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Open Access 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Expertenstandards als Instrument der Qualitätsentwicklung

verfasst von : Prof. Dr. Andreas Büscher, Petra Blumenberg

Erschienen in: Pflege-Report 2018

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Zusammenfassung

Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) entwickelt seit etwa 20 Jahren Expertenstandards für die Pflege. Expertenstandards sind innerhalb der Berufsgruppe abgestimmte Leistungsniveaus für die professionelle Pflege und Instrumente zur internen Qualitätsentwicklung in unterschiedlichen Settings der pflegerischen Versorgung. Durch die Aufbereitung verfügbarer Evidenz und die Orientierung am Pflegeprozess leisten Expertenstandards einen wichtigen Beitrag zum Theorie/Praxis-Transfer. Für die Einführung und Verstetigung neuer Vorgehensweisen im Praxisalltag wurde ein Implementierungskonzept entwickelt und es wird ein Audit-Instrument zur Verfügung gestellt. Erfahrungen aus den Praxisprojekten der letzten 15 Jahre verdeutlichen, dass nachhaltige Qualitätsentwicklung in erster Linie durch verbesserte Prozesse innerhalb der Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste erfolgt.
Zusammenfassung
Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) entwickelt seit etwa 20 Jahren Expertenstandards für die Pflege. Expertenstandards sind innerhalb der Berufsgruppe abgestimmte Leistungsniveaus für die professionelle Pflege und Instrumente zur internen Qualitätsentwicklung in unterschiedlichen Settings der pflegerischen Versorgung. Durch die Aufbereitung verfügbarer Evidenz und die Orientierung am Pflegeprozess leisten Expertenstandards einen wichtigen Beitrag zum Theorie/Praxis-Transfer. Für die Einführung und Verstetigung neuer Vorgehensweisen im Praxisalltag wurde ein Implementierungskonzept entwickelt und es wird ein Audit-Instrument zur Verfügung gestellt. Erfahrungen aus den Praxisprojekten der letzten 15 Jahre verdeutlichen, dass nachhaltige Qualitätsentwicklung in erster Linie durch verbesserte Prozesse innerhalb der Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste erfolgt.
For almost 20 years the German Network for Quality Development in Nursing (DNQP) has been developing expert standards for nursing care. Expert standards express a professionally determined quality level of professional performance. They are to be used for internal quality development purposes in health and long-term care facilities. Expert standards are based on current best evidence and are designed according to the nursing process. Therefore, they contribute to knowledge transfer from theory to practice. For the implementation of expert standards into different settings, the DNQP developed a systematic implementation model and provides an audit instrument. Experiences from a range of practice projects indicate that sustainable quality development can only be achieved by improving internal processes in health and long-term care facilities.

7.1 Einleitung

Die Qualität der Pflege kann unter verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Die Verfügbarkeit pflegerischer Unterstützung durch professionelle Pflegeangebote oder pflegerische Unterstützung im familiären und sozialen Umfeld ist ein wichtiger Aspekt. Für die Qualität der Pflege entscheidend ist jedoch letztlich das Ergebnis des Pflegeprozesses zwischen Pflegeempfänger und der Pflege leistenden Person. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf der Qualität der professionell erbrachten Pflege und den Möglichkeiten ihrer Entwicklung, Verbesserung und Sicherstellung. Der Blick auf die professionelle Pflege ist geprägt von dem Anspruch, eine am Bedarf der Nutzer orientierte, dem aktuellen Stand des Wissens entsprechende Versorgung zu gewährleisten. Möglichkeiten, die Qualität professionellen Pflegehandelns zu verbessern, stehen im Mittelpunkt der Arbeiten des 1992 gegründeten Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Das DNQP hat es sich zur Aufgabe gemacht, Instrumente zur Verbesserung der Pflegequalität zu entwickeln, ihre Anwendung zu unterstützen und die Bedingungen der Anwendung zu untersuchen.
Das DNQP hat Ende der 90er Jahre mit der Entwicklung von Expertenstandards begonnen, deren Entwicklung und Anwendung auf den folgenden Seiten beschrieben wird. Grundannahme der Arbeit des DNQP ist es, dass die Qualität der professionell erbrachten Pflege von professionell Pflegenden selbst bestimmt und entwickelt werden sollte. Das DNQP versteht sich in diesem Sinne als die unabhängige Stimme der professionellen Pflege in der Qualitätsdiskussion. Das DNQP ist sowohl von kommerziellen Interessen als auch von den Interessen der Selbstverwaltungspartner unabhängig. Das DNQP geht von einem sektorübergreifenden Verständnis der Pflegequalität aus und betrachtet das pflegerische Handeln zu zentralen Qualitätsrisiken übergreifend für die Pflege im Krankenhaus, in der stationären sowie der ambulanten Pflege. Das Grundverständnis zur Pflegequalität des DNQP geht damit über die politisch vorgesehenen Ansätze zur Qualitätssicherung der Pflege hinaus, welche die Qualität jeweils nur für einen bestimmten Versorgungsbereich (SGB V, SGB XI) betrachten.

