Nicht symptomatische – primäre – Kopfschmerzen sind in allen Altersgruppen weit häufiger als sekundäre Kopfschmerzen, die Folge einer Grunderkrankung sind. Ihre Relevanz für den Betroffenen aber auch das Gesundheitssystem insgesamt wird unterschätzt. Das vorliegende Heft soll deshalb die verschiedenen Formen von primären Kopfschmerzen, ihre Häufigkeit, ihre Relevanz für die Betroffenen und die therapeutischen Möglichkeiten beschreiben.

Die Erfassung der Prävalenz und Inzidenz von Kopfschmerzen erfordert eindeutige, standardisierte Falldefinitionen, die für Erhebungen in allgemein verständlichen Fragen operationalisiert werden müssen. Die ICHD bietet ein solches Instrumentarium, das nicht nur in der epidemiologischen Forschung, sondern auch bei der Klassifikation der Kopfschmerzen in der Patientenversorgung eingesetzt wird. Der Teufel liegt jedoch im Detail, wie in dem Beitrag zur Prävalenz und Inzidenz von Kopfschmerzen in Deutschland von K. Berger erläutert wird. Gemessen an der Häufigkeit von Kopfschmerzen in der Bevölkerung besteht ein Mangel an methodisch hochwertigen Studien.

Genetische Risikofaktoren sind vor allem für die Migräne untersucht worden, wobei für einige seltene Formen monogenetische Ursachen identifiziert wurden, während für die häufigen Migräneformen polygenetische Ursachen angenommen werden. Die dabei gefundenen Assoziationen erklären aber nur einen Bruchteil des Gesamtrisikos. Diese und präliminäre Befunde zur Genetik anderer Kopfschmerzformen (z. B. Clusterkopfschmerz) werden in dem Beitrag von T. Freilinger dargestellt.

Besonderheiten von Kopfschmerzen im Kindesalter betreffen die Schwierigkeit der Differenzierung verschiedener Kopfschmerztypen in diesem Alter, die häufige Chronifizierung insbesondere von Migräne und die Assoziation mit anderen Schmerzsymptomen sowie mit psychischen Auffälligkeiten. Familiäre Konflikte, andere Stressoren sowie auch eine Neigung zur Katastrophisierung und Angstsensitivierung spielen dabei eine hervorgehobene Rolle. Dies und Möglichkeiten der Prävention/Therapie durch psychosoziale Interventionen werden in dem Beitrag von B. Kröner-Herwig dargestellt.

Wie auch andere chronische Erkrankungen weisen primäre Kopfschmerzen im Laufe des Lebenszyklus Veränderungen auf. So ist die Bevorzugung des weiblichen Geschlechts für die Migräne erst nach der Pubertät zu beobachten. Generell nimmt die Prävalenz primärer Kopfschmerzen mit dem Alter ab, dieses gilt insbesondere für die Migräne, während sekundäre Kopfschmerzen häufiger werden, wie der Beitrag von S. Förderreuther zeigt.

Die WHO listet Migräne weltweit unter die 10 Erkrankungen mit den gravierendsten Auswirkungen auf die Lebensqualität und Funktionalität der Betroffenen, wobei auch gilt: Krank ist man nicht, krank fühlt man sich. Diese Aussage gilt in besonderem Maße für chronische Schmerzerkrankungen, die per Definition kaum objektiv messbar sind und auch immer vor dem Hintergrund einer biopsychosozialen Wechselwirkung zu sehen sind. Deshalb ist im Kontext von Schmerzerkrankungen ihr Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen von entscheidender Bedeutung. Die Relevanz unterschiedlicher Kopfschmerzformen für die Lebensqualität wird im Beitrag von G. Haag dargestellt.

Wie alle chronischen Erkrankungen können auch Kopfschmerzen, abhängig von der Frequenz ihres Auftretens, zu erheblichen sozioökonomischen Kosten führen. Welche individuellen, aber auch gesellschaftlichen Kosten Kopfschmerzerkrankungen hervorrufen, wird in dem Beitrag von S. Evers diskutiert. Dabei zeigt sich eine klare Korrelation der Kosten mit dem Schweregrad der Erkrankung, und die indirekten Kosten sind ein Mehrfaches höher als die direkten. Besonders schwer wiegt dabei, dass eine leitliniengerechte Therapie möglich ist, aber bedingt durch das Fehlen entsprechend geschulter Therapeuten eine Unterversorgung Realität ist.

