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Erschienen in: Heilberufe 9/2022

01.09.2022 | Pflege Perspektiven

Integration gestalten

verfasst von: Nina Konopinski-Klein

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 9/2022

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Bindung schaffen und optimal einarbeiten Die Zahl ausländischer Pflegekräfte in Deutschland ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Doch ihre Rekrutierung garantiert nicht, dass sie dauerhaft im deutschen Gesundheitssystem tätig sind. Welche Gründe gibt es dafür und wie kann Integration gelingen?
Das Problem der fehlenden Pflegekräfte begleitet uns bereits seit Jahren. Leider wurde bisher eher marginal an einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte gearbeitet. Stattdessen wurden neue Quellen gesucht, die zur Rekrutierung von Personal genutzt wurden. Den Pflegekräften aus dem osteuropäischen Raum folgten Personen von den Philippinen, aus Vietnam oder Costa Rica. Inzwischen laufen Programme auf der bundesministerialen Ebene, um Menschen für die Gesundheits- und Krankheitspflegestellen aus der EU und dem außereuropäischen Raum zu engagieren. Politische Ereignisse, wie der Brexit oder die Migrationswelle aus dem Nahen Osten, wurden genutzt, um neue Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Heimen zu etablieren. Es entstand ein Markt aus organisierten Personalvermittlern, die für hohe Prämien die Verwaltungen unterstützen, jedoch den Verbleib der rekrutierten Personen im Krankenhaus oder Heim über eine längere Zeit hinaus nicht garantieren können. Oft erfolgt nach etwa zwei Jahren ein Wechsel, und die Suche nach neuen Mitarbeitenden beginnt von Neuem.

Gründe für den kurzen Verbleib

Als häufigste Gründe für die Unzufriedenheit des ausländischen Personals und für den Wechsel in eine andere Einrichtung oder sogar in einen anderen Beruf werden folgende Punkte genannt:
Sprachliche Probleme: Um berufliche Anerkennung zu bekommen, reicht eine nachgewiesene Sprachkenntnis auf dem B2-Niveau aus. Dies beinhaltet allerdings lediglich Grundkenntnisse in Deutsch, was für alltägliche Gespräche mit Kollegen mühsam sein kann. Durch Kommunikationsschwierigkeiten entstehen Probleme und Missverständnisse, die die Atmosphäre negativ beeinflussen.
Fehlende Wertschätzung der Leistung im Ursprungsland: Oft müssen Personen, die in ihrer Heimat bei adäquater Ausbildung bzw. durch eine andere Struktur der Ausbildungssysteme eine höhere Position erreicht hatten, in Deutschland Tätigkeiten ausüben, die früher nicht zu ihrem Arbeitsbereich gehörten (Körperpflege der Patienten, Service-Leistungen). Dadurch fühlen sie sich nicht richtig anerkannt beziehungsweise empfinden ihre Aufgabe nicht als erfüllend oder sogar als entwürdigend.
Unterschiedliche Arbeitssysteme und Zuständigkeiten: In manchen Ländern erfüllt das Pflegepersonal Aufgaben (aufgrund der Ausbildung beziehungsweise aus Not bei Ärztemangel), die in Deutschland nur Ärzten erlaubt und nicht delegierbar sind, wie Anamnese, Untersuchung der Patienten und Patientinnen, Entscheidung über die Therapie, Aufklärung und Beratung, Durchführung invasiver und operativer Eingriffe. Diese Erfahrung im Heimatland und das Verbot der Ausübung in Deutschland führt zu Missverständnissen und zum Gefühl der "gekappten Kompetenzen" - das heißt "ich kann, darf aber nicht" - und zu einer daraus folgenden Unzufriedenheit sowie dem Gefühl der Benachteiligung.
Wahrgenommene Diskriminierung, Mikroaggressionen: Personen, die zum Arbeiten nach Deutschland kommen, sind meist voll Mut und Optimismus. Im neuen Land werden sie aber oft (vor allem am Anfang, wenn sie sich noch nicht perfekt ausdrücken können) mit Belehrungen, negativen Bemerkungen oder gar offener Ablehnung konfrontiert. Diese ersten negativen Erfahrungen führen zu einer Feinfühligkeit und Empfindlichkeit, die bei weiteren, auch gut gemeinten Ratschlägen falsche Reaktionen auslösen können. Sie führen zu Konflikten, die im schlimmsten Fall in einer Kündigung oder Rückkehr in das Heimatland münden.
Auf der Seite der Stammbelegung können öfter sogenannte Mikroaggressionen beobachtet werden. Es sind verbale, non-verbale oder visuelle subtile Beleidigungen, die meist automatisch und unbewusst erfolgen. Hierzu gehören abweisende Blicke, Gesten, Töne oder subtile Brüskierung. Die Signale werden im täglichen Austausch und in Interaktionen automatisch gesendet, jedoch bei Konfrontation der Parteien oft beschönigt oder als harmlos und unschuldig abgetan ("Sei nicht so empfindlich", "So war es nicht gemeint"). Auch wenn sie nicht boshaft gesendet werden, spiegeln sie das subjektive Empfinden der Menschen und können die Leistung des Gegenübers in vielen Situationen beeinträchtigen. Sie schaffen das Gefühl der Ungerechtigkeit und erschöpfen die physische und psychische Energie der Empfänger.
Ebenfalls kann die in der deutschen Arbeitswelt herrschende Direktheit bei Anweisungen erschwerend hinzukommen, die in manchen Kulturen, zum Beispiel im asiatischen Raum, fremd ist und dadurch manchmal als Kritik und beleidigend empfunden werden kann. Ebenso kann das übliche sofortige Duzen unter dem Personal unabhängig vom Alter der Personen als respektlos und zu direkt empfunden werden. Auch das oben beschriebene Verhalten, fachliche Kompetenzen runterzuspielen oder nicht anzuerkennen, kann zum Gefühl der Diskriminierung führen. Eine sofortige Klärung dieser Empfindungen oder Missverständnisse kann helfen, ein später entstehendes Ringen um Tätigkeiten zu verhindern.