7.2 Qualitätsinstrumente zur Bestimmung des pflegerischen Leistungsniveaus

Im Mittelpunkt der Arbeit des DNQP steht die Entwicklung, Konsentierung, Implementierung und Aktualisierung evidenzbasierter Expertenstandards zu relevanten Themen der Pflegepraxis. Sie beschreiben jeweils ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau zu diesen Themenbereichen. Die Arbeit mit Expertenstandards bedarf immer einer einrichtungs- und zielgruppenspezifischen Konkretisierung, da die eher allgemein formulierten Kriterien keine konkreten Umsetzungsvorgaben machen. Dies stellt eine anspruchsvolle Aufgabe für die Verantwortlichen dar, unterstützt aber maßgeblich die interne Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen und Diensten, da es durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Expertenstandard zu klärenden Dialogen innerhalb der Berufsgruppen und vielfältigen Impulsen für die Qualitätsentwicklung kommt. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten des Expertenstandards dient der Orientierung hinsichtlich der verfügbaren Evidenz über den pflegerischen Beitrag und stellt damit den Ausgangspunkt für eine interne Qualitätsentwicklung dar.
Mit der Konkretisierung der Inhalte des Expertenstandards beginnt der Prozess der internen Auseinandersetzung mit neuen Vorgehensweisen, ihrer Implementierung und der regelmäßigen Evaluation und Nachbesserung im Sinne des Pflegeprozesses. Hilfestellung bei der einrichtungsspezifischen Konkretisierung leistet das DNQP durch die seit mehr als 15 Jahren stattfindenden Implementierungsprojekte, die wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden. Zudem wird ein themenspezifisches Audit-Instrument zur internen Überprüfung des Umsetzungsgrades der Zielvorgaben entwickelt. Die Ergebnisse der modellhaften Implementierungen sowie das Audit-Instrument werden den Einrichtungen in Veröffentlichungen und auf der Website des DNQP zur Verfügung gestellt. Sie werden von der Fachöffentlichkeit in hohem Maße nachgefragt.