Wenn man über Prävention von primären Kopfschmerzen spricht, so muss man sich vorher vergewissern, welche Risikofaktoren wesentlich sind und einen Beitrag zur Chronifizierung der Kopfschmerzen leisten. L. Albers et al. zeigen, basierend auf einer systematischen Literaturrecherche, dass die wichtigsten Faktoren dabei Stress und Nacken- und Schulterschmerzen sind. Koffein- und Nikotingebrauch sind dagegen von untergeordneter Bedeutung.

Während akute Krankheiten entweder durch „Mutter Natur“ oder durch ärztliche Interventionen geheilt werden können, ist es das Wesen der chronischen Erkrankung, dass diese eben nicht eine Episode bleibt und das Vertrauen in die heilenden Hände des Arztes nicht ausreicht. Entscheidend ist hierbei, dass die Patienten Kompetenzen erwerben, selbst mit der Erkrankung umzugehen. Neben der Psychoedukation werden aber insbesondere auch die Vermittlung von Entspannungsverfahren und der Einsatz der Sporttherapie erfolgreich eingesetzt. Die Möglichkeiten und Effektivität dieser Ansätze bei der Kopfschmerzbehandlung ist der Inhalt des Beitrags von C. Gaul.

Episodischer Spannungskopfschmerz ist sehr häufig und in der Regel einfach medikamentös oder nichtmedikamentös zu behandeln. Beim seltenen chronischen Spannungskopfschmerz sind insbesondere die differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber sekundären Kopfschmerzen sowie die Prophylaxe eine besondere Herausforderung, wie in dem Beitrag von A. Straube illustriert wird. Es gilt wie für andere chronische Schmerzsyndrome, dass die multimodale Therapie einer reinen pharmakologischen Therapie überlegen ist.

Migräne gehört zu den häufigsten und die Lebensqualität sowie die Produktivität am gravierendsten einschränkenden Kopfschmerzformen. Die Möglichkeiten einer Akuttherapie und prophylaktischen Therapie werden in dem Beitrag von S. Schriever et al. diskutiert.

Unter dem Oberbegriff „trigemino-autonome Kopfschmerzen“ (TAKs) fasst man eine Gruppe von primären Kopfschmerzen zusammen, bei denen es während der Kopfschmerzattacke, die Sekunden bis zu Stunden anhalten kann, zu ipsilateralen autonomen Zeichen im Gesichtsbereich kommt. Typisch sind dabei – neben den heftigen, meist einseitigen orbital betonten Schmerzen – Tränen, Augenrötung, Rhinorrhö, Kongestion der Nase, Schwitzen und Hautrötung. Pathophysiologisch finden sich bei einigen dieser Erkrankungen Hinweise auf die Beteiligung des Hypothalamus. T. Jürgens beschreibt die klinischen Abgrenzungen und die möglichen Therapien.

Die gesellschaftliche Bedeutung primärer Kopfschmerzen wird erheblich unterschätzt. Die genetischen Ursachen sind nur für einige Subentitäten bekannt. Kopfschmerzprävention ist möglich, wird aber viel zu wenig berücksichtigt. Eine Differenzialdiagnostik und gezielte Therapie können in vielen, aber leider nicht in allen Fällen zu deutlicher Linderung der Kopfschmerzen und parallel zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Hinsichtlich der Versorgungsstrukturen besteht für die Umsetzung leitliniengerechter Behandlung der primären Kopfschmerzen Handlungsbedarf. Bei konsequentem Ausbau der Versorgungsstrukturen ist auch langfristig mit einer signifikanten Reduktion der Gesundheitskosten der Volkskrankheit Kopfschmerz zu rechnen.

Ihr

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Prof. Dr. Rüdiger von Kries

Ihr

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Prof. Andreas Straube

FormalPara Interessenkonflikt

R. von Kries und A. Straube geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.