Die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung im Zivilschutzfall obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden, die der Bund bei Bedarf mit entsprechenden Maßnahmen unterstützt. Der meist über die regulären Rettungsdienstressourcen hinausgehende Umfang an Versorgungsbedarf von Betroffenen hängt stark von der Ursache des Einsatzgeschehens ab. Für die Vorplanung sowie die Einhaltung von Versorgungsstandards sind valide Daten erforderlich, die die versorgenden Hilfsorganisationen von Beginn an eine Eingruppierung in Soforthilfe, Übergangshilfe oder Wiederaufbauhilfe vornehmen sowie eventuelle Sonderversorgungsbedarfe erkennen lassen.
Ziel der Arbeit/Fragestellung
Welche Instrumente sind verfügbar, die valide Daten für eine Einschätzung und Pflegebedarfsplanung im Bevölkerungsschutz zur Verfügung stellen?
Material und Methoden
Recherche und Analyse geeigneter und öffentlich verfügbarer Pflegebedarfsplanungsinstrumente im Kontext Bevölkerungsschutz.
Ergebnisse
Standardisierte, frei verfügbare Bedarfsplanungsinstrumente mit konkreten Planungsvorschlägen für den Bevölkerungsschutz gibt es derzeit nicht. Dennoch sind vielversprechende Insellösungen verfügbar, die als gute Planungsgrundlage verwendet werden können.
Diskussion
Konkrete Vorgaben zur Unterbringung und Versorgung vulnerabler Gruppen mit Pflegebedarf sind in Betreuungskonzepten derzeit nur unzureichend oder gar nicht abgebildet. Eine Zusammenführung der im Netz verfügbaren Insellösungen würde ohne Weiteres eine standardisierte flächendeckende Nutzung zur Bedarfsplanung zulassen.
Graphic abstract
×
Hinweise
Die vorliegende Arbeit wurde in Erfüllung der Anforderungen zur Erlangung des Grades „Dr. rer. medic.“ an der Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Geriatrie, durchgeführt.
×
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Bei Großschadensereignissen/Katastrophen mit Notwendigkeit einer allgemeinmedizinischen Weiterversorgung der Bevölkerung sind die beteiligten Akteure auf valide und aktuelle Datenverfügbarkeit angewiesen. Besonders die Betreuungs- und Bedarfsplanung bei vorhandener Pflegebedürftigkeit stellt für die Akteure eine große Herausforderung dar. Um die Lagefeststellung, Einsatzplanung und -durchführung multiprofessionell sicherzustellen, benötigt es valide, schnittstellenübergreifende Daten. Zielführend wäre nicht nur eine einheitliche Datenquelle, sondern auch ein einheitliches Beurteilungsinstrument für den Betreuungsbedarf, das allen Akteuren national oder sogar international zu jeder Zeit zur Verfügung steht.
Identifikation der Bedarfslücke
Die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung bei umweltbedingten Ereignissen oder sonstigen Geschehen wird zunehmend auf regionaler bis bundesweiter Ebene immer mehr zur Realität. Grundlegend ist die Versorgung der Bevölkerung auch im Rahmen der Verantwortung zur Sicherstellung der Kritischen Infrastruktur „Gesundheit“ zu gewährleisten. Die strategischen Schutzziele „Sicherstellung des Überlebens der Bevölkerung“ sowie die „Daseinsvorsorge auf minimalem Niveau“ gehören zum staatlichen Schutzauftrag für das Leben und die körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) und der Pflicht zur Daseinsvorsorge nach dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 1 GG; [2]). Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 mit der Feststellung der Unzulässigkeit einer Benachteiligung wegen einer Behinderung (1 BvR 1541/20) ergibt sich zudem der Auftrag, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Menschen wirksam vor einer Benachteiligung zu schützen. In bestimmten Einsatz- und Ereigniskonstellationen verpflichtet dies auch den Gesetzgeber zu einer konkreten Handlung, z. B. in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“), wie auch die Akteure z. B. in Versorgungskonzepten [3].
Anzeige
Für die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung im Zivilschutzfall sind die nach Landesrecht zuständigen Behörden verantwortlich. Sollten sich erweiterte Anforderungen, bspw. bei Massenanfall von Verletzten (MANV) und Massenanfall von Erkrankten (MANE), im Bevölkerungsschutz ergeben, ergänzt der Bund mit entsprechenden Maßnahmen (Rahmenkonzept Massenanfall von Verletzten). Sicherzustellen sind insbesondere der Sanitätsdienst in Form der präklinischen Versorgung, die Krankenhausalarmplanung für die notwendige klinische Versorgung als auch die Sanitätsmaterialbevorratung, wie z. B. von Arzneimitteln und Medizinprodukten.
