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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

12. Beruflich Pflegende – Engpass oder Treiber von Veränderungen?

verfasst von : Prof Dr. Renate Stemmer

Erschienen in: Pflege-Report 2021

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Zusammenfassung

Der Beitrag diskutiert die Rolle der beruflich Pflegenden in den sich verändernden Angebotsstrukturen im Zuständigkeitsbereich des SGB XI. Diese wird beeinflusst durch deren Arbeitssituation, Qualifikation und die zugewiesenen Handlungsspielräume. Die Engpasssituation ist unbestritten. Empirisch belegt ist ein erheblicher Mangel an Pflegepersonen im Zusammenhang mit gravierenden Mängeln der Arbeitsqualität. Diese betreffen die Bezahlung, die vertragliche Beschäftigungssituation, eine unzureichende Balance zwischen Arbeit und Leben, ein hohes Arbeitsaufkommen, unzureichende Karrieremöglichkeiten und geringe Mitarbeiterrepräsentation.
Inwieweit die Bemühungen, den Personalmangel über eine Erhöhung des Anteils an Assistenzpersonen zu verringern, zielführend auch im Sinne ausreichender Pflege- und Versorgungsqualität sind, ist offen. Sorge bereitet das unklare Potenzial der Assistenzpersonen angesichts äußerst heterogener länderspezifischer Qualifizierungsangebote ebenso wie die voraussichtlich eher geringen Delegationskompetenzen der zukünftigen Pflegefachpersonen. Unverständlich ist auch, dass die hochschulisch qualifizierten Pflegenden in den Überlegungen zur bewohnernahen Versorgung bislang keine Rolle spielen.
Die in der Pflege Tätigen können dann zum Treiber von Veränderungen werden, wenn ihr Potential qualifikations- und aufgabenbezogen genutzt wird. Dies setzt zwingend die Integration der beruflich Pflegenden mit hochschulischer Qualifikation auf der Bachelor- und der Masterebene in der bewohnernahen Pflege und Versorgung voraus. Bedingung ist ebenfalls eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine Stärkung der politischen Einflussnahmemöglichkeiten.
Zusammenfassung
Der Beitrag diskutiert die Rolle der beruflich Pflegenden in den sich verändernden Angebotsstrukturen im Zuständigkeitsbereich des SGB XI. Diese wird beeinflusst durch deren Arbeitssituation, Qualifikation und die zugewiesenen Handlungsspielräume. Die Engpasssituation ist unbestritten. Empirisch belegt ist ein erheblicher Mangel an Pflegepersonen im Zusammenhang mit gravierenden Mängeln der Arbeitsqualität. Diese betreffen die Bezahlung, die vertragliche Beschäftigungssituation, eine unzureichende Balance zwischen Arbeit und Leben, ein hohes Arbeitsaufkommen, unzureichende Karrieremöglichkeiten und geringe Mitarbeiterrepräsentation.
Inwieweit die Bemühungen, den Personalmangel über eine Erhöhung des Anteils an Assistenzpersonen zu verringern, zielführend auch im Sinne ausreichender Pflege- und Versorgungsqualität sind, ist offen. Sorge bereitet das unklare Potenzial der Assistenzpersonen angesichts äußerst heterogener länderspezifischer Qualifizierungsangebote ebenso wie die voraussichtlich eher geringen Delegationskompetenzen der zukünftigen Pflegefachpersonen. Unverständlich ist auch, dass die hochschulisch qualifizierten Pflegenden in den Überlegungen zur bewohnernahen Versorgung bislang keine Rolle spielen.
Die in der Pflege Tätigen können dann zum Treiber von Veränderungen werden, wenn ihr Potential qualifikations- und aufgabenbezogen genutzt wird. Dies setzt zwingend die Integration der beruflich Pflegenden mit hochschulischer Qualifikation auf der Bachelor- und der Masterebene in der bewohnernahen Pflege und Versorgung voraus. Bedingung ist ebenfalls eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine Stärkung der politischen Einflussnahmemöglichkeiten.
