Vollgelaufene Keller, gesperrte Straßen, steigende Pegel: Seit Tagen flimmern Bilder von überschwemmten Orten über die Bildschirme. Doch auch im Katastrophenfall werden Kinder geboren. Wie die Hebammenversorgung in den betroffenen Regionen aussieht, haben wir Prof.in Barbara Fillenberg und Mechthild Hofner gefragt.
Dr. Barbara Fillenberg (links) ist Mutter von drei Kindern und seit 1998 Hebamme. Nach ihrer Tätigkeit in Regensburg wurde sie als Professorin für Hebammenwissenschaft an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität berufen. Seit 2023 ist sie die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V., ©AuenPictures
Mechthild Hofner (rechts) ist Mutter von vier Kindern, seit 1986 Hebamme und seit 2019 1. Vorsitzende des BHLV e.V., sowie Trägerin des Bayerischen Verdienstordens für ihr Engagement für Hebammen, Familien und Kinder in der Corona-Zeit, ©BHLV
Frau Professorin Fillenberg, seit Tagen belastet das Hochwasser in Süddeutschland den Alltag der Menschen. Aber Kinder werden immer geboren – was bedeutet das für Hebammen und Familien?
Fillenberg: Hochwasserereignisse gehören zu den Extrembelastungssituationen für alle Menschen. Schwangere, Gebärende, Wöchnerinnen und Stillende sowie Neugeborene und Säuglinge gehören aber zur besonders vulnerablen Personengruppe – wie unsere älteren Mitbürger*innen, Menschen mit Handicaps, die (auch) dementsprechend besonders schutzbedürftig sind. Wir wissen, dass Angst sowie körperlicher und psychischer Stress besonders kräftezehrend sind. Die Angst setzt meist zuerst ein, also bereits bevor klar wird, ob ein Schadensereignis eintreten wird oder nicht. Stress entsteht in der Akutsituation und kann sich, je nach Ausmaß des Ereignisses, über Jahre hinziehen. Das beeinflusst die Gesundheit, z.B. das Immunsystem, sowie die Mutter- oder Elternschaft, denn wenn wörtlich alles weggespült wurde, geht es um die Existenz.
Das wirkt sich auch auf die Geburtshilfe und die Arbeit der Hebammen aus. Im Katastrophenfall können die Anforderungen an die Kompetenzen von Hebammen mit jenen verglichen werden, die Hebammen im Einsatz in Krisengebieten mitbringen müssen. Diese setzen besondere Flexibilität im Umgang mit unvorhersehbaren Ereignissen sowie Resilienz und ein besonders hohes Maß an Empathie voraus. Sind Hebammen auch noch selbst direkt vom Hochwasser betroffen, leisten sie in diesen Situationen sprichwörtlich Übermenschliches.
Wie können Hebammen Frauen in diesen Situationen erreichen?
Fillenberg: In Bayern greift erstmal grundsätzlich der gut organisierte Katastrophenschutz, der in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut wurde. Rettungsdienst, Feuerwehr, Polizei, Technisches Hilfswerk und DLRG arbeiten eng verzahnt. Zudem wurden „Wasserrettungszüge“ etabliert, in denen Wasserretter mit Booten und Tauchern zusammenarbeiten, sowie die Luftrettung verbessert, sodass auch Kleinkindern geholfen werden kann.
So gibt es einen schnellen Überblick darüber, in welchen Kliniken und Krankenhäusern Frauen und ihre Kinder betreut und versorgt werden können, wenn Infrastruktur überflutet und weggebrochen ist. Es besteht auch die Möglichkeit, Frauen, die bereits unter der Geburt sind, mit dem Hubschrauber in eine Klinik zu verlegen. Gerade in einem Katastrophenfall wie jetzt aktuell zeigt sich immer am besten, wie wertvoll ein gut ausgebautes Kliniknetz und eine enge Verzahnung von Organisationen, ambulanter und stationärer Versorgung ist.
