Mit Herzblut als Hebamme am Filmset Hebammen arbeiten oft mit großer Leidenschaft in ihrem Job. Sie betreuen werdende Mütter und deren Neugeborene, begleiten Geburten, leiten Kurse zur Schwangerschaftsvorbereitung und Rückbildung und vieles mehr. Und manchen gelingt sogar der Weg ans Filmset. Wie es dazu kam, haben wir Andrea Sturm aus Hamburg gefragt.
Seit 1977 arbeitet Andrea Sturm mit viel Engagement als Hebamme, zudem setzt sie sich als Vorsitzende des Hebammen Verbandes Hamburg e.V. schon seit vielen Jahren für die Belange von Hebammen ein. Es war ein Zufall, dass ausgerechnet sie ans Telefon ging, als vor einigen Jahren eine Produktionsfirma in ihrer damaligen Hebammenpraxis in Hamburg anrief und fragte, ob jemand im Rahmen der Filmproduktion von "Der Kommissar und das Meer" eine Geburtsszene am Set betreuen könne. Ob es ein Honorar geben würde, war zu dem Zeitpunkt nicht klar - es gab dann ein kleines - aber sie war gespannt, hinter die Filmkulissen zu schauen und ein Teil davon zu sein. "Ich kann das machen!" sagte sie also spontan und so landete sie am Set. Ihre Aufgabe war es, die Schauspielerinnen beim Spielen einer Geburt am Set zu begleiten. Gar nicht so einfach, wie sich schnell herausstellen sollte. Die Szene: Eine Wassergeburt in einer Geburtswanne. Der Drehort: Ein Kellerraum in einem Krankenhaus in Wedel bei Hamburg.
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Begleitung von Mutter und Kind
Bei intimen Szenen ist es in der Regel so, dass nur die Personen im Raum sind, die unbedingt dort sein müssen: Die Kamerafrau, deren Assistenz, die beteiligten Schauspieler*innen und selbstverständlich Sturm als die betreuende Hebamme. Die Regie agiert währenddessen aus dem Off und verfolgt die Szene über einen Screen. Alle anderen sehen nichts. Zudem werden intime Körperstellen von Schauspielerinnen, die keine Nacktaufnahmen möchten, geschickt abgetaped.
Von nun an war von allen Beteiligten professionelles Handwerk gefragt. Sturm musste dafür sorgen, dass die Requisiten passten und am Set richtig angeordnet waren. Die Geburtswanne wurde mit Sandsäcken gefüllt, um ein Wegrutschen der Schauspielerin beim Dreh zu verhindern. Ebenfalls entscheidend war, dass das Blut - die Filmfarbe - im Wasser realitätsgetreu floss, damit die Szene stimmig war. Ein Fehlschuss hätte bedeutet, dass das Wasser abgelassen und wieder erneuert werden müsste. Kostbare Zeit ginge verloren und nicht nur das: Fehlschüsse kosten vor allem Geld - etwas, das Produktionsfirmen unbedingt vermeiden wollen. Wenn die Szene im Kasten ist, werden danach noch einmal nur die Hände gedreht. Außerdem wird die Szene anschließend mit einem Nacktdouble, das wirklich schwanger ist, nachgestellt.
"Schwangerschaft und Geburt" sind häufig sehr emotional besetzt, sagt Sturm. Im Allgemeinen seien die Begegnungen mit den Schauspieler*innen bei den Produktionen deshalb oft sehr intensiv. "Meine Erfahrung zeigt allgemein, dass Schauspielern oft durch die Szenen, die sie spielen, ein Spiegel vorgehalten wird", so Sturm. Einige von ihnen sind bereits selbst Mutter, für andere sei das Thema Geburt noch Neuland. So komme es vor, dass geburtserfahrene Schauspielerinnen ihren noch kinderlosen Kolleginnen - trotz Anwesenheit der Hebamme - Tipps geben, wie sie sich richtig zu verhalten hätten. Das kann für Spannungen sorgen. Hier sind dann Durchsetzungskraft und viel Fingerspitzengefühl gefragt, damit sich alle Darstellerinnen am Set in ihren Rollen von ihr möglichst gut und sicher begleitet fühlten, erzählt Sturm.
