Der Wunsch nach einem langen, gesunden Leben ist im letzten Jahrhundert für die Mehrheit der Menschen in den entwickelten Ländern Wirklichkeit geworden. Die eigenen Kinder nicht in den ersten Lebensjahren zu verlieren, sondern gesund aufwachsen zu sehen, aus der Mitte des Lebens nicht durch vermeidbare Krankheiten und Unfälle gerissen zu werden, ein erfülltes gesundes Leben nach Beendigung der Erwerbstätigkeit zu führen sowie Familie und Freunde bis in höchste Lebensalter begleiten zu können ist alltäglich geworden. Der vorliegende Beitrag beschreibt Trends in der Sterblichkeit in Europa, den USA und Japan und diskutiert Ursachen sowie mögliche zukünftige Entwicklungen. Neben einem kurzen Exkurs über das Phänomen der höheren Lebenserwartung von Frauen, werden Befunde zu Trends in der Gesundheit präsentiert sowie die Frage aufgeworfen, inwieweit die zusätzlichen Lebensjahre in Gesundheit oder Krankheit verbracht werden.

Kontinuierliche Zugewinne an Lebensjahren in den letzten 160 Jahren

Das 20. Jahrhundert zeichnet sich durch die systematische Reduktion der Sterblichkeit aus. Lag die Lebenserwartung zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt noch bei 45 Jahren, so lag sie für japanische Frauen im Jahr 2009 bei 86,5 Jahren. In den letzten 160 Jahren stieg die Rekordlebenserwartung, die höchste Lebenserwartung in einem Land zu einer gegebenen Zeit, jährlich um drei Monate pro Jahr [1, 2]. Dies gilt auch für jene industrialisierten Länder, die selbst zu keinem Zeitpunkt die Rekordlebenserwartung aufwiesen [3].

Kennzeichnend für den Anstieg der Lebenserwartung ist das Hinausschieben des durchschnittlichen Sterbealters in ein immer höheres Lebensalter. Damit einher geht ein Wandel im Todesursachenspektrum. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren der Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie die Erfolge bei der Bekämpfung von Infektionserkrankungen für die enormen Zugewinne an Lebensjahren ausschlaggebend. Seit den 1970er-Jahren werden die zusätzlichen Lebensjahre vor allem im Alter 60 und darüber hinzugewonnen. Im Zeitraum von 1850 bis 1900 gingen etwa 62% des Anstiegs der Rekordlebenserwartung bei Geburt auf die Reduktion der Sterblichkeit im Alter von null bis 14 zurück, in den Jahren 1990 bis 2007 waren es nur mehr 6%. Im Vergleich dazu trug die Reduktion der Sterblichkeit unter den Hochaltrigen (80+) im Zeitraum von 1850 bis 1900 nur zu 0,87% zum Anstieg der Lebenserwartung bei, im Zeitraum 1975 bis 1990 lag dieser Anteil bereits bei 17% und im Zeitraum 1990 bis 2007 bei 42%. Seit 1990 entfallen insgesamt 79% des Anstieges der Lebenserwartung auf die Altersgruppen 65 und älter [2]. Chronisch degenerative Erkrankungen lösten Infektionskrankheiten als Haupttodesursache ab. Dabei ist in den letzten Jahrzehnten ein Rückgang der Sterblichkeit in allen großen Todesursachengruppen (mit Ausnahme von Lungenkrebs unter Frauen) auszumachen [4, 5].

Phasen der Konvergenz und Divergenz in der Sterblichkeit

Die Entwicklung der Lebenserwartung steht im engen Zusammenhang mit sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen, dem medizinisch-technologischen Fortschritt, aber auch mit Veränderungen im Lebensstil (Tabakkonsum, Ernährung und sportliche Betätigung). Die europäischen Länder unterscheiden sich hinsichtlich dieser Einflussfaktoren, sodass es in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Phasen der Divergenz und Konvergenz gekommen ist [6, 7, 8, 9].

