Job-Union: Hebamme und Bestatterin

Für jede(n) immer die passende Begleitung Für die Sorgen, Trauer und Freude der Menschen hat Ellen Matzdorf ein besonderes Gespür: Sie ist Hebamme und Bestatterin. In dieser Job-Kombination hat sie ihre Berufung gefunden. Ellen Matzdorf ist Hebamme und Bestatterin in Oldenburg. Das war nicht immer so. Zunächst arbeitete sie in der Altenpflege. Nachdem sie selbst Mutter wurde und ihr Familienleben mit den Konditionen im Pflegeberuf nicht mehr gut zu vereinbaren war, entschied sie sich, Hebamme zu werden. Nach ihrer Ausbildung machte sie sich 1997 als Beleghebamme selbstständig und gründete 1999 schließlich sogar das erste Geburtshaus in Oldenburg. Von Anfang an habe sie versucht, Frauen und Familien so zu begleiten, wie sie es gebraucht haben, erklärt die dynamische Frau. Gebären und Sterben gehören zum Leben Bis in die 1990er Jahre sei es an der Tagesordnung gewesen, dass Mütter ihre Kinder in Rückenlage mit Dammschnitt geboren haben. Langsam wuchs aber das Selbstbewusstsein der Frauen und mit dem Aufkommen der ersten Geburtshäuser änderte sich viel bei der Geburtsplanung und in der Geburtshilfe generell, berichtet Matzdorf. Es wurde ganzheitlicher geschaut: Was braucht die Frau? Was braucht der Mann? Und was braucht auch dieses Paar vielleicht gemeinsam? Die Frage, die für sie bei ihrer Arbeit immer an erster Stelle stand: Wie können wir in der Geburtshilfe dahin kommen, dass die fachliche Begleitung der Vorstellung der Frau, des Paares oder der Familie entspricht – ganz so, wie es in dem Moment genau richtig für diese ist? Ähnlich sei es auch mit Bestattungen. Beim Sterben und bei der Verabschiedung schaue sie genau hin, was die Menschen gerade bräuchten. Auch diese würden sich weiterentwickeln, sagt Matzdorf. In Oldenburg gibt es zum Beispiel ein Fahrrad, auf dem ein Sarg transportiert werden kann. Der Aktionskünstler Michael Olsen wollte damit den Tod sichtbar machen. Denn nichts sei so selbstverständlich wie der Tod. Heute gehört das Bestattungsrad fest zum Stadtbild in Oldenburg und dient dem Transport von Verstorbenen von zu Hause ins Bestattungsinstitut, in die Kirche oder auf den Friedhof. Es sei fast immer ausgebucht, so Matzdorf. Eine Geburt ist eine Geburt, auch wenn sie das Ende des Lebens bedeutet Die Geburt gilt als Beginn des Lebens – doch nicht jedes Kind kommt lebend zur Welt. 2022 wurden laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 3.247 Kinder tot geboren. Dies entspricht 4,4 von 1.000 Geburten. Die Geburt eines verstorbenen Kindes ist und bleibt eine Geburt – eine Geburt, ohne Wertung und ohne Abstufung, macht Matzdorf deutlich. Denn für die gebärende Frau bleibe es ihre Geburt, mit dem ganzen Stolz und dem ganzen Glück, das dazugehöre. Plus der Trauer. Dass dies aber vielleicht nicht so sei, denken viele und das sei genau das Problem, meint Matzdorf. Die Frau habe vielleicht ihr erstes Kind geboren und dies super gemacht, sehr selbstbestimmt und sehr klar. Deshalb werde sie es bei der nächsten Geburt leicht haben, weil sie die Erfahrung gemacht habe, bereits so großartig geboren zu haben, erklärt sie. Und natürlich werde von nun an auch ein totes Kind Bestandteil ihrer Familie und ihres Lebens sein. „Wir kommen nie dahin, dass Sterben normal wird, wenn wir schon bei der Geburt sagen: Das war jetzt besonders schlimm“, appelliert sie. Es treffe doch jede Frau gleich, egal ob das Kind lebe oder tot sei. Sie habe geboren und damit sei sie genauso Mutter und bewundernswert wie jede andere, so Matzdorf. Begleitung von Anfang bis Ende Ellen Matzdorf hat im Laufe ihrer Jahre als Hebamme viele Frauen kennengelernt, die ein totes Kind geboren haben. Sie beobachtete, dass das Schlimme für diese Mütter häufig nicht nur die Verarbeitung des Todes ihres Kindes war, sondern besonders dass sie durch unsinnige und willkürliche Hürden an ihre Grenzen gekommen seien. Auch weil Bestatter*innen mit dieser Situation oft nicht adäquat umgehen konnten. Es waren also nicht die Totgeburten