Was bewegt das Stammpersonal?

Die Beispiele der Gründe für die Unzufriedenheit spiegeln das subjektive Empfinden der Menschen wider. Sie sind jedoch entscheidend, denn das Wohlbefinden, das Gefühl anerkannt und verstanden zu werden, die Zugehörigkeit zum Team und gute Arbeitsbedingungen sind für alle, nicht nur für ausländische Arbeitskräfte, die Basis der Arbeitszufriedenheit, die wiederum der Anfang einer guten Leistung ist. Auch das Stammpersonal wird, falls nicht richtig vorbereitet, im Falle einer Einstellung einer ausländischen Pflegekraft einer Reihe von Bedenken gegenübergestellt. Gründe hierfür können beispielsweise sein:
  • Schlechte Erfahrungen mit früheren Mitarbeitenden aus dem Ausland. - "Wir hatten schon mal jemanden aus XX. Das hat uns mehr Arbeit gebracht als geholfen."
  • Grundsätzlich falsche Einstellung gegenüber Fremden - "Wozu brauchen wir Personal aus dem Ausland? Es gibt genügend Deutsche, die hier arbeiten könnten."
  • Gefühl der Ungerechtigkeit, wenn den ausländischen Kräften mehr Vorteile zugestanden wurden. - "Die bekommen Kurse, Sonderschichten und mehr Geld. Was ist mit uns?"
  • Überbelastung und Zusatzaufgaben in der Einarbeitungszeit der neuen Kollegen. - "Wir haben schon so viel zu tun und müssen uns noch mit der Neuen plagen."
  • Ungeduld, wenn Vorgänge mehrmals erklärt werden müssen. "Ich habe alles schon so oft erklärt. Ich habe keine Lust mehr dazu."

Welche Lösungen gibt es?

