Der Gesundheitssektor trägt mit 5–10 % zu den Treibhausgasemissionen in westlichen Ländern bei, wobei vor allem die energieintensiven Abteilungen (Intensivstationen/OP Bereich, über 50 % der Treibhausgasemissionen eines Krankenhauses), sowie die Nutzung inhalativer Anästhetika (~35 % der Treibhausgasemissionen eines Krankenhauses) einen großen Anteil haben [1,2,3]. Die gesundheitlichen Bedrohungen durch den Klimawandel entstehen durch häufigere Extremwetterereignisse, Umweltverschmutzung, die Ausbreitung von Tropenkrankheiten etc. [4]. Ein stabiles Klima ist für unsere Gesundheit und unser Überleben essentiell, als Ärzte sollten wir diese Herausforderungen annehmen und handeln.

Hintergrund

Die Erderwärmung ist bedingt durch einen dramatischen Anstieg der Treibhausgase, verursacht durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe (Kohlendioxid [CO2]), durch Massentierhaltung, das Auftauen der Permafrostböden (Methan [CH4]) sowie einer nicht nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft (CH4 und Lachgas [N2O]). Kohlendioxid, Methan und Lachgas gehören zu den natürlichen Treibhausgasen, während halogenierte Kohlenwasserstoffe künstliche Treibhausgase sind [5]. Treibhausgase entfalten ihre erderwärmende Wirkung durch Reflexion infraroter Wärmestrahlung von der Troposphäre zurück zur Erde [6]. Die Energiebilanz der Erde wird von folgenden 3 Einflussgrößen bestimmt: 1) Intensität der einfallenden Sonnenstrahlung, 2) direkte Reflexion von Sonnenstrahlen durch Aerosole in der Atmosphäre und durch helle Eisflächen auf der Erdoberfläche (Albedo-Effekt) sowie 3) Abstrahlung infraroter Wärmestrahlung ins Weltall. Letzteres ist der wichtigste Mechanismus zur Abkühlung der Erde. Gleichzeitig ist dieser natürliche Treibhauseffekt für ein stabiles, lebenswertes Klima auf der Erde notwendig. Seit 800.000 Jahren befindet sich das Klimasystem der Erde in einem stabilen Bereich; erst dies ermöglichte die Entstehung des Homo sapiens (Beginn vor ca. 300.000 Jahren; [7]). Während dieser Zeitspanne lag die „physiologische“ CO2 Konzentration zwischen 180–280 ppm (parts per million) – heute, aufgrund der ungebremsten Verbrennung fossiler Energieträger in den letzten 50 bis 80 Jahren, beträgt sie aktuell 413 ppm [8] und bedingt eine globale Erwärmung von aktuell 1,1 °C (Abb. 1; [9]). Der anthropogene Einfluss hat die Treibhausgase auf – in den letzten 800.000 Jahren nie da gewesene Werte – ansteigen lassen, um 45 % über normal für CO2, um 155 % für CH4 und um 22 % für N2O [9]. Das wichtige Gleichgewicht der Energiebilanz der Erde ist dramatisch aus der Balance geraten.

Abb. 1
figure 1

Verlauf der Kohlendioxid(CO2)-Konzentration (ppm) und Temperatur, bezogen auf den Mittelwert (°C) der letzten 800.000 Jahre, basierend auf Eisbohrkernuntersuchungen mehrerer Forschungsgruppen im Rahmen des „European Project for Ice Coring in Antarctica“ (EPICA) [10]. Kyr Kilojahre (1000 Jahre), BP „before present“, blauer Stern aktuell gemessene CO2-Konzentration von 413 ppm in der Atmosphäre. (Modifiziert nach Luthi et al. [7])