The article discusses the role of professional carers in the changing service structures within the scope of responsibilities laid down in the German Social Code Book XI. Their role is influenced by their work situation, qualifications and the scope of action allocated to them. The bottleneck situation is undisputed. Empirical evidence shows a considerable shortage of caregivers in connection with serious deficiencies in their quality of work. These relate to pay, the contractual employment situation, an insufficient work-life balance, a high workload, insufficient career opportunities and low staff representation.
It remains to be seen to what extent the efforts to reduce the staff shortage by increasing the proportion of care assistants will also be effective in terms of sufficient care and supply quality. The unclear potential of the assistants in view of the extremely heterogeneous state-specific qualification programmes is just as worrying as the presumably rather low delegation competences of the future nursing professionals. It is also incomprehensible that university-trained nurses have so far played no role in the considerations on resident-centred care.
Nurses can become drivers of change if their potential is utilised in terms of qualifications and tasks. This requires the integration of professional nurses with university qualifications at the bachelor’s and master’s level in resident-centred nursing and care. Apart from that, working conditions must be significantly improved and the political influence of the profession must be strengthened.

12.1 Einleitung

Die Frage danach, ob die in der Pflege Tätigen Treiber von Veränderungen sind, kann zweifach interpretiert werden. So könnte es darum gehen, ob diese Gruppe in quantitativer und qualitativer Hinsicht in der Lage ist, Konzepte, die durch andere Player entwickelt wurden, umzusetzen oder darum, dass Pflegefachpersonen neue Angebote entwickeln und implementieren. Der Beitrag wird auf beide Perspektiven eingehen.
Gesundheits- und Pflegeberufe gelten als Engpassberufe (Bußmann 2015). Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft definiert „Engpass“ als anhaltende Knappheit über einen Zeitraum von drei Jahren und neun Monaten, gekennzeichnet dadurch, dass in diesem Zeitraum im Durchschnitt weniger als 200 Arbeitslose auf je 100 gemeldete offene Stellen kommen (Bußmann 2015). Die Doppelung der gemeldeten Arbeitslosenzahl im Verhältnis zu den offenen Stellen berücksichtigt die Tatsache, dass nur etwa die Hälfte der offenen Stellen der Bundesagentur für Arbeit gemeldet werden.

12.2 Gründe für den Engpass – gravierende Mängel der Arbeitsqualität

Um die im Titel aufscheinende Frage zu beantworten, ist es erforderlich, sich die Personalsituation in der ambulanten und stationären Pflege genauer anzuschauen. Die Arbeit in der Pflege wird als hoch sinnvoll erlebt. So bejahen 93 % der Beschäftigten in der Altenpflege die Aussage, dass sie mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018). Wie erklärt sich dann der seit Jahren bestehende eklatante Mangel insbesondere an Pflegefachpersonal in der ambulanten und stationären Pflege?
Zur Reflexion der Situation der in der Pflege Tätigen ist das Konzept der „Arbeitsqualität“ hilfreich. Arbeitsqualität verweist auf die Frage, ob eine „Arbeitssituation als förderlich und angenehm oder belastend und unbefriedigend gilt bzw. erlebt wird“ (Fritz 2015). Das Konstrukt der Arbeitsqualität ist mehrdimensional. Auch wenn es keine abschließende Klärung der zugehörigen Dimensionen gibt, können doch als relevante Dimensionen Bezahlung, vertragliche Beschäftigungssituation, Arbeitszeiten und die Balance zwischen Arbeit und Leben, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzsicherheit, Weiterbildung und Karrieremöglichkeiten sowie Mitarbeiterrepräsentation und -partizipation genannt werden (Fritz 2015). Werden diese Dimensionen auf den Bereich der stationären und ambulanten Pflege angewendet, zeigen sich gravierende Mängel der Arbeitsqualität.
