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Erschienen in: Hebammen Wissen 2/2022

01.05.2022 | Diversity | Hebammen Praxis

Wenn Männer schwanger werden

verfasst von: Alexandra Heeser

Erschienen in: Hebammen Wissen | Ausgabe 2/2022

Hebammenkollektive klären über Seepferdchen-Väter auf Dass trans* Männer Kinder bekommen können, ist biologisch möglich. Jedoch sind weder die Bürokratie noch das Gesundheitswesen auf diese Elternteile vorbereitet. Umso wichtiger ist es, dass sich mehr Menschen trauen, ihre persönliche Geschichte zu teilen, damit Vorurteile über queere Menschen abgebaut werden, die Akzeptanz von trans* Vätern zunimmt und auch die Behörden umdenken.
Es existieren keine genauen Zahlen, wie viele trans* Männer beziehungsweise nicht binäre Personen weltweit bisher Kinder geboren haben. Obwohl es kein weit verbreitetes Phänomen ist, gibt es doch mehr Fälle, als man annimmt. So waren es in den 2000er-Jahren allein in Australien 250 trans* Männer, die ein Kind zur Welt gebracht haben. 2019 brachte der Israeli Yuval Topper-Erez sein drittes Kind zur Welt. Er war 2011 auch der erste Transmann in Israel, der sein Kind gebar.
Es ist sicherlich noch keine Normalität, dass man einen gebärenden Mann sieht. Dennoch kann es vorkommen, denn trans* Männer sind mit Sexualorganen geboren, die eine Schwangerschaft ermöglichen, und werden - wider oft geäußerter Fehlinformationen - nicht unfruchtbar, wenn sie mit der Hormonbehandlung anfangen. Die Hormone müssen allerdings für eine Schwangerschaft abgesetzt werden. Manche von ihnen nennen sich "Seepferdchen-Väter" (siehe Kasten). So auch der Brite Freddie McConnel, der seine Schwangerschaftserfahrungen in dem Film "Seahorse" dokumentieren ließ (in der ARD Mediathek als "Der schwangere Mann" zu sehen).
Das Thema trans* Schwangerschaften wird in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Denn die LSBTIQ-Bewegung fordert immer vehementer die Übersetzung von Menschenrechten in nationale Gesetzgebungen. In Deutschland steht die Definition von Mutterschaft noch in der römischen, rechtlichen Auffassung: "Mater semper certa est." Väter mit Uterus existieren demnach rechtlich nicht. Ebenfalls mittelalterlich mutet an, dass sich bis 2011 alle trans* Personen operativ zeugungsunfähig machen lassen mussten, damit sie ihren Personenstand und Vornamen amtlich ändern lassen konnten. Die LSBTIQ-Bewegung plädiert daher für flexiblere und inklusivere rechtliche Begriffe und alternative Definitionen von Elternschaft. Das bedeutet aber auch, dass es neue Herausforderungen für die momentanen Standards der Schwangerschaftsversorgung geben wird.

Angebote für queere Personen

In vielen Ländern, unter anderem in Großbritannien, ist man bei diesem Thema schon viel weiter als in Deutschland. So gibt es beispielsweise in Brighton die Clinic T, ein Gesundheitszentrum, das aus der trans* Community heraus gegründet wurde und sich auf die Gesundheitsversorgung von trans* und abinären Personen spezialisiert hat. Ebenfalls in der Seestadt Brighton gibt es die Gender Inclusion Midwives, wo sich trans* Schwangere direkt an die weitergebildeten Hebammen wenden können und dort auch transsensible Schwangerschaftsbegleitung bekommen.
In Berlin gründeten 2019 vier Hebammen ein queeres Hebammenkollektiv, das sich Cocoon nennt und derzeit schon aus fünf Hebammen besteht. "Wir wollen als Hebammen queeren Menschen mit Kinderwunsch während der Schwangerschaft, Geburt und der ersten Zeit mit einem Kind eine empowernde und evidenzbasierte Begleitung anbieten", erklärt Cato Warm auf der Webseite, eine der Hebammen dort, die selbst queer, trans und nicht binärer Elternteil von drei Kindern ist. In diesem speziellen Hebammenkollektiv werden zum Beispiel Geburtsvorbereitungskurse für queere Personen angeboten, da gerade im Deutschen viele Begriffe rund um die Schwangerschaft und die Geburt wie Muttermund, Muttermilch oder Mutterkuchen sich auf Frauen beziehen. Die Cocoon-Hebammen nutzen daher vorwiegend lateinische Begriffe wie Uterus oder Zervix. "Es ist aber fast noch wichtiger, die Personen zu fragen, welche Wörter sie gerne benutzen wollen", erklärt Jana Haskamp, Sexual- und Paartherapeutin, Sexualpädagogin und Bildungsreferentin - vor allem für queere Einzelpersonen und Paare.