7.3 Die Entstehung des DNQP und der Beginn der Entwicklung von Expertenstandards

Die Gründung des DNQP im Jahr 1992 geht zurück auf das Ziel 31 (Entwicklung von Verfahren zur Qualitätsentwicklung in den Gesundheitssystemen der Mitgliedstaaten) der WHO-Strategie »Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000« und die Aktivitäten des mittlerweile nicht mehr existierenden europäischen Netzwerks EUROQUAN (European Quality Assurance Network). Das DNQP hat sich seit seiner Gründung an dem in EUROQUAN angelegten Netzwerkgedanken orientiert und ihn stetig weiterentwickelt. Ein Netzwerk bietet den Vorteil, dynamische Entwicklungen durch informelle Austauschprozesse und die Nutzbarmachung lokal entwickelter und bewährter Verfahren zu fördern. Die Herstellung von Akzeptanz in der Berufsgruppe ist ein weiterer Vorteil eines Netzwerks (Schiemann 2017). In diesem Sinne hat sich das DNQP zunächst vor allem der dezentralen Qualitätsentwicklung in der Pflege verschrieben. Durch die Erforschung und Weiterentwicklung stations- beziehungsweise abteilungsbezogener Qualitätsentwicklungsprojekte konnte bereits früh gezeigt werden, dass eine eigenständige pflegerische Qualitätsentwicklung tragfähige Ergebnisse hervorbringen kann (Schiemann und Moers 2004). Als logische Konsequenz dieser Entwicklungen resultierte die Entscheidung, zu zentralen Qualitätsrisiken der pflegerischen Versorgung nationale Expertenstandards zu entwickeln und für die Praxis zur Verfügung zu stellen.
Befördert wurde diese Entwicklung durch den Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz der Länder von 1999 über »Ziele einer einheitlichen Qualitätsstrategie im Gesundheitswesen«, der einen wichtigen Anstoß für die Förderung der Entwicklung von Expertenstandards durch das Bundesministerium für Gesundheit war (Schiemann 2017). Die in der Strategie ausgesprochene Verpflichtung zur Entwicklung wissenschaftlicher und evidenzbasierter Verfahren nicht nur für die Ärzteschaft, sondern explizit auch für die Pflegeberufe war insofern von großer Bedeutung, als bis in die 1990er Jahre auf der sozial- und gesundheitspolitischen Ebene die Notwendigkeit zu einer eigenen Definition und Herangehensweise zur Qualität der Pflege nur bedingt gesehen wurde. Der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz war die Grundlage für eine Förderung der Entwicklung von Expertenstandards durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), durch die ermöglicht wurde, die ersten sieben Expertenstandards zu entwickeln sowie den Expertenstandard »Entlassungsmanagement in der Pflege« erstmals zu aktualisieren.
Um die Entwicklung der Expertenstandards dauerhaft zu gewährleisten, wurden mit Inkrafttreten des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes (PfWG) zum 1. Juli 2008 die Entwicklung und Anwendung wissenschaftlich fundierter und fachlich abgestimmter Expertenstandards gemäß § 113a SGB XI in den Verantwortungsbereich der Vertragsparteien übertragen. Diese Bestimmung war und ist nach wie vor im Hinblick auf die pflegerische Qualitätsentwicklung mit zwei Problemen behaftet: Zum einen bezieht sie sich ausschließlich auf die Pflege innerhalb der Pflegeversicherung statt auf die sektorübergreifende Perspektive der ersten Expertenstandards. Die Möglichkeit der administrativen Zuordnung hat entsprechend höheres Gewicht gegenüber sachlich-fachlichen Erwägungen erhalten, nach denen sich das pflegerische Handeln hinsichtlich zentraler Qualitätsrisiken zwischen Pflegesituationen im SGB V und SGB XI nicht unterscheidet. Ein zweites Problem entstand dadurch, dass die Verantwortung für die Expertenstandardentwicklung den Vertragsparteien zugeschrieben wurde. In der Gesetzesbegründung findet sich ein eindeutiger Bezug zur Arbeit des DNQP. In der Umsetzung konnte der Eindruck entstehen, dass das DNQP nicht mehr benötigt wird, weil die Verantwortung nunmehr bei der Selbstverwaltung liegt, die zur Umsetzung von § 113a SGB XI eine Verfahrensordnung erlassen hat. Wesentliche Bestandteile der Verfahrensordnung orientieren sich am Methodenpapier des DNQP. Gepaart mit dem Bestreben der Vertragsparteien, sich die Verwertungsrechte an den Expertenstandards zu sichern, bekam die gesetzliche Neuregelung für die professionsgesteuerte Qualitätsentwicklung einen beinahe schon enteignenden Charakter. Die Analogie im SGB V bestünde darin, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss des methodischen Vorgehens zur Leitlinienentwicklung der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) bedienen würde, um Leitlinien für das SGB V zu entwickeln und der Arbeit der AWMF keine weitere Beachtung schenken würde. Das DNQP hat unabhängig von der gesetzlichen Bestimmung des § 113a SGB XI daher entschieden, seine Arbeit kontinuierlich fortzusetzen und sieht sich durch die Entwicklung zweier neuer Expertenstandards und der kontinuierlichen Aktualisierung der bestehenden Standards darin bestärkt, auch in Zukunft an der sektorenübergreifenden Entwicklung von Expertenstandards festzuhalten und die Entwicklung und Aktualisierung in der professionellen Verantwortung zu lassen. Die Tatsache, dass seit 2008 noch kein Expertenstandard nach § 113a SGB XI veröffentlicht wurde – ein Entwurf liegt den Vertragsparteien seit 2014 vor –, lässt diese Entscheidung im Sinne der Gewährleistung der Entwicklung evidenzbasierter Qualitätsinstrumente für die Pflege nachvollziehbar erscheinen. Seit 2009 arbeitet das DNQP finanziell unabhängig und ohne öffentliche Förderung. Die Entwicklung und Aktualisierung von Expertenstandards wird vorrangig aus Eigenmitteln finanziert, die sich im Wesentlichen aus Verkaufserlösen der DNQP-Veröffentlichungen zu den Expertenstandards zusammensetzen.

