Jenny ist schwanger. Und drogenabhängig. Der Kinofilm VENA erzählt ihre Geschichte vom Kampf gegen die Sucht, um für sich und ihr ungeborenes Kind Verantwortung übernehmen zu können. Beeindruckend ist aber vor allem auch die vorurteilsfreie, einfühlsame und stärkende Betreuung durch die Familienhebamme, die für Jenny alles verändert.
VENA, seit dem 28. November 2024 im Kino, ist ein Film über Einsamkeit, Verlorenheit, Drogenmissbrauch, Sucht, Verurteilungen - und eine schwangere junge Frau am Rande unserer Gesellschaft. Aber auch ein Film über die Kraft des Mutterwerdens und über Hoffnung. Der Titel VENA steht dabei für die Vena umbilicalis, die Mutter und Kind im Uterus miteinander verbindet.
Jenny ist zum zweiten Mal schwanger, konsumiert Chrystal Meth und raucht mit ihren langen künstlichen, bunten Nägeln nicht nur gelegentlich eine Zigarette. Kurz könnte man meinen, der Film sei ein Junkie-Drama. Aber ist er das wirklich? Ein Junkie-Drama?
Die Regisseurin und Drehbuchautorin Chiara Fleischhacker ist weit davon entfernt, genau das zu zeigen. Sie erzählt keine Geschichte von Junkies. Sie erzählt von Jenny und deren Freund Bolle, die in ihrer Sucht gefangen sind – auf der Suche nach Nähe, Halt und Liebe. Chiara Fleischhacker hat zwei Jahre an diesem Drehbuch geschrieben und mit ihrem fast ausschließlich weiblichen Filmteam einen einfühlsamen Blick auf das Leben von abhängigen Menschen geschaffen. Der Film gewinnt zu Recht Preise und erregt viel Aufmerksamkeit.
Man kann sich immer entscheiden
Die Hauptfigur Jenny, gespielt von Emma Nova, weiß nicht in welcher Schwangerschaftswoche sie ist, hat keinen Mutterpass und lehnt jeden Kontakt zu den Behörden ab. Ihr erstes Kind Lukas lebt bei ihrer Mutter. Sie weiß, dass sie auch dieses zweite Kind nicht aufziehen darf, denn sie wird zeitnah ihre Haftstrafe antreten müssen. Für die Entbindung wird sie das Gefängnis zwar kurz verlassen dürfen, doch nach der Geburt muss sie wieder zurück in die Haft. Ohne ihr Neugeborenes, denn Plätze bei denen Mutter und Kind im Strafvollzug zusammenbleiben dürfen, sind rar. Erst als die Familienhebamme Marla (Friederike Becht) in ihr Leben tritt und Jenny allmählich beginnt, ihr zu vertrauen, entwickelt Jenny die Kraft, ihr Leben zu ändern und Verantwortung zu übernehmen. Marla ist der erste Mensch, der Jenny wegen ihrer Sucht nicht verurteilt. Sie hat selbst Suchterfahrungen – sie war magersüchtig.
Einfühlsam fördert Marla die Bindung zwischen Jenny und ihrem ungeborenen Kind. Als Marla Jenny untersucht und die Herztöne hört, erklärt sie: „Es ist ziemlich faszinierend: die kleine Verbindung ist das Leben pur. Durch die Vena Umbilicalis bekommt deine Tochter alles, was sie braucht: Nährstoffe, Sauerstoff, sogar Gefühle. Und leider auch alles, was sie nicht braucht.“
Die Begegnungen mit Hebamme Marla lösen in Jenny ein Umdenken aus, einen festen Willen und eine erstaunliche Kraft, sich aus dem Sog der Sucht zu lösen. Beeindruckend dargestellt von der Hauptdarstellerin Emma Nova kämpft sich Jenny allein zu Hause durch einen Entzug und verlässt ihren Freund Bolle (Paul Wollin), um vorzeitig ins Gefängnis zu gehen, in der Hoffnung, auf einen Mutter-Kind-Platz im Vollzug.
Jenny bekommt schließlich das Kind im Kreißsaal einer Klinik, ein Fuß ist am Bett angekettet. Sie darf ihre Tochter stillen, dann kommt eine Mitarbeiterin vom Jugendamt und nimmt das Neugeborene mit – Jenny wird wieder zurück ins Gefängnis gebracht.
Familienhebammen schaffen Perspektiven
Die Rolle der Marla als Familienhebamme beeindruckte mich sehr: Wie sie Jenny vorurteilsfrei begegnet, immer den richtigen Ton findet und über allem sehr respektvoll mir ihr umgeht. Dieser Film ist ein starkes Plädoyer für die Arbeit von Familienhebammen. Marla unterstützt Jenny in ihrer Selbstwirksamkeit, gibt ihr trotz ihrer Abhängigkeit Würde zurück und zeigt ihr in einer vermeintlichen Sackgasse alternative Wege.
Tatsächlich gibt es in Berlin jährlich nur zwei Plätze für eine Mutter mit ihrem Neugeborenen im Strafvollzug. Auf eine Mitarbeiterin des Jugendamtes kommen in der Theorie im Schnitt ungefähr 35 Familien, in der täglichen Praxis sind es dann aber ca. 125 Familien. Statistisch gesehen wurden zwischen 2017 und 2022 in Deutschland ca. 250 Kinder im Strafvollzug geboren, geschätzt sind es jährlich ca. 60 Kinder. Über neun Bundesländer verteilt gibt es nur 106 Haftplätze für Mütter und Kinder gemeinsam. Diese ernüchternden Zahlen zeigt der Film nicht.