Der Umfang des Versorgungsbedarfs von Betroffenen bei MANV/MANE hängt stark von der Ursache des Einsatzgeschehens ab. Hierbei muss eine Eingruppierung in Soforthilfe (24 bis 48 h), Übergangshilfe (mehrere Tage bis Wochen) oder Wiederaufbauhilfe (zeitlich weitestgehend unbegrenzt) vorgenommen werden, die die Dauer der Betreuung in Bezug auf Maßnahmen, Vorplanung sowie Versorgungsstandards beeinflusst. Mit einbezogen werden müssen u. a. die individuelle Verweildauer der Betroffenen, die erforderliche Sicherstellung des gesamten Versorgungsbereichs sowie bei der Betreuung eventuelle Sonderversorgungsbedarfe von Personen wie Demenzpatient:innen, Heimbeatmungspatient:innen oder von weiteren vulnerablen Bevölkerungsgruppen [1].
Gemäß der vom Bundesministerium des Inneren erarbeiteten „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) werden unverletzte oder bereits medizinisch versorgte Personen, die durch eine Gefahrenlage in Not geraten sind, durch Betreuungseinheiten und nicht durch den Sanitätsdienst betreut. Des Weiteren sind diese Gruppen nach der 8. Sichtungs-Konsensus-Konferenz (SKK) klar vom medizinischen Sichtungsprozess zu trennen und eine Betreuungsbedarfserhebung durchzuführen [1]. Sind die Betroffenen alleinstehend oder werden zu Hause gepflegt, müssen diese mit ihren Daten für die Betreuungs- und Bedarfsplanung zunächst einmal aufwendig erfasst und deren Bedarfe und Bedürfnisse festgestellt werden. Bei der Betreuung von Betroffenen aus Pflegeeinrichtungen wäre es prinzipiell möglich und hilfreich, wenn bereits im Vorfeld des Ereignisses durch die Einrichtung ein Notfallplan für eine alternative adäquate Unterbringungsmöglichkeit sowie deren medizinische Versorgung bei Großschadenslagen mit Evakuierungsbedarf ausgearbeitet werden würde [2].
Konkrete Vorgaben zur Unterbringung und Versorgung vulnerabler Gruppen mit Pflegebedarf gibt es in Betreuungsplatzkonzepten derzeit jedoch entweder nur unzureichend oder gar nicht [7].
Anzeige
Datenrecherche Pflegebedarfsplanungsinstrumente
Analog zur Pflege im Normalfall sind für die Pflegebedarfsplanung im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz Informationen der sechs Lebensbereiche notwendig [8].
1.
Mobilität
2.
Selbstversorgung
3.
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
4.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
5.
Umgang mit krankheitsspezifischen/therapiebedingten Anforderungen
6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Um eine Aussage bezüglich der Bedarfsplanungsinhalte und Ergebnisse treffen zu können, wurde im Vorfeld der Ausarbeitung eine Literatur- sowie Web-Recherche durchgeführt und nachfolgende für die Präklinik relevante Pflegebedarfsplanungsinstrumente zur genaueren Betrachtung ausgewählt. Bei der Auswahl der Instrumente war ein entscheidendes Kriterium, dass sie eine gute Reliabilität und Validität besitzen und die durch das Tool erhobenen Werte sowie die Beurteilungsergebnisse alle sechs Lebensbereiche abdecken. Reine Risikobewertungs- (Sturz, Dekubitus etc.) oder Screeninginstrumente (Demenz, COPD, Schmerz etc.) wurden nicht mit in die genauere Betrachtung einbezogen. Zusätzlich wurde eine Recherche zu bereits bestehenden oder in Entwicklung befindlichen Bedarfsplanungsinstrumenten im Bereich Katastrophenschutz/Bevölkerungsschutz durchgeführt.