In den letzten 200 Jahren gab es in den einzelnen industrialisierten Ländern zwei, möglicherweise auch drei Divergenz-Konvergenz-Phasen. Mitte des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts fand nach Omran der erste epidemiologische Übergang statt [10]. Die Säkularisierung der Gesellschaft und die industrielle Revolution führten in dieser Zeit zu neuen hygienischen Standards in allen Bereichen des Lebens, zu einer Verbesserung der Ernährung und der Ausweitung der Bildung in weiten Teilen der Bevölkerung. Das Resultat war vor allem die Reduktion von Infektionserkrankungen. In den Anfangsjahren des ersten epidemiologischen Überganges kam es zwischen den einzelnen Ländern zu einer enormen Divergenz der Lebenserwartung, die davon abhing, wie schnell gesellschaftliche Veränderungen eintraten und in einen Gewinn an Lebensjahren umgesetzt werden konnten. Die nord- und westeuropäischen Länder lagen dabei weit voraus. Erst allmählich holten die süd- und osteuropäischen Länder und zuletzt Japan auf, was bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer Phase der rapiden Konvergenz führte [6].

Mit dem Rückgang der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurde ab Mitte der 1960er-Jahre die zweite Phase der Sterblichkeitsentwicklung eingeleitet. Vorreiter dieser Entwicklung waren die Länder der westlichen Welt, in denen neben medizinisch-technischen Innovationen vor allem individuelle Veränderungen einer Reihe von Verhaltensfaktoren und des Lebensstils zu großen Gewinnen an Lebensjahren führten. Die früheren kommunistischen Länder konnten diesem Prozess nicht folgen, und erst mit den politischen Umbrüchen ab Ende der 1990er-Jahre reduzierte sich auch in diesen Ländern die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und es trat eine neue Phase der europaweiten Konvergenz der Sterblichkeit ein [6, 8].

Das Phänomen stagnierender beziehungsweise rückläufiger Lebenserwartung in den kommunistischen Ländern Osteuropas und der früheren Sowjetunion in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts ist unter dem Begriff der „Ost-West Sterblichkeitsdivergenz“ in der Literatur dokumentiert [11]. Die Ursachen für das Auseinanderdriften der Sterblichkeit in Ost- und Westeuropa sind mannigfaltig: Als Hauptfaktoren werden das, aufgrund genereller ökonomischer Probleme, unterfinanzierte Gesundheitssystem und der fehlende medizinisch-technologische Fortschritt in den osteuropäischen Staaten angesehen. Dieser negative Effekt wurde durch einen gesellschaftlich ungleichen Zugang zum Gesundheitssystem verstärkt [12]. Dazu kam ein unverändert problematisches Gesundheitsverhalten im Hinblick auf Tabakkonsum, Ernährung und sportliche Betätigung [13]. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems und die politischen Reformen in den 1990er-Jahren führten zu einer kurzen Periode der individuellen Unsicherheit, im Zusammenhang mit einer Verschlechterung des Gesundheitswesens sowie der politischen, sozialen und ökonomischen Destabilisierung der Gesellschaft [11, 14], die sich in einer Stagnation beziehungsweise einem Anstieg der Sterblichkeit widerspiegelt. Erst die politische Stabilisierung im Laufe der 1990er-Jahre führte zu einer neuen Konvergenz in der europäischen Sterblichkeitsentwicklung [6].

Eine dritte Phase wird in der Auseinanderentwicklung der Sterblichkeit von Frauen in Ländern wie Japan und Frankreich auf der einen Seite und den Niederlanden, Dänemark und den USA auf der anderen Seite gesehen. In den Niederlanden und Dänemark verlangsamt beziehungsweise stagniert in den letzten Jahren die Zunahme an Lebensjahren aufgrund einer vergleichsweise geringen Reduktion der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dies wird häufig auf den vermehrten Tabakkonsum, vor allem unter Frauen, zurückgeführt [4, 15]. Japan und Frankreich hingegen, zwei Länder mit besonders hoher Lebenserwartung, verzeichnen weiterhin eine starke Zunahme an Lebensjahren, vor allem unter den Hochaltrigen (80+).

