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Erschienen in: Pflegezeitschrift 11/2019

01.11.2019 | Pflege Management Zur Zeit gratis

Interview

Erschienen in: Pflegezeitschrift | Ausgabe 11/2019

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Mitarbeiterbindung und Motivation Gutes Pflegepersonal zu finden und zu halten ist derzeit die hohe Kunst in deutschen Kliniken. Dabei gibt es Vieles zu beachten und manchmal kann man schon mit Kleinigkeiten große Wirkungen erzielen. Darüber sprachen wir mit Christel Bienstein, DBfK Präsidentin und Pflegewissenschaftlerin der Universität Witten/Herdecke. Wir fragten Sie, was Arbeitgeber in Deutschland besser machen könnten?
Frau Bienstein, Mitarbeiterbindung ist für viele Kliniken das beherrschende Thema. Aber wie macht man es nun richtig?
Bienstein: Es gibt vier Parameter, die entscheidend sind, Mitarbeiter zu halten und an denen man sich als Arbeitgeber orientieren sollte: Transparenz, Selbstorganisation, Wertschätzung und Karriereentwicklung. Auffällig ist auch, dass Arbeitgeber, die sehr flexibel mit Arbeitszeiten umgehen, eine höhere Verweildauer ihrer Mitarbeiter haben.
Wie kann das aussehen - flexible Arbeitszeitgestaltung? Bricht dann nicht das Chaos im Dienstplan aus?
Bienstein: Was sich in diesem Punkt sehr bewährt hat, ist die Gestaltung eines Wunschdienstplans unter den Mitarbeitern. Hier trägt jeder selbst in den Dienstplan ein, wann und wie er arbeiten möchte. Die Befragung des DBfK zu diesem Thema hat gezeigt, dass die Leitungen erstaunlicherweise kaum Korrekturen vornehmen mussten. Und das schafft Zufriedenheit auf beiden Seiten: Auf Leitungsseite gibt es weniger Diskussionen mit den Mitarbeitern und diese erhalten so die Möglichkeit, ihr Privatleben neben dem Schichtdienst besser zu organisieren. Vereinbarkeit von Famile und Beruf ist damit deutlich besser gegeben - und die Klinik als Arbeitgeber somit auch deutlich attraktiver.
Woran liegt es, dass die Pflege häufig selbst krank ist?
Bienstein: An erster Stelle liegt es an der hohen Arbeitsbelastung. In Deutschland versorgt eine Pflegende 13 Patienten in einer Schicht - in Norwegen sind es nur vier. In der ambulanten Pflege sieht es ähnlich aus: Die einzelne Pflegekraft muss viele Patienten versorgen; hinzukommen teils lange Fahrtwege und die Parkplatzsuche. Auch das erzeugt viel Stress, der auf Dauer krank macht.
Wie könnten gesündere Rahmenbedingungen aussehen?
Bienstein: Wir vom DBfK schlagen vor, die Arbeitsstunden zu reduzieren. Es gibt Studien aus Skandinavien, die belegen, dass durch die Reduzierung der Arbeitszeit bei voller Bezahlung die Krankheitsquote deutlich gesenkt werden kann. Der verringerte Krankenstand bedeutet letztlich einen großen wirtschaftlichen Gewinn. Und dann wünschen wir uns, dass die Berufsgruppe der Pflegenden, die unter besonders schwierigen Arbeitsbedingungen beschäftigt ist, zwei Jahre eher in den Ruhestand gehen kann - ohne Abschläge. Diese Form der Wertschätzung schafft besonders bei älteren Mitarbeitern noch einmal eine höhere Motivation durchzuhalten.
Die Ideen klingen gut - aber sind sie auch umsetzbar?
Bienstein: Das Wichtigste ist zunächst, die Arbeitsbelastung durch mehr Personal zu reduzieren. Da kommen wir nicht drum herum. Deshalb schließt sich der DBfK auch den Erkenntnissen der Bertelsmann-Studie an und unterstützt die Empfehlung, Kliniken zu schließen. Denn eigentlich haben wir nicht zu wenig Pflegepersonal, es ist nur auf zu vielen Häusern verteilt. Vor allem in den Ballungszentren haben wir zu viele Kliniken. Würden hier einige Krankenhäuser in ihren Schwerpunkten zusammenlegen, könnten wir auch die Pflegenden anders verteilen - fokussiert und nach tatsächlichem Bedarf. Das würde dann automatisch den Stellenschlüssel auf den einzelnen Stationen erhöhen.