7.4 Definition und Aufbau von Expertenstandards

Expertenstandards sind definiert als: »…evidenzbasierte, monodisziplinäre Instrumente, die den spezifischen Beitrag der Pflege für die gesundheitliche Versorgung von Patienten/Patientinnen bzw. Bewohnern/Bewohnerinnen sowie ihren Angehörigen zu zentralen Qualitätsrisiken aufzeigen und Grundlage für eine kontinuierliche Verbesserung der Pflegequalität in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen bieten. Sie stellen ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau dar, das dem Bedarf und den Bedürfnissen der damit angesprochenen Bevölkerung angepasst ist und Kriterien zur Erfolgskontrolle dieser Pflege (…) einschließt. Expertenstandards zeigen die Zielsetzung komplexer, interaktionsreicher pflegerischer Aufgaben sowie Handlungsalternativen und Handlungsspielräume in der direkten Versorgung von Patienten/Patientinnen- bzw. Bewohner-/Bewohnerinnen auf. Sie erheben den Anspruch, wirksame Instrumente der Qualitätsentwicklung zu sein und durch aktiven Theorie/Praxis-Transfer zur Entwicklung und Professionalisierung der Pflegepraxis beizutragen.« (DNQP 2015, S. 5/6). Tab. 7.1 gibt einen Überblick über die bisherigen Expertenstandards und den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung.
Tab. 7.1
Bisherige Expertenstandards des DNQP
Thema des Expertenstandards
Veröffentlichung
1. Aktualisierung
2. Aktualisierung
Dekubitusprophylaxe in der Pflege
2002
2010
2017
Entlassungsmanagement in der Pflege
2004
2009
2017 begonnen
Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen
2005
2011
 
Sturzprophylaxe in der Pflege
2006
2013
 
Förderung der Harnkontinenz
2007
2014
 
Pflege von Menschen mit chronischen Wunden
2009
2015
 
Ernährungsmanagement in der Pflege
2010
2017
 
Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen
2015
  
Förderung der physiologischen Geburt (Hebammen)
2014
  
Pflege-Report 2018
Im Jahr 2015 wurde mit der Entwicklung eines Expertenstandards zur Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz begonnen, dessen Veröffentlichung 2018 nach Abschluss der modellhaften Implementierung erwartet werden kann. Zudem hat das DNQP den ersten Expertenstandard nach § 113a SGB XI zur Erhaltung und Förderung der Mobilität entwickelt, der 2014 im Entwurf veröffentlicht wurde.