Die Abb. 1 zeigt die Entwicklung der Lebenserwartung bei Geburt für Männer und Frauen im Zeitraum von 1960 bis 2009 für ausgewählte Länder Europas sowie für die USA und Japan.

Abb. 1
figure 1

Lebenserwartung bei Geburt in ausgewählten Ländern Europas, den USA und Japan, 1960 bis 2009. [[16]: für Deutschland (einschließlich der ehemaligen DDR) und Rumänien (1960 bis 2009), Spanien und Ungarn (2007 bis 2009), Frankreich und die Schweiz (2008 und 2009); [17]: Tschechische Republik, Dänemark, die Niederlande und Schweden (2009)]

Für Männer findet sich eine starke Konvergenz in allen westlichen Ländern. Dabei weisen die Männer aus der Schweiz die höchste Lebenserwartung in Westeuropa und dänische Männer die niedrigste auf.

Trotz der Konvergenz Ost- und Westeuropas seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es nach wie vor große Unterschiede in der Lebenserwartung der Männer. Das niedrigste Niveau findet sich generell in den osteuropäischen Ländern. Aber auch in der Gruppe der früheren kommunistischen Länder lassen sich seit den 1990er-Jahren Entwicklungsunterschiede erkennen. Länder wie Tschechien, Polen und Bulgarien weisen einen stark positiven Trend auf. Im Gegensatz dazu ist es den Baltischen Staaten zwar gelungen, den Einbruch bei der Lebenserwartung Mitte der 1990er-Jahre zu überwinden, im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten findet jedoch kein nennenswerter Aufholprozess statt. So gleicht das Niveau der Lebenserwartung hier in etwa jenem Mitte der 1980er-Jahre vor der politischen Wende.

Die Lebenserwartung von Frauen zeigt in allen Ländern über den gesamten Zeitraum einen positiven Trend. In Westeuropa haben Frauen in Frankreich die höchste Lebenserwartung, gefolgt von Spanien. Frauen in Dänemark, Deutschland und den Niederlanden weisen die niedrigste Lebenserwartung auf, diese befindet sich aber auf einem immer noch höheren Niveau als in Tschechien, dem Land mit der höchsten Lebenserwartung in Osteuropa. Die Lebenserwartung in Deutschland lag zwischen 1960 und 1990 am unteren Rande des Spektrums der westeuropäischen Länder, was sich durch die niedrigen Werte in der DDR erklärt. Mit dem Aufholprozess in den ostdeutschen Bundesländern entspricht die Lebenserwartung in den letzten Jahren dem westeuropäischen Durchschnitt.

Die Abb. 2 zeigt die Entwicklung der Restlebenserwartung im Alter von 80 Jahren. Seit Mitte der 1980er-Jahre findet sich eine wachsende Divergenz in Westeuropa, vor allem unter Frauen, die auf eine unterschiedliche Geschwindigkeit der Sterblichkeitsreduktion im hohen Alter zurückzuführen ist. Ländern wie Japan und Frankreich, die sich durch einen ungebrochen starken Anstieg der Lebenserwartung im Alter von 80 Jahren auszeichnen, stehen dabei Länder wie die USA, die Niederlande und Dänemark gegenüber, in denen sich geringe Zugewinne beziehungsweise eine Stagnation finden [2, 13, 18, 19]. Die positive Entwicklung in den beiden ersten Ländern resultiert aus allen Todesursachen, vor allem jedoch aus einer stark reduzierten Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis in die höchsten Altersgruppen hinein [13, 18]. Als Hauptursachen für die Stagnation der Lebenserwartung in Dänemark und den Niederlanden gelten die relativ geringeren Verbesserungen bei der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie der Anstieg von Todesursachen im Zusammenhang mit mentaler Gesundheit, darunter auch Demenz [15]. Eine höhere Prävalenz von negativen Lebensstilfaktoren, wie zum Beispiel Tabakkonsum, werden als Erklärungen diskutiert [4, 20]. Hinzu kommt eine weniger positive Entwicklung mit Blick auf sportliche Betätigungen, Blutdruck, Ernährung und den Zugang zu medizinischer Versorgung im Vergleich zu den restlichen Ländern Westeuropas [4]. Interessant ist ein Vergleich mit den Trends in Deutschland: So zeigt sich, dass er unter hochaltrigen Frauen und Männern eher dem ungünstigeren Verlauf der Niederlande und Dänemarks folgt.