Bayern kann auf seine derzeit meist – noch – ausreichende Versorgungsstruktur mit geburtshilflichen Standorten bauen. Zusammen mit den ambulanten Versorgungsangeboten von Hebammen, gerade auch mit Hausgeburtshebammen, Geburtshäusern und weiteren hebammengeleiteten Einrichtungen sowie Praxen, kann die Versorgung in der aktuellen Hochwasserkatastrophe aktuell gut geleistet werden. Zwar unter sehr erschwerten Bedingungen, aber machbar. Von der aktiven „Geburtshilfe“ abgesehen kann eine gewisse Versorgung und Hilfestellung ergänzend über die digitale Leistungserbringung erfolgen. Solange Internet und/oder Telefonverbindungen bestehen bleiben, können Frauen Hebammen erreichen und somit Hilfe erhalten.
Was passiert, wenn Hebammen nicht zur Klinik gelangen, auch arbeitsrechtlich?
Fillenberg: Prinzipiell wird von einer Klinik verlangt, dass sie in der Lage ist, die Versorgung sicherzustellen. Allerdings ist Hochwasser eine Naturkatastrophe und niemand kann in diesem Fall zu Unmöglichem verpflichtet werden. Wenn Hebammen auch nicht auf zumutbaren Umwegen zur Arbeit kommen können, sind sie gesetzlich von der Arbeitspflicht entbunden. Angestellte Hebammen müssen keinen Urlaub nehmen. Etwas komplizierter wird es mit der Lohnfortzahlung. Das gilt allerdings nur dann, wenn der Einsatz in der Klinik nicht möglich ist, denn das fällt unter das sogenannte Betriebsrisiko. Das Wegerisiko tragen die Hebammen. Fernbleiben dürfen sie nur, wenn sie Not zu Hause haben, also dort z.B. wegen des Hochwassers helfen müssen. Vollen Lohn gibt es, wenn die Arbeit nicht zumutbar ist, weil zu Hause Not herrscht oder wenn die Klinik wegen Hochwasser nicht funktionsfähig ist. Wenn der Anfahrtsweg gesperrt ist, gibt es wahrscheinlich keinen Lohnausgleich. Der Arbeitgeber kann zudem Kurzarbeit anordnen, dann gibt es weniger Geld.
Bei freiberuflichen Beleghebammen sieht das anders aus. Hier wird über die Ausgestaltung der Belegverträge der Hebammen mit der Klinikleitung geregelt, ob die Hebammen jederzeit, also auch in Krisen- und Katastrophenzeiten für die sichere Vorhaltung und Leistung der Geburtshilfe zu sorgen haben. Das kann beispielsweise über eine verbindliche Vertretungs- und Bereitschaftsregelung vertraglich verankert werden. Wichtig ist, dass die Hebammen unverzüglich die Klinik benachrichtigen müssen, wenn sie nicht kommen können.
Auch die freiberuflich und außerklinisch tätigen Hebammen mit Geburtshilfe verfügen über so ein Sicherheitsnetz an Vertretungsregelungen, um Frauen und Familien auch bei plötzlicher Verhinderung mit Hebammenhilfe versorgen zu können. Wenn sie wegen des Hochwassers nicht zu einer Frau kann, ist dies aber unverschuldet. Im Zweifel entstehen für die freiberufliche Hebamme daher keine nachteiligen Folgen.
An wen können sich Schwangere wenden, wenn sie keine Praxis oder Klinik erreichen können?
Fillenberg: An vielen Orten gibt es Koordinierungsstellen für Hebammenhilfe, die zum Beispiel an den Gesundheitsämtern oder den Modellen „GesundheitsRegionPlus“ angegliedert sein können. Hier gibt es eine spezifische und regionale Erfassung der Hebammen. Darüber sind dann Notfall- und Bereitschaftsdienste für die beratende und aufsuchende Betreuung organisiert, die auch im Hochwasserfall greifen, solange es die Infrastruktur zulässt. Zudem besteht immer die Möglichkeit, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, und über die Notfallnummern der Rettungsleitstelle (112) und ärztlichen Bereitschaftsdienste (116 117) Hilfe anzufordern.
