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16.03.2020 | Fachkräftemangel | Nachrichten

Per Algorithmus zum passenden Pflegepersonal

verfasst von: Rebekka Höhl

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„Candidate first“ – mit dieser Philosophie will das Karriereportal Medwing Pflegekräfte in den passenden Job vermitteln. Ob als flexibler Springer oder in die Festanstellung: Ein Algorithmus und eine App helfen dabei, die Jobzufriedenheit zu erhöhen.

Job © Tyler Olson / stock.adobe.comDamit Pflegekräfte dauerhaft Spaß am Job haben, setzt das Start-up Medwing auf eine individuelle Karrierebegleitung. Die Kosten tragen jedoch die Kliniken.

40.000 Stellen blieben laut der Bundesagentur für Arbeit 2018 in der Alten- und Krankenpflege unbesetzt. Im Schnitt dauere es derzeit 183 Tage, bis eine offene Stelle in der Altenpflege nachbesetzt werden kann, in der Krankenpflege sind es 154 Tage.

Genau diesen Prozess zwischen Stellenausschreibung und Anstellung will das Berliner Start-up Medwing verkürzen. Dabei stellt es nicht etwa die Klinik oder das Pflegeheim in den Mittelpunkt, sondern den potenziellen Arbeitnehmer.

„Wir fokussieren uns ausschließlich auf den Kandidaten“, sagt Medwing-Geschäftsführer und Mitgründer Johannes Roggendorf. Jeder wisse, dass es Engpässe bei den Pflegefachkräften gebe. „Gleichzeitig gibt es eine riesige Zahl an ausgebildeten Fachkräften, die gar nicht im Gesundheitswesen tätig sind.“

Die Hälfte davon würde Umfragen zufolge zurück in den Pflegeberuf gehen, wenn nur die Bedingungen stimmten, zeigt sich Roggendorf überzeugt. Zudem würden ein Drittel der Beschäftigten in der Pflege durchaus mehr arbeiten, wenn sie sich die Zeiten flexibler einteilen könnten. Um dieses Potenzial zu heben und vor allem für den jeweiligen Kandidaten den passenden Job zu finden, haben sich Roggendorf und sein Gründungs- und Geschäftsführungspartner Dr. Timo Fischer ein ausgefeiltes System ausgedacht.

Mithilfe eines Algorithmus werden Kandidat und Stellenausschreibungen gematcht. Dem Kandidaten werden dann drei mögliche Häuser vorgestellt, die zu seinen Wünschen passen. Über 150.000 Pflegefachkräfte nutzen das Karriereportal bereits.

Job-Zufriedenheit wird abgefragt

Dadurch lernt auch der Algorithmus. Denn die Nutzer werden regelmäßig zu ihrer Job-Zufriedenheit befragt. „Dadurch kennen wir die Häuser sehr gut“, berichtet Roggendorf. „Das geht bis auf Abteilungsebene: In einer größeren Klinik kann das Arbeitsklima in der Inneren gut sein, in der Urologie läuft es aber schlecht.“

Hinzu kommt, dass sich Medwing nicht nur als kurzfristiger Jobvermittler, sondern als Karriereberater versteht. „Wir beraten die Nutzer ihr ganzes Berufsleben lang“, erklärt Fischer die Unternehmensphilosophie.

Noch laufen diese Befragungen als offenes Gespräch, die erst im zweiten Schritt mithilfe interner Tools für den Algorithmus skaliert werden. Künftig soll sich das aber ändern, die Kandidaten sollen dann direkt über die App von Medwing befragt werden, erläutert Fischer.

Über 150 Mitarbeiter aus 22 Nationen beschäftigt das Berliner Technologieunternehmen, die mehr als 40 Produktmanager, Designer und Entwickler darunter tüfteln regelmäßig an den technischen Lösungen des Start-ups. Dabei ist die App bereits heute ein wichtiger Baustein bei der Jobvermittlung: Hierüber erhält der Kandidat Infos zum Bewerbungsstatus – bis hin zur Wegbeschreibung fürs Auswahlgespräch.

Übers Smartphone können sich Fachkräfte, die nur als Springer arbeiten möchten, so aber ebenso für einzelne Schichten melden. „Über die App lassen sich dadurch auch Engpässe – etwa bei Krankheitsfällen – einfach lösen“, sagt Fischer.

