Hilfe bei Krebs Kaum eine andere Diagnose hinterlässt bei Betroffenen und Angehörigen so tiefe Spuren wie die Diagnose Krebs. Hilfe auf diesem schwierigen Weg durch die Krankheit bieten Onko-Lotsen.
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Annemarie Molitor kennt den Gesundheitsbetrieb aus vielen verschiedenen Perspektiven. Die medizinische Fachangestellte hat lange Jahre in Arztpraxen gearbeitet, bevor sie 2011 das Stationsmanagement im Karolinen-Hospital Hüsten im sauerländischen Arnsberg übernahm. Ihre wahre Berufung hat sie allerdings erst 2015 gefunden. Die Klinikleitung wünschte sich einen Angestellten, der bereit war, sich als Onko-Lotse ausbilden zu lassen. Annemarie Molitor bewarb sich sofort. Heute steht sie in den vier zum Klinikverbund Hochsauerland gehörenden Krankenhäusern Krebspatienten und deren Angehörigen zur Seite.
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Ruhig und sachlich begleiten
Die 58-Jährige ist nach dem behandelnden Arzt die erste Ansprechpartnerin, wenn Patienten mit der Diagnose Krebs konfrontiert werden. In ihrer ruhigen und sachlichen Art führt sie Betroffene und Angehörige behutsam durch das erste "Tal der Tränen". Sie hilft beim Ausfüllen von Anträgen, sie managt die Krankenkassen-Bürokratie, organisiert Ansprechpartner in Selbsthilfeeinrichtungen, Ernährungsberatungen und psychologischen Beratungsstellen, kümmert sich um Rehabilitation und häusliche Pflege und steht mit ihrem medizinischen Fachwissen als "Übersetzerin" zur Verfügung, wenn die medizinische Fachsprache Patient oder Familie überfordert. Damit sie auf jeden Krebspatienten bestmöglich vorbereitet ist, nimmt die Onko-Lotsin regelmäßig an den klinikinternen Tumorkonferenzen teil. Ihren "Sorgenkindern" steht sie jederzeit mit ihrer fachlichen Expertise zur Seite - wenn es sein muss auch am Wochenende. "Natürlich kann ich den Verlauf der Krankheit selbst nicht beeinflussen. Aber ich kann mit Rat und Tat dabei helfen, dass es in düsteren Zeiten auch gute Momente gibt. Und ich kann, wenn ein Patient tatsächlich dem Ende seines Lebens entgegengeht, mit dafür sorgen, dass er bis zum Ende so gut wie möglich betreut wird", erklärt die Onko-Lotsin. Und sie fügt an: "So schwer manche Fälle auch sind, meine Arbeit muss ich so emphatisch wie möglich, aber auch so professionell wie nötig erledigen. Mitgefühl ist wichtig, aber mitleiden darf ich nicht. Dann würde mir die notwendige Distanz verlorengehen, die für diese Aufgabe extrem wichtig ist."
Für den neuen Job hat Annemarie Molitor ein halbes Jahr an einer speziellen Ausbildung der Sächsischen Krebsgesellschaft in Zwickau teilgenommen. Dort hat sie psychologische und medizinische Grundlagen erworben, aktuelle Therapiemöglichkeiten, spezielle Leitlinien und theoretische Krankenhausroutinen in der Krebsbehandlung kennengelernt und in Rollenspielen immer wiederkehrende Patientenfragen durchgespielt. "Das war eine intensive, lehrreiche Zeit. Ich habe gute Dozenten gehabt und etliche Einblicke gewonnen, die mich wirklich weitergebracht haben. Eine gute Vorbereitung für meine praktische Arbeit mit den Patienten und deren Angehörigen", erinnert sich die 58-Jährige.