Frau Hofner, woran fehlt es aktuell besonders? Was wird gebraucht?
Hofner: Einfache Frage – schwere Antwort! Denn es kommt sehr auf den Zeitpunkt und die spezielle Situation an. Unterschiedliche Bedarfe von betroffenen Familien sind zu erfüllen. Angefangen bei Windeln, über Kleidung, Babybetten und Trinkwasser bis hin zu Nahrung. Schon bei der Flutkatastrophe im Ahrtal hat sich gezeigt, dass die Versorgung von nicht gestillten Neugeborenen und Säuglingen akut gefährdet war. Da die Versorgung mit Trinkwasser und Strom nicht gegeben war, musste schnellstmöglich „Ready-to-Feed“, also fütterungsfertige Säuglingsnahrung in die abgeschnittenen Gebiete gebracht werden – das war ein Wettlauf mit der Zeit.
Hier ist ein besonderes Augenmerk bei der Erstellung der Katastrophenschutzpläne zu richten: Die Sicherstellung der Versorgung von nicht gestillten Säuglingen auch mit rechtlichen Regelungen zur Freigabe von Säuglingsnahrung durch die Hersteller im Katastrophenfall. Präventiv sollte von der Gesellschaft und politisch Verantwortlichen alles getan werden, um das Stillen von Neugeborenen und Säuglingen zu unterstützen. Die Freigabe von finanziellen Mitteln zur Stillförderung ist gut angelegtes Geld, das sich in der Folge mehrfach auszahlt. Stillen ist nicht nur präventiv der größte Gesundheitsschutz, sondern gewährleistet gerade in Katastrophenzeiten die größte Versorgungssicherheit.
Aus dem Ahrtal haben wir zudem gelernt, dass Hebammenmobile für Flutgebiete sinnvoll sind. Der Arbeitersamariterbund (ASB) hat einen Krankenwagen (www.asb-hebammenmobil.de) zum Hebammenmobil umgebaut, um darüber Hebammenhilfe für Familien und ihre Babys vor Ort leisten zu können. Das hat den Betroffenen Sicherheit und Zuversicht gegeben.
Und was könnte oder sollte die Politik tun?
Hofner: Im Gesundheitswesen braucht es dringlich die Optimierung der ambulanten und stationären Versorgung: Die Ansätze im derzeitigen Kabinettsbeschluss zum Krankenhausversorgungsstärkungsgesetz (KHVVG) sind absolut nicht ausreichend und laufen ins Leere. Die Geburtshilfe durch Hebammen ist in dem Entwurf nicht vorhanden: Würde die sogenannte „Hebammengeleitete Geburtshilfe“ implementiert werden, könnte die Leitung von physiologischen Geburten eigenständig durch Hebammen geleistet werden. Insgesamt wäre dies ein großer Beitrag zur Kosteneinsparung, und dem Mangel an Fachärztinnen und Fachärzten für Geburtshilfe könnte so begegnet werden, dass in guter interprofessioneller Zusammenarbeit die Ärztinnen und Ärzte dann hinzugerufen werden, wenn im Geburtsprozess Schwierigkeiten auftreten würden.
Mitunter sind Hebammen selbst betroffen: Ihre Praxis oder ihr Haus stehen voll Wasser, ihre Arbeitsmaterialien sind womöglich zerstört. Gibt es für Hebammen finanzielle oder materielle Unterstützung?