Das erfordert aber eine starke politische Umstrukturierung...
Bienstein: Ja, wir brauchen eine grundlegende Gesundheitsreform. Diese Umstrukturierung ist nicht mit so einem Reförmchen, wie wir es im Moment immer noch haben, zu schaffen. Gesundheitsminister Jens Spahn versucht an wichtigen Stellschrauben zu drehen: Wenn er es schaffen sollte, die 600 Notfallambulanzen zu schließen, dann sind viele Kliniken automatisch tot. Denn über die Notaufnahmen kommen die meisten Patienten auf die Stationen. Der Prozess der Klinikschließungen würde sich also automatisch ergeben. Und dann würden auch wieder mehr Pflegefachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Was können wir trotz - oder gerade wegen - der momentanen Situation tun, um die Mitarbeiter an unser Haus zu binden und somit in der Pflege zu halten?
Bienstein: Ich glaube, es muss mehr Verantwortungsbewusstsein bei den Leitenden geben. Sie müssen noch mehr verstehen, wie wichtig es ist, auf den einzelnen Mitarbeiter zu schauen: Wo kann ich meine Mitarbeiter mitsprechen lassen? Kann ich meine Arbeit transparenter gestalten? Wieviel Selbstorganisation kann ich den Mitarbeitern zumuten? Kleinigkeiten sind dabei oft sehr wichtig. Kleine Geste große Wirkung haben beispielsweise Geburtstagsglückwünsche. In einigen Häusern bekommt der Mitarbeiter an diesem Tag sogar einen freien Tag geschenkt. Ganz wichtig ist es, ins Gespräch zu kommen und konkret zu fragen "Was brauchst Du, damit Du gesund im Beruf bleibst?" Vielen Pflegenden hilft es auch, wenn Sie Unterstützung in der Kinderbetreuung in Form von Kooperationsverträgen zwischen Arbeitgeber und Kindertagesstätten erhalten. Oder wenn sie unterstützt werden, wenn sie nicht nur beruflich pflegen, sondern auch eine private Betreuungssituation haben. Deshalb sollte man schon bei der Neuanstellung oder bei der Überprüfung des Personalbestands den familiären Hintergrund abfragen, um gegebenfalls Angebote machen zu können. Wir fordern auch, dass Pausen in der Nacht möglich sind - das klappt aber nur, wenn genügend Pflegende da sind. Über einen Springerdienst könnte man hier schon mal erste Hilfe leisten.
Kennen Sie konkrete Beispiele?
Bienstein: Ja, eine Klinik in Groningen in den Niederlanden wurde beispielsweise zum besten Arbeitgeber in der Nacht ausgezeichnet. Hier haben die Pflegenden im Nachtdienst beleuchtete Wege und Parkplätze. Außerdem erhält jeder Mitarbeiter zur Nachtschicht eine Versorgungstüte mit gesundem Essen. Zusätzlich ist auch immer eine Leitungsperson im Nachtdienst, die über die Stationen geht und Unterstützung anbietet. Eine tolle Möglichkeit, Wertschätzung und Anerkennung auszudrücken.
Sie sagen, das Betriebliches Gesundheitsmanagement wichtig ist. Worauf sollte eine Führungskraft achten?