Abb. 2
figure 2

Verbleibende Lebenserwartung im Alter von 80 Jahren in ausgewählten Ländern Europas, den USA und Japan, 1960 bis 2009 (Deutschland: 1990 bis 2008). [[16]: Frankreich und die Schweiz (2008 und 2009), [17]: Dänemark und die Niederlande (2009)]

Die zukünftige Entwicklung der Lebenserwartung

Der kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung lässt die Frage aufkommen, ob es eine biologisch limitierte Lebensspanne gibt und ob sich die gegenwärtige Lebenserwartung bereits in der Nähe dieses Limits bewegt. Diese Frage wird in der Forschung intensiv diskutiert. Der Annahme aus dem Jahre 1980 von Fries [21], dass die maximale durchschnittliche Lebenserwartung im Alter von 85 Jahren erreicht wird (ein Limit das übrigens von japanischen Frauen im Jahre 2007 überschritten wurde), steht das Argument gegenüber, dass es keine biologische Grenze gibt, beziehungsweise dass diese Grenze in einem weitaus höheren Alter liegt. Damit wäre zukünftig auch ein weiterer Rückgang der Sterblichkeit im hohen Alter möglich. Dafür spricht, dass sich die Verteilung des durchschnittlichen Sterbealters weder auf einen kleinen Altersbereich konzentriert, noch verlangsamt sich das Absinken der Sterberaten über die Zeit. Während die steigende Prävalenz von Übergewicht und Adipositas und damit verbundene Erkrankungen wie Diabetes oft als mögliche Hindernisse für eine weitere Sterblichkeitsreduktion genannt werden, weisen andere Forscher auf die positiven Effekte des rückläufigen Tabakkonsums hin. Wird angenommen, dass sich die Sterblichkeit in der Altersgruppe von über 50 Jahren im selben Ausmaß wie in den letzten Jahrzehnten reduziert, so werden in Deutschland 50% der im Jahre 2007 geborenen Kinder das 102. Lebensjahr, in Japan das 107. Lebensjahr erreichen [2].

Unterschiede in der Sterblichkeit von Männern und Frauen

Ein bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den einzelnen Ländern gleichbleibendes Merkmal ist, dass die Lebenserwartung von Frauen seit Mitte des 18. Jahrhunderts über der der Männer liegt [22]. Bis zur Mitte der 1970er-Jahre vergrößerte sich dieser Vorsprung kontinuierlich [23]. Erst in den letzten Jahrzehnten zeigt sich in den meisten Ländern eine zunehmende Konvergenz in der Lebenserwartung der Geschlechter. Ursache ist der vergleichsweise stärkere Anstieg der Lebenserwartung der Männer.

In der Literatur wird eine Reihe von Ursachen für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede diskutiert. Die Erklärungen betreffen biologische Aspekte, unterschiedliche Lebensstilmuster bis hin zu Unterschieden in der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung. Viele werden detailliert in [24] besprochen und im Folgenden zusammengefasst.

Ein wichtiger Aspekt sind biologische, das heißt hormonelle, immunologische und genetische Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Diese reduzieren vor allem das Sterberisiko von Frauen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Hervorgehoben werden auch der positive Einfluss von Östrogen auf die Serumlipidwerte und der protektive Effekt auf die Gehirnzellen. Zudem werden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunkompetenz diskutiert, das heißt, Männer sind anfälliger für Infektionskrankheiten und parasitäre Erkrankungen. Möglicherweise hat auch das zweite X-Chromosom kompensatorische Effekte, die mit einem höheren Potenzial für Langlebigkeit in Verbindung stehen sollen [24].