Das Paris Agreement hat zum Ziel, die Erderwärmung unter 1,5º C über dem vorindustriellen Level zu halten. Im Bericht des Weltklimarats 2018 wird das 1,5 °C-Ziel nochmals betont, da bei einer weiteren Erwärmung nur noch eine 66 %ige Chance besteht, die sog. Kippelemente im Klimasystem nicht zu überschreiten [11]. Kippelemente, wie beispielsweise das Abschmelzen der Polkappen und des Grönlandeises, der Verlust des Amazonas-Regenwalds, das Auftauen der Permafrostböden und vieles mehr, werden beim Überschreiten selbstverstärkende Feedbackschleifen und Dominoeffekte auslösen und zu einer nicht mehr zu beeinflussenden Klimaerwärmung führen, mit desaströsem Ausgang für die Menschheit. Der Weltklimarat 2018 hat daher nochmals eindringlich gefordert, die jährlichen Emissionen weltweit bis 2030 mindestens zu halbieren und bis 2050 eine Nettobilanz von Null zu erreichen. Die von Deutschland im Rahmen des Klimapakets im November 2019 verabschiedeten Ziele sind dafür nicht ausreichend und lassen die Welt auf eine Klimaerwärmung von 3–4 °C zusteuern [12]. Gesundheitliche Bedrohungen durch den Klimawandel entstehen durch vermehrte Stürme, Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen. Indirekte Folgen sind nicht weniger gravierend: Krankheiten, die bisher eher in den Tropen verbreitet waren, wie Malaria, Dengue-Fieber und Cholera, werden auch in Mitteleuropa heimisch, Hunger durch Ernteausfälle, Wassermangel und Migration durch sich verringernde Lebensräume. All diese Einflüsse werden Konsequenzen auf die allgemeine und psychische Gesundheit haben; sie werden politische Systeme gefährden und könnten Kriege um die letzten Ressourcen der Erde entfachen [11].

Um diese Folgen abzumildern, sollten Anästhesisten ihren Teil dazu beitragen und den CO2-Fußabdruck des Gesundheitssystems reduzieren. Im Bereich der Anästhesiologie sind diesbezüglich folgende Themenbereiche von besonderer Relevanz: (I) Nutzung von inhalativen Anästhetika, (II) Energieversorgung der Krankenhäuser und (III) Abfallmanagement im OP-Bereich. Diese Aspekte werden im vorliegenden Beitrag ausführlich dargestellt. Bisher sind diese Zusammenhänge – Klimawandel und Anästhesieführung – nur wenigen Anästhesisten bekannt. Bei einer Umfrage in Australien und Neuseeland gaben nur 10 % aller befragten Anästhesisten an, Umweltkriterien in die Wahl ihres Narkoseverfahrens einzubeziehen [13].

Inhalative Anästhetika als Treibhausgase

Alle volatilen Anästhetika sind halogenierte Kohlenwasserstoffe und damit hochpotente Treibhausgase. Isofluran und sein Enantiomer Enfluran enthalten ein Chloratom und sind damit Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), genau wie Halothan, das zusätzlich ein Bromatom enthält. Durch ihr Chloratom haben FCKW-Substanzen außerdem eine ozondepletierende Wirkung. Sevofluran und Desfluran dagegen sind Fluorkohlenwasserstoffe (FKW).

Wie viel ein Treibhausgas zur Erderwärmung über einen bestimmten Zeitraum beiträgt, wird mithilfe der Global Warming Potenz (GWP) angegeben, wobei CO2 für diese Angaben als Bezugsgröße dient. Übliche Zeitspannen beziehen sich auf 20 oder 100 Jahre, dann als GWP20 und GWP100 bezeichnet. Die GWP eines Gases hängt von folgenden Faktoren ab [14,15,16,17]:

  • atmosphärische Lebensdauer des Treibhausgases,

  • Absorptionskraft über die gesamte atmosphärische Lebensdauer,

  • Wellenlänge, auf der das Treibhausgas absorbiert. Es ist umso potenter, je weniger es in demselben Infrarotspektrum der natürlichen Treibhausgase Wasserdampf und CO2 absorbiert.

Die Einheit Kohlendioxidäquivalent (CO2‑eq) wird genutzt, um die Emissionen verschiedener Treibhausgase, basierend auf ihrer GWP, zu vergleichen.

Aufgrund der immensen erderwärmenden Potenz von halogenierten Kohlenwasserstoffen wurde im Rahmen des Kyoto-Protokolls eine weltweite Reduktion vereinbart (2005), und 2016 wurde in Kigali ein weltweiter Verzicht bis 2035 unterzeichnet [18]. Ab Mitte des 21. Jh. haben halogenierte Kohlenwasserstoffe vermutlich einen substanziellen Einfluss auf die anthropogene Klimaerwärmung [19]. Volatile Anästhetika wurden in beiden Abkommen ausgenommen, da es sich um medizinisch notwendige Substanzen handelt. Somit sind sie heute die einzigen halogenierten Kohlenwasserstoffe, deren Konzentrationen in der Atmosphäre weiter ansteigen [20]. Der Verbrauch an volatilen Anästhetika ist in den letzten Jahrzehnten steil gestiegen und wird weitersteigen, einerseits durch eine verbesserte medizinische Versorgung in den aufstrebenden Entwicklungsländern und andererseits durch die wachsende Alterung in den westlichen, hochentwickelten Staaten, da ältere Patienten im Durchschnitt häufiger eine Operation benötigen.