Bezahlung
Beim Blick auf die Bezahlung kommen die Beschäftigten in der stationären und der ambulanten Pflege in besonderer Weise ins Hintertreffen: Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IfAB) weist aus, dass Fachkräfte in der Altenpflege 14,5 % weniger verdienen als die Beschäftigten insgesamt. Helferinnen und Helfer in der Altenpflege verdienen fast 40 % weniger im Vergleich zum Medianentgelt aller Beschäftigten. Diese Ergebnisse sind umso gravierender, wenn man bedenkt, dass die Berechnung des Einkommens Zuschläge für Wochenend- oder Schichtarbeit bereits berücksichtigt (Seibert et al. 2018). So verwundert nicht, dass 78 % der in der Altenpflege Tätigen in einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) den Eindruck haben, unangemessen niedrig bezahlt zu werden. Unter den Beschäftigten aller Branchen beträgt der Anteil demgegenüber 48 % (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018).
Vertragliche Beschäftigungssituation
Die vertragliche Beschäftigungssituation ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigung. „Teilzeitbeschäftigt ist ein Arbeitnehmer, dessen regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers.“ (BMJV 2019). Ende 2019 waren in deutschen Pflegeheimen 796.489 Personen beschäftigt, davon nur 29,11 % vollzeitbeschäftigt. In den ambulanten Pflegediensten waren 421.550 Personen beschäftigt, davon waren 27,78 % vollzeitbeschäftigt (Destatis 2020). Die Teilzeitspanne in der stationären und ambulanten Pflege ist groß: Ca. 40 % der Beschäftigten arbeiten mehr als 50 %, aber weniger als 100 % der regulären Arbeitszeit. In der ambulanten Pflege sind dies 37,48 %, in der stationären Pflege 41,34 % der Beschäftigten. In der ambulanten Pflege sind 31,09 % und in der stationären Pflege 21,68 % in einem Umfang von unter 50 % der Arbeitszeit einschließlich geringfügiger Beschäftigung tätig (DeStatis 2020). Das heißt, über 70 % der in der ambulanten oder stationären Pflege Tätigen sind teilzeitbeschäftigt. Dabei liegt der Frauenanteil der Teilzeitbeschäftigten bei 90 % und damit über dem entsprechenden Wert für alle Berufe (81,2 %) (Bogai et al. 2015).
Als Grund für die Teilzeitarbeit gaben in einer nicht-repräsentativen Online-Befragung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) 46,23 % der 1.946 an der Befragung Teilnehmenden an, dass ihnen die berufliche Belastung bei Vollzeitarbeit zu hoch sei. 30 % der Befragungsteilnehmenden wünschen sich mehr Zeit für persönliche Interessen (DBfK 2019). Zwar nahmen an der Befragung des DBfK mehrheitlich Pflegepersonen teil, die im Krankenhaus tätig sind, es ist aber anzunehmen, dass die Belastungssituation in der ambulanten Pflege und im Pflegeheim vergleichbar ist.
Ein Teil der Teilzeitbeschäftigten hat Interesse aufzustocken. 46 % der Altenpflegerinnen und -pfleger und 55 % der Helferinnen und Helfer in der Altenpflege in Ostdeutschland gaben an, eine Teilzeitstelle einzunehmen, da eine Vollzeitstelle nicht zu finden sei. In Westdeutschland lagen die Zahlen bei 13 % (Altenpfleger/innen) bzw. 17,5 % (Altenpflegehelfer/innen) (Bogai et al. 2015).
Arbeitszeiten und die Balance zwischen Arbeit und Leben
Die Frage der Arbeitsqualität ist auch von den Arbeitszeiten und dem Einfluss der Arbeitszeiten auf die Work-Life-Balance abhängig. 69 % der in der Altenpflege Tätigen sind regelmäßig oder ständig im Schichtdienst tätig. 82 % in der Altenpflege arbeiten sehr häufig oder oft am Wochenende (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018). Schicht- und Wochenenddienst sind angesichts der Versorgungserfordernisse unumgänglich. Anders sieht dies jedoch mit der Planbarkeit von Arbeitszeit aus. Nur 29 % der in der Altenpflege Tätigen geben an, einen hohen oder sehr hohen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitszeit zu haben. Dagegen sehen sich 41 % mit der Erwartung von Arbeitgebern konfrontiert, auch außerhalb der regulären Arbeitszeit jederzeit erreichbar zu sein (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018). Eine weitere Problemstelle ist mit der oftmals mangelnden Verlässlichkeit des Dienstplanes zu benennen. Bei erhöhtem Arbeitsanfall oder dem Ausfall von Kolleginnen und Kollegen wird erwartet, dass jemand einspringt. Die fehlende Planbarkeit privater Aktivitäten gehört zu den zentralen Gründen für die Überlegung den Beruf zu verlassen.
Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzsicherheit
Weitere Merkmale der Arbeitsqualität sind Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzsicherheit. Während die Arbeitsplatzsicherheit in der Pflege als hoch wahrgenommen wird (Buxel 2011), sind die Arbeitsbedingungen seit langem problematisch. Besonders hervorstechend sind Hetze und Zeitdruck, unter denen Pflegearbeit erbracht werden muss. In einer Studie des DGB geben 69 % der in der Altenpflege Tätigen an, sehr häufig oder oft Hetze und Zeitdruck ausgesetzt zu sein (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018). Dies wiederum führt dazu, dass nicht alle erforderlichen Pflegeleistungen erbracht werden können. Häufig sind dies Leistungen im Bereich der Zuwendung oder Beratung mit der Folge, dass die in der Pflege Tätigen am Schichtende mit schlechtem Gewissen nach Hause gehen oder bestimmte Leistungen außerhalb der bezahlten Arbeitszeit erbringen. Immerhin 29 % der in der Altenpflege Tätigen im Vergleich zu 16 % aller Beschäftigten kompensieren so das Missverhältnis von Arbeitspensum und Arbeitszeit (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018).
Der Blick auf die Seite der körperlichen Belastung zeigt, dass 78 % der in der Altenpflege Tätigen angeben, sehr häufig oder oft schwer tragen, heben oder stemmen und damit körperliche Schwerarbeit leisten zu müssen (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018). Neben den körperlichen sind auch die emotionalen Anforderungen im Pflegebereich hoch: 46 % der in der Pflege Tätigen geben an, mit strukturell oder situativ bedingten widersprüchlichen emotionalen Anforderungen konfrontiert zu werden. Dieses erfordert eine emotionale Disziplinierung, mit deren Folgen die Betroffenen oft allein fertig werden müssen, da Zeit und Ressourcen für eine Bearbeitung nicht zur Verfügung stehen (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018).
Die hohen körperlichen Anforderungen und psychischen Belastungen schlagen sich in den Krankheitsstatistiken nieder. Eine Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) kommt zu dem Ergebnis, dass Berufstätige in der Altenpflege im Jahr 2018 mit durchschnittlich 1,4 AU-Fällen je Versicherungsjahr von Arbeitsunfähigkeiten betroffen sind. Im Vergleich dazu liegen die AU-Fälle aller bei der TK versicherten Berufstätigen insgesamt bei 1,21. Auch die fallbezogene Krankschreibedauer liegt mit von 18,1 Tagen deutlich über der allgemeinen Anzahl, die bei 12,3 AU-Tagen liegt. Bezogen auf ein Versichertenjahr stehen 25,3 Krankheitstage bei in der Altenpflege Tätigen 12,3 aller bei der TK versicherten Berufstätigen gegenüber (Die Techniker Krankenkasse 2019). Die hohe Anzahl an Krankheitstagen ist umso bemerkenswerter, als 49 % der in der Altenpflege Tätigen angeben, in den letzten zwölf Monaten an zehn Tagen und mehr gearbeitet zu haben, obwohl sie sich richtig krank fühlten (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018).
Zusammenfassend verwundert nicht, dass im Mittel nur 20 % der in der Altenpflege Tätigen sich vorstellen können, die jetzige Tätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter ohne Einschränkung ausüben zu können. Allerdings ist die Spreizung hoch: Wenn die Arbeitsbedingungen als gut wahrgenommen werden, können sich 51 % die weitere Tätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter ohne Einschränkung vorstellen, bei als schlecht wahrgenommenen Arbeitsbedingungen nur 11 % (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018).