BiA
Das Assessmentinstrument „Betreuungsbedarfserhebung und -leistungssteuerung in der Akutphase von Einsatzlagen – BiA“ wurde im Jahr 2017 von einer Projektgruppe der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM) entwickelt. Das Hauptziel dieses Instruments besteht darin, ein anwendbares und standardisiertes Verfahren zur Priorisierung von personenbezogenen Leistungen in der Versorgungskette bei der Betreuung von Betroffenen zu entwickeln und zu etablieren [16]. Derzeit ist das Assessmentinstrument noch nicht validiert. Hierfür sind weitere Erfahrungswerte aus der Praxis sowie interessierte Anwendungspartner notwendig.
Betroffene werden an der Anlaufstelle gesichtet. Hierbei gilt es, die betroffene Person frühestmöglich (idealerweise schon beim Erstkontakt) den „Sichtungsprozess“ durchlaufen zu lassen und diesen auch in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Zur Erleichterung des Ablaufs werden der Einsatzkraft Taschenkarten sowie sogenannte BiA-Anhängekarten, welche bei dem Betroffenen verbleiben, ausgehändigt. Sobald eine Person bei der Anlaufstelle erscheint, soll der standardisierte BiA-Algorithmus angewendet und dadurch ein ggf. erforderlicher Sofortbedarf (SO), besonderer Bedarf (BE) und Grundbedarf (GR) ermittelt werden [16].
Hierfür nutzen Einsatzkräfte die Taschenkarte, welche auf der Vorderseite eine mögliche Verfahrensweise und den BiA-Algorithmus enthält (Abb. 1). Auf der Rückseite sind insgesamt 15 Leitfragen zur Beurteilung der jeweiligen Bedarfe abgebildet. Die Leitfragen sind jeweils mit dem im Algorithmus eindeutigen Kennzeichnungscode versehen. Mit der Durchführung des Algorithmus können ein oder mehrere Bedarfe erhoben werden.
Abb. 1
Algorithmus zur standardisierten Betreuungsbedarfserhebung (DGKM)
×
Sobald über die Leitfragen ein Sofortbedarf (Abb. 2) ermittelt wird, sind entsprechende Maßnahmen zu veranlassen und anzuwenden. Ist kein Sofortbedarf notwendig, sind im nächsten Schritt mögliche „besondere Bedarfe“ zu identifizieren und umzusetzen. Im letzten Schritt werden noch die Grundbedarfe der Person abgefragt und sofern erforderlich die entsprechenden Maßnahmen in die Wege geleitet. Werden alle Fragen mit „Nein“ beantwortet, besteht kein Betreuungsbedarf bei dieser Person. Konnte kein Betreuungsbedarf der betroffenen Person festgestellt werden, kann eine Entlassung aus der Betreuung veranlasst werden.
Abb. 2
Leitfragen der Erhebung des Betreuungsbedarfs (DGKM)
×
Alle erhobenen Bedarfe werden durch die Einsatzkraft auf den dafür vorgesehenen Feldern auf der Taschenkarte und zusätzlich auf der BiA-Anhängekarte dokumentiert, welche bei den Betroffenen verbleibt. Auf diese Weise entsteht eine Übersicht, welche als Lagebild und als Planungsgrundlage des Betreuungseinsatzes dienen kann. Der Verlauf und die durchgeführten Maßnahmen können auf der Rückseite der BiA-Anhängekarte jederzeit überprüft oder geändert sowie anhand der Statusfelder Maßnahmen angefordert, begonnen oder beendet werden.
Ergibt eine wiederholte Abfrage abweichende oder sich verändernde Ergebnisse, so können diese auf der Vorderseite der Anhängekarte farbig dokumentiert werden. Eine Zeit- oder Datumsangabe dokumentiert dabei die Aktualität. Auf der Vorderseite der BiA-Anhängekarte mit Anwendungshinweisen werden personenbezogene Registrierungsdaten und Informationen über Angehörige oder Kontaktpersonen sowie im unteren Teil die festgestellten Betreuungsbedarfe durch Ankreuzen erhoben.
Anzeige
Auf der Rückseite befinden sich die bedarfsentsprechenden, codierten Betreuungsleistungen (Abb. 3), die mit Statuseinträgen zu dokumentieren sind [16].
Abb. 3
Zuordnung von Betreuungsleistungen gemäß aktuellem Betreuungsbedarf (DGKM)
×
Das BiA-Assessment-Instrument dient dazu, die Betreuungsbedarfe von Betroffenen in akuten Situationen strukturiert zu erfassen und entsprechende Maßnahmen gezielt zu planen und umzusetzen. Es gewährleistet eine schnelle und präzise Betreuungsbedarfssichtung sowie eine kontinuierliche Dokumentation, um eine angemessene Betreuung sicherzustellen.