Aktuell betreut Annemarie Molitor etwa 25 Patienten. Darunter einen 79-Jährigen, der mit der Diagnose Magenkrebs in ihre Klinik kam. "Der Mann ist sauerländisches Urgestein. Sehr direkt und sehr eigensinnig. Er wusste sehr genau, welche Behandlungsoptionen in seinem Fall bestehen. Wir sind dann gemeinsam zu einem Gespräch mit dem Oberarzt gegangen. Von einer Operation konnte er dennoch nicht überzeugt werden." Generell eine Reaktion, die von Annemarie Molitor wertneutral betrachtet wird. "Jeder Patient, jede Patientin, hat das Recht, individuell über seine oder ihre empfohlene Therapie zu entscheiden. Die Richtung gibt der Betroffene in jedem Fall selber vor. Und dieser Patient hatte eigentlich nur noch einen Wunsch: Er wollte zusammen mit seiner in Süddeutschland lebenden Tochter noch einmal Geburtstag feiern: seinen 80sten." Letztendlich gab der Sauerländer dann doch noch seine Zustimmung zu einer OP - nach der Einlieferung in die Notfallaufnahme des Krankenhauses.
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Patienten und Therapeuten entscheiden gemeinsam über Behandlungsplan
Gerade für ältere Menschen sind Mediziner immer noch so etwas wie "Götter in Weiß". Folglich sieht Annemarie Molitor es als ihre Aufgabe an, die Rechte gerade dieser Patienten zu stärken. "Angehörige dieser Generation brauchen die Sicherheit und die Gewissheit, ihre eigenen Entscheidungen treffen zu können. Und dazu gehört zum Beispiel das Recht, eine zweite Meinung einzuholen. Wenn das gewünscht wird, dann helfe ich natürlich auch dabei. Zusammen mit dem Sozialdienst, den Psychoonkologen, Seelsorgern und den Ärzten gelingt es dann zumeist, einen Behandlungsplan zu entwickeln, zu dem die Betroffenen und ihre Angehörigen Ja sagen können." Ulrike Becker, Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit, nickt: "Heute findet in modernen Kliniken ein deutlich intensiverer Austausch zwischen den einzelnen Ebenen statt. Wir haben hier im Haus über viele Jahre Teams aufgebaut, die in allen Bereichen gut zusammenarbeiten. Und dazu gehört - seit 2016 - auch unsere Onko-Lotsin."
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Aktuell gibt es in Deutschland nur etwa 100 ausgebildete Onko-Lotsen. Kein guter Schnitt, wenn man bedenkt, dass in Deutschland jedes Jahr fast 500.000 Menschen die Diagnose Krebs erhalten. Dazu kommen einige wenige Ehrenamtler, die sich als ehemalige Krebspatienten im Haus der Krebsselbsthilfe in Bonn ausbilden lassen können. Eine gute Sache, findet Annemarie Molitor: "Denn selbst Erkrankte haben durch ihre persönlichen Erfahrungen einen anderen Zugang zum Betroffenen und sprechen auf einer ganz anderen Ebene mit den Patienten."
Dr. med. Hartwig Schnell, Chefarzt der Inneren Medizin und Gastroenterologie in Arnsberg, ist sicher, dass sein Klinikverbund gut daran getan hat, in die Ausbildung von Annemarie Molitor Zeit und Geld zu investieren: "Tumorpatienten haben aufgrund vielfältiger Untersuchungen gerade in größeren Kliniken oft viele verschiedene Anlaufstellen. Die stationären Aufenthalte zwischen den Befunden und Maßnahmen sind oft kurz. Da braucht es eine professionelle Vertrauensperson, die auch jene Fragen beantwortet, die Angehörige und Patienten sich oft nicht zu stellen trauen."
Aber nicht nur die von der Diagnose Krebs Betroffenen profitieren von der Arbeit der Onko-Lotsin. Auch die Angestellten aus den medizinischen Abteilungen. "Heutzutage ist es schwierig, gutes medizinisches Personal zu finden. Ein Arbeitsplatz wird für Bewerber umso attraktiver, je mehr organisatorische Tätigkeiten für Ärzte und Krankenschwestern wegfallen. Denn beide wollen letztendlich medizinisch wirken und sich nicht in organisatorischen Aufgaben verlieren." Zu guter Letzt registriert Dr. med. Hartwig Schnell sogar positive Auswirkungen auf die Behandlung der Patienten an sich: "Wir haben festgestellt, dass die Behandlung unter Mitwirkung von Annemarie Molitor vom Patienten eher durchgehalten wird und sich die Einstellung des Patienten in Bezug auf seine Krankheit positiv verändert." Einziger Wermutstropfen: Derzeit gehört die Arbeit eines Onko-Lotsen noch nicht zu den Kosten, die von den Trägern des medizinischen Betriebs übernommen werden.
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