Neben den biologischen Ursachen spielen vor allem Unterschiede im gesundheitsrelevanten Verhalten von Männern und Frauen eine wichtige Rolle. Allgemein gilt, dass Männer ein risikoreicheres Verhalten beim Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum aufweisen, was sich in einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen und Leberzirrhose äußert. Auch ist bei ihnen die Rate an tödlichen Unfällen höher. Tabakkonsum nimmt zur Erklärung der Unterschiede eine Sonderstellung an. So zeigt eine Reihe von Studien, dass der Sterblichkeitsunterschied eng mit dem kohortenspezifischen Muster des Tabakkonsums von Frauen und Männern zusammenhängt [25, 26, 27].

Übergewicht und Adipositas sind ein weiterer wichtiger Faktor. Weltweit haben zwar Männer mit 23,8 kg/m2 einen niedrigeren altersstandardisierten mittleren Body-Mass-Index (BMI) als Frauen (24,1 kg/m2), in Ländern mit hohem Einkommen dreht sich das Verhältnis jedoch um. Dies gilt auch für Adipositas. Seit 1980 verdoppelte sich der Anteil an adipösen Männern auf 9,8% und bei Frauen auf 13,8% [28]. Der Zusammenhang zwischen BMI und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist jedoch für Frauen nicht unbedingt zwingend gegeben. So zeigt sich, dass für Frauen das Verhältnis vom Hüft- zum Taillenumfang aussagekräftiger ist. Im mittleren Alter hat ein hoher Hüftumfang einen protektiven Effekt und lässt den Einfluss des BMI insignifikant werden. Fettablagerungen um die Hüfte wirken sich positiv auf die metabolische Gesundheit von Frauen aus und reduzieren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen [29]. Auf Männer trifft dies nicht zu [30], und für beide Geschlechter gilt, dass abdominale Fettablagerungen einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben. Auch hier wird davon ausgegangen, dass für die geschlechtsspezifischen BMI-Unterschiede biologische Faktoren (genetischer und hormoneller Hintergrund) ausschlaggebend sind. Es gibt aber auch eine Reihe beeinflussender verhaltensspezifischer Aspekte. Frauen ernähren sich tendenziell gesünder, konsumieren mehr fettarme Nahrung, weniger Fleisch und mehr Früchte und Gemüse [31]. Andererseits sind sie physisch weniger aktiv und treiben weniger Sport als Männer [32].

Lange wurde davon ausgegangen, dass geschlechtsspezifische Normen und Erwartungen dazu führen, dass Erkrankungen von Männern und Frauen unterschiedlich dargestellt und wahrgenommen werden. Eine Reihe von Studien zeigt, dass dies bei akuten und lebensbedrohenden Erkrankungen kaum der Fall ist, sehr wohl jedoch bei nicht-fatalen Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel bei Schlafproblemen. Männer und Frauen unterscheiden sich deutlich in der Nutzung von Vorsorgeprogrammen: Frauen gehen signifikant häufiger zum Arzt und nehmen häufiger an Vorsorgeuntersuchungen teil. Keine Unterschiede gibt es hingegen in der durchschnittlichen Zahl an Krankenhauseinweisungen, sodass Männer Arztkonsultationen bis zu einem späteren Erkrankungsstadium hinauszuschieben scheinen [33].

Es wird davon ausgegangen, dass sich die Lebenserwartung von Männern und Frauen zukünftig annähern wird, da sich die sozioökonomischen Lebensumstände und Lebensstile zwischen den Geschlechtern angleichen [34] (wie in der Vergangenheit bereits beim Rauchverhalten [35]). Es gibt aber auch gegenläufige Prognosen, die annehmen, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Sterblichkeit in den entwickelten Ländern bis zum Jahre 2020 zunehmen werden [36].