Auch beim Film: Babys haben ein eigenes Timing
Neben den Schauspielerinnen steht natürlich das Baby im Fokus der Dreharbeiten. In der Geburtsszene beim "Kommissar und das Meer" ist es ein Puppenbaby, das ins Wasser geboren wird und dann durch das Wasser rauskommt. Beim Dreh einer Geburtsszene zu "Wir lassen die Kirche im Dorf!" spielte Sturm selbst die Hebamme. Hier waren allerdings nur ihre Hände im Film zu sehen.
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Bei einer Szene für "Nortruf Hafenkante", musste die Regie erst lernen, dass ein Baby nicht fertig ist, sobald die Szene aufgebaut ist. Das Baby muss vorher gestillt werden, es muss eben "in the mood" sein, wie Sturm sagt. Mutter und Baby werden am Set in einem extra Raum untergebracht, wo das Baby schlafen und in Ruhe vorbereitet werden kann. Die Dreharbeiten zu "Unter anderen Umständen" fanden mitten im Winter in der Nähe von Schleswig statt. Um ein kleines Baby, wie im Drehbuch vorgesehen, in ein kaltes Kloster zu bringen, muss es warm gekleidet sein. Die einzelnen Szenen werden aber nicht der Reihe nach gedreht, sondern später miteinander verschnitten. Deshalb ist darauf zu achten, dass die Kleidung identisch ist und auch gleich sitzt. Die Ärmel müssen zum Beispiel so gekrempelt sein, wie in einer anderen Szene mit dem Baby in dem Kreidungsstück. Auf diese Details zu achten, mache ihr viel Spaß, sagt Sturm. Die Mütter mit ihren Babys castet sie meistens in Kursen in ihrer Praxis. Der Vorteil dabei sei, man kenne die Mutter und das Baby und die Frauen fänden es witzig, so etwas mit ihrer Hebamme einmal gemeinsam zu erleben.
Geburten müssen authentisch sein
Auch wenn es sich bei Geburtsszenen im Film nur um kurze Sequenzen handelt, ist es ihr sehr wichtig, dass alles richtig ist und zusammenpasst. Denn - da ist sich Sturm sicher - Kolleginnen würden beim Schauen des Films Fehler sofort erkennen. Das heißt auch, der Kreißsaal muss entsprechend eingerichtet und das Equipment stimmig sein. Dazu ist es unabdingbar, das Drehbuch zu kennen, um zu wissen, was genau im Film passiert, wenn die Geburt stattfindet. Sie achte auf eine aufrechte Gebärhaltung und dass die Geburt nicht auf dem Rücken liegend gedreht würde, wie dies seit Jahrzehnten der Fall gewesen sei. Es sei zudem unrealistisch, wenn im Drehbuch Untersuchungsergebnisse zum Beispiel auf Trisomie 21, binnen eines Tages vorlägen. Das sei schlichtweg falsch und bliebe in ihrem Berufsstand auch nicht unentdeckt. Um sich dieser dann zurecht geäußerten Kritik gar nicht erst stellen zu müssen, sei es wichtig, dass man die Geburt so realistisch wie möglich darstelle. Hier sei erzählerisches Geschick gefragt, sagt Sturm, denn der Zeitraum für eine Folge ist meistens nur auf wenige Tage begrenzt. Etwas nicht zu erwähnen oder zu zeigen, sei dann oftmals sogar die bessere Alternative. Dennoch wünscht sich Sturm, dass Geburten noch weitaus öfter und deutlich authentischer gezeigt würden.
