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01.03.2023 | Pflege Management

KHPflEG: Reform oder "Reförmchen"

Erschienen in: Pflegezeitschrift | Ausgabe 3/2023

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Interview mit Prof. Thomas Busse Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz soll die Arbeitsbedingungen von Pflegenden und damit die Versorgung in Kliniken verbessern. Ist der große Wurf gelungen? Eine Einordnung aus gesundheitsökonomischer Perspektive.
Herr Professor Busse, das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) soll dazu führen, dass Pflegende wieder mehr Zeit für Patientinnen und Patienten haben. Kann das Gesetz dies leisten?
Busse: Nachdem das Thema Pflege in den letzten Jahren systematisch immer weiter an die Wand gefahren wurde, ist es natürlich äußerst schwierig, von einem Gesetz nun zu erwarten, dass es alle Probleme auf einen Schlag löst. Enttäuschend aus meiner Sicht ist jedoch, dass der Gesetzgeber das Thema Pflege nicht umfänglich und strukturell angeht, sondern weiter einen Weg verfestigt, der - außer dem guten Ansatz der Vorhaltekosten in der Geburtshilfe und der Pädiatrie - den Pflegeberuf eher unattraktiver als attraktiver macht. Dies betrifft insbesondere die Einführung der PPR 2.0 und die Krankenhaustagesbehandlung. Im Rahmen der Einführung des ambulanten Operierens nach § 115b SGB V haben wir inzwischen festgestellt, dass die Integration ambulanter Strukturen in ein Krankenhaus gerade auf dem Rücken von Pflegekräften (Stichwort: Leistungsverdichtung) ausgetragen wird. Jetzt sollen zeitnah ca. 25% der stationären Krankenhausleistungen ambulant erfolgen. Nicht die Rede ist davon, woher hierfür die vor- und die nachsorgende ärztliche Versorgung kommt oder wie die für die ambulante Leistungserbringung notwendigen krankenhausinternen Strukturen aufgebaut werden können - erfahrungsgemäß bleibt bei derartigen Ansätzen ein Großteil der dann zusätzlichen Aufgaben bei den Pflegenden hängen. Dass die Pflege hierdurch mehr Zeit für die stationär zu versorgenden Patientinnen und Patienten zur Verfügung hat, halte ich für "zarte Lyrik".
Pflegeverbände fordern seit langem die Einführung der PPR 2.0. Nun kommt sie. Sind die noch zu errechnenden "Idealbesetzungen" für die Stationen die "Rettung"?
Busse: Die Älteren unter uns werden sich erinnern, dass eine PPR bereits 1992 Bestandteil des deutschen Gesundheitsstrukturgesetzes war, diese wurde aber 1996 wieder ausgesetzt. Grund hierfür waren nicht etwa die viel später installierten Fallpauschalen, sondern die Tatsache, dass die PPR mit einem hohen Dokumentationsaufwand für die Pflege und teilweise zweifelhaften Ergebnissen nicht zu einer Verbesserung der Pflegesituation (diese war damals auch schon schlecht) geführt hat, sondern nur zu eventuellen internen Personalumschichtungen. Mit der damaligen PPR wurde keine einzige Stelle geschaffen, wieso sollte das mit der PPR 2.0 unter aktuell noch schwierigeren Bedingungen anders sein? Zumal es intern für die Krankenhäuser keine großen Umverteilungsmöglichkeiten der Pflegebesetzungen mehr gibt. Bevor eine PPR 2.0 greifen kann, müssen sicherlich im Hinblick auf die Pflegesituation erst einmal andere Hausaufgaben gemacht werden.
Kinderkliniken und Geburtshilfestationen sollen zuerst entlastet werden. Wenn das mittelfristig gelingt - wie kann eine kurzfristige Lösung aussehen?
Busse: Schnelle Lösungen für diese Problematik wird es leider nicht geben. Der Ansatz, die beiden Bereiche nach Vorhaltekosten zu finanzieren, ist jedoch richtig und überfällig. Erfahrungsgemäß werden wir auf Grund der Trägheit des Systems auf die konkrete Umsetzung dieser Art der Finanzierung aber noch länger warten müssen. Wir sind einfach viel zu langsam und von Ankündigungen kann sich niemand etwas kaufen - hierfür gibt es leider aus der Vergangenheit genügend Beispiele. Wichtig erscheint mir, erst einmal festzulegen, wo und in welcher Größe wir konkret geburtshilfliche Kliniken bzw. Kinderkliniken benötigen und diese dann schnellstmöglich mit dem notwendigen Kapital zu versorgen, um die Arbeitsplätze dort attraktiver zu machen. Hierfür braucht es natürlich Konzepte, die nicht der Gesetzgeber, sondern die Kliniken bzw. die Pflegedirektionen liefern müssen. Es wäre überlegenswert, gute Konzepte finanziell gesondert zu fördern und somit den Kliniken einen initialen Anreiz hierfür zu geben.
Als Bundesgesundheitsminister Lauterbach Ende 2022 vorschlug, auf Kinderstationen Personal von Erwachsenenstationen einzusetzen, haben Sie darauf verwiesen, dass Einsatzplanung Sache der Kliniken ist und mangelnde Wertschätzung des Pflegeberufs festgestellt…
