Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anamnese
An einem frühsommerlichen Tag wurden ein Rettungshubschrauber und ein Rettungswagen zu einem schweren Verkehrsunfall auf einer Landstraße alarmiert. Im Anflug auf die Unfallstelle konnten zwei in den Unfall verwickelte Pkw identifiziert werden, welche bei hoher Geschwindigkeit mit vermutlich 100 km/h frontal kollidiert waren. Ein Pkw überschlug sich mehrfach und stürzte über eine circa 10 m hohe Böschung (Abb. 1). Bei Eintreffen des Rettungsdiensts war der Patient in seinem auf dem Dach liegenden Fahrzeug eingeschlossen. Er war wach, kontaktierbar mit Glasgow Coma Scale von 15 und klagte über massive Schmerzen thorakal sowie abdominal. Nach Gabe von 25 mg S-Ketamin nasal konnte der Patient mithilfe der Feuerwehr nach wenigen Minuten aus seinem Fahrzeug befreit werden.
Abb. 1
Einsatzstelle mit 10 m hoher Böschung
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Befund und Diagnose
Durch die Notärztin erfolgte die strukturierte, klinische Untersuchung des Patienten nach dem X‑ABCDE-Schema (X [„eXsanguination“] – Verbluten, A [„airway“] – Atemweg, B [„breathing“] – [Be-]Atmung, C [„circulation“] – Zirkulation, D [„disability“] – Defizite Neurologie, E [„environment“] – Entkleidung/Untersuchung/Umgebung).
Prellmarke am linken Thorax in den Oberbauch übergehend, hier stärkste Schmerzen bei Palpation
C.
Radialispuls gut tastbar bei circa 105/min
Haut kühl
Blutdruck 130/90 mm Hg
D.
GCS 15
Pupillen mittelweit und isokor
Kein sensomotorisches Defizit der Extremitäten
Blutzucker 91 mg/dl
E.
Temperatur im Ohr: 35,7 °C
Im „secondary survey“ zeigten sich noch eine Riss-Quetsch-Wunde am Kinn, eine Fraktur am distalen Unterarm links sowie oberflächliche Abschürfungen an der linken Hüfte. Der Patient gab an, dass er keine Vorerkrankungen habe und keine Dauermedikation einnehme. Ebenfalls habe er keine Allergien und sei gegen Tetanus geimpft. Im Sinne des AMPLE-Schemas war die erweiterte Anamnese unauffällig.
Als primäre Maßnahme wurde unmittelbar mit der Applikation von 15 l/min Sauerstoff via Maske mit Reservoirbeutel begonnen sowie eine Zervikalstütze angelegt. Danach erfolgte die Anlage zweier peripherer Venenverweilkanülen und es wurde eine Analgesie mit 0,2 mg Fentanyl intravenös initiiert. Die Fraktur am Unterarm links wurde mittels SamSplint-Schiene versorgt sowie die offenen Wunden am Kinn und der Hüfte mit sterilen Kompressen verbunden. Bei entsprechendem Unfallmechanismus und dem Verdacht auf ein Polytrauma mit schwerem Thorax- und Abdominaltrauma erfolgte die Anlage einer Beckenschlinge sowie die Gabe von 1 g Tranexamsäure intravenös. Der Wärmeerhalt wurde mit einer Gold-Silber-Folie sowie im Rettungshubschrauber mit einer Wärmedecke sichergestellt.
In der Reevaluation konnte eine Verbesserung der respiratorischen Situation erfasst werden. Die peripher gemessene Sauerstoffsättigung stieg unter adäquater Sauerstoffgabe auf 92–95 %, die subjektive Dyspnoe nahm ab, wenngleich die objektive Atemfrequenz weiterhin noch deutlich erhöht mit einer Atemfrequenz um die 30/min blieb. Kardial war ein unveränderter Blutdruck mit 130 mm Hg systolisch und eine Herzfrequenz von 110/min detektierbar. Auskultatorisch konnte weiterhin kein Atemgeräusch auf der linken Thoraxseite festgestellt werden. Ebenfalls waren eine verminderte Thoraxbewegung bei Inspiration sowie ein dumpfer Klopfschall linksseitig feststellbar.
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Bei leicht verbesserter respiratorischer Situation, hämodynamisch so weit unveränderten Parametern sowie kurzer, circa 10-minütiger Transportstrecke entschied sich das versorgende Team vor Ort für einen zügigen Transport in den Schockraum eines überregionalen Traumazentrums. Die präklinische Versorgungszeit von Alarmierung bis Eintreffen im Krankenhaus wurde mit 47 min detektiert.