In Deutschland wurden 2012 bei ca. 7 Mio. Operationen inhalative Anästhetika eingesetzt, wobei die Anteile von Sevofluran ca. 55 %, von Desfluran ca. 35 % und von Isofluran ca. 10 % betrugen [21]. Weltweit haben volatile Anästhetika 2014 ein CO2‑eq von 3 Mio. Tonnen verursacht, 80 % davon allein durch Desfluran [22]. Desfluran hat von allen volatilen Anästhetika mit Abstand den größten Einfluss auf die Erderwärmung [15], was einerseits durch die längere atmosphärische Lebensdauer und andererseits durch die höhere radiative Effektivität bedingt ist (Tab. 1; [15, 16]). Das GWP20 von Desfluran beträgt 6810, was bedeutet, dass sein Treibhauseffekt 6810-mal ausgeprägter ist als der von CO2. Das GWP100 von Desfluran beträgt noch 2540 [14, 15]. Sevofluran hat ein GWP20 von 440, für Isofluran beträgt das GWP20 1800. Lachgas übt aufgrund seiner extrem langen atmosphärische Lebensdauer (114 Jahre) und seiner zusätzlichen ozondepletierenden Wirkung nach Desfluran den zweitgrößten Klimaeffekt über den Zeithorizont von 100 Jahren aus [14]. Das GWP100 von Lachgas beträgt 300, wobei ca. 1 % der gesamten atmosphärischen Lachgaskonzentration durch die medizinische Nutzung verursacht wird.

Tab. 1 Klinische und atmosphärische Charakteristika inhalativer Anästhetika

Bei inhalativen Anästhetika sollten für eine adäquate Einschätzung des GWP und des CO2‑eq die unterschiedlichen klinisch angewandten Konzentrationen und die Frischgasflüsse (FGF) mit einbezogen werden [14, 23]. Da für eine Allgemeinanästhesie mit Desfluran im Vergleich zu Isofluran und Sevofluran deutlich höhere Gaskonzentrationen notwendig sind, findet sich ein noch ausgeprägterer Unterschied bei Betrachtung des GWP und des CO2‑eq [14, 23, 24].

Volatile Anästhetika üben ihren maximal schädlichen Effekt innerhalb ihrer atmosphärischen Lebensdauer aus. Das Konzept der GWP20 und GWP100 zeigt bei solch relativ kurzlebigen Substanzen nur einen Residualeffekt auf, der besteht, wenn die eigentliche Substanz bereits eliminiert ist, und unterschätzt somit die schädigende Potenz in den ersten Jahren nach der Gasemission [24]. Özelsel et al. haben die erderwärmende Potenz auch für den Zeithorizont von einem Jahr berechnet (GWP1; Tab. 2). Eine 7‑stündige Narkose bei einem Frischgasfluss von 0,5 l/min mit 2 % Sevofluran verursacht einen Treibhausgaseffekt, vergleichbar mit einer 783 km langen Autofahrt; bei 1,2 % Isofluran sind es 667 km und bei 6 % Desfluran 3924 km. In Abhängigkeit vom FGF steigen diese Zahlen deutlich an. Beachte: Bei einer Anästhesie mit 6 %igem Desfluran und einem FGF von 2 l entspräche dies einer Fahrt vom Nordkap in Norwegen bis nach Kapstadt in Südafrika oder 15.698 km in nur 7 h. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit von „Low-flow“-Techniken in der Anästhesie, um Treibhausgasemissionen zu vermindern [23, 24]. Online stehen 2 kostenlose Apps zur Verfügung, die den CO2‑eq berechnen (allerdings basierend auf dem Zeithorizont von 100 Jahren), indem man den FGF und die Konzentration des Anästhetikums eingibt (Anaesthetic Impact Calculator und Yale Gassing Greener).