selbst, sondern die schlechte Begleitung der Frauen und ihrer Familien, die Ellen Matzdorf dazu bewogen haben, sich als Kinderbestatterin selbstständig zu machen. Später kamen dann auch Bestattungen von Erwachsenen hinzu, erzählt Matzdorf. Erstmals darüber nachgedacht, auch Bestatterin zu werden, hatte sie bereits 15 Jahre bevor sie sich den ersten Bestattungswagen gekauft und 2018 Stern Bestattungen in Oldenburg gegründet hatte. Heute ist Ellen Matzdorf nicht immer schon bei der Geburt des bereits verstorbenen Kindes dabei. Manchmal kommen die Frauen oder deren Familien erst nach der Geburt zu ihr. Aber es gäbe immer mehr Menschen, die sich bereits frühzeitig an sie wenden, erzählt sie. Sie sei auch die erste Hebamme gewesen, die keine getrennten Rückbildungskurse für Mütter von lebenden und für Mütter von verstorbenen Babys angeboten habe. Der Grund dafür ist die Begegnung mit einer Mutter, deren Neugeborenes verstorben war und die bewusst nicht ausschließlich mit Müttern, die in der gleichen Situation wie sie waren, den Kurs machen wollte. Dieser geballten Trauer wollte sie sich nicht aussetzen. Sie habe es akzeptiert, dass ihr Kind nicht mehr lebe, und sie wünsche sich einen normalen Umgang damit. Ihr totes Kind sei ihre Realität und sie wolle auch die Anerkennung dafür, habe die Mutter ihr erklärt, so Ellen Matzdorf. Engagement für Hebammen 2016 – nach 17 Jahren – schloss Matzdorf ihr Geburtshaus, arbeitet aber seitdem weiter als freie Hebamme. Enttäuscht von der politischen Entwicklung rund um das Hebammenwesen in Deutschland wollte sie nicht mehr Teil des Systems sein und hörte auf, mit den Krankenkassen abzurechnen. Sie habe den Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen gekündigt, erzählt sie. Ihre Frauen holen sich Übernahmebescheinigungen von ihren Krankenkassen und bekommen dann die Kosten in Höhe der Hebammengebührenordnung zurückerstattet. Denn laut Gesetz habe nach wie vor nicht die Hebamme, sondern die Frau ein Anrecht auf die Bezahlung der Hebammenleistungen, erklärt Matzdorf. Sie hätte sich gewünscht, dass möglichst viele Hebammen ihrem Beispiel gefolgt wären. Bei 800.000 Geburten pro Jahr in Deutschland, könnten sich 1,6 Mio. Menschen dafür stark machen, dass Hebammen hier vernünftig bezahlt würden, was aber leider nicht geschehe. Nach Schwangerschaft und Geburt träten schnell andere Themen in den Vordergrund der Mütter und deshalb sei die Zeit zu kurz, um politisch aktiv zu werden und nachhaltig Lobbyarbeit für Hebammen zu betreiben. Abgesehen davon möchte die Frau ihre Schwangerschaft genießen und sich nicht mit Politikthemen befassen. Das verstehe sie durchaus, so Matzdorf. Aber es wäre der richtige Ansatz, meint sie, wenn alle Hebammen sofort aus dem Versorgungsvertrag aussteigen würden, ihre Rechnung den Frauen schickten und diese von ihren Krankenkassen dann den Betrag zurückerstattet bekämen. Das habe letzten Endes immer funktioniert, weil die Krankenkassen genau wüssten, dass sie in der Pflicht seien, berichtet sie. Handwerk und Intuition Hebammen wissen, es gibt Geburtsverläufe und Momente, die sie nicht verhindern können. Egal ob zu Hause oder in der Klinik. Sie habe viele Geburten begleitet, die kritisch waren und die oft dank ihrer Intuition gut ausgegangen seien. Sie sei gut im Risikomanagement, beherrsche ihr Handwerk, jeder Handgriff sitze. Aber nun, mit über 60, sei sie nicht mehr dazu bereit, den damit verbundenen Stress auszuhalten. Nach ihrer letzten Hausgeburt, sei sie so glücklich und zufrieden gewesen, dass sie genau wusste: „Und jetzt höre ich auf!