7.5 Das methodische Vorgehen bei der Entwicklung von Expertenstandards

Expertenstandards werden in einem mehrstufigen Verfahren entwickelt, konsentiert, modellhaft implementiert und aktualisiert, das ausführlich in einem regelmäßig aktualisierten Methodenpapier (DNQP 2015) dargelegt ist. Abb. 7.1 gibt eine kurze Übersicht über das methodische Vorgehen. Von besonderer Bedeutung sind die dialogischen Konsentierungsprozesse auf verschiedenen Ebenen, die maßgeblich zur Anwendbarkeit des Instruments beitragen. Sie finden an folgenden »Stellen« statt:
  • Im Rahmen der Entwicklung einigt sich eine Expertenarbeitsgruppe aus Praktikern und Wissenschaftlern auf der Grundlage einer Literaturrecherche auf den ersten Entwurf eines Expertenstandards.
  • Dieser Entwurf wird im Rahmen einer Konsensus-Konferenz mit der Fachöffentlichkeit und Vertretern von Verbänden diskutiert und anschließend überarbeitet.
  • Bei einer Aktualisierung findet eine Konsultationsphase über das Internet statt, in der die Öffentlichkeit für sechs Wochen die Möglichkeit hat, schriftliche Stellungnahmen zum Aktualisierungs-Entwurf an das DNQP zu senden.
  • Im Rahmen der Implementierung findet ein intensiver Austausch mit den beteiligten Projekteinrichtungen zur Anwendbarkeit des Expertenstandards statt, der zu einer erneuten Überarbeitung des Expertenstandards führen kann, sofern sich im Praxistest ein weiterer Überarbeitungsbedarf herausstellt.
Erst nachdem alle Konsentierungs-Schritte erfolgreich durchlaufen sind, kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Standard um ein »professionell abgestimmtes Leistungsniveau« handelt, das von der Pflege für die Pflege entwickelt wurde (Schiemann und Moers 2017).

7.6 Implementierung von Expertenstandards

Dem dritten Schritt des professionellen Abstimmungsprozesses – der modellhaften Implementierung – kommt eine besondere Bedeutung zu. Mit der modellhaften Implementierung wird das Ziel verfolgt, Aufschluss über Anwendbarkeit und Akzeptanz in der Pflegepraxis zu gewinnen und Hinweise darüber zu erhalten, welche Bedingungen für eine erfolgreiche Einführung in verschiedenen Settings gegeben sein müssen. Durch die im Rahmen der Implementierung vorgesehene schrittweise Auseinandersetzung mit den Inhalten des Expertenstandards werden diese für die jeweiligen Praxisbedingungen konkretisiert und die Akzeptanz der neuen Erkenntnisse in der Praxis gefördert. Es handelt sich bei diesem Vorgehen um ein vom DNQP selbst entwickeltes Verfahren, das der Forderung gerecht wird, Qualitätsinstrumente für die Praxis nicht nur zu entwickeln, sondern auch Hinweise für ihre Umsetzung zu geben. Wie der Abbildung zu entnehmen ist, verläuft die modellhafte Implementierung in vier sich teilweise überlappenden Phasen: Fortbildung, Konkretisierung und Anpassung des Standards an die besonderen Anforderungen der Zielgruppe, verbindliche Standardeinführung und die abschließende Datenerhebung mit einem standardisierten Audit-Instrument (Schiemann und Moers 2017; DNQP 2015).
Die etwa sechs Monate dauernde modellhafte Implementierung orientiert sich an einem Phasenmodell (Abb. 7.2) und wird wissenschaftlich durch das DNQP begleitet. Die beteiligten Einrichtungen (pro Projekt ca. 25 Krankenhäuser, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen) erhalten Unterstützung bei der Durchführung der einzelnen Implementierungsphasen. Besonders bedeutsam ist auch bei der modellhaften Implementierung der Netzwerkgedanke, da die für die Implementierung verantwortlichen Personen aus den beteiligten Einrichtungen zu regelmäßigen Projektsitzungen zusammenkommen und dort die Gelegenheit haben, Ideen und Gedanken auszutauschen, wie die einzelnen Standardkriterien am besten umgesetzt werden können.
Neben dem hohen Anspruch an die Glaubwürdigkeit des Expertenstandards und der möglichst nachhaltigen Umsetzung und verstetigten Arbeit mit den Inhalten legt das DNQP großen Wert darauf, die einrichtungsinterne Pflegequalität regelmäßig zu evaluieren. Bereits seit der ersten modellhaften Implementierung Anfang der 2000er Jahre wird den Praxiseinrichtungen ein standardisiertes Auditinstrument zur Überprüfung der Qualität zur Verfügung gestellt. Mit diesem Audit lassen sich der Einführungs- bzw. der Zielerreichungsgrad in Bezug auf das im Standard beschriebene Qualitätsniveau aufzeigen und entsprechende Anpassungserfordernisse in der pflegerischen Praxis identifizieren (Moers et al. 2017).
Zusätzlich wurde im Rahmen der zweiten Aktualisierung des Expertenstandards »Dekubitusprophylaxe in der Pflege« erstmals damit begonnen, Indikatoren für die interne Qualitätsentwicklung auf Basis der Kriterien eines Expertenstandards zu entwickeln und im Rahmen eines Praxisprojekts zu erproben (Büscher und Kabore 2017; DNQP 2015). Die Mitglieder der Expertenarbeitsgruppe wurden dabei um eine Einschätzung gebeten, welche Aspekte des aktualisierten Expertenstandards in der Praxis besonders in den Blick genommen werden sollten, um einen Qualitätsfortschritt zu erzielen. Sie erhielten zudem eine Übersicht über international angewandte Indikatoren zur Dekubitusprophylaxe. In der zweiten Sitzung wurden dann auf Grundlage der von den Experten festgelegten prioritären Themenbereiche mögliche Indikatoren auf Basis des aktualisierten Expertenstandards diskutiert und vorläufig festgelegt. In einem Praxisprojekt mit Einrichtungen aus den Settings der ambulanten Pflege, der stationären Altenhilfe und dem Krankenhaus wurden diese Indikatoren dann auf Nutzen und Aufwand getestet.