Durch das Projektteam der DGKM wurde speziell für CBRN-Einsätze ein eigener BiA-CBRN-Algorithmus entwickelt. Beide Versionen stehen auf der Website der DGKM für einen Praxiseinsatz zum Download zur Verfügung. Des Weiteren können Anpassungs- und Verbesserungsvorschläge jederzeit an die DGKM-Projektgruppe rückgemeldet werden.
I.D.A.
Bei I.D.A. – „Information – Dokumentation – Assessment“– handelt es sich um eine webbasierte Anwendung, in der für den Versorgungsprozess wichtige Informationen gebündelt erfasst werden können. In dem 2021 veröffentlichten Instrument können krankheits- und altersbedingte Veränderungen rechtzeitig erkannt, passgenaue Unterstützungsmaßnahmen geplant und eine angemessene Versorgung in allen sechs Lebensbereichen gewährleistet werden [9].
Anzeige
Entwickelt wurde die Webapp im Forschungsprojekt „EIBeMeB – Einschätzung gesundheitlicher und pflegerischer Bedarfe von Menschen mit geistigen und/oder mehrfachen Beeinträchtigungen“ an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät Gesundheitswesen in Wolfsburg. Gefördert wurde das Projekt über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und aus Mitteln des Landes Niedersachsen – Regionenkategorie Stärker entwickelte Region (SER).
Pflegeeinrichtungen, die I.D.A. bereits im Einsatz haben, berichten über eine verbesserte und detailliertere Informationssammlung zu pflegerischen und gesundheitlichen Bedarfen der ihnen anvertrauten Bewohner:innen [9, 11]. Das Assessmentinstrument ist noch nicht validiert. Hierfür ist das Forschungsteam auf der Suche nach Praxispartnern, die die I.D.A. App in ihrem Arbeitsalltag erproben und weiterentwickeln möchten [14].
I.D.A. stellt als einziges Assessmentinstrument eine sehr umfangreiche Datendichte in allen sechs Lebensbereichen und darüber hinaus dar. In den enthaltenen Bausteinen (Abb. 4) mit jeweiligen Unterpunkten werden die notwendigen Informationen strukturiert abgefragt und den Bedarfen zugeordnet. Die Datenerhebung ist mittels der Web-App ortsunabhängig über Smartphone, Tablet und PC möglich. Ein übersichtliches Dashboard ermöglicht einen schnellen Wechsel zwischen den erfassten Pflegebedürftigen und deren Informationen. Der modulare Aufbau bietet den Anwendern eine bedarfsorientierte Datenerfassung (Ausnahme: Assessment) in den Bausteinen. Durch flexible Felder können bereits bestehende Informationssysteme mit I.D.A. verknüpft werden. Die Menüstruktur lässt zudem eine Dokumentation von Tagesereignissen und weiteren für die Pflege wichtigen Vorgängen zu, was in den bekannten und üblicherweise verwendeten Pflegeassessmentinstrumenten nicht vorgesehen ist. Des Weiteren erfolgen die Assessmenterhebung und die Einschätzung bezüglich des Ausmaßes der Beeinträchtigung nach den ICF-Kriterien der WHO. Bei erstmaliger Einschätzung müssen alle zehn Unterpunkte des Bausteins Assessment abgearbeitet werden, um den Ist-Zustand abbilden zu können [9].
Abb. 4
Bausteine und Unterpunkte der App I.D.A.
×
Notfallregister e. V.
Das europäische Notfallregister e. V. für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen zur bedarfsgerechten Unterstützung im Notfall- und Katastrophenfall (www.notfallregister.eu) steht der Bevölkerung und den Behörden seit Projektstart Ende Oktober 2022 online zur Verfügung. Das Notfallregister, das sich durch Spenden und Zuwendungen finanziert, wurde von haupt- und ehrenamtlichen Personen aus dem Bereich des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes der Hilfsorganisationen und Verwaltungsmitarbeiter:innen aus den betroffenen Behördenstellen gegründet. Auf der Plattform können sich europaweit Bürger:innen sowie Betreiber:innen von Pflegeeinrichtungen durch Befüllen eines Formulars registrieren, was seit Projektstart bereits von zahlreichen Personen und Einrichtungen aller 16 Bundesländer als auch aus sieben österreichischen Bundesländern umgesetzt wurde [12].