Bienstein: Die Arbeitsbelastung und die Zunahme der Arbeitsdichte führen zu großen seelischen und körperlichen Belastungen. Ganz weit vorne stehen dabei die psychischen Erkrankungen Burn out und Depression. Mir ist deshalb sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass man besonders die jungen Pflegenden bereits während ihrer Ausbildung für die eigene Gesundheiterhaltung sensibilisiert. Zum einen geht das natürlich über die Motivation zu mehr Bewegung und guter Ernährung. Entscheidend ist aber besonders die psychische Gesundheit. Dabei fällt mir das Konzept des Disaster Nursing ein: Hierbei handelt es sich um einzelne Module zur Erhaltung einer stabilen Psyche. Diese Module werden schon in der Grundausbildung gelehrt und können später in einem Masterstudiengang gefestigt werden. Disaster Nursing befasst sich mit großen Katastrophen wie Erdbeben, Tsunami oder Terroranschlägen und bietet Optionen, wie man als Pflegende an diesen Erlebnissen nicht zugrunde geht. Ein Konzept, das wir in Deutschland noch zu wenig anwenden.
Eine Säule für die Mitarbeiterbindung ist die Karriereentwicklung. Wie sollte diese aussehen?
Bienstein: Das Tolle ist, dass das Karriere-Management ja jetzt durch die Kammern nachdrücklich eingefordert wird. Der Arbeitgeber muss Angebote und Möglichkeiten schaffen, damit Mitarbeiter sich stetig weiter qualifizieren können. In den Niederlanden beispielsweise ist man sich im Gesundheitswesen über die Wichtigkeit der Fortbildung der eigenen Mitarbeiter bewusst. Viele Kliniken praktizieren hier ein interessantes Modell der Mitarbeiterschulung: Die Teams auf den Stationen entwickeln eigene, für ihre Arbeit relevante Fragestellungen, die dann eine Pflegende aus dem Team bearbeitet. Dafür wird sie einen Tag vom Stationsdienst frei gestellt und kann am Stationscomputer oder in der Bibliothek recherchieren und die neuesten Erkenntnisse zusammenstellen. Später präsentiert sie die Ergebnisse ihrem Team. Monatlich durchgeführt ist es eine recht unkomplizierte Methode der Mitarbeiterschulung.
Nicht alle Mitarbeiter haben ein Interesse an Fort- und Weiterbildungen - oder ihnen fehlen Zeit oder Energie. Wie kann ich als Leitung mein Team trotzdem dafür motivieren?
Bienstein: Als Leitung sollte ich mit den Kollegen bespreche, was sie brauchen oder was sie sich wünschen. Ich weiß, dass dann viele sagen, sie bräuchten auf keinen Fall eine Fortbildung. Mein Tipp: Schaffen Sie Anreize. Machen Sie Lernzeit zur Dienstzeit. Oder geben Sie auch Ausgleichstage für die Fortbildungstage.
Frau Bienstein, Sie sind Pflegewissenschaftlerin. Welchen Einfluss hat die Pflegewissenschaft auf das gesellschaftliche Leben heute?
Bienstein: Vor allem, wenn die wissenschaftlichen Ergebnisse mit ökonomischen Zahlen unterlegt werden können, hat die Pflegewissenschaft einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Die Ergebnisse aus den Forschungen werden wahr- und ernstgenommen - mehr denn je. Allerdings würde ich mir von unseren Pflegewissenschaftlern mehr politisches Engagement wünschen. Ich finde es ganz wichtig, dass Pflegewissenschaftler auch politisch denken. Und momentan gehen die Türen in die Politik für Pflegethemen sehr weit auf. Wenn wir das nicht für uns nutzen, sind wir selbst schuld.

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17. Gesundheitspflege-Kongress 1. und 2. November 2019 / Hamburg

Fachkräftemangel, Schichtdienst, AU - Wege zu einer gesunden Pflege: Darüber diskutieren die Experten am 1. November von 14.00 - 16:30 Uhr. Christel Bienstein gehört zu dieser Runde und wird von ihren Eindrücken berichten und für Fragen zur Verfügung stehen.
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Metadaten
Titel
Interview
Publikationsdatum
01.11.2019
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Pflegezeitschrift / Ausgabe 11/2019
Print ISSN: 0945-1129
Elektronische ISSN: 2520-1816
DOI
https://doi.org/10.1007/s41906-019-0183-3

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