7.7 Erfahrungen aus den Implementierungsprojekten

An den bislang acht Implementierungsprojekten des DNQP haben sich insgesamt weit über 100 Einrichtungen beteiligt, einige davon mehrfach. Diese Einrichtungen ermöglichten über diese Teilkontinuität Einblicke in ihre einrichtungsbezogenen Erfahrungen in der Bewältigung der unterschiedlichen Projekte sowie Erkenntnisse zu Synergieeffekten aus der Arbeit mit mehreren Expertenstandards. Die durch die Implementierungsprojekte gewonnenen Erkenntnisse verweisen auf einige wesentliche Aspekte, die für die Arbeit mit Expertenstandards und anderen Qualitätsinstrumenten von Bedeutung sind (Moers et al. 2017).
So ist eine wichtige Rahmenbedingung bei der Umsetzung der Expertenstandards die kundige Unterstützung durch das Management der jeweiligen Einrichtung. Dazu gehört die Herstellung und Förderung von Akzeptanz für eine Veränderung der bestehenden Praxis. Auch internationale Übersichtsarbeiten (Damschroder et al. 2009; Dixon-Woods et al. 2012) weisen darauf hin, wie wichtig die Akzeptanz und einrichtungsinterne Unterstützung für eine erfolgreiche Implementierung von Innovationen ist. In den Implementierungsprojekten waren es die Bereitstellung von Ressourcen, der Einsatz der eigenen Autorität und intensive Kommunikation, die zu erhöhter Akzeptanz beigetragen haben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die interdisziplinäre Kooperation, wenn es darum geht, Verfahrensregeln zu autorisieren und Pflegefachkräften in spezifischen Versorgungsprozessen entsprechende Kompetenzen zuzugestehen. Nicht zuletzt kommt der Unterstützung der Arbeitsgruppen und Pflegeteams hohe Bedeutung zu, indem ihnen eine dauerhafte Unterstützung zuteil wird und dezentrale, partizipative Methoden der Qualitätsentwicklung befördert werden. Der Stand der Pflegeentwicklung selbst wird als wichtiges Indiz für die erfolgreiche Anwendung von Expertenstandards gewertet. Dazu gehören die Umsetzung des Pflegeprozesses und eines damit einhergehenden, patientenorientierten Pflegeorganisationssystems.
Ein zweiter wichtiger Faktor bei der Arbeit mit Expertenstandards sind die Projektverantwortlichen in den Einrichtungen, die den Dreh- und Angelpunkt der Implementierung und nachhaltigen Weiterarbeit bilden. Sie übernehmen in der Praxis die in der qualitätsmethodischen Literatur viel diskutierte Aufgabe der Facilitation, also der Ermöglichung oder Förderung (Kitson et al. 1998; Rycroft-Malone 2010). Ihnen obliegen Steuerungs- und Vermittlungsaufgaben im mono- und interdisziplinären Kontext; damit stellen sie ein Bindeglied zwischen Pflegefachkräften, Pflegeleitungen und Angehörigen anderer Berufsgruppen dar, die am Implementierungsprozess beteiligt sind. Die Projektbeauftragten benötigen kommunikative Kompetenzen, da sie die Moderation der Arbeitsgruppen und das »Bewerben« des Projekts in der leitenden und mittleren Führungsebene und bei den beteiligten Berufsgruppen übernehmen. Sie benötigen fachliche Kompetenzen, um ihren Beitrag zur Anpassung und Konkretisierung der Expertenstandardkriterien zu leisten. Sie planen, organisieren und übernehmen selbst Fortbildungen und haben für die Pflegefachkräfte eine Mentorenfunktion. Nicht zuletzt führen die Projektbeauftragten die Audits durch. In den DNQP-Projekten zur modellhaften Implementierung haben häufig erfahrene Pflegeexperten diese Aufgaben übernommen, die in größeren Einrichtungen entweder Stabstellen der Pflegedirektion innehatten oder Pflegeentwicklungsabteilungen angehörten. Aber auch Qualitätsbeauftragte kleinerer Einrichtungen oder Pflegeexperten ohne organisatorische Anbindung an die Leitungsebene waren in der Lage, diese komplexe Aufgabe auszufüllen, sofern sie sich der umfassenden Unterstützung der Managementebene einerseits und der Pflegeteams andererseits sicher sein konnten (Moers et al. 2017). Die komplexen Aufgaben der Projektverantwortlichen zeigen deutlich die Notwendigkeit auf, entsprechend gute und akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte für die Arbeit in der Praxis zu gewinnen, die nicht nur bei der Implementierung von Expertenstandards eine wichtige Funktion übernehmen, sondern auch bei anderen Innovationen, deren Implementierungsprozesse sich um ähnliche Fragen drehen.