Nicht zuletzt mit dem Ziel, die persönlichen Arbeitsbedingungen zu verbessern, wechseln Pflegepersonen in die Zeitarbeit. In einer im Auftrag der Pflegekammer Niedersachsen durchgeführten Erhebung, an der sich 144 in Zeitarbeit beschäftigte Pflegende beteiligten, begründen 54,5 % den Wechsel in die Zeitarbeit mit einer besseren Vergütung, 50,9 % mit selbstbestimmten und flexibleren Arbeitszeiten und 46,8 % damit, spontanes Einspringen bei Dienstplanänderungen vermeiden zu wollen (Pflegekammer Niedersachsen KDÖR 2021).
Weiterbildungsmöglichkeiten und Karriere
Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten gehören zu den Merkmalen von Arbeitsqualität. Zwar unterstreicht der DGB-Index Gute Arbeit, dass mit 71 % Angebote zu Fort- und Weiterbildungen in der Altenpflege überdurchschnittlich häufig sind (Institut DGB-Index Gute Arbeit 2018). Jedoch fehlt eine Differenzierung zwischen Pflichtfortbildungen (wie zu Arbeitsschutz und zum Notfallmanagement oder Schulungen z. B. im Rahmen der Implementierung von Expertenstandards), und Fort- und Weiterbildungen, die dem beruflichen Aufstieg, der Erweiterung des beruflichen Aufgabenfeldes oder der Spezialisierung im pflegerischen Aufgabenfeld dienen. Inhaltlich wären hier die Qualifizierung zur Praxisanleiter/in, zur Leiterin oder zum Leiter einer Pflege- oder Funktionseinheit, zur gerontopsychiatrischen Fachperson oder zur Pflegefachperson im Bereich der Palliativ- und Hospizpflege zu nennen. Wenn in einer Erhebung der Hochschule Niederrhein 64 % der 319 teilnehmenden Pflegeheime und 59 % der 286 teilnehmenden ambulanten Pflegedienste angeben, den Pflegepersonen bis zu fünf Weiterbildungstage im Jahr zu ermöglichen (Timmreck et al. 2017), wird deutlich, dass damit nur ein kleiner Teil der Weiterbildungsstunden, die für die o. g. Weiterbildungen zwischen ca. 150 und 650 Stunden liegen, abgedeckt werden kann.
Vielfach werden auch fehlende Karrieremöglichkeiten in der Pflege für die mangelnde Attraktivität der Pflegeberufe verantwortlich gemacht. Karrieremöglichkeiten wurden klassischerweise als Ein- bzw. Aufstieg in das managerielle oder pädagogische Aufgabenfeld angeboten. Während im Krankenhaussektor nach und nach Karrieremöglichkeiten entwickelt werden, die die pflegerische, patientenbezogene Expertise hochschulisch qualifizierter Pflegefachpersonen nutzen, sind ähnliche Schritte in der Altenpflege nicht wahrnehmbar. In formaler Hinsicht behindert die hohe Teilzeitquote Karriereoptionen für einen Großteil der Beschäftigten.
Mitarbeiterrepräsentation und -partizipation
Wie im Zusammenhang mit den Arbeitszeiten bereits angesprochen, sind die Möglichkeiten der Einflussnahme der in der Pflege Tätigen auf die Dienstplangestaltung insgesamt gering. Doch Partizipation betrifft nicht nur die Arbeitssituation, sondern auch die Möglichkeiten der (Aus-)Gestaltung der Pflegeangebote. Eine entsprechende partizipative Kultur und die gezielte Implementierung von Instrumenten zur Förderung der Mitarbeiterpartizipation sind in der Altenpflege nur ausnahmsweise anzutreffen. Die Diskrepanz zwischen hoher Beanspruchung einerseits und geringen Einflussmöglichkeiten andererseits wird als besonders belastend erlebt und führt zu Überlegungen den Arbeitgeber zu wechseln oder den Beruf ganz zu verlassen (Hasselhorn et al. 2008; Joost 2007). Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Sachverständigenrat den Einrichtungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit u. a. durch eine Verbesserung der Partizipations- und Mitsprachemöglichkeiten zu stärken (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2012). Diese Empfehlung ist bislang kaum aufgenommen worden.

