofessionell geltende Verfahrensregelung, in der einrichtungsspezifisch festgelegt ist, wer wann für welchen Arbeitsschritt zuständig ist. Die Pflegenden müssen sich auf diese Verfahrensregelung berufen können, damit die Bedürfnisse der Bewohner entsprechend berücksichtigt werden. Mit dem in vielen Altenheimen üblichen Cateringsystem muss die interprofessionelle Kommunikation ebenso sichergestellt werden.

Als Voraussetzung für eine bedürfnis- und bedarfsgerechte Ernährung in einem Altenheim wird ein Konzept zur Ernährungsversorgung erwartet, wie es z. B. von der DGE beschrieben wird [25].

Schnittstellen Mundgesundheit und Demenz

Als Schnittstellen werden in dem Expertenstandard die Themen bezeichnet, die darin zwar nicht differenzierter ausgeführt werden, weil sie eigene umfangreiche Pflegethemen darstellen, aber unbedingt in das pflegerische Denken und Handeln aufgenommen werden müssen. Hierzu gehören vor allem die Mundgesundheit und kognitive Veränderungen bei Demenz.

In der Pflege werden leider Kaufähigkeit und Zahngesundheit bei den Bewohnern oft übersehen. Während noch vor wenigen Jahren Zahnarztbesuche in Altenheimen seltene Ausnahmen darstellten, gibt es inzwischen deutliche Veränderungen, denn vonseiten der Zahnärzte wurden in den vergangenen Jahren neue Versorgungsstrategien entwickelt [26]. Pflegende sollten jedoch systematisch die Zahngesundheit und -funktionsfähigkeit erfassen und beurteilen, wann ein Zahnarzt hinzugezogen werden sollte [27].

Ähnlich verhält es sich mit Schluckstörungen, die relativ häufig im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen auftreten [28] und ebenfalls von Pflegenden nach bestimmten Kriterien erkannt werden sollten [29]. Auch wenn die Mundgesundheit üblicherweise wenig im Fokus des Pflegealltags steht, kann sie einfach durch die Thematisierung schnell an Sichtbarkeit gewinnen [30]. Jedenfalls müssen derartige Risiken differenziert untersucht und die Ernährung entsprechend angepasst werden.

Das Thema Demenz stellt bei der genannten hohen Prävalenz in Altenheimen ein allgemein umfassendes und anspruchsvolles Thema dar, das seit Jahren Gegenstand vieler Untersuchungen und Empfehlungen ist. Das Risiko für Mangelernährung ist, wie bereits beschrieben, bei Menschen mit Demenz besonders hoch [9], sei es, dass der Bedarf an Nahrung durch Hyperaktivität gesteigert ist, sei es, dass kognitive Veränderungen dazu führen, dass die Betroffenen nicht mit Speisen umzugehen wissen oder ihren Sinn nicht begreifen. Sedierende Medikamente können den Appetit mindern, Dysphagie kann sich entwickeln, Aspirationspneumonie daraus entstehen. Die Fähigkeiten vermindern sich allgemein, sodass es früher oder später zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme kommen wird. Hier ergeben sich besondere Herausforderungen für die Pflege von Menschen mit Demenz, deren Grundlage generell eine empathische Beziehungsgestaltung sein sollte [31].

Rahmenbedingungen beim Essen

Weil Essen und Trinken besondere Bestandteile einer jeden Kultur sind, spielen Rahmenbedingungen für eine fördernde Umgebungsgestaltung eine wichtige Rolle. Forschungsergebnisse dazu sind allerdings häufig nicht eindeutig, zeigen aber Tendenzen auf [1]. Nach Ergebnissen eines systematischen Reviews kann gut geschultes Personal die Ernährungssituation positiv beeinflussen [32]. Dasselbe Review zeigt eine bedeutsame Beeinflussung der Lebensqualität durch eine familienähnliche Gestaltung von Mahlzeiten (Family Style) an einem schön gedeckten Tisch mit Schüsseln zur Selbstbedienung. Ob eine Gewichtserhöhung dadurch erreicht werden kann, ist nicht erwiesen, aber die Lebensqualität wird verbessert. Wesentlich ist, dass immer ausreichend Personal während der Mahlzeiten anwesend ist, nicht unbedingt, um die Nahrungsaufnahme physisch zu unterstützen, sondern um sie durch Anregung und Anleitung zu fördern und um die Essensfähigkeiten der Bewohner zu beobachten. Hierfür werden „geschützte Essenszeiten“ (Protected Mealtimes) empfohlen, in denen keine weiteren pflegerischen oder sonstigen Maßnahmen durchgeführt werden sollten und alles vorhandene Personal für die Unterstützung während der Mahlzeiten eingesetzt werden kann.