Trends in der Gesundheit

Befunde zu Trends in der Gesundheit sind widersprüchlich. Dies hängt damit zusammen, dass Gesundheit ein multidimensionales Konzept ist und Trends nicht an einem Indikator festgemacht werden können. Bei [37] wird Gesundheit als Stufenmodell definiert, in dem mit zunehmendem Alter eine Verschlechterung der Gesundheit in unterschiedlichen Dimensionen stattfindet. Ausgehend von einem beschwerdefreien, gesunden Zustand, entwickeln sich Erkrankungen und Symptome, die zumeist mittels Indikatoren der Morbidität gemessen werden. Danach folgen funktionelle Beeinträchtigungen, oft im Bereich der Mobilität, die mit der Zeit zu einer Behinderung in den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) oder den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) führen.

Angaben zu den Sterberaten und zur Lebenserwartung beruhen auf den Daten der amtlichen Statistik und zeichnen sich für alle entwickelten Länder durch eine hohe Qualität aus. Informationen zu Krankheiten und Gesundheit der Bevölkerung werden hingegen zumeist in Surveys erhoben, beruhen auf der subjektiven Selbsteinschätzung der Befragten beziehungsweise nutzen ärztliche Diagnosedaten. Surveydaten erschweren die Analyse von Trends, da Studiendesigns uneinheitlich sind, der Anteil an fehlenden Antworten (Nonresponse) variiert und der Wortlaut von Gesundheitsfragen über die Zeit häufig geändert wird. Zudem fehlt in den meisten Studien die institutionalisierte Bevölkerung. Objektive medizinische Diagnosedaten bilden – sofern sie nicht auf Patientendaten von praktischen Ärzten oder Kliniken beschränkt sind – die gesamte Bevölkerung ab, jedoch gibt es auch hier über die Zeit Veränderungen in der Diagnose- und Behandlungspraxis. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten findet sich in der internationalen Literatur ein genereller Konsens darüber, dass die Morbiditätsprävalenz zugenommen hat und in den letzten Jahrzehnten funktionelle Beeinträchtigungen sowie ADL-/IADL-Behinderungen rückläufig sind [2]. Für Deutschland geben Saß et al. [38] einen Überblick im Rahmen der Gesundheitsberichtserstattung. Die Ergebnisse von [2] lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Morbidität in der Bevölkerung nimmt zu. Der Anstieg in der Prävalenz von Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Rückenproblemen mag jedoch teilweise auf eine verbesserte medizinische Aufklärung und Kontrolle in der älteren Bevölkerung zurückzuführen sein, ohne dass die Erkrankungszahlen zugenommen haben. Typ-II-Diabetes, eine Reihe von bösartigen Neubildungen, aber auch Bluthochdruck werden heute früher diagnostiziert und effizienter behandelt. Der Anstieg in der Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist auch das Resultat unterschiedlicher Trends in der Erkrankungsinzidenz und Sterblichkeit. Dabei fällt der Rückgang der Sterblichkeit stärker aus als der der Inzidenz. Uneinheitlich sind die Befunde zur mentalen Gesundheit, darunter zur Demenz. Während Studien für die 1990er-Jahre in den USA eine Reduktion von kognitiven Beeinträchtigungen finden, zeigen Daten für Schweden und Japan eine steigende Prävalenz. Methodische Studieneffekte, die zunehmende gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die dem Thema Demenzen gewidmet wird, und eine sich damit verändernde Diagnosepraxis der Ärzte, aber auch verbessertes medizinisches Wissen führen dazu, dass für viele Bevölkerungen keine aussagekräftigen Zeitreihen zur Verfügung stehen und oft nicht einmal Aussagen über die aktuellen Prävalenz- und Inzidenzfälle gemacht werden können [39].

Positive Trends finden sich bei den funktionellen Beeinträchtigungen. Viele Mobilitätsbeeinträchtigungen beim Bücken, Knien, Stehen, Gehen, Treppensteigen, aber auch Beeinträchtigungen des Seh- und Hörvermögens nehmen über die Zeit ab. Es ist offen, inwieweit die vermehrte Verwendung technischer Hilfsmittel sowie eine verbesserte und altersgerechte Ausstattung von Häusern und Wohnungen zu diesen Trends beitragen. Unbestritten ist, dass der medizinische Fortschritt in der Behandlung von Katarakten und grauem Star zu einer Verbesserung des Sehvermögens im Alter beigetragen hat [40].