Tab. 2 Kilometeräquivalent inhalativer Anästhetika mit unterschiedlichen Frischgasflüssen zum GWP1 für 7 h Narkose. (Werte wurden übernommen aus Ozelsel et al. [24])

Im Gegensatz zur Nutzung inhalativer Anästhetika hat eine intravenöse Anästhesie mit Propofol einen deutlich geringeren Einfluss auf die Erderwärmung, wie in einer Life Cycle Analyse (LCA) unter Einbeziehung von Herstellung, Verpackung, Transport, Applikation und Abfallmanagement für inhalative Anästhetika und Propofol gezeigt werden konnte [23]. Auch Regionalanästhesieverfahren haben einen geringeren Einfluss auf die globale Erderwärmung, da weniger Material und weniger inhalative Anästhetika verbraucht werden.

Primär sollten Sevofluran oder Isofluran genutzt werden, während Desfluran und Lachgas nur zur Anwendung kommen sollten, wenn dies klinisch indiziert ist (ggf. Wachkraniotomien für Desfluran, [23, 24]). Valide Alternativen zur Gabe von Lachgas, v. a. im geburtshilflichen Bereich, sollten erforscht werden [25]. Es sollten zeitnah Technologien zur Marktreife gebracht werden, die volatile Anästhetika absorbieren und wieder aufbereiten [23, 26]. Dies ist keine unerreichbare Zukunftsmusik, sondern es gibt schon mittelständige Firmen, die über die entsprechende Technologie verfügen [27]. Allerdings bedarf es dringend staatlicher Förderung, um diese Systeme zeitnah in ausreichender Menge zu produzieren und in möglichst vielen Kliniken installieren zu können. Auch die Pharmaindustrie sollte entsprechende Forschung vorantreiben, um die Entwicklung von Anästhesiegasen ohne Einfluss auf globale Erwärmung voranzutreiben.

Energieversorgung im Krankenhaus

Krankenhäuser sind 24 h/Tag und 7 Tage/Woche in Betrieb und sind energieintensive Verbraucher. In einer Studie von MacNeill et al. wurde der CO2-Fußabdruck über den Zeitraum von einem Jahr (2011) an 3 großen Kliniken in USA (University of Minnesota Medical Center), Großbritannien (John Radcliffe Hospital) und Kanada (Vancouver General Hospital) verglichen. Insgesamt lagen die CO2‑eq-Emissionen für alle drei Kliniken in einem Bereich von 3220–5190t CO2‑eq/Jahr, wobei die Emissionen vor allem dem Energiesektor (Elektrizität, Heizung und Klimaanlage) sowie der Nutzung von inhalativen Anästhetika zuzurechnen waren [28]. Während in Großbritannien und den USA hauptsächlich mit Kohle geheizt wurde, erhielt das Vancouver General Hospital seine Energie vornehmlich von Wasserkraftwerken und reduzierte damit seinen CO2-Fußabdruck um den Faktor 10. Dieses Beispiel macht deutlich, dass Krankenhäuser v. a. mit einem Umstieg auf erneuerbare Energien in eine lebenswerte, gesunde Zukunft investieren können (Tab. 3). Gerade bei öffentlichen Gebäuden, wie Krankenhäusern, Schulen und Behörden, ist die Installation von Photovoltaikanlagen sehr wirtschaftlich, da ein Großteil der Energienutzung stattfindet, während die Sonne am Himmel steht – im Gegensatz zu Eigenheimen oder Mietshäusern. Die Energieeffizienz kann durch Optimierung der Gebäudesubsatz deutlich verbessert werden [29].

Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK – auch Blockheizkraftwerk), die in einigen deutschen Krankenhäusern betrieben werden, haben eine hohe Energieausbeute. Die KWK-Anlagen nutzen die bei der Stromerzeugung anfallende Wärme zum Heizen. Diese hohe Energieausbeute ist jedoch nur bei optimalem Betrieb der KWK-Anlagen möglich, wenn z. B. im Winter die Abwärme der Stromerzeugung auch wirklich zum Heizen benötigt wird [30]. Insgesamt sind die CO2-Einsparungen von KWK-Anlagen zu gering, um einen wirksamen Klimaschutz voranzutreiben, solange sie mit fossilen Energieträgern betrieben werden. Werden KWK-Anlagen auf den Betrieb mit regenerativen Energieträgern umgerüstet (z. B. Biomasse, regenerativ erzeugter Wasserstoff, regenerativ erzeugtes Methan oder Geothermie), können sie Strom und Wärme bei gleichzeitig guter Energieausbeute komplett CO2-neutral erzeugen – das Ziel der Zukunft [30].