Workshops zur Do-It-Yourself-Insemination

Auch Workshops zur Do-It-Yourself-Insemination werden im Berliner Kollektiv angeboten. "Trans* Männer werden vor dem Start einer Hormonersatztherapie zu selten und zu schlecht über reproduktive Fragen wie die Möglichkeit, Eizellen einfrieren zu lassen, aufgeklärt", erzählte Imogen Raye Minton vom Cocoon-Netzwerk gegenüber der Zeit. Die gebürtige US-Amerikanerin berichtete dort auch, dass es in ihrem Heimatland üblich ist, "dass Hebammen wie wir Leute dabei unterstützen, mit der intrauterinen Methode zu Hause schwanger zu werden. Das ist kostengünstig und entspannt. Als ich davon vor einigen Jahren erfahren habe, war ich hochmotiviert, das hier in Berlin auch anzubieten, aber hier dürfen Hebammen das nicht". Daher stammt die Idee zu dem Workshop Do-It-Yourself-Insemination.
In diesem Sommer bieten die fünf Berliner Hebammen zudem einen Kurs für Menschen an, die in der Geburtshilfe tätig sind: queersensible Geburtshilfe. Solche Angebote sind insofern äußert wichtig, da sich trans* Männer immer wieder die Frage gefallen lassen müssen, warum sie gebären wollen, wenn sie sich nicht als Frau fühlen. Fragen wie diese zeigen, wie eng körperliche Prozesse wie Schwangerschaft immer noch mit Annahmen über Geschlechtszugehörigkeit verbunden sind. Gerade für schwule Paare ist es jedoch in Deutschland noch immer schwierig, Kinder zu adoptieren. Wenn in einer solchen Beziehung ein Partner trans ist, gibt es immerhin die biologische Möglichkeit, auf legalem Wege eigene Kinder zu bekommen.
Oftmals widerspricht die Entkoppelung von Weiblichkeit und Schwangerschaft jedoch auch heute noch unserem bisherigen Vorstellungsvermögen und zieht eine emotional geladene gesellschaftliche Debatte nach sich. Dafür muss einfach sensibilisiert werden. "Vielen LSBTIQ-Menschen geht es ganz banal um einen respektvollen Umgang", weiß auch Haskamp.
In Hamburg gibt es ebenfalls ein Hebammenkollektiv, das queeren Menschen einen Ort bieten will, der offen, stärkend, vertrauensvoll und wohltuend für alle Beteiligten ist. "Wir möchten unterschiedlichste Menschen in ihren ganz individuellen Familienkonzepten herzlich einladen, sich von Kinderwunsch, über Schwangerschaft, Hausgeburt und Wochenbett bis zum Ende der Stillzeit beziehungsweise dem ersten Lebensjahr von uns begleiten zu lassen", ermuntern die beiden Hebammen Charlotte Lindig und Leonie MacDonald, die das Kollektiv gegründet haben, vor allem queere Menschen auf ihrer Webseite. Denn sie wissen: "Oftmals ist auch das medizinische Personal während der Geburt überfordert, hat Berührungsängste oder reagiert gar ablehnend." Vielleicht auch deshalb sind die beiden Hebammen - ähnlich wie ihre Berliner Kolleginnen - in den kommenden Monaten schon ausgebucht. Der Bedarf ist anscheinend vorhanden.

Zwischen Diskriminierung und toller Begleitung

Das bestätigt auch Manuel (Name von der Redaktion geändert), ein trans* Mann, der mit seiner Familie im katholisch geprägten Münsteraner Umland lebt. "Mein Mann und ich hatten Glück, dass wir auch hier im Umland von Münster eine queere Hebamme gefunden haben, die unsere Schwangerschaft super begleitet hat. Sie war eine Empfehlung eines befreundeten lesbischen Paares", berichtet er von seinen Erfahrungen. Bei der betreuenden Gynäkologin, ebenfalls queer, war Manuel von Anfang an und "sie hat uns hervorragend von der ersten Minute an betreut und Verständnis gehabt für uns und unseren Wunsch, unsere Familie zu vergrößern", sagt der trans* Mann, der im Bundesverband Trans* (BVT) organisiert ist. Auch vom Uniklinikum Münster, wo Manuel beide Male entbunden hat, weiß er nur Positives zu berichten. "Wir haben im Vorfeld dort aber auch vorgefühlt, weil wir von einem Bekannten aus Berlin gehört hatten, dass er wegen einer Indiskretion am Klinikum dann zu Hause von Reportern belagert wurde", erzählt er weiter. Die werdenden Elternteile wollten daher das Thema trans* Schwangerschaft vorher abgeklärt haben, damit es dann nicht "bei der Geburt zum Megathema wird, und das hat tatsächlich richtig gut funktioniert". Manuel erinnert sich, dass die Hebammen dann zwar bei der Geburt überrascht waren, weil der Leiter der Geburtsstation sie nicht im Vorfeld informiert hatte: "Sie waren überrascht und wahrscheinlich auch überfordert, aber sie sind dann wahnsinnig professionell und gut damit umgegangen."
Er hat es aber auch anders erlebt zum Beispiel nach einer seiner Fehlgeburten, wo er nach schweren Blutungen in der Notaufnahme landete. Oder auch als er bei einer Erkrankung in der Schwangerschaft kurz stationär versorgt werden musste, kam es in dem kleineren, konfessionellen Krankenhaus zu sehr "unangenehmen Situationen".
Zu diesen Erfahrungen passt, dass es zwar noch keine Studien gibt, es aber antizipiert wird, dass sich Gewalt in der Geburtshilfe potenziert, wenn die gebärende Person keine cis Frau ist. Das bedeutet vor allem verbale Gewalt wie das Nichtrespektieren des selbstgewählten Namens, der Bezeichnung "Vater" oder "Mutter" oder die Nennung der richtigen Pronomen.
Während aber immerhin die Schwangerschaft mancher trans* Männer und nicht binärer Personen auch in der Presse auftaucht, bleibt die zeugende Elternschaft von trans* Frauen und nicht binären Personen, die Spermien produzieren, derzeit gesellschaftlich noch völlig unsichtbar.