12.3 Herausforderung Qualifizierungslevel

Die Zusammensetzung des Personals in der stationären und ambulanten Pflege und Betreuung ist sehr heterogen. Die größte Gruppe bilden Pflegefach- und -assistenzpersonen. 140.505 Personen der in einem ambulanten Pflege- oder Betreuungsdienst Tätigen, das sind 33,33 %, verfügen über keinen einschlägigen oder gar keinen Berufsabschluss, in den Pflegeheimen sind dies 295.906 von 769.489 Personen oder 37,15 % (Destatis 2020).
Doch auch das Qualifizierungslevel der Assistenzpersonen erscheint angesichts von bundesweit 27 verschiedenen ein- bis zweijährigen Pflegehilfs- bzw. Pflegeassistenzausbildungen mit acht verschiedenen Berufsbezeichnungen als intransparent. Alle diese Qualifizierungsangebote unterliegen einer landesrechtlichen Regelung und zielen auf einen Arbeitsbereich in der stationären und ambulanten Kranken- und Altenpflege ab (Jürgensen 2019). Die Vielfalt der Qualifizierungsangebote im Assistenzbereich bezeichnet die Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerates als „Desaster für die pflegeberufliche Bildung“ (Vogler zit. n. Lücke 2021). Mit diesem Bildungsdesaster verbunden sind unklare Kompetenz- und damit auch Handlungsprofile.
Dies ist angesichts der hohen Bedeutung, die der Assistenzebene zukünftig insbesondere im Bereich der stationären Pflege zugeschrieben wird (Rothgang et al. 2020), hochproblematisch. Die Universität Bremen hat in einem aufwändigen empirischen Verfahren ein Berechnungssystem entwickelt, das beansprucht, den Pflegepersonalbedarf in der stationären und teilstationären Pflege vom Versorgungsbedarf aus zu bestimmen. Die Forscherinnen und Forscher konstatieren einen deutlich erhöhten Bedarf an Pflegeassistenzpersonen, bei einem etwa gleichbleibenden Bedarf an Pflegefachpersonen. Eine definierte Fachkraftquote soll es nicht mehr geben (Rothgang et al. 2020). Die Empfehlungen der Wissenschaftler sollen eine Orientierung für weitere Entscheidungen der Bundesregierung und der Partner der Pflegeselbstverwaltung bilden. Ein erster Schritt zur Umsetzung der Empfehlungen stellt der vom Bundesgesundheitsminister Ende 2020 ins Kabinett eingebrachte Entwurf eines Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetzes dar.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Bremer Studie ist Skepsis angebracht, denn die Grundlage für die Erhebungen für die Entwicklung des Personalbemessungsinstruments bildete ein Katalog von Einzeltätigkeiten. Das hierin aufscheinende technizistische Verständnis von Pflege wird der Komplexität von Versorgungsprozessen jedoch nicht gerecht (Bartholomeyczik et al. 2021). Wenn die Methode zur Berechnung des Personalbedarfs problematisch ist, steht das Ergebnis ebenfalls auf dem Prüfstand. Die kritische Frage ist, ob der empfohlene Grade-Mix für eine gute Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ausreicht. Der überproportionale Anstieg der Pflegeassistenten und -assistentinnen geht mit der Gefahr einher, dass die Versorgungsqualität insgesamt abgesenkt wird. Um dem entgegenzuwirken, müssen die Pflegefachpersonen viel stärker als bisher die Rolle der fachlichen Leitung für die Assistenzpersonen übernehmen. Erforderlich sind Kompetenzen in Prozesssteuerung, Delegation und Monitoring. Diese erhöhten Anforderungen stehen im krassen Widerspruch zu dem in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PflAPrV) im Vergleich zur generalistischen Ausbildung abgesenkten Niveau für den Abschluss „Altenpflege“. Fatal auch, dass hochschulisch qualifizierte Pflegende, die in der Lage wären diese Rolle zu übernehmen, in dem vorliegenden Konzept zur Pflegepersonalbemessung keine Rolle spielen.
Die Frage ist, welche Gruppe zukünftig das Versorgungsniveau bestimmt. Schaffen die Pflegefachpersonen es mit ihren vorliegenden Kompetenzen, Qualität zu definieren und durchzusetzen, oder werden zukünftig die Pflegeassistenten und -assistentinnen den Standard der pflegerischen Versorgung rein aufgrund ihrer Quantität bestimmen?