Busse: ... da eine solche öffentliche Äußerung bedauerlicherweise zeigt, welche geringe Wertschätzung die Pflege eigentlich in der "großen" Politik erfährt. Abgesehen davon, dass ein Minister nicht in die Personalplanung eines Krankenhauses eingreifen kann, setzt dieser Ansatz die aktuell realitätsferne Einschätzung voraus, dass es auf anderen Stationen ja genügend Personal gibt, das man transferieren kann. Vollkommen aus der Welt ist aber die Annahme, dass Pflegekräfte aus der Erwachsenenpflege mal eben in der Kinderkrankenpflege eingesetzt werden können. Niemand käme analog auf die Idee, den Mangel an Chirurgen mal eben mit Internisten (beide haben Medizin studiert...) zu kompensieren - ein Aufschrei ginge durch die Republik.
Für eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfestandorten und um Geburtshilfeabteilungen in Krankenhäusern zu unterstützen, erhalten die Bundesländer zusätzliche finanzielle Mittel von jeweils 120 Millionen Euro in diesem und im kommenden Jahr. Wie kann dieses Geld am besten eingesetzt werden?
Busse: Leider müssen wir der Realität ins Auge schauen, dass wir nicht überall Geburtshilfeabteilungen vorhalten können. Dort, wo es nicht geht, müssen wir Alternativ-Angebote wie beispielsweise Hebammen- oder Gynäkologen-Netzwerke, mobile Geburtshilfe-Einheiten, digitale Sprechstunden oder schnelle Transportwege schaffen, um die Versorgung sicherzustellen. Bei derartigen Aktivitäten könnte oder sollte die Pflege eine wichtige Rolle übernehmen bzw. einfordern. Somit müssen die verfügbaren Mittel eben auch in diese Angebote gesteckt werden und nicht nur in die Geburtshilfeabteilungen selbst. Hierzu bedarf es allerdings einer Strategie, die ich seitens der Politik noch nicht sehe. Das Schlimmste wäre, wenn das Geld - nach dem Motto "wer am lautesten schreit..." - in Abteilungen gesteckt werden würde, die dauerhaft keine realistische Überlebenschance haben.
Reform oder Reförmchen - wird das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz maßgeblich dazu beitragen, die drängenden Probleme der Unterfinanzierung und des Personalmangels in der Pflege zumindest zu lindern?
Busse: Ich glaube, dass uns bei der Beseitigung des Personalmangels in der Pflege Geld nur in Teilen hilft. Wir müssen das Thema Pflege neu denken und somit auch die Strukturen eines Krankenhauses oder stationäre bzw. ambulante Vernetzung. Hierzu benötigen wir aber nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Bereitschaft aller Beteiligten, alte Strukturen aufzubrechen und die Möglichkeit bzw. den Willen einzelner Pflegedienstleitungen, sich kreativ in den Prozess einzubringen. Das KHPflEG beschreitet hier leider alte, ausgetretene Pfade und wird letztlich allein nicht wirklich erfolgreich sein. Pflege ist inzwischen zu einer reinen Verrichtungstätigkeit geworden, eingezwängt in enge Strukturen und administrative bzw. ökonomische Anforderungen. Ärzte und Pflegekräfte arbeiten oft aneinander vorbei, die originären Kompetenzen der Pflege sind immer weniger gefragt und viele Pflegekräfte fragen sich, warum sie gewisse Fertigkeiten in der Ausbildung oder im Studium eigentlich erworben haben. Überkommene Strukturen und Hierarchien tun ihr Übriges. Wir wissen, dass Menschen dann dauerhaft in ihrer Arbeit motiviert sind, wenn sie inhaltlich eingebunden werden in Abläufe, eigene Ideen einbringen oder echte Verantwortung übernehmen können. Was wir brauchen, ist eine gewisse Augenhöhe zwischen ärztlichem und pflegerischem Handeln, eine Sichtbarkeit der pflegerischen Aktivitäten im gesamten Behandlungsprozess und die Wahrnehmung der Pflege nicht als Unterstützungsprozess, sondern als Teil des Kernprozesses. Ansätze hierzu könnten beispielsweise gemeinsame Fallbesprechungen, eine abgestimmte Einbestellungsplanung oder auch interdisziplinäre Fortbildungsveranstaltungen zwischen ärztlichem Dienst und der Pflege sein. Dies alles sollte gepaart werden mit einer Entlastung der Pflege von Aufgaben, die die Pflege inzwischen zusätzlich übernehmen muss. Nachdenkenswert wäre hier beispielsweise der Einsatz von Dokumentationsassistenten. Auch könnten Sozialarbeiter auf Station die Pflege im Hinblick auf deutlich zunehmende soziale oder kulturelle Konfliktsituationen der Patienten unterstützen.
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Metadaten
Titel
KHPflEG: Reform oder "Reförmchen"
Publikationsdatum
01.03.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Pflegezeitschrift / Ausgabe 3/2023
Print ISSN: 0945-1129
Elektronische ISSN: 2520-1816
DOI
https://doi.org/10.1007/s41906-023-2014-9