Um eine reibungslose Integration in das tägliche Geschäft zu ermöglichen, sollte die Kooperation mit den neuen Mitarbeitenden bereits vor der Einstellung anfangen. Die Personen sollten anschließend während der Einarbeitung eng betreut und im Falle von Konflikten souverän begleitet werden.
Geben Sie Ihren ausländischen Kolleginnen und Kollegen das Gefühl, willkommen zu sein. Wenn Sie dies ehrlich und authentisch vermitteln, bekommen Sie auf Dauer zufriedene, engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Checkliste: Gelingende Integration

Vor der Einstellung:
  • Klären der erforderlichen und notwendigen Sprachkenntnisse. Eventuelle Unterstützung durch Arbeitgeber oder Personalvermittler mit Kurs- und Literaturangeboten
  • Information über Strukturen, Teamzusammenstellung, Aufgaben, erforderliche Kompetenzen
  • Klärung und Vorbereitung der praktischen Durchführung, wie die erforderliche Unterstützung bei Familien-integration (Kinderversorgung, Unterbringung), Organisation der Basisformalien (Anmeldung, Konto-eröffnung, Krankenkasse, Versicherungen)
  • Einbinden der Neueinstellung ins Team durch vorherige Information, klären der Unterstützungsmöglichkeiten und Patenschaft
  • Das Stammpersonals sensibilisieren hinsichtlich der Tatsache, dass Migration auch Stress bedeutet, und wie sie aktiv dagegen angehen können.
Während der Einarbeitung:
  • Zügige Vorstellung der neuen Kraft im Team
  • Information an das Team über die neue mitarbeitende Person (Ursprungsland, Kenntnisse, Erfahrung, Alter)
  • Aufklärung durch Führungskraft über Besonderheiten des Ursprungslandes und eventuelle Empfindlichkeiten der Kultur (Achtung der Religion, Risiken bei Humor, Körperkontakt, Kleidungs- und Ernährungsbesonderheiten)
  • Zuteilung eines Paten als erste Anlaufstelle bei Fragen und Unklarheiten. Hierbei kann es von Vorteil sein, vor allem bei Kommunikationsproblemen, eine Person aus dem gleichen Ursprungsland einzusetzen. Allerdings sollte die Führungskraft mit integriert werden, um eine Cliquenbildung zu vermeiden.
In der regulären Arbeitszeit:
  • Feedbackschleifen etablieren, regelmäßiges Abfragen der Erfahrungen der Teammitglieder
  • Möglichkeit zu vertraulichen Gesprächen bei verborgenen Konflikten schaffen (anschließende Anhörung aller Parteien verhindert Einseitigkeit im Urteil)
  • Möglichkeiten für Zusammenarbeit in Gruppen und Projekten für kulturell gemischte Teams bieten
  • Erstellen von individuellen, auf Kompetenz basierenden Mentoringprogrammen
  • Hilfe durch die Verwaltungsmitarbeitenden der Institution beim Erreichen der Berufsanerkennung, Weiterbildung, Erlangen der Staatsbürgerschaft anbieten
  • Perspektiven für Weiterentwicklung schaffen, Karriere-pläne rechtzeitig eruieren und gemeinsam vereinbaren
  • Gemeinsame Aktivitäten für die Teams organisieren und Möglichkeiten zum Kennenlernen und zum Austausch schaffen, um Bindung zum Unternehmen zu fördern
  • Möglichkeiten außerhalb der Arbeit vorstellen und die kulturellen Besonderheiten bekanntmachen. Die Freizeit der Mitarbeitenden nicht unterschätzen. Ausländische Personen haben oft keine sozialen Kontakte. Sie sind allein und fühlen sich einsam oder isoliert. Viele haben selbst nach Jahren keinen Freundeskreis außerhalb der bekannten Personen aus dem Heimatland. Aber gerade eine schnelle Integration im privaten Bereich, durch Kontakte und Zusammentreffen, schafft Berührungs-punkte, die das Kennenlernen erleichtern und "das Fremde und Unbekannte" beidseitig auflösen. Dies ist der Schlüssel zum Wohlfühlen und dem Gefühl, angekommen zu sein, was einem Weiterziehen und der Suche nach einer neuen Stelle oder einem neuen Wohnort vorbeugt.

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Metadaten
Titel
Integration gestalten
verfasst von
Nina Konopinski-Klein
Publikationsdatum
01.09.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 9/2022
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-022-2906-x

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