Wann sich Zeitarbeit lohnt

Ein Standbein von Medwing ist nämlich das flexible Arbeitsmodell: Das heißt, ein Teil der Fachkräfte ist tatsächlich direkt bei dem Start-up angestellt und wird nur stunden- oder schichtbezogen an eine Klinik oder ein Pflegeheim vermittelt. Über die App können die Zeitarbeiter ihre persönlichen Dienstpläne und Stundenzettel verwalten.

„Wir haben auch viele Rentner, die nur hin und wieder arbeiten möchten. Oder Pflegekräfte, die in einem anderen Job arbeiten, aber ein, zwei Mal im Monat eine Schicht in der Klinik übernehmen möchten, um im alten Job zu bleiben“, erläutert Roggendorf.

Die Kliniken oder Pflegeheime am anderen Ende der Leitung erhalten ebenfalls eine Vorauswahl an möglichen Kandidaten – sie haben einen eigenen Zugang zum Karriereportal, auf dem sie standardisiert die Infos zu den Bewerbern sehen. Innerhalb von 24 Stunden könnten sie so eine Zu- oder Absage für ein Bewerbungsgespräch geben.

Allerdings setzen die beiden Unternehmensgründer nicht ausschließlich auf Technik bei der Jobvermittlung: „Wir sind große Fans des persönlichen Gesprächs“, stellt Roggendorf klar, daher arbeite Medwing mit einem „hybriden Modell“. Denn: „Auch die weichen Faktoren müssen stimmen“, sagt der Unternehmer.

Medwing © Helmut Sattler / MedwingAuch die weichen Faktoren am Arbeitsplatz Krankenhaus müssen stimmen, so die Medwing-Gründer Dr. Timo Fischer und Johannes Roggendorf.

Deshalb beschäftigt Medwing derzeit über 25 Mitarbeiter, die sich ausschließlich um die Kandidaten kümmern, deren individuellen Interessen, Qualifikationen und Wünsche abfragen und auch Ansprechpartner bei Fragen sind. Meldet sich ein Nutzer neu auf der Karriereplattform an, erhalte er von Montag bis Sonntag innerhalb von 100 Sekunden einen persönlichen Rückruf. Dazu arbeiten die Mitarbeiter zwischen 8 und 21 Uhr im Schichtdienst.

Ein Erstgespräch könne zehn Minuten, aber auch – je nach Kandidat – über eine Stunde dauern, berichtet Roggendorf. „Wir nehmen uns für jede Kandidatin und jeden Kandidaten die Zeit, die sie für ihre individuellen Fragen und Bedürfnisse benötigen.“ Seit zweieinhalb Jahren gibt es das Berliner Start-up jetzt schon, neben Berlin gibt es außerdem Büros in Hamburg, München und Düsseldorf.

Denn wenn möglich, treffen die Medwing-Berater die Kandidaten auch zu einem Face-to-face-Gespräch – vermittelt wird aber bundesweit.

Ranking für Kliniken geplant

Von diesem persönlichen Kontakt sollen die potenziellen Arbeitgeber mehrfach profitieren: Geplant ist laut Fischer, dass die Kliniken künftig ein Ranking im Vergleich zu Häusern im näheren Umfeld erhalten – heruntergebrochen bis auf Abteilungsebene. Außerdem will das Unternehmen für die Einrichtungen ein Bewerbermanagementsystem entwickeln.

Obwohl die Plattform Kandidaten-orientiert arbeitet, ist die Stellensuche für die Pflegekräfte kostenfrei. Es seien die Kliniken, die für die Besetzung einer Stelle eine marktübliche Provision zahlen würden, und diese sei für alle Häuser gleich, so Fischer und Roggendorf. Das soll verhindern, dass die Vermittler unter Druck geraten und Kandidaten nur an gut zahlende Häuser vermitteln.

Da das junge Unternehmen noch in seiner „Wachstumsphase“ steckt, geht es allerdings nicht ganz ohne externes Kapital. Das läuft über Venture-Capital-Geber, die aber allesamt nicht aus der Gesundheitsbranche stammen. Auch damit erhalte sich das Unternehmen seine Unabhängigkeit, so Fischer.

Immerhin, seit über einem halben Jahr ist Medwing auch in Frankreich und – trotz Brexit – seit Januar auch in Großbritannien. Und auch im Ärztemarkt tummelt sich das Start-up seit Kurzem, ein Segment, das sich aber noch im Aufbau befinde.

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