Der Blick in die Ausbildungsregularien gibt Anlass zur Sorge. Die Entwicklung von Kompetenzen zur Delegation und Überwachung von Assistenzpersonen ist nur am Rande Gegenstand der Pflegeausbildung. Das Ausbildungsziel (§ 5) des Pflegeberufegesetzes (PflBG) fokussiert schwerpunktmäßig die individuelle Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf. Das in § 5 Abs. 1 PflBG formulierte Ausbildungsziel „Anleitung, Beratung und Unterstützung von anderen Berufsgruppen und Ehrenamtlichen“ wird in den Rahmenplänen zur Pflegeausbildung an zwei Stellen aufgegriffen. Für die generalistische Ausbildung definiert die curriculare Einheit (CE) CE 05 „Menschen in kurativen Prozessen pflegerisch unterstützen und Patientensicherheit stärken“ als zu erwerbende Kompetenz im letzten Ausbildungsdrittel: „Die Auszubildenden … delegieren unter Berücksichtigung weiterer rechtlicher Bestimmungen ausgewählte Maßnahmen an Personen anderer Qualifikationsniveaus und überwachen die Durchführungsqualität“ (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz 2020) als eines von 28 Kompetenzzielen dieser Einheit. In der Rubrik „Inhalte/Situationsmerkmale“ dieser curricularen Einheit wird das Thema Delegation nicht explizit aufgegriffen. Ganz ähnlich gestaltet sich die Situation in der Einheit CE 09 „Menschen bei der Lebensgestaltung lebensweltorientiert unterstützen“. Diese CE wiederholt wortgleich die Kompetenzerwartung hinsichtlich der Delegation, ordnet dieses Kompetenzziel ebenfalls in eine Vielzahl von Kompetenzzielen ein, ohne bei den Inhalten oder Situationsmerkmalen explizit darauf einzugehen. Für die Vertiefung Altenpflege benennt die CE 05 „Alte Menschen in kurativen Prozessen pflegerisch unterstützen und Patientensicherheit stärken“ (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz 2020) ebenfalls wortgleich das o. g. Kompetenzziel zur Delegation, wiederum ohne bei den Inhalten oder Situationsmerkmalen darauf zurückzukommen. Dies wiederholt sich erneut bei der CE 09 „Alte Menschen bei der Lebensgestaltung lebensweltorientiert unterstützen“ (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz 2020). Zusammenfassend ergibt sich eine erhebliche Schräglage zwischen den in den Rahmenplänen zur Pflegeausbildung ausgewiesenen und erwartbar entwickelbaren geringen Delegationskompetenzen und den zukünftigen Aufgaben von Pflegefachpersonen hinsichtlich der Aufgabenzuweisung und Überwachung von Pflegeassistenzpersonen.

12.4 Zum Potenzial von Pflegefachpersonen als Treiber von Qualität und von Veränderungen

Das Prinzip des Skill- und Grade-Mix ist im Bereich des SGB XI spätestens seit Einführung der Fachkraftquote in den 1990er Jahren eingeführt. Die Aufgabenverteilung orientiert sich seitdem weitgehend an normativen Vorgaben. So fallen die sog. Behandlungspflege ebenso wie die Steuerungsaufgaben im Pflegeprozess in den Zuständigkeitsbereich der Pflegefachperson. Die konkrete Ausgestaltung wiederum wurde und wird in weiten Teilen durch Prüfnormen bestimmt, die von den Partnern der Selbstverwaltung nach § 113 SGB XI im Einvernehmen mit dem BMG und dem BMFSFJ definiert und deren Umsetzung im Rahmen der Qualitätsprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) begutachtet werden.