Diagnostik
Im Schockraum imponierte der Patient unter den bereits etablierten Maßnahmen respiratorisch und hämodynamisch kompensiert. Es erfolgte nach Blutentnahme, eFAST und der weiteren Gabe von 0,1 mg Fentanyl intravenös die CT-Bildgebung. Hier ergab sich computertomographisch der dringende Verdacht auf eine traumatische Zwerchfellruptur linksseitig mit Thoraxmagen, Verlagerung der Milz, der linken Kolonflexur und des Pankreasschwanzes nach thorakal mit konsekutiv diskretem Mediastinalshift nach rechts (Abb. 2).
Abb. 2
CT-Bildgebung des Thorax und des Abdomens koronal (a) und sagittal (b) mit akuter Zwerchfellruptur linksseitig und Herniation von Magen, Milz, Kolon sowie Pankreas in die linke Thoraxhöhle
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Des Weiteren konnten folgende Diagnosen identifiziert werden: Polytrauma (ISS 29) mit:
Kopf/Hals-Verletzungen
Karotisdissektion beidseits
2–3 cm große Rissquetschwunde Kinn
Thorakoabdominalverletzungen
Rippenserienfrakturen 4 bis 9 links
Sternumfraktur
Zwerchfellruptur links
Traumatischer Thoraxmagen
Verlagerung der Milz, linken Kolonflexur und des Pankreasschwanzes nach thorakal
Mediastinalshift nach rechts
Ruptur der Bauchwandmuskulatur links dorsolateral
Wirbelsäulenverletzung
LWK 2–4 Querfortsatzfrakturen links
Extremitätenverletzungen
Distale Radiusfraktur links
Abschürfungen Hüfte links
Therapie und Verlauf
Nach Erhalt der Befunde wurde der Patient in weiterhin respiratorisch kompensiertem und hämodynamisch stabilem Zustand in den OP verbracht. Es erfolgte die Narkoseeinleitung und die explorative Notfalllaparotomie. Hier zeigte sich ein 15 cm langer Einriss des Zwerchfells bis auf den linken Zwerchfellschenkel und den Hiatus oesophageus ziehend. Es erfolgte die Reposition der hernierten Organe, die Rekonstruktion des Zwerchfells mittels Direktnaht und die Anlage einer Thoraxdrainage linksseitig. Die Versorgung der distalen Radiusfraktur erfolgte mittels palmarer Plattenosteosynthese. Im Anschluss wurde der Patient auf der Intensivstation weiterbetreut und konnte am übernächsten Tag auf die Normalstation verlegt werden. Die Thoraxdrainage konnte bereits am 9. postoperativen Tag entfernt werden. Am 17. postoperativen Tag wurde der Patient in die Rehabilitation entlassen und nach 6 Monaten konnte dieser wieder seine Arbeit aufnehmen (Abb. 3).
Abb. 3
Röntgen Thorax postoperativ (a), am 3. postoperativen Tag (b) und am 9. postoperativen Tag (c)
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Diskussion
Bei einem traumatischen Enterothorax kommt es zu einer Verlagerung von Anteilen des oberen Gastrointestinaltrakts durch eine Zwerchfellruptur in den Brustraum. In der Literatur wird die Inzidenz zwischen 0,8 und 5 % bei allen polytraumatisierten Patienten angegeben. Die häufigsten Ursachen sind Hochgeschwindigkeitsverkehrsunfälle mit z. B. Aufprall des Abdomens auf das Lenkrad, gefolgt von Absturzunfällen. Durch den plötzlichen abdominellen Druckanstieg wird die Grenze der Organelastizität des Zwerchfells überschritten und es kommt zur Ruptur. In 90 % der Fälle ist die linke Zwerchfellseite betroffen, da die Leber eine gewisse Schutzfunktion ausübt [1].
Die Symptome bestehen in einem starken, mit dem Trauma zusammenhängenden Schmerz, plötzlicher Atemnot und Husten. In seltenen Fällen lassen sich gegebenenfalls Darmgeräusche im Thorax auskultieren [2]. Im vorliegendem Fallbericht konnte die Notärztin ein fehlendes Atemgeräusch links thorakal sowie eine Prellmarke am linken Thorax in den Oberbauch übergehend beobachten. Ebenfalls klagte der Patient über stärkste Schmerzen bei Palpation in diesem Bereich. Als Arbeitsdiagnose wurde daher ein schweres Thorax- und Abdominaltrauma mit Verdacht auf einen (Hämato‑)Pneumothorax angenommen.