7.8 Fazit

Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, dass Expertenstandards eine hohe Bedeutung für die Qualität der Pflege haben. Das große Interesse an den Veranstaltungen des DNQP und die kontinuierliche Nachfrage der Fachöffentlichkeit nach den Veröffentlichungen sind ein Beleg dafür. Der Rückgriff auf Aussagen in den Expertenstandards im Rahmen der externen Qualitätsprüfung im Bereich der Pflegeversicherung durch die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung oder für den Generalindikator Dekubitusprophylaxe im Krankenhaus ist ein weiterer Beleg für die breite Anwendung, obwohl bei der Nutzung im Rahmen der externen Qualitätssicherung immer die Gefahr einer zu starren Anwendung besteht, die die Notwendigkeit der internen Prozesse in den Einrichtungen überdeckt. Dennoch kann geschlussfolgert werden, dass die professionsgesteuerte Qualitätsentwicklung in der Pflege kontinuierlich wichtige Beiträge liefert.
Für die Zukunft sollte diskutiert werden, ob die gesetzliche Verpflichtung zur Umsetzung von Expertenstandards nach § 113a SGB XI die erhoffte Wirkung entfaltet. Die oben beschriebenen Erfahrungen des DNQP zeigen, dass für die Erreichung formulierter Qualitätsziele vor allem einrichtungsinterne Faktoren ausschlaggebend sind. Diese zu stärken sollte daher als vorrangige Aufgabe angesehen werden. Für die professionsgesteuerte Qualitätsentwicklung in der Pflege wird die Etablierung von Pflegekammern auf Landesebene in Zukunft bedeutsam werden. Die Pflegekammern werden einen maßgeblichen Einfluss darauf nehmen, in welcher Art und Weise eine durch die Berufsgruppe gesteuerte Qualitätsentwicklung realisiert wird, für die die Arbeit mit Expertenstandards des DNQP eine gute Grundlage bietet.
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Literatur
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Expertenstandards als Instrument der Qualitätsentwicklung
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Prof. Dr. Andreas Büscher
Petra Blumenberg
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