Mit dem 2017 verabschiedeten Pflegeberufegesetz wurden in § 4 Abs. 2 vorbehaltene Tätigkeiten für Pflegefachpersonen definiert. Diese betreffen: 1. die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs, 2. die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses, 3. die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege. Auch wenn es noch Fragen zur Auslegung gibt (Büscher et al. 2019), markiert die Definition von Vorbehaltsaufgaben einen Meilenstein hinsichtlich der Zuschreibung und Wahrnehmung pflegefachlicher Kompetenz. Der Gesetzgeber sieht im PflBG unmissverständlich die Kompetenz für die Steuerung und Organisation des Pflegeprozesses und damit die Sicherung der bewohner- bzw. kundenbezogenen Pflegequalität bei den Pflegefachpersonen. Aus pflegefachlicher Sicht völlig unverständlich ist in diesem Zusammenhang die Absenkung des erwarteten Kompetenzniveaus des spezifischen Altenpflegeabschlusses im Vergleich zum generalistischen Ausbildungsabschluss gerade in dem Themenfeld „Die Pflege von alten Menschen verantwortlich planen, organisieren, gestalten, durchführen, steuern und bewerten“ (PflAPrV, Anlage 4).
Jenseits derartiger Irritationen liegt es nun an den Pflegefachpersonen, die Gestaltung des ihnen mit den Bestimmungen im PflBG vorbehaltenen Pflegeprozesses als positiven Auftrag anzunehmen. Der prinzipielle Zusammenhang von Qualifikation und Versorgungsqualität ist für die Altenpflege belegt, auch wenn weitere hochwertige Studien anzustreben sind (Backhaus et al. 2014). Beispielsweise reduziert ein höherer Anteil an Pflegefachpersonen den Einsatz psychotroper Medikamente, die Dekubitusinzidenz, die Inzidenz von Harnwegsinfektionen, die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner mit bzw. das Ausmaß an Urininkontinenz und erhöht den Grad der Selbstständigkeit (Shin et al. 2021; Rothgang et al. 2020; Shin und Shin 2019). Andere Studien untersuchen die Gründe, warum aus fachlicher Sicht erforderliche Pflegeleistungen nicht erbracht werden. Als Einflussvariablen konnten ein hoher Zeitdruck sowie mangelnde Qualifikation identifiziert werden. Auch wird von Assistenzpersonen der vorliegende Mangel an Pflegeleistungen teilweise nicht erkannt. Zu den häufig unterlassenen Pflegeleistungen gehören neben Zuwendung und Beratung auch die Planung, Steuerung und Dokumentation des Pflegeprozesses sowie körpernahe Pflegetätigkeiten. Diese mehrheitlich in Krankenhäusern durchgeführten Studien weisen darauf hin, dass in diesem Setting der Einsatz von Assistenzpersonal nicht geeignet ist den Mangel aufzufangen (Griffiths et al. 2018). Inwieweit sich dies im Altenpflegebereich anders darstellt, wird zu evaluieren sein.
Die Steuerung und Durchführung eines kompetenzerhaltenden und fördernden Pflegeprozesses ist der Kern pflegefachlichen Handeln – unabhängig von spezifischen Settings und Versorgungsformen. Die Entwicklung von Konzepten für neue Angebotsformen liegt demgegenüber verstärkt im Kompetenzbereich der hochschulisch qualifizierten Pflegenden, einer Gruppe, die jenseits von Managementaufgaben bisher kaum im Bereich der stationären und ambulanten Pflege angekommen ist bzw. deren pflegerische Expertise bisher kaum von den Trägern stationärer und ambulanter Pflege angefragt wird. Dabei ist hinsichtlich des Kompetenzlevels zwischen den Bachelor- und Masterabsolventinnen und -absolventen einschlägiger pflegebezogener Studiengänge zu unterscheiden. Die Bachelorabsolventen und -absolventinnen sind qualifiziert, evidenzbasierte Antworten auf komplexe Bewohner- und Patientenprobleme im Aushandlungsprozess mit den Betroffenen und /oder deren Angehörigen zu erarbeiten. Sie verfügen über eine erhöhte Problemlösekompetenz, sind offen gegenüber Änderungen und in der Lage, Änderungen z. B. hinsichtlich modifizierter Angebote prozessorientiert zu begleiten.
Masterqualifizierte Pflegefachpersonen können darüber hinaus z. B. in der Rolle einer Advanced Practice Nurse (APN) erweiterte Aufgaben übernehmen. APNs sind klinische Experten und Expertinnen mit fortgeschrittener Ausbildung und Training in einem