In der Serie der Hebamme "Lena Lorenz", sei dies an vielen Stellen gut gelungen. Die Geschichten und Geburten seien deutlich authentischer und realistischer dargestellt und können größtenteils auch kritischen Fachkolleginnen Stand halten. Aus ihrer persönlichen Leidenschaft zum Film heraus, ist Sturm dann auch gerne der Anfrage einer der Drehbuchautorinnen gefolgt und hat bei einigen Geschichten die Ideen mit entwickelt. Es gehe immer wieder darum, sich Geschichten um Geburten herum auszudenken, die vielleicht nur das Leben schreiben kann: interessante medizinische Fälle aus dem wahren Leben eben. Ein stetes Ringen um Realität und Fernsehtauglickeit. Aber irgendwann sind auch diese Geschichten alle erzählt. Dann wird es einen neuen Fokus geben, da ist sie sich heute schon sicher.
Sturm meint, der Beruf als Hebamme, löse unbewusst immer eine Form von Ehrfurcht bei den Menschen aus. Und deshalb genieße sie die vielen Facetten ihres Jobs als begleitende Hebamme am Set. Mittendrin zu sein und nicht nur außen vor, als Coach für Schauspielerinnen, Mütter und deren Babys und manchmal auch als Requisiteurin oder wenn plötzlich gebraucht, schon mal als Komparsin.
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Auswirkungen auf den Hebammenberuf
Ob Geburtsszenen in Filmen oder ganze Hebammen-Serien wie "Lena Lorenz" den Hebammenberuf unterstützen würden und dem Hebammenmangel entgegenwirken könnten, habe ich Sturm gefragt. Nicht zwangsläufig, meint sie. Seitdem der Hebammenberuf ein Beruf geworden sei, bei dem man sich ganz bewusst dazu entscheiden muss, etwas Herausforderndes zu studieren, verändere sich aber bereits etwas. Die Akademisierung helfe dem Beruf langfristig sehr, ist sich Sturm sicher. So sei zu erwarten, dass man durch das Studium mehr Geld verdienen werde und die Zusammenarbeit mit Ärzten auf Augenhöhe stattfinden könne. Zudem würde deshalb zukünftig vermehrt zu Hebammenthemen geforscht. Glücklicherweise treffe schon jetzt immer häufiger Erfahrung auf Wissenschaft und das sei wunderbar.
Jenseits des Sets: Frauen für die Geburt stärken
Sturm hat sich mit 18 Jahren nach einem Praktikum in einer renommierten Klinik in München dazu entschieden, Hebamme zu werden. Eine erfahrene Hebamme, die sie während ihres Praktikums betreute, stellte ihr auch alle negativen Aspekte des Berufes vor und sagte ihr, sie solle sich gut überlegen, ob sie diesen Beruf wirklich ergreifen wolle. Und das tat sie und entschied sich sehr bewusst für diese Arbeit. Ihre Motivation - damals wie heute - die Arbeit mit Frauen. Frauen zu stärken, durch eine Geburt zu gehen. Sie sagt, Hebammentätigkeit ist Erwachsenenbildung. Wer den Beruf mache, weil er oder sie Babys so gerne mag, sollte lieber Kinderkrankenpfleger*in werden.
Sturm ist ein Gruppenmensch. Sie arbeitet gerne in einem Team von fünf- bis sechs Hebammen in einer Praxis in Hamburg. Ein "bemerkenswertes" Team, wie sie sagt: alles besondere Frauen, mit besonderen Stärken und Kompetenzen. Mittlerweile gibt sie überwiegend Kurse. Sie freut sich, dass die Arbeit dadurch planbarer geworden ist und sie neben all ihren anderen auch berufspolitischen Aufgaben als Hebamme, auch Zeit mit ihrem Mann am Meer verbringen kann. "Open minded" sein für viele Dinge, Interesse an Menschen haben und neugierig sein auf sich selbst, das treibt sie an.
Vier Geburten und etwa zehn Babys hat Sturm bis jetzt vor der Kamera begleitet. Ohne großes Honorar, aber dafür mit viel Spaß! Leider finde sich bislang die betreuende Hebamme nicht im Abspann einer Produktion wieder. Wenn schon keine oder nur wenig Gage, wäre doch etwas Wertschätzung in dieser Form ganz schön.
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