Zusammenfassung
Zielsetzung
Migrations- und kultursensitive Analyse der von Personen mit Migrationshintergrund erlebten Hindernisse bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen.
Methode
Querschnittstudie mit Migranten aus der Türkei (n = 77), Spanien (n = 67), Italien (n = 95) sowie Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion (n = 196; Gesamtrücklauf: 13,7%), die über Migrations- und Suchtdienste des Deutschen Caritasverbandes, der Arbeiterwohlfahrt und Migrantenselbstorganisationen gewonnen wurden.
Ergebnisse
Migranten mit spanischem und italienischem Hintergrund suchen häufiger Unterstützung in der Familie und im sozialen Umfeld. Personen mit russischem Hintergrund vertrauen mehr auf selbst umzusetzende Maßnahmen (Hausmittel) und geben wie Personen mit türkischem Hintergrund sprachliche Probleme als wichtiges Hindernis für eine gezielte Inanspruchnahme an. Wichtigstes Hindernis bei Türken ist die Einschätzung, Fachkräfte wüssten zu wenig über die türkische Kultur. Außerdem hatten die subjektive Einschätzung der Deutschkenntnisse und das subjektive Wohlbefinden in Deutschland einen Einfluss auf die Ausprägung der erlebten Hindernisse.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse sind ein wichtiger Hinweis, dass kultur- und sprachsensitive Maßnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung von Personen mit Migrationshintergrund leisten können.
Abstract
Aim
Analysis of barriers regarding attendance at the health care system under consideration of cultural and migration-related factors.
Method
Cross-sectional survey with immigrants from Turkey (n = 77), Spain (n = 67), Italy (n = 95) and German resettlers from the former Soviet Union (n = 196), recruited on migration and addiction services of the German Caritasverband, the Arbeiterwohlfahrt and migrant organizations.
Results
Spanish and Italian immigrants mainly search for help within their families and social environment. Immigrants from the former Soviet Union use home remedies and experience more linguistic difficulties as barriers for the use of health services, just like Turkish immigrants. Turkish immigrants reported feeling misunderstood regarding their cultural peculiarities by the expert staff as another main barrier. Other major influencing factors were German language proficiency and the subjective wellbeing in Germany.
Conclusion
The consideration of cultural-related as well as linguistic factors in health care services is an essential contribution for improving health care of immigrants.
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Danksagung
Diese Arbeit entstand im Rahmen des Projekts „Primärprävention alkoholbezogener Störungen bei älteren Migrantinnen und Migranten – Entwicklung und Evaluation eines transkulturellen Präventionskonzeptes“, das als Teilprojekt im Programm der Bundesregierung „Gesundheitsforschung: Forschung für den Menschen“ innerhalb der Fördermaßnahme „Präventionsforschung zur Gesundheitsförderung und Primärprävention von älteren Menschen“ durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; FKZ 01 EL 0712) gefördert wurde. Wir bedanken uns bei Frau Dipl. Psych. I. Maier, Frau Dr. D. Ruf und Herrn Dr. H. Pessentheiner (Freiburg), Frau R. Walter-Hamann, Frau A. Serio und Herrn S. Herceg vom Deutschen Caritasverband, bei Frau H. Boss und Herrn W. Barth vom AWO Bundesverband, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Bereichen Suchthilfe und Integration/Migration sowie der Migrantenselbstorganisationen, die diese Studie aktiv unterstützt haben.
Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Bermejo, I., Hölzel, L., Kriston, L. et al. Subjektiv erlebte Barrieren von Personen mit Migrationshintergrund bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen. Bundesgesundheitsbl. 55, 944–953 (2012). https://doi.org/10.1007/s00103-012-1511-6
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