Seit Jahren existiert eine kontroverse Diskussion zum Stellenwert von Hydroxyäthylstärke(HES)-Lösungen in der Intensivmedizin [1, 2]. Publikationen multizentrischer Studien der jüngeren Vergangenheit [Volumen- und Insulintherapie bei schwerer Sepsis und septischem Schock (VISEP), Crystalloids Morbidity Associated with severe Sepsis (CRYSTMAS), 6S, Crystalloid vs. Hydroxyethyl Starch Trial (CHEST)] haben zu einer Konkretisierung der Bewertung dieser Medikamentengruppe geführt [3, 4, 5, 6]. So hat im März 2013 die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) auf Antrag des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Risikobewertungsverfahren zur grundlegenden Überprüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von HES-haltigen Infusionslösungen eingeleitet [7]. Im Rahmen des Risikobewertungsverfahrens kam der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) in seiner Juni-Sitzung zu dem Schluss, dass der Nutzen von HES-haltigen Infusionslösungen die Risiken nicht länger überwiegt, und empfahl daher ein Ruhen der entsprechenden Zulassungen [8]. Das europäische Risikobewertungsverfahren ist diesbezüglich allerdings noch nicht abgeschlossen, und weiterführende Betrachtungen können noch einige Monate in Anspruch nehmen [9].

Zwischenzeitig erfolgte eine Stellungnahme der „Faculty of Intensive Care Medicine“, des „Royal College of Anaesthetists“, der „Intensive Care Society“ und des „College of Emergency Medicine“, die die Bewertung des PRAC unterstützt und den primären Einsatz von Kristalloiden empfiehlt und bei Verwendung von Kolloiden den Einsatz von Gelatine oder Humanalbumin nahelegt [10].

Mitglieder des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) diskutierten in einem Treffen mit den Verantwortlichen des BfArM am 27.06.2013 die aktuelle Evidenzlage und differenzierten dabei sowohl zwischen den verschiedenen Präparaten als auch den unterschiedlichen Einsatzgebieten. Die Vertreter des BfArM stellten den Analyseprozess dar und leiteten die oben genannten Schlussfolgerungen her. Die Vertreter der DGAI sehen ebenfalls die Voraussetzungen erfüllt, nach denen die Verwendung von HES-Lösungen mit einem mittleren Molekulargewicht (MG) von 200.000 (HES 200/0,5 und HES 200/0,62) aufgrund des potenziellen Risikos von Nierenfunktionsstörungen für alle Indikationen auszusetzen sei [3, 11]. Bis zum Vorliegen der abschließenden Risikobewertung sollten HES-Lösungen mit einem mittleren MG von 130.000 (HES 130/0,4 und HES 130/0,42) in der intensivmedizinischen Therapie vorsorglich ebenfalls nicht zur Anwendung kommen.

Für den perioperativen Bereich wurde durch die DGAI auf das Fehlen effektiver Alternativsubstanzen mit Wirkung auf das intravasale Volumen hingewiesen. Die Verwendung von Gelatine geht mit einem geringeren Volumeneffekt bei erhöhtem Anaphylaxierisiko (im Vergleich zu HES) einher. Ebenso ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Humanalbumin für die perioperative Volumensubstitution nicht eindeutig belegt. Das BfArM argumentierte hierzu, dass die Evidenzlage für günstige Effekte von HES im perioperativen Behandlungsfeld fehle und, basierend auf der Betrachtungsweise eines „class effect“, insofern eine generelle Suspendierung über das gesamte bisherige Indikationsspektrum wahrzunehmen sei.

Bereits 2012 hat die DGAI unter Moderation der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine aus Mitgliederbeiträgen eigenfinanzierte S3-Leitlinie zur Volumenersatztherapie in der perioperativen Medizin und Intensivmedizin initiiert, deren Ergebnisse Ende 2013 erwartet werden. Bis zum Vorliegen dieser Ergebnisse empfehlen die Unterzeichner vorsorglich, den Einsatz von HES in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen und auf Patienten mit akut vitalbedrohlichen, anderweitig nichtbeherrschbaren Blut- und Volumenverlusten zu beschränken.

Prof. Dr. Christian Werner (Präsident DGAI)

Prof. Dr. Götz Geldner (Präsident BDA)

Prof. Dr. Thea Koch (Präsidentin DAAF)