Die Notfallbehandlung von polytraumatisierten Patienten am Unfallort erfolgt nach dem Prehospital Trauma Life Support (PHTLS-Konzept), einem klar strukturierten Schema, bei dem lebensgefährliche Verletzungen oder Komplikationen in möglichst kurzer Zeit erkannt und behandelt werden. In der nationalen S3-Leitlinie zur Versorgung von Schwerverletzten werden sowohl die Indikation für die prähospitale Notfallnarkose mit endotrachealer Intubation und Beatmung als auch die Indikation für die präklinische Anlage einer Thoraxdrainage dargestellt. Erstere sollte bei polytraumatisierten Patienten mit einem schweren Thoraxtrauma und einer respiratorischen Insuffizienz mit einer Atemfrequenz von über 29/min sowie einer Hypoxie mit einer Sauerstoffsättigung von unter 90 % trotz Sauerstoffgabe nach Ausschluss eines Spannungspneumothorax durchgeführt werden [3].
Bezüglich der präklinischen Anlage einer Thoraxdrainage wird klar auf das unterschiedliche Vorgehen bei Vorliegen eines Pneumothorax und bei Vorliegen eines Spannungspneumothorax hingewiesen. Eine schwere respiratorische oder zirkulatorische Störung, zusätzlich zum einseitig fehlenden Atemgeräusch, führt zur Unterscheidung zwischen den Behandlungsalgorithmen. Während ein Spannungspneumothorax unmittelbar dekomprimiert werden muss, ist bei einem spontan atmenden Patienten mit Pneumothorax ohne schwere respiratorische oder zirkulatorische Störung zunächst ein beobachtendes Vorgehen mit engmaschiger klinischer Kontrolle angezeigt. Bei „beobachtendem Vorgehen“ ist es notwendig, die sich möglicherweise ergebenden Probleme zu antizipieren. Ein Pneumothorax kann sich jederzeit zu einem Spannungspneumothorax entwickeln, wenngleich die Rate an progredienten Pneumothoraces bei spontan atmenden Patienten unter 10 % liegt. Sollte eine Narkoseeinleitung mit notwendigerweise nachfolgender Überdruckbeatmung erfolgen, ist das Risiko, einen Spannungspneumothorax zu entwickeln, deutlich höher, sodass in diesem Fall ein Pneumothorax immer dekomprimiert werden sollte [3].
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Die Notärztin entschied sich vor Ort bei kompensierter, wenngleich kritischer respiratorischer Situation (Atemfrequenz um die 30/min, aber Besserung der SpO2-Werte auf 92–95 % unter Sauerstoffgabe) sowie hämodynamisch so weit unveränderten Parametern ohne Zeichen einer zerebralen Minderperfusion beziehungsweise Hypoxie gegen die Einleitung einer Notfallnarkose und dann auch leitliniengerecht für ein „beobachtendes Vorgehen“ ohne die Durchführung weiterer invasiver Maßnahmen.
Abschließend ist hervorzuheben, dass ein Enterothorax bei einseitig fehlendem Atemgeräusch eine seltene Verletzung ist. Der Nutzen einer präklinischen Minithorakotomie in stumpfer Präparation und ohne Verwendung eines Trokars bei einseitig abgeschwächtem oder fehlendem Atemgeräusch und hämodynamischer Instabilität beim Polytrauma wird in der nationalen S3-Leitlinie zur Versorgung von Schwerverletzten klar herausgestellt. Nichtsdestotrotz muss die Indikation für alle invasiven Maßnahmen stets streng geprüft werden, um letale Komplikationen zu vermeiden.
Fazit für die Praxis
Bei einem traumatischen Enterothorax kommt es zu einer Verlagerung von Anteilen des oberen Gastrointestinaltrakts durch eine Zwerchfellruptur in den Brustraum. Er stellt eine seltene Verletzung polytraumatisierter Patienten dar.
Zumeist liegt diesem ein stumpfes, thorakoabdominelles Trauma zugrunde, z. B. durch einen Verkehrsunfall mit Aufprall des Abdomens auf das Lenkrad oder durch Absturzunfälle.
Die Symptome bestehen in einem heftigen Schmerz, plötzlicher Atemnot und Husten.
Ein durch den Auskultationsbefund diagnostizierter Pneumothorax sollte bei nichtbeatmeten Patienten in der Regel unter engmaschiger klinischer Kontrolle beobachtend behandelt werden.
Bei hämodynamischer Instabilität sollte eine Minithorakotomie in stumpfer Präparation mit Einlage einer Thoraxdrainage ohne Verwendung eines Trokars erfolgen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Besenbäck, J. Straub und M. Malsy geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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