Seepferdchen-Väter

Im Tierreich sind Seenadeln, zu denen die bekannten Seepferdchen zählen, einmalig, denn die männlichen Tierväter übernehmen die tragende Rolle in der Schwangerschaft. Sie tragen den Nachwuchs aber nicht nur nach der Befruchtung in ihrer Bauchtasche aus, sondern versorgen ihn dort auch mit Nährstoffen. Daher nennen sich einige transschwangere Männer auch Seepferdchen.

Queere Eltern sensibel begleiten

Weshalb ist es wichtig, Hebammen für das Thema LSBTIQ-Lebensweisen zu sensibilisieren?
Haskamp: Vielen trans* Männern schlägt gesellschaftliches Misstrauen in einer Schwangerschaft entgegen und sie scheuen sich lange, sich über die Elternschaft zu freuen und diese mit ihrem Umfeld zu teilen. Manche schwangeren trans* Personen kündigen in der Schwangerschaft sogar ihren Job, weil sie Angst vor den Reaktionen ihrer Kolleg*innen haben. Es ist schon für heterosexuelle cis Frauen schwer, eine Hebamme zu finden. Queere Personen, die schwanger sind, haben es ungleich schwerer. Es sollte ja nicht nur die Offenheit und Bereitschaft der Hebamme da sein, queere Schwangere zu betreuen. Da steckt noch so viel mehr dahinter: Es beginnt mit der richtigen Anrede, damit, dass das richtige Pronomen benutzt wird und eventuell auch, dass weiblich gegenderte Begriffe wie Mutterschutz oder Muttermund vermieden werden.
Welche Kenntnisse brauchen Hebammen, damit sich queere Personen bei ihnen gut aufgehoben fühlen können?
Haskamp: Es ist durchaus sinnvoll, dass Hebammen sich zu trans und queerer Elternschaft weiterbilden. Aber generell lässt sich sagen, dass vieles, was auch bei Hebammen, die cis Frauen betreuen, einen hohen Stellenwert hat - wie zum Beispiel Akzeptanz, Empathie, die Wahrung der Privatsphäre und die Zentrierung von körperlicher Selbstbestimmung. All das gilt auch für eine sensible Begleitung von queeren Eltern. Dennoch wäre es wünschenswert, dass es Standard wird, alle Schwangeren nach ihrer selbstgewählten Anrede, ihrem Pronomen und dem präferierten Namen zu fragen und diese stets zu verwenden.
Was wünschen Sie sich für die LSBTIQ-Bewegung im Gesundheitsbereich?
Haskamp: Es wäre wichtig, das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sowohl in den Curricula der Pflegeausbildung als auch in der Hebammenausbildung und im Hebammenstudium zu implementieren. Pflegekräfte und Hebammen könnten auf der einen Seite für die speziellen Bedarfe der LSBTIQ-Personen geschult werden, andererseits aber auch lernen, wie sie Diskriminierung begegnen oder diese verhindern können. Neben Fort- und Weiterbildungsangeboten zum Thema wäre es zudem sinnvoll, dass es Qualitätsstandards für den Umgang mit queeren Menschen in allen Einrichtungen, Kliniken und Geburtshäusern gibt.
Metadaten
Titel
Wenn Männer schwanger werden
verfasst von
Alexandra Heeser
Publikationsdatum
01.05.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwörter
Diversity
Schwangerschaft
Erschienen in
Hebammen Wissen / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 2730-7247
Elektronische ISSN: 2730-7255
DOI
https://doi.org/10.1007/s43877-022-0174-2

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