Anzeige
Die eingetragenen Daten liefern den örtlich zuständigen Behörden und Hilfsorganisationen sowohl bei der Planung als auch im akuten Notfall wichtiges Wissen zur Einsatzplanung. Durch Pflichtangabenfelder werden neben Name und Adresse auch Geburtsdatum, Telefonnummer, Körpergröße, Gewicht, Wohnsituation, Notfallkontakt, medizinische sowie sonstige wichtige Besonderheiten standardisiert erfasst.
Eine Datenabfrage ist nur durch registrierte und freigegebene zugriffsberechtigte Stellen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) möglich, wie z. B. Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst, Polizei, Katastrophen- und Zivilschutzbehörden und Hilfsorganisationen sowie Betreiber:innen von Heimbeatmungs- und Dialyseeinrichtungen. Jede Abfrage der zugriffsberechtigten Stellen wird geprüft und protokolliert. Durch den Abrufenden müssen auch die aktuell geltenden Bestimmungen nach DSGVO, der Datenverarbeitung und -speicherung sowie die Rechtmäßigkeit des Abrufs sichergestellt werden [15].
Der Verein Notfallregister e. V. weist auf seiner Plattform auf Folgendes hin: „Die Selbstvorsorge für den Notfall liegt in der Eigenverantwortung aller Bürger:innen und bei den Betreiber:innen von Einrichtungen.“ Mit der Registrierung gehen die teilnehmenden Behörden und Einsatzdienste keine Verpflichtungen ein, die über den regulären gesetzlichen Auftrag für die zu versorgenden Einrichtungen und der Bevölkerung hinausgehen. Die verfügbaren Daten gelten als hilfreiche Zusatzinformationen zur Abarbeitung von Ad-hoc-Einsätzen und zur Planung [12]. Der Deutsche Pflegerat e. V. (DPR) sprach sich im November 2023 in seiner Stellungnahme „zur Inhaltlichen Vorbereitung der ‚Statuskonferenz Hitze‘ im Bundesgesundheitsministerium (BMG)“ für ein bundeseinheitliches Notfallregister aus [6]. Eine Empfehlung zur Registrierung im Notfallregister geben weiterhin die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. [5], die Notfallseelsorge Krisenintervention Berlin [13] sowie der Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt [10].
Diskussion
Die Blickweise, vulnerable Bevölkerungsgruppen ausschließlich dem Betreuungsdienst zuzuordnen, birgt die Gefahr, den allgemeinen Versorgungsbedarf dieser Gruppe in Form von Basisversorgung, notwendigen wiederkehrenden Untersuchungen und Behandlungen sowie Medikamenteneinnahmen nicht hinreichend berücksichtigen zu können. Im Jahr 2021 litten 40 % der deutschen Bevölkerung an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen, wovon 30 % über einen Zeitraum von 20 Jahren oder länger (durchschnittlich 15 Jahre) beeinträchtigt waren und dadurch regelmäßigen Bedarf an Versorgung hatten [17]. Für diese Kohorte spielt die Vorhaltung von Ressourcen für einen Sonderfall wie bspw. einen MANV eine wichtige Rolle. Ohne eine ausreichende Analyse- und Planungskapazität sowie vorhandene und sichergestellte Kommunikationswege kann die Versorgung dieser vulnerablen Bevölkerungsgruppen nicht hinreichend sichergestellt werden, was sich folglich zu einer Gefahr für deren Leib und Leben entwickeln kann [7]. Laut Statistik wurden 2021 vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause versorgt und befanden sich nicht in dezidierten Pflegeeinrichtungen [4]. Im Ereignisfall wäre eine kurz- sowie auch langfristige Unterbringung in geeigneten Einrichtungen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Kann in dieser Situation die Pflege nicht durch stationäre Pflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste, Angehörige oder Personen aus der Nachbarschaft sichergestellt werden, muss diese durch die Fachdienste der Hilfsorganisationen geplant und übernommen werden. Hierfür sind alle pflegerelevanten Informationen und Belange der zu betreuenden Personen in einer verarbeitbaren Form notwendig. Leider sind bislang, wie ausgeführt, für die erforderliche Planung, Durchführung und Dokumentation keine standardisierten, frei zugänglichen Bedarfsplanungsinstrumente verfügbar. Insbesondere sollten solche Instrumente auch einen konkreten Planungsvorschlag oder eine Hilfestellung für die Umsetzung des Pflegebedarfs im Bevölkerungsschutz bieten.