Hofner: Kolleginnen unterstützen sich gegenseitig zumeist unbürokratisch und schnell mit Materialien zur Versorgung von Müttern. Ein Dopton oder Pinard-Stethoskop ist sicher schneller zu organisieren als größere Gerätschaften wie Cardiotokographen oder Ultraschallgeräte. Aber im Notfall bewährt sich eben, dass Hebammen mit ihren Skills und emotionalen Hilfestellungen oft ganz ohne Geräte betreuen und Hilfe leisten können. Für größere Schäden müssen Hilfsmaßnahmen geprüft werden wie ein Spendenaufruf unter den Kolleginnen. Vielleicht haben wir Hebammen diesmal zumindest in Bayern Glück; bisher hat sich noch keine Kollegin mit der Bitte um Hilfe an den Bayerischen Hebammen Landesverband Bayern e.V. (BHLV) gewandt. Wir haben aber Kolleginnen aufgefordert, ihre Schäden an den BHLV e.V. zu melden. Wir werden dann in Kontakt treten und klären, was genau schnell oder langfristig gebraucht wird.
Darüber hinaus wird dringend empfohlen, Praxis, Material und Wohngebäude gut zu versichern und wichtige Dokumente auch digital zu speichern, z.B. in einer Cloud. Diese Schäden können Hebammenverbände nicht abfangen. Zumindest für einen Puffer können sich betroffene Hebammen zudem an die Hebammengemeinschaftshilfe e.V. wenden.
Welche Voraussetzungen sind zu erfüllen, um diese Unterstützung zu beantragen?
Hofner: Wer von der Hebammengemeinschaftshilfe Unterstützung möchte, muss Hebamme sein oder sich in der Qualifikation zur Hebamme befinden, und unverschuldet in Not geraten sein. Die Hebammengemeinschaftshilfe ist in den 1960er-Jahren entstanden, um Hebammen in diesen Situationen zu helfen.
Sollten im Falle der Hochwasserkatastrophe in Bayern und Baden-Württemberg Kolleginnen finanzielle Unterstützung benötigen, würde ein Spendenkonto eingerichtet und ein Spendenaufruf gemacht werden.
Was passiert, wenn wichtige Dokumente zerstört werden (z.B. das QMS)?
Hofner: In diesen Fällen empfehlen wir, Kontakt mit dem DHV aufzunehmen und sich auch berufsrechtlich beraten zu lassen. Zudem sollte das Steuerberatungsbüro kontaktiert werden, da nach Katastrophen auch Steuerstundungen oder Sonderabschreibungen möglich sind.
Im Ahrtal beispielsweise hat man mit Krankenkassen unbürokratisch eine gute Lösung für betroffene Kolleginnen zur Abrechnung von Hebammenleistungen gefunden, da durch die Flut auch wichtige Abrechnungsdokumente zerstört worden waren.
Familien mit einem Neugeborenen sind in diesen Tagen in den Hochwassergebieten besonders belastet. In den Notunterkünften fehlt es an Ruhe. Die Sorgen, wie es weitergehen kann, sind bei den Eltern groß. Wie können Hebammen hier unterstützen?
Hofner: Mit einem Neugeborenen vor den Wassermassen flüchten zu müssen, ist besonders kritisch. Frauen im Wochenbett sind gesundheitlich besonders gefährdet und können langfristig Schaden nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass Hebammen die Betreuung auch in den Notunterkünften fortsetzen.
Darüber hinaus bemühen sich Hebammen an verschiedensten Stellen, Hilfe zu vermitteln – über die Caritas, die Arbeiter-Wohlfahrt oder das Rotes Kreuz. In Bayern gibt es zudem sogenannte Krisendienste. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800/655 3000 erhalten Menschen in seelischen Krisen, Mitbetroffene und Angehörige qualifizierte Beratung und Unterstützung.
Aktuell gibt es auch einen Ministerratsbeschluss mit Beauftragung der zuständigen Ministerien (Finanzen, Wirtschaft, Landwirtschaft und Forsten), Förderrichtlinien zügig zu entwickelnd, um den Vollzug der Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen zu ermöglichen. Soforthilfen für Freiberufler, private Haushalte und Unternehmen im Umfang von 150 Millionen plus X sind schon beschlossen worden.
Das Interview führte Josefine Baldauf
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