Bei den über 80-Jährigen ist die Messe bereits gesungen: Wer dann erst anfängt, seinen Lebensstil zu ändern, kann sein Demenzrisiko wohl nicht mehr senken. Fitte 60-Jährige dürfen sich hingegen über zwei bis drei Jahre mehr in guter geistiger Verfassung freuen.
Ein gesunder Lebenstil zahlt sich auch in punkto Hirmgesundheit aus.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Was Herz und Gefäßen gut tut, ist auch gut fürs Gehirn – dieser Zusammenhang ist in unzähligen Studien bestätigt worden und gilt besonders für Menschen im mittleren Lebensalter: Je weniger kardiovaskuläre Risikofaktoren vorliegen, umso geringer ist das Demenzrisiko. Weniger klar ist der Nutzen einer guten kardiovaskulären Gesundheit im höheren Alter. Die Auswertung einer schwedischen Kohortenstudie deutet darauf, dass das Alter alle anderen Demenzrisikofaktoren in den Hintergrund drängt. Wer trotz ungesunden Lebensstils mit über 80 Jahren noch keine Demenz hat, verliert in den Folgejahren ähnlich häufig seine geistigen Fähigkeiten wie Personen, die zeitlebens gesund gelebt haben. Allerdings: Mit einem gesunden Lebensstil schaffen es deutlich mehr demenzfrei über das 80. Lebensjahr hinaus, insofern ist die Prävention vor allem in jüngeren Jahren sehr wichtig.
Für ihre Analyse haben Forschende um Dr. Xin Xia vom Karolinska-Institut in Stockholm Angaben zu über 2700 Teilnehmenden der Swedish National Study on Aging and Care in Kungsholmen (SNAC-K) ausgewertet. Alle waren zu Beginn mindestens 60 Jahre alt und hatten noch keine Demenz. Die Studie begann in den Jahren 2001–2004, Teilnehmende unter 78 Jahren wurden alle sechs Jahre gründlich medizinisch untersucht, ältere alle drei Jahre.
Aus den Angaben berechnete das Team um Xia den Score Life’s Simple 7 (LS7). Er enthält sieben Angaben zum Lebensstil (Rauchen, körperliche Aktivität, BMI, Ernährung, Cholesterin- und Nüchternglukosewerte sowie den Blutdruck). Optimal sind je zwei Punkte. Bezogen auf den BMI heißt dies: Zwei Punkte bei einem Wert unter 25, ein Punkt bei 25–30 und keinen Punkt für einen BMI über 30. Entsprechend werden 0–2 Punkte für die anderen Kategorien vergeben, maximal ist eine Summe von 14 Punkten beim besten kardiovaskulären Lebensstil möglich. Zur Vereinfachung wurde bei 8–14 Punkten von einem gesunden, darunter von einem kardiovaskulär ungesunden Lebensstil ausgegangen.
60% der Teilnehmenden waren zu Beginn noch jünger als 78 Jahre und zählten zu den jungen Alten, der Altersschnitt betrug hier 65 Jahre, unter den übrigen 83 Jahre. Frauen dominierten in beiden Altersgruppen mit einem Anteil von 57% und 69%, in beiden Gruppen erreichte der LS7-Wert im Schnitt knapp 8 Punkte. 19% zeigten in Kognitionstests erste Einschränkungen, hier definiert als CIND (cognitive impairment, no dementia).
Demenzinzidenz bei gesundem Lebensstil um 58% geringer
Im Laufe einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von neun Jahren erkrankten 439 Personen (16%) an einer Demenz, davon 339 der älteren sowie 100 der jüngeren Alten. Bei den älteren Alten korrelierte die Inzidenz nicht mit dem LS7-Score, wohl aber bei den jüngeren: Ein Punkt mehr ging mit einer Reduktion des Demenzrisikos um 13% einher. Die Risikoreduktion war für Personen mit und ohne ApoE4 ähnlich ausgeprägt.
Von den Personen mit zu Beginn normaler Kognition entwickelte ein Viertel CIND, 11% erkrankten an einer Demenz. 550 hatten zu Beginn bereits CIND, von diesen entwickelten 25% eine Demenz, noch deutlich mehr, nämlich 35%, konvertierten allerdings wieder zu einer normalen Kognition.
Kognitiv gesunde junge Alte mit gesundem Lebensstil entwickelten CIND zu 24% seltener und eine Demenz zu 58% seltener als solche mit ungesundem Lebensstil (LS7-Score unter 8). Bei den älteren Alten ließ sich erneut kein entsprechender Zusammenhang feststellen.
Männer im Alter von 60 Jahren mit gesundem Lebensstil können sich den Berechnungen zufolge auf 3,6 zusätzliche Jahre ohne kognitive Probleme freuen, im Alter von 75 Jahren sind es immerhin noch rund zwei weitere Jahre, wiederum verglichen mit Gleichaltrigen und ungesundem Lebensstil. Für Frauen ergibt sich eine Differenz von 3,3 Jahren im Alter von 60 sowie von knapp zwei Jahren im Alter von 75 im Vergleich zu ungesund lebenden Frauen.
Auch bei der Gesamtlebenserwartung zahlt sich der gesunde Lebensstil aus: 60-jährige Männer dürfen ein Plus von 3,1 Jahren, 60-jährige Frauen von 2,4 Jahren erwarten. Im Alter von 75 Jahren sind es jeweils noch 1,8 und 1,4 zusätzliche Jahre bei gesundem Lebensstil.
Andere Kriterien für Gesundheit bei Älteren
Für den ausbleibenden Nutzen einer gesunden Lebensweise bei sehr alten Menschen gibt es mehrere Erklärungen. Zum einen müsse „gesund“ bei alten Menschen anders definiert werden, geben Xia und Mitarbeitende zu bedenken. Ein niedriger BMI kann auch auf eine schwere Erkrankung deuten, ein höherer Blutdruck ist im höheren Alter mitunter von Vorteil. Der LS7-Score müsste daher entsprechend angepasst werden. Zudem dürfte aber auch ein „Survivor-Bias“ bedeutsam sein: Wer es trotz ungesunden Lebensstils demenzfrei ins hohe Alter schafft, verfügt vermutlich über besondere Schutzfaktoren, die nicht im LS7 berücksichtigt werden. Und schließlich ist das Alter selbst der gewichtigste Demenzrisikofaktor: Je älter jemand ist, umso höher das Demenzrisiko, dagegen verblassen mit der Zeit alle anderen Risikofaktoren.
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Wie ändert sich der Einfluss des kardiovaskulären Lebensstils auf das Demenzrisiko mit dem Alter? Antwort: Ein gesunder Lebensstil bis zum Alter von 78 Jahren geht sowohl bei Frauen als auch Männern mit einem deutlich reduzierten Demenzrisiko einher, danach jedoch nicht mehr. Bedeutung: Sehr alte Menschen müssen sich um ihren Lebensstil kaum noch Sorgen machen – neben dem Alter verblassen alle anderen Demenzrisikofaktoren. Einschränkung: Nur wenige Demenzfälle bei den jungen Alten. |
Quelle: Springer Medizin