Die schwierigen finanziellen Bedingungen, mit denen sich Krankenhäuser konfrontiert sehen, haben dazu geführt, dass diese ihre Strukturen sowie Abläufe überprüft und angepasst haben, damit sie ihre Leistungen effektiver und damit kostendeckender erbringen können [1]. In diesem Zusammenhang reduzieren oder streichen einige Krankenhäuser ihre Beteiligung an der innerklinischen Notfallversorgung und auch am Notarztdienst [1]. Aus diesen Entwicklungen zeichnete sich in der Vergangenheit ein zunehmender Notarztmangel ab, der breitflächig angemahnt und diskutiert wurde [6, 7]. Um den verantwortlichen Ministerien und Behörden aber Vorgaben zur sinnvollen Rahmenplanung vermitteln zu können, wurde das im Jahr 2008 publizierte „Eckpunktepapier zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in Präklinik und Klinik“ in einer interdisziplinären Konsensusfachgruppe entwickelt und am 11.11.2007 verabschiedet [2].

Im Eckpunktepapier werden, auf der Basis der anerkannten Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, für 4 Erkrankungen Zeitintervalle definiert, innerhalb derer eine definitive innerklinische Therapie beginnen soll [2]:

a) Beim ST-Strecken-Hebungsinfarkt soll nach spätestens 90 min eine perkutane Koronarintervention durchgeführt werden.

b) Beim Hirninfarkt sollen bis zur Entscheidung über eine Thrombolyse maximal 90 min und bis zur Lyse selbst nicht mehr als 120 min vergehen.

c) Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma soll eine kraniale Computertomographie (CCT) spätestens nach 60 min durchgeführt und ggf. mit einer operativen Intervention nach spätestens 90 min begonnen werden.

d) Schwerstverletzte sollen spätestens nach 60 min in einem Krankenhaus aufgenommen werden, und die operative Versorgung soll nach 90 min beginnen.

Wie ist die Realität draußen?

Man stelle sich vor: Ein Notarzt wird zu einem Verkehrsunfall alarmiert. Zwölf Minuten später trifft er bei einem polytraumatisierten Patienten mit Schädel-Hirn- und Thoraxtrauma ein, der in einem PKW eingeklemmt ist. Für die technische Rettung werden 25 min benötigt. Nach der Rettung werden weitere 20 min für Narkoseeinleitung, endotracheale Intubation und Anlage einer Thoraxdrainage benötigt, bevor der Patient in das 15 min entfernte Traumazentrum mit neurochirurgischer Versorgungskapazität transportiert wird. Obwohl die Rettung und die Versorgung des Patienten so rasch und so strukturiert wie möglich durchgeführt wurden, kommt der Patient rund 72 min nach Notrufeingang zur Klinikaufnahme.

Der aktiv tätige Notfallmediziner wird nach interessierter Lektüre der Empfehlungen im „Eckpunktepapier zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in Präklinik und Klinik“ die aufgeführten Zeitintervalle entweder als besonders sportlich empfinden oder sie als persönliche Herausforderung ansehen, um mit den derzeit bestehenden Systemen und Strukturen diese Vorgaben zu erfüllen. Zwar spielt das prähospitale Zeitintervall eine bekannte und bedeutende Rolle, gleichwohl dürfen aber auch die Zeitintervalle in den innerklinischen Versorgungsabschnitten nicht unberücksichtigt bleiben [5]. Die gemäß dem Eckpunktepapier zur frühen innerklinischen Versorgung vorgegebenen Zeitintervalle von ≤30 min für Diagnostik und Initialtherapie (z. B. Schockraummanagement) stellen hohe Anforderungen an Struktur, bauliche Gegebenheiten, Personalplanung und Konzepte in einer zentralen Notaufnahme (ZNA).

In dieser Ausgabe von Der Anaesthesist stellen sich Scherer u. Luiz nun die Frage, wie die Forderungen des Eckpunktepapiers tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden können. Die Autoren analysieren dabei schrittweise den Ablauf der prähospitalen und innerklinischen Versorgung von Notfallpatienten, jedoch nicht am Beispiel der häufig zitierten „Rettungskette“, sondern bildhaft anhand einer „Staffel des Überlebens“.

Eine Staffel ist nur so gut wie ihr schwächster Läufer

Getreu dem Motto „eine Staffel ist nur so gut wie ihr schwächster Läufer“ sollen optimale Leistungen auf allen Wegstrecken und an allen Übergabepunkten des Staffellaufs (z. B. Notruf, Laienhilfe, Notrufabfrage, Nächste-Fahrzeug-Strategie, Fahrt zur Einsatzstelle, Notfallversorgung, zentraler Behandlungskapazitätsnachweis, Voranmeldung, Notfallkoordinator, Transport, ZNA und frühe innerklinische Versorgung sowie Qualitätsmanagement) gezeigt werden. Dabei gelten die dargestellten Zeitintervalle nicht nur für die im Eckpunktepapier genannten Erkrankungen und Verletzungen, sondern auch für eine Vielzahl anderer Situationen mit kritisch kranken Patienten. Beispielsweise ist jede Verzögerung einer adäquaten antiinfektiven Therapie bei Patienten im septischen Schock mit einem Anstieg der Sterblichkeit um 7,6%/h assoziiert [4].

Zur optimalen Patientenversorgung muss an all diesen Wegstrecken, Übergabepunkten und Nahtstellen den Anforderungen an Organisation, Personal und Struktur mit geeigneten Konzepten Rechnung getragen werden [3]. Vor dem Hintergrund, dass das Eckpunktepapier und dessen unmittelbare Bedeutung für die prähospitale und frühe innerklinische Versorgung von Notfallpatienten auch 2 Jahre nach seiner Erstpublikation noch nicht allen an den entsprechenden Versorgungsstrukturen Beteiligten bekannt ist, leistet die nun vorliegende kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema von Scherer u. Luiz einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur Optimierung der notfallmedizinischen Versorgung. Nicht zuletzt geht es um den „Staffellauf des Überlebens“ für den einzelnen Notfallpatienten, in dem „Hand in Hand“ agiert werden muss, denn jede Sekunde zählt.

Michael Bernhard

Markus Roessler