Grenzen der oralen Nahrungsaufnahme

Bewohner in einem Altenheim verleben in der Regel dort ihre letzte Lebensphase. Präventive Pflege und Versorgung haben ihre Grenzen vor allem dort, wo sie ein friedliches Sterben behindern oder wo sie das Befinden negativ beeinflussen. In der letzten Lebensphase kann die Nahrungsaufnahme zur Qual werden, weshalb es noch notwendiger wird, die individuellen Bedürfnisse vor den möglicherweise ernährungsphysiologisch festgestellten Bedarf zu stellen. Für die Pflegenden ergeben sich ethisch äußerst herausfordernde Situationen, wenn ein Bewohner sich weigert, Nahrung aufzunehmen, sich aber dazu nicht verständlich äußern kann. Diese Situationen erfordern größte Einfühlsamkeit, die Fähigkeit, die Situation aus Sicht der betroffenen Person einschätzen zu können und entsprechend feinfühlig zu handeln. Vor einer Entscheidung zu künstlicher Ernährung ist zu bedenken, dass es bisher keinen Nachweis gibt, dass eine Sondenernährung für Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz von gesundheitlichem Nutzen ist [33]. Aus diesem Grunde findet sich in der Leitlinie der europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) zur Ernährung bei Menschen mit Demenz lediglich die Empfehlung gegen die Anwendung künstlicher Ernährung in der Terminalphase [9]. Für Angehörige ist das manchmal schwer nachzuvollziehen, wenn sie sich mit einer Entscheidung für oder gegen eine Magensonde (PEG) auseinandersetzen müssen. Hier kann eine Entscheidungshilfe mit Leitfragen zur Reflexion hilfreich sein [34].

Dennoch kann es bei entsprechender medizinischer Indikation und einer klaren Terminierung für die spätere Absetzung der enteralen oder parenteralen Ernährung sinnvoll sein, diese zur Prävention einer Mangelernährung zu verordnen, wenn die orale Ernährung nicht ausreicht. Dies gilt insbesondere in akuten Krankheitsphasen.

Die Erleichterung der Pflegearbeit sollte keinesfalls das Ziel einer Verordnung von künstlicher Ernährung sein. Fallbesprechungen mit allen an der Versorgung Beteiligten unter Einbeziehung des Betroffenen und der Angehörigen, sofern irgend möglich, sollten einer Entscheidung vorausgehen.

Personalausstattung und professionelle Pflege

Trotz aller Leitlinien und Standards, die Empfehlungen zur Vorbeugung von Mangelernährung geben, stellt diese nach wie vor ein großes Problem gerade bei alten Menschen und insbesondere bei Pflegebedürftigen dar. Die pflegerische Sicherung der oralen Nahrungsaufnahme, wie sie im DNQP-Expertenstandard beschrieben ist, ist ein elementarer Bestandteil der Prävention. Die schleichende Entwicklung, die Vielfältigkeit der angedeuteten Risikofaktoren und die nötige Geduld, diese zu finden und zu beheben, sind sicher Gründe für die Vernachlässigung dieser Aufgaben in der Pflege. Weitere Gründe liegen in der Versorgungssituation in der stationären Altenpflege, die mit einem hohen Anteil an Hilfskräften und einer allgemein unzureichenden Personalausstattung den hohen Anforderungen nicht gerecht werden kann. Studien weisen auf unzulängliche Kenntnisse der Pflegenden als Barrieren für eine ausreichende Prävention von Mangelernährung hin, aber auch ein mangelndes Bewusstsein für das Thema Ernährung in der Altenpflege ist verbreitet [1].

Eine erste gesundheitsökonomische Evaluation der Einführung des Standards wurde in elf Einrichtungen eines Trägers in Süddeutschland durchgeführt [35]. Dabei wurden zwar relativ hohe Kosten, insbesondere im Pflegedienst, festgestellt, dafür aber auch signifikante positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner. Der Zuwachs an Risiken von Mangelernährung mit zunehmendem Alter konnte reduziert werden, ist aber wohl nicht gänzlich zu vermeiden. Die Versorgungsqualität allgemein wurde als verbessert bewertet. Da ein Expertenstandard ein äußerst komplexes Programm darstellt, lässt sich seine Effektivität nur in mehreren und miteinander verbundenen Studien genauer untersuchen.

Prävention von Mangelernährung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege stellen einen wichtigen Teil einer personenbezogenen Pflege pflegebedürftiger alter Menschen dar. Das „Ernährungsmanagement“, wie es so sachlich und fern der Betroffenen heißt, kann im Sinne von Bewohnern nur gelingen, wenn es als untrennbarer Teil einer empathischen Pflege angesehen wird. Am deutlichsten zeigt sich das bei Menschen mit Demenz. Ohne eine personenzentrierte Haltung, die Grundlage einer jeden Beziehungsgestaltung sein muss, kann Pflege weder vorsorgend noch fürsorglich wirken.

Allerdings ist vor der Annahme zu warnen, Empathie alleine würde zur Prävention einer Mangelernährung ausreichen. Es ist äußert problematisch, wenn die Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme vorrangig Hilfskräften überlassen bleibt. Risiken müssen fachlich beurteilt werden, bevor Unterstützung delegiert werden kann. Dieses Thema wurde in den vergangenen Jahren in der Altenpflege generell stark vernachlässigt. Eine Erhöhung der Mitarbeiterzahl, ohne dass die Qualifikation dabei beachtet wird, hilft wenig.