Eine insgesamt positive Entwicklung hat auch bei den ADL-Behinderungen (Behinderungen beim Baden, Waschen, Toilettengang, Kontinenz, Zubettgehen/Aufstehen und Essen) stattgefunden. Dies gilt ebenso für IADL-Behinderungen, die eine Reihe von Tätigkeiten inner- und außerhalb des Haushaltes betreffen (wie Telefonieren, Einkaufen, Mahlzeitenzubereitung, Haushaltsarbeiten, Wäsche waschen, Transport, Medikamenteneinnahme und den Umgang mit finanziellen Angelegenheiten). Auf Basis des sozioökonomischen Panels zeigen Ziegler und Doblhammer [41] für Deutschland ein über die Kohorten abnehmendes Risiko für den Eintritt eines Pflegebedarfs auf Grund von ADL-Behinderungen. Dieser Befund wird gestützt durch eine Studie von Hoffmann und Nachtmann [42] mit den Daten der gesetzlichen Pflegeversicherung für die Jahre 1999 bis 2005. Die Autorinnen finden einen rückläufigen Trend in der Prävalenz des Pflegebedarfs, jedoch nur bis zu einem Alter von etwa 85 Jahren. Diese Einschränkung beim Altersspektrum besteht auch in den übrigen Studien. Bislang ist über die Gesundheitstrends im Alter von über 85 Jahren nur wenig bekannt, was daran liegt, dass diese Altersgruppen in den Surveys unterrepräsentiert sind.

Trends zu Prävalenzen und Inzidenzen geben keine Auskunft darüber, ob der Anstieg der Lebenserwartung mit einer Kompression von Erkrankungen, Einschränkungen und Behinderungen in die letzten Lebensjahre einhergeht, ob es zu einer Expansion beeinträchtigter Lebensjahre kommt oder ob der Anteil an kranken Lebensjahren an der Gesamtlebensspanne gleich bleibt. Der Indikator „Health Expectancy“ (Lebensjahre in Gesundheit) verbindet Daten zur Lebenserwartung mit der Prävalenz schlechter Gesundheit. Je nach verwendetem Indikator finden sich unterschiedliche Trends. Allgemein gilt jedoch, dass die Zahl an gesunden Lebensjahren in absoluten Werten genauso angestiegen ist wie die Zahl an Jahren mit Morbidität. Die Zahl an Lebensjahren mit schweren ADL-Behinderungen ist rückläufig, während die mit leichter ADL-Behinderung ansteigt [2]. Die Schaffung international vergleichbarer (harmonisierter) „Health Expectancies“ wird in Europa durch die „European Health Expectancy Monitoring Unit“ (EHEMU) angestrebt. Sie hat zu diesem Zweck den Indikator „Healthy Life Years“ (HLY) entwickelt. Dieser beruht auf der Frage „Sind Sie durch physische oder psychische Erkrankungen oder Behinderungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens beeinträchtigt?“. Die Antwortmöglichkeiten „ja, teilweise“ und „ja, sehr stark“ werden dabei als moderate und schwere Beeinträchtigung kodiert. Datengrundlage sind das „European Community Household Panel“ (ECHP) für die Jahre 1995 bis 2001 und der „Survey on Income and Living Conditions“ (SILC) für die Jahre 2004 bis 2007. Die Unterschiede in den HLY sind zwischen den einzelnen europäischen Ländern beträchtlich. Zudem findet sich weder eine Korrelation zwischen den Lebensjahren in Gesundheit und der Gesamtlebenserwartung noch eine zwischen dem Trend in der Lebenserwartung und dem bei der HLY [43]. Gründe dafür sind länderspezifische Surveydesigns, der Ausschluss der institutionalisierten Bevölkerung aus den Studien, differierende Formulierungen der Gesundheitsfrage in den einzelnen Ländern und über die Zeit. Hinzu kommen kulturelle Unterschiede bei der Beantwortung von Fragen zur Gesundheit und Beeinträchtigung. Länderunterschiede im HLY-Niveau können daher nicht interpretiert werden, jedoch lassen sich die Zeittrends für die einzelnen Länder analysieren. Abb. 3 zeigt auf Basis der HLY den Anteil gesunder Lebensjahre an der restlichen Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren, der als Health Ratio bezeichnet wird. Dabei werden Frankreich und Spanien als Länder mit dem größten Sterblichkeitsrückgang im hohen Alter den Niederlanden und Deutschland gegenübergestellt.Footnote 1

