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12.04.2021 | Bildung | Nachrichten

Die Gesellschaft braucht wissenschaftliche Pflegeexpertise!

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Die Pflegewissenschaftliche Fakultät der PTH Vallendar soll geschlossen werden – die einzige an einer deutschen Universität. Was heißt dies für die Pflege(wissenschaft)? Fragen an Prof. Dr. Roland Brühe, Professor für Pflegepädagogik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und Sprecher des PTHV-Alumni-Netzwerks.

Roland Brühe © privatProf. Dr. Roland Brühe, Professor für Pflegepädagogik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und Sprecher des PTHV-Alumni-Netzwerks.

Am 31.03.2021 teilte die Provinzverwaltung der Gemeinschaft der Pallottiner als Träger der PTHV mit, dass die Pflegewissenschaftliche Fakultät aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden soll. Die Pallotiner kündigten an, die Umstrukturierung und strategische Neuausrichtung der PTHV fortsetzen zu wollen. Humanwissenschaften werden ausgebaut, Pflegewissenschaft wird stillgelegt. Was bedeutet die Schließung für die Pflegewissenschaft in Deutschland?

Prof. Brühe: Zunächst einmal bedeutet das für die rund 250 Studierenden eine unsichere Situation, da sie nun irgendwie ihr Studium nach dem Zeitplan der Hochschule beenden müssen. Für die Pflegewissenschaft in Deutschland steht mit dem Wegfall der Pflegewissenschaftlichen Fakultät ein wichtiger Ort für die wissenschaftliche Qualifizierung und für spezifisch pflegewissenschaftliche Forschung nicht mehr zur Verfügung.

Der DPR berichtete kürzlich, dass in Pflegestudiengängen weniger als 50 % der Studienplätze belegt sind. Können Sie das bestätigen und war das auch in Vallendar so?

In Vallendar war es in der Tat schwierig, für den Bachelorstudiengang Pflegeexpertise ausreichend Studierende zu gewinnen. Der Masterstudiengang Pflegewissenschaft, das Promotionsprogramm und das Lehramtsstudium hatten diese Probleme nicht. Damit wird deutlich: Wenn ich für mein Handlungsfeld eine wissenschaftliche Expertise benötige oder einsetzen kann, erwerbe ich sie. Die Absolvent*innen vom Master-, Lehramts- und Promotionsprogramm arbeiten inzwischen an unterschiedlichen Stellen mit zentralen Funktionen in Versorgungseinrichtungen oder der Wissenschaft und Lehre. Dort, wo diese Expertise (noch) nicht gefragt ist, werden die Studiengänge auch weniger nachgefragt – siehe das Bachelorprogramm.

Und was bedeuten niedrige Studienzahlen für die Profession im internationalen Vergleich?

Vergleiche kann ich hier nur schwer anstellen, da das Studieren von Pflege und Pflegewissenschaft in Deutschland insgesamt ein randständiges Phänomen ist. In den Ländern um uns herum ist das Gegenteil der Fall.

Die PTHV ist eine der wenigen Hochschulen, die ein strukturiertes Promotionsprogramm anbieten. Wo kann man künftig in Deutschland noch promovieren?

Strukturierte Promotionsprogramme in der Pflegewissenschaft sind spärlich gesät. Und sie finden alle unter dem Dach anderer Disziplinen statt (z.B. medizinische Fakultät). Witten/Herdecke als private Universität und die Charité als staatliche Universität wären hier zu nennen. Ansonsten müssen Promotionsinteressierte auf Einzelbetreuungen bei Pflegewissenschaftler*innen oder Wissenschaftler*innen anderer Disziplinen ausweichen. Das ist keine gute Entwicklung für den steigenden Bedarf an Wissenschaftler*innen und Professor*innen an den Hochschulen durch neue Studiengänge und die Emeritierung von Pflegewissenschafts-Professor*innen der ersten Stunde.

Welche Voraussetzungen müssten aus Ihrer Sicht erfüllt sein, damit das Interesse der Pflegenden an einer akademischen Ausbildung steigt?

Primär braucht es Handlungsfelder, in denen die wissenschaftliche Expertise, die man mit dem Studieren erwirbt, nachgefragt und wertgeschätzt wird. Das betrifft sowohl die direkte pflegerische Versorgung als auch den Wissenschaftsbetrieb. Es macht nur Sinn, Pflege und Pflegewissenschaft zu studieren, wenn es mir einen Nutzen bringt.

Müssen sich Politik und Bundesländer hier grundsätzlich stärker engagieren?

Die Gesellschaft braucht die wissenschaftliche Expertise der Pflege. Heute mehr denn je. Insofern ist es auch eine Aufgabe des Staates, akademische Bildungsstrukturen hierfür zu schaffen und zu finanzieren. Mir scheint, dass das Feld gerne den privaten Hochschulen überlassen wird und damit die Geldtöpfe der Wissenschaftsministerien geschont werden. Deshalb: Ja, die Länder müssen sich hier stärker engagieren, indem sie z.B. pflegewissenschaftliche Lehrstühle und entsprechende Studiengänge an den Universitäten schaffen und finanzieren.

Die Reaktionen aus der Pflege sind deutlich. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht in der Schließung einen Rückschritt für die Entwicklung der Pflege in Deutschland und fordert den Hochschulträger auf, seinen Beschluss zu überdenken. Die Pflegekammer Rheinland-Pfalz sieht das Land bei der Finanzierung in der Pflicht. Der BLGS beklagt einen „herben Verlust“ für die Lehrerausbildung und die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) äußert sich „entsetzt“ über die Pläne. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung?

Ich teile diese Einschätzungen. Und ich denke, dass der Wegfall des Studien- und Forschungsstandortes Vallendar eines deutlich macht: Die öffentliche Hand hat es nicht geschafft, angemessene Strukturen für die Pflegewissenschaft zu schaffen, die eine solche Entscheidung eines privaten Trägers auffangen könnten.

Gibt es „Licht im Tunnel“? Was müsste aus Ihrer Sicht jetzt passieren?

Die in der Pflegewissenschaft Tätigen dürfen nicht aufhören zu zeigen, was eine auf Wissenschaft basierende Pflege für die Gesellschaft zu leisten imstande ist. Es gilt weiterhin, dicke Bretter in der Politik aber auch in der eigenen Berufsgruppe zu bohren, wo eine Wissenschaft der Pflege noch längst keine Selbstverständlichkeit darstellt. Aber ich bin hoffnungsvoll. Ich habe 1988 mein Krankenpflegeexamen gemacht und kann beim Rückblick feststellen, dass seitdem unglaublich viel geschehen ist. Das Tempo hat sich insgesamt erhöht und die Engagierten werden mehr, so dass ich grundsätzlich hoffnungsvoll in die Zukunft der Pflege und ihrer Wissenschaft schaue.

Das Gespräch führte Sabine M. Kempa


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