Tab. 3 Anteil der CO2-Emissionen von Krankenhäusern und ihr Einsparpotenzial. (Basierend auf Daten von MacNeill et al. [28])

Weiterhin kann durch gezielte Maβnahmen wie die Umrüstung auf LED-Leuchtmittel, das Absenken bzw. Ausstellen von Klimaanlagen im OP nachts und am Wochenende (bis auf die Not-OP-Säle), Bewegungssensoren in nachts wenig genutzten Gängen und Treppenhäusern, gut gewarteten Geräten wie Kühlschränke, Sterilisatoren und Heizungen der Energiebedarf deutlich gesenkt werden [28]. Die effiziente Umsetzung von Energiesparmaßnahmen kann die CO2-Emissionen von Krankenhäusern um 30–50 % reduzieren [28].

Das Projekt „KLIK green“, eine Initiative des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und des Bundesumweltministeriums, bietet 250 interessierten Kliniken an, einen Klinikmitarbeiter zu einem Klimamanager auszubilden, um die oben genannten Einsparungen mithilfe der erworbenen Expertise möglich zu machen [31].

Abfallmanagement im Operationssaal

20–30 % des Krankenhausmülls entstehen im OP, davon ca. 25 % durch die Anästhesie [32]. Bei einem wachsenden Anteil an Einmalprodukten und aufgrund steigender OP Zahlen nimmt auch die Abfallproduktion zu. Um diese Müllberge zu reduzieren wurde das Konzept „Reduce, Reuse, Recycle, Rethink, Research“ – die 5 Rs – entwickelt (Tab. 4).

Tab. 4 Ideen-Checkliste für den Beginn eines ökologischen Konzepts in einer anästhesiologischen Abteilung

Reduce

Von verschiedenen Dachgesellschaften werden bereits Programme beschrieben, wie OPs umweltfreundlicher gestaltet werden können [33, 34]. Es folgen einige Beispiele, wie anästhesiologische Kliniken ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig arbeiten können, ohne die Patientensicherheit zu gefährden.

Beatmungsschläuche.

Bei Gebrauch von individuellen Atemsystemfiltern können Beatmungsschläuche 7 Tage genutzt werden (außer bei Verschmutzung und nach Einsatz bei infektiösen Patienten). Mehrere Studien haben im Vergleich von 24 h und 7 Tagen keine erhöhte Keimzahl (weder bakteriell noch viral) gefunden, sodass dieses Vorgehen aktuell von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) empfohlen wird [35].

Sets/Überschuss.

Vorgefertigte Sets für die Anlage von Kathetern oder Regionalanästhesie erleichtern die Arbeit, enthalten aber häufig unnötige Materialien wie Kompressen, Lochtücher, Instrumente oder Plastikschalen. Als „Überschuss“ wird das Öffnen von sterilem Equipment bezeichnet, das schlussendlich nicht genutzt wird, aber aus hygienischen Gründen verworfen werden muss. Bis zu 20 % des Materials einer OP bleiben ungenutzt und müssen verworfen werden [36]. Hersteller können mit wenig Aufwand solche Sets neu packen und nur mit relevanten Utensilien bestücken, was ökologisch zu fordern und gleichzeitig kosteneffektiv ist.

Medikamente.

Entsprechend werden auch Medikamente, aufgezogen für den Notfall, in mehr als 50 % der Fälle verworfen [37]. Bei „schwierig“ aufzuziehenden Medikamenten oder Verdünnungen (z. B. Katecholamine) oder bei Medikamenten, die schnell verfügbar sein müssen (z. B. Notsectio), empfiehlt sich die Erwägung von in der Apotheke vorgefertigten Spritzen, die länger haltbar sind und somit den Verwurf reduzieren. Generell sollte die Ampullengröße dem Verbrauch entsprechen. Durch eine Umstellung von Propofol von 50-ml- bzw. 100-ml-Amp. auf 20-ml-Amp. konnte beispielsweise der Verwurf um ca. 90 % reduziert werden [38].

Sonstiges.