Die im Artikel beschriebenen Insellösungen bieten verarbeitbare Datenmengen und -formen, die als gute Planungsgrundlage verwendet werden können, selbst wenn sie mit unterschiedlichen Zielsetzungen entwickelt wurden. BiA schafft besonders für den/die medizinisch grundausgebildete(n) Helfer:in im Bevölkerungsschutz eine sehr gut strukturierte Beurteilungsebene, um die Pflegebedarfe festzustellen und mit Maßnahmen darauf zu reagieren. I.D.A. bietet die umfassendste und nach internationalen Beurteilungskriterien, bezüglich Ausmaß der Beeinträchtigung, bewertete Pflegebedarfsplanung. Durch das sehr umfangreiche Assessment sind bei der Erhebung weitreichende pflegerische, medizinische und einschätzungsbezogene Fachkenntnisse erforderlich. Diese dürften bei den wenigsten Fachdiensten der Hilfsorganisationen flächendeckend vorhanden sein. Die Registrierung von Einzelpersonen und Einrichtungen im Notfallregister stellt für alle Betroffenen und an der Versorgung Beteiligten eine vielversprechende Alternative dar. Gerade weil die notwendigen Informationen nicht aus bereits bestehenden Gesundheitsdatendokumentationen direkt übernommen werden, erfordert es von der ausfüllenden Person eine gewissenhafte und ehrliche Beantwortung der Fragen sowie deren regelmäßige Aktualisierung. Dennoch ist es erforderlich, die hinterlegten Daten im Einsatzfall durch den Betreuungsdienst abzugleichen und ggf. anzupassen.
Für eine Nutzung ist es erforderlich, die Assessmentinstrumente ausgiebig in der Praxis zu erproben, durch neue Forschungsprojekte weiterzuentwickeln sowie die Datenbasis zu validieren. Besonders geeignet wäre eine Zusammenführung der drei verfügbaren Insellösungen zu einem standardisierten Pflegebedarfsplanungsassessmentinstrument, um eine flächendeckende Nutzung mit einheitlichem Vorgehen sicherzustellen und valide Daten zur Bedarfsplanung in verschiedenen Einsatzszenarien zur Verfügung zu haben.
Fazit für die Praxis
Nach der „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) werden unverletzte oder bereits medizinisch versorgte Personen, die durch eine Gefahrenlage in Not geraten sind, durch Betreuungseinheiten und nicht durch den Sanitätsdienst betreut.
Eine Eingruppierung in Soforthilfe (24 bis 48 h), Übergangshilfe (mehrere Tage bis Wochen) oder Wiederaufbauhilfe (zeitlich unbegrenzt) muss vorgenommen werden, da sie die Dauer der Betreuung in Maßnahmen, Vorplanung sowie Versorgungsstandards beeinflusst.
Die vulnerablen Gruppen sind klar vom medizinischen Sichtungsprozess zu trennen, und für diese ist eine spezielle Betreuungsbedarfserhebung durchzuführen.
2021 litten 40 % der deutschen Bevölkerung an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen, wovon 30 % über einen Zeitraum von 20 Jahren oder länger (Durchschnitt 15 Jahre) beeinträchtigt waren.
Vier von fünf Pflegebedürftigen wurden 2021 zu Hause versorgt und befanden sich nicht in entsprechenden Pflegeeinrichtungen.
Zur Beseitigung der Datenmangellage ist ein umfassendes Instrumentarium zu entwickeln und in der Praxis anzuwenden.
Förderung
Gefördert durch den Publikationsfonds der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
R. Konrad, D. Schuster und H.-J. Heppner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Springer Pflege Klinik – unser Angebot für die Pflegefachpersonen Ihrer Klinik
Mit dem Angebot Springer Pflege Klinik erhält Ihre Einrichtung Zugang zu allen Zeitschrifteninhalten und Zugriff auf über 50 zertifizierte Fortbildungsmodule.
BiA – I.D.A. – Notfallregister Mögliche Konzepte zur Planungsgrundlage von Ad-hoc-Einsätzen und präventiven Maßnahmen im Katastrophenschutz/Bevölkerungsschutz
verfasst von
Robert Konrad, MPH Denise Schuster, B.A. Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Heppner, MHBA