Abb. 3
figure 3

Anteil der gesunden Lebensjahre an der Restlebenserwartung im Alter von 65 Jahren für Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Spanien, 1995 bis 2007. [[44]: European Community Household Panel (ECHP), 1995 bis 2001; Survey of Living and Income Conditions (SILC): Deutschland, die Niederlande (2005 bis 2007); Frankreich und Spanien (2004 bis 2007)]

Für Männer findet sich, außer in den Niederlanden, in den 1990er-Jahren ein stabiler bis leicht positiver Trend im Health Ratio, der sich für alle vier Länder in den Daten ab 2004 fortsetztFootnote 2. Für Frauen zeigt sich, dass in den Niederlanden und Deutschland nicht nur die Lebenserwartung seit Mitte der 1990er-Jahre langsamer ansteigt (Abb. 2), sondern sich auch der Health Ratio leicht negativ entwickelt. Im Gegensatz dazu findet sich bei Frauen in Frankreich und Spanien, das heißt in den beiden Ländern mit den höchsten Gewinnen an Lebensjahren im hohen Alter, ein positiver Trend im Health Ratio. Ab 2005 zeichnen sich in allen vier Ländern positive Trends ab. Vorsichtig können die Ergebnisse dahingehend interpretiert werden, dass die Vorreiterländer in Bezug auf die Lebenserwartung auch die Länder sind, in denen es zu einem stabilen beziehungsweise sich ausweitenden Anteil an gesunden Lebensjahren und letztendlich zu einer Kompression der Morbidität kommt. Für Deutschland wird die generell positive Entwicklung der Lebenserwartung ohne Beeinträchtigungen durch eine Reihe von Studien [45, 46, 47, 48] bestätigt. Bei [43] wird ein stabiler Health Ratio mit zunehmenden moderaten Beeinträchtigungen bei gleichzeitigem Rückgang schwerer Limitationen nachgewiesen. Hingegen zeigen [42] mit Daten der gesetzlichen Pflegeversicherung, dass zwar die absolute Anzahl der Jahre ohne Pflegebedarf zwischen 1999 und 2005 angestiegen ist, jedoch in einem geringeren Ausmaß als die Lebenserwartung. Es kam somit zu einer Expansion im Anteil der Jahre mit Pflegebedarf.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den vergangenen Jahrzehnten der Traum von einem langen gesunden Leben für viele Wirklichkeit geworden ist. So konnte, wohl wissend aller Einschränkungen bei den Daten, festgestellt werden, dass die zusätzlichen Lebensjahre zu einem großen Teil gesunde Lebensjahre sind. In absoluten Zahlen mag dies zwar bedeuten, dass mehr Lebensjahre mit Einschränkungen und Behinderungen bis hin zum Pflegebedarf verbracht werden, jedoch bleiben diese Jahre als Anteil an der Gesamtlebensspanne stabil. Trotz dieses positiven Befundes stehen Gesellschaft und Individuum in einer alternden Bevölkerung vor neuen, großen Herausforderungen. Die stark steigende Zahl an Menschen im hohen Alter erfordert neue Konzepte, um das Wohlergehen und die medizinische und pflegerische Versorgung sicherzustellen sowie den alten Menschen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben auch in der Phase der gesundheitlichen Einschränkung und Abhängigkeit zu ermöglichen.