Kaffeebecher, Kaffeekapseln, Plastikflaschen und sonstige Einwegartikel werden im privaten Haushalt bereits oft vermieden; dies sollte auch am Arbeitsplatz selbstverständlich sein. Wiederfüllbare Druckerpatronen und Akkus statt Batterien sind empfehlenswert. Der Papierverbrauch kann durch doppelseitiges Ausdrucken sowie die Nutzung elektronischer Patientenakten und Anästhesiedokumentation reduziert werden, wenn diese konsequent zum Einsatz kommen. Allerdings haben auch die elektronischen Alternativen einen negativen Umwelteinfluss, solange die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht 100%ig umgesetzt ist. Verwendung von Recyclingpapier sollte Standard sein.

Reuse

Einmalinstrumente und Equipment sind überall präsent und werden stetig mehr. Bei der Entscheidung zwischen Einmal- und Mehrwegprodukten kommen sowohl hygienische Bedenken, Kostenfaktoren und als auch Bequemlichkeit zum Tragen. Häufig eingesetzte Einwegartikel sind Textilien (OP-Mäntel und -Abdecktücher), Medikamentenschalen, Beatmungsschläuche, Larynxmasken, aber auch Laryngoskopspatel und -handgriffe, Ambubeutel, Pulsoxymetersonden, Führungsstäbe und sogar Blutdruckmanschetten finden zunehmend Anwendung. Um den Umwelteinfluss und den CO2-Fußabdruck eines Einmalartikels mit dem eines Wiederverwertbaren zu vergleichen, werden LCA angewandt. In die Untersuchung wird einbezogen, wo und wie Rohstoffe gewonnen werden, deren Verarbeitung und die Herstellung des Produkts, Transportwege, Gebrauch, Wiederverwertung und Instandhaltung, Recycling und Abfallbeseitigung [39].

Bei der Entscheidung zwischen waschbaren und Einmal-OP-Mänteln und -Abdecktüchern spielen v. a. Schutz vor Infektion von Personal und Patient, Tragekomfort sowie ökonomische und ökologische Aspekte eine Rolle [40]. Unterschiede bezüglich der Inzidenz von Wundinfektionen zwischen modernen OP-Textilien mit Einfach- oder Mehrfachgebrauch sind nicht nachweisbar; beide Optionen erfüllen die notwendigen Standards. Aus ökologischer Sicht ist die Datenlage eindeutig: Alle 6 verfügbaren LCA ergaben eine klare Überlegenheit der wiederverwertbaren Textilien. Diese sparen 200–300 % an Energie, reduzieren den Wasserverbrauch um 250–330 % und verringern die Müllproduktion um 750 % gegenüber den Einmalprodukten [40].

Wiederverwertbare Larynxmasken haben bei einer LCA in den Kategorien GWP, Wasserverbrauch und Luftverschmutzung insgesamt einen ca. 50% geringeren negativen ökologischen Effekt gegenüber der entsprechend notwendigen Zahl von Einmallarynxmasken ergeben [41].

Bei der Nutzung von Einmallaryngoskopen sind die CO2-Emission 16- bis 25-mal höher als bei Gebrauch der herkömmlichen Laryngoskope aus rostfreiem Stahl, einschließlich einer „High-level“-Desinfektion. Bezüglich der Spatel war der Unterschied 6‑ bis 8‑fach zugunsten der wiederverwertbaren Optionen [42]. Wie bei vielen medizinischen Produkten werden insbesondere bezüglich der Instrumente zur Atemwegssicherung hygienische Bedenken als Hauptargument für Einmalprodukte angeführt. Einwegmaterialien sind sicherlich wertvoll, wenn adäquate Dekontaminationsmöglichkeiten fehlen. Ein unselektiver Einsatz von Einmalprodukten sollte jedoch vermieden werden, da diese den ökologischen Fußabdruck des Gesundheitssystems durch den vermehrten Verbrauch an Ressourcen bei der Produktion, dem Transport und dem Abfallmanagement erhöhen, ohne einen messbaren Effekt auf das Infektionsrisiko zu demonstrieren [43].

Mehrweg-Medikamentenschalen zeigen eine deutliche Reduktion an Wasserverbrauch und Kosten im Vergleich zu Einmalprodukten, die CO2-Produktion reduzierte sich aber nur geringfügig. Dies ist v. a. dadurch zu erklären, dass diese LCA in Victoria, Australien, durchgeführt wurde, wo Braunkohle als Hauptenergiequelle dient. In einem Krankenhaus, das mit erneuerbaren Energieträgern arbeitet, ergäbe sich eine CO2-Reduktion von >50 % [44].