“ Deshalb kehrte sie vor wenigen Jahren in die herkömmliche Hebammenarbeit nicht mehr zurück, sondern legte von nun an ihren Schwerpunkt als Hebamme auf die Begleitung von Frauen, deren Kinder verstorben seien oder versterben würden. Mit Ausnahmen: Derzeit betreue sie eine Frau, die nach einer Fehlgeburt im vergangenen Jahr nun wieder schwanger sei. Sie führe viele Gespräche, mache Entspannungsübungen und Hypnosearbeit mit ihr und begleite sie dank guter Kontakte ins Krankenhaus zum Ultraschall, wenn plötzlich Panik aufkomme, weil etwas mit dem Kind nicht stimmen könnte. Getreu ihrem Motto: Jede Frau bekommt die Begleitung, die sie braucht. Eine Frage der Organisation Als Hebamme arbeitete sie zu 80% in der Nacht oder am Wochenende, als Bestatterin sei das anders. Es sei leichter zu organisieren. Mit dem Wissen von heute, hätte sie sich auch in jungen Jahren als Hebamme anders aufgestellt und nicht so viel allein gearbeitet, sondern sich mit Kolleginnen zusammengetan, sagt Matzdorf. Denn manchmal habe ihre Familie sie über Tage nicht gesehen. Als Bestatterin ist es ihr wichtig, dass immer jemand aus ihrem Team erreichbar sei, um einen Anruf persönlich entgegenzunehmen und zu fragen: Was brauchen Sie jetzt? Wie schnell brauchen Sie ein Gespräch? Es gehe immer darum, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen und für sie da zu sein. Das handhabe sie auch bei Trauerfeiern so. Einer von ihrem Team sei deshalb immer mit im Raum. „Du musst da sein. Du bist das Gesicht für die Menschen, du gibst den Halt“, sagt Matzdorf. Es gebe Menschen, die bräuchten die klassischen Rituale – auch die kirchlichen. Aber auch Bestattungen würden zunehmend individueller und selbstbestimmter, dem werde sich auf kurz oder lang niemand entziehen können, meint Matzdorf. Es gebe nicht nur neue Bestattungsformen, wie die Reerdigung, es sei auch möglich, einen Sarg selbst zu gestalten, von außen und innen, ihn sogar schon vorab mit nach Hause zu nehmen, die Verstorbenen selbst zu waschen und anzukleiden, nach der Beisetzung das Grab gemeinsam zu zuschaufeln und vieles mehr. Zum Glück spreche sich auch immer mehr herum, dass totgeborene Kinder nicht zu klein für eine Bestattung seien und sie deshalb eben auch nicht in einem Gemeinschaftsgrab beerdigt werden müssten, sondern Eltern einen eigenen Ort für ihr Kind haben dürften. Im Gespräch versuchen sie und ihr Team, die Menschen, die zu ihr kommen auch immer mit etwas Leichtigkeit zu beraten und ihnen die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen. „Wir können nur Angebote machen, entscheiden müssen sie“, sagt Matzdorf. Ein Vorbild für andere Sie würde sich freuen, wenn es noch mehr Hebammen gäbe, die auch als Bestatterin arbeiten. Denn diese Berufe seien eine sehr gute Kombination, meint sie. Wenn man als Hebamme eine Familie begleite, gebe es immer ein enges Vertrauensverhältnis. Sie habe bis heute Kontakt zu vielen der Frauen, deren Geburt sie begleitet habe. Wenn ein Kind stirbt, gebe es nichts Besseres, als jemanden zu haben, den man schon kennt. Dann bedarf es nicht vieler Worte, um diesen Weg gemeinsam zu gehen, sagt sie. Distanz sei hier fehl am Platz, denn nahbar zu sein, sei unabdingbar. Mit jeder Form der Unnahbarkeit verliere das, was gerade passiert sei, auch seine Selbstverständlichkeit. Wenn ein Kind stirbt, sei auch Ellen Matzdorf sehr traurig. Auch wenn sie eine Trauerrede halte, müsse sie manchmal eine Pause machen und schlucken. Aber das halte sie aus, denn es sei nicht ihr eigener Verlust und auch nicht ihre eigene Trauer. Man dürfe sehr viel Mitgefühl haben, aber kein Mitleid. Nach 20 Jahren Hebammenarbeit, zusätzlich in den Bestattungsbereich zu gehen, sei rückblickend auch ein Geschäftsmodell. Ihr Bekanntheitsgrad als Hebamme sei groß und viele Frauen und Familien, die sie zur Geburt begleitet habe, hätten Eltern, die nun alt seien und sterben würden. Diesen Frauen und Familien sei sie zu einer wichtigen Zeit ihres Lebens sehr nah gewesen und das ermutigt sie heute darin, sie auch bei einem Trauerfall anzurufen. Die Menschen wissen, ihr Trauerweg ist ebenso individuell wie alles andere im Leben und sie wünschten sich ihre persönliche Begleitung. Davon hörten dann wiederum andere und kämen auf sie zu. Für sie sei es selbstverständlich, jeder und jedem die Begleitung zu geben, die sie oder er in dem Moment braucht, ob am Anfang oder am Ende des Lebens.

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