Im Gegensatz dazu zeigte sich für zentrale Venenkatheter (ZVK), dass bei der Nutzung von Mehrwegsets aufgrund des Sterilisierungsvorgangs mehr Wasser und CO2 verbraucht wurden als beim Gebrauch von Einmalsets [45].

Recycle

Müll aus dem OP besteht aus den unterschiedlichsten Materialien: Plastik, Papier, Karton, Glas, Metall, Anästhesiegase, Medikamente, Spitzabfall und anatomisch-pathologischer Abfall. Etwa 60 % des Krankenhausmülls sind nicht kontaminiert und somit potenziell recycelbar. Besonders viel dieses „sauberen“ Mülls fällt am Anfang einer Operation an, wenn die Tische gerichtet und Verpackungen geöffnet werden [46]. Weitere 30 % sind als potenziell kontaminiert zu betrachten und können somit nicht recycelt werden. Nur ca. 10 % sind infektiös oder enthalten Schadstoffe wie Chemikalien oder Zytostatika. Diese müssen getrennt gesammelt und in speziellen Sonderabfallverbrennungsanlagen unter hohen CO2-Emission entsorgt werden [47].

Eine Umfrage unter 780 Anästhesisten aus England, Australien und Neuseeland ergab, dass >90 % der Anästhesisten im privaten Haushalt recyceln, >90 % auch im Krankenhaus recyceln möchten, dies aber nur ca. 11 % am Arbeitsplatz durchführen. Als größtes Hindernis zum effektiven Recycling im OP wurden in allen Ländern fehlende Recycling-Tonnen angegeben; des Weiteren wurden die Haltung der Mitarbeiter zum Thema und mangelnde Informationen genannt [48].

Lokale Recyclingfirmen sollten zu Rate gezogen werden, was, wo und wie am besten gesammelt und abtransportiert werden kann.

Rethink

Neue Ideen sind gesucht – statt „business as usual“ [49]. Wie können der Einleitungsraum und der OP so gestaltet werden, dass Recycling einfach wird? Pharma- und Produktfirmen sollten auf ihre Umweltfreundlichkeit bei der Herstellung ihrer Waren geprüft werden.

Interdisziplinäre „Green Teams“, die sich mit dem Thema Ökologie im OP beschäftigen, können viel erreichen. Neben Ideensammlung und deren zeitnaher Umsetzung sollte eine Schulung des Personals erfolgen, um allgemein eine umweltfreundliche Atmosphäre zu schaffen. Voraussetzung für ein effizientes Arbeiten ist, dass sich diese Teams aus Personen in Schlüsselpositionen wichtiger Bereiche zusammensetzen: OP-Management, Ärzte und Pflegepersonal, Hygiene, Techniker, Abfallbeauftragte, Pharmazeuten und Verwaltung. Strategien für Kliniken und ihre „Green Teams“ sind bereits verbreitet und weltweit etabliert [50].

Das Zurücklegen des Arbeitswegs mithilfe des öffentlichen Nahverkehrs, des Fahrrads oder gar zu Fuß sollte unbedingt gefördert werden, z. B. mit der Etablierung günstiger Job-Tickets. Reisen zu Konferenzen sollten mit der Bahn statt mit dem Flugzeug für alle Strecken unter 800 km gefordert werden; auch Telekonferenzen sind heutzutage leicht umsetzbar.

Regionale, biologisch angebaute Obst- und Gemüseprodukte, vegetarische oder sogar vegane Mahlzeiten sollten im Sinne einer gesunden Ernährung in der Patientenverpflegung und in der Personalkantine häufiger angeboten werden.

Divestment bezeichnet das Abziehen aller Kapitalanlagen von Industrien, die zur Klimakrise beitragen. In der Finanzwelt gelten Geldanlagen in klimaschädlichen Bereichen als größtes Investmentrisiko [51,52,53]. In einem aktuellen Editorial des British Medical Journal (BMJ) rufen die Autoren sowohl alle Mitarbeiter des Gesundheitssystems als auch alle medizinischen Organisationen dazu auf, Divestment als Werkzeug zu nutzen, um Politik und Industrie zu einem der Gesundheit des Planeten und der Menschheit förderlichen Verhalten zu bewegen [54]. Die Berliner Ärzteversorgung hat schon 2006 begonnen, ihr Aktienfondsvermögen auf nachhaltige Kapitalanalgen umzuschichten, und wurde dafür 2017 von der Organisation Fossil Free Berlin mit dem „Berlin Divestment Award“ ausgezeichnet [55]. Als weitere lobenswerte Beispiele aus dem medizinischen Bereich sind das Royal College of Physicians, das Royal College of General Practitioners, das Royal Australasian College of Physicians, die Medical Associations von America and Kanada sowie die Britisch Medical Association zu nennen [56].

Research

Am Anfang jeder Änderung sollte eine Bestandsaufnahme stehen. Ein Audit zu verschiedenen Themen kann Aufschluss über die Effektivität der eigenen Praxis geben und den Effekt einer etwaigen Veränderung verfolgen. Im Sinne eines Benchmarkings kann sich die eigene Abteilung oder Klinik an anderen vergleichbaren Einrichtungen messen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt: „Inhaled Anesthesia Climate Initiative: Project Drawdown“.

Audits sind ebenfalls sinnvoll, um beispielsweise den Verbrauch von Lachgas zu messen, und um festzustellen, wie oft TIVA oder Regionalanästhesien durchgeführt werden oder wie häufig die Low-flow-Anästhesie tatsächlich genutzt wird. Auch Themen wie Müllproduktion, Energieverbrauch und Gebrauch von Einmalmaterialien stellen gute Audit-Projekte dar. Forschungsprojekte zum Thema Umweltschutz und klimafreundliche Anästhesie sollten gefordert und gefördert werden. Beispielsweise sind LCA aus Deutschland wichtig, ebenso wie die zeitnahe Entwicklung alternativer, klimafreundlicher Anästhesiegase oder von Anästhesiegaswiederaufbereitungsverfahren.

Innerhalb der weltweiten Gesundheitsorganisationen herrscht zunehmend Einigkeit, dass Aktionen, die die Klimakrise abmildern können, deutlich beschleunigt werden müssen. Der Weltärztebund hat im Oktober 2019 den Klimanotstand ausgerufen und bis 2030 die Klimaneutralität eingefordert (Infobox 1).

Infobox 1 Resolution des Weltärztebundes „World Medical Association“ vom 18.11.2019a

Die „World Medical Association“ und ihre Gründungsmitglieder sowie internationale Gesundheitsorganisationen …

  • rufen den Klimanotstand aus und fordern die internationale Gemeinschaft der Gesundheitsberufe auf, sich dieser Mobilisierung anzuschließen

  • verpflichten sich dafür einzutreten, die Gesundheit der Menschen weltweit vor den Klimafolgen zu schützen

  • fordern von nationalen Regierungen, bis 2030 die CO2-Neutralität zu erreichen, um die lebensbedrohlichen Gesundheitsfolgen der Klimakrise zu minimieren

  • erkennen den ökologischen Fußabdruck des globalen Gesundheitssektors an, werden aktiv Müll reduzieren und CO2-Emissionen vermeiden, um ein nachhaltiges Gesundheitssystem zu gewährleisten

aÜbernommen aus [57], frei übersetzt von den Autorinnen des vorliegenden Beitrags.

Fazit für die Praxis

Der Glaube an ein ungebremstes Wachstum hat unseren Planeten Erde an seine Grenzen gebracht. Ein Überleben der Menschheit auf der Erde ist nur möglich, wenn wir jetzt, hier und heute einen Wandel vollziehen und das Wohlergehen und die Gesundheit der Menschen und unserer Umwelt zum obersten Ziel erklären. Dieser Systemwandel ist kein Verzicht, sondern führt zu einer besseren Gesundheit, einem Gewinn an Lebensqualität und Lebenslust. Wir fordern alle Anästhesisten und Anästhesistinnen auf:

  • auf Desfluran und Lachgas möglichst zu verzichten

  • Sevofluran nur als low-flow Narkose zu nutzen

  • TIVA und Regionalanästhesien bevorzugt anzuwenden.

  • Klinikinterne „Green Teams“ zu bilden, um Energiesparmaßnahmen aufzudecken und umzusetzen.

  • Müllvermeidung beginnt mit „reduce, reuse, recycle, rethink, research“

  • Krankenhäuser sollten auf erneuerbare Energien umstellen und Photovoltaikanlagen installieren

Der Weltärztebund hat im Oktober 2019 den Klimanotstand ausgerufen und Klimaneutralität bis 2030 gefordert (Infobox 1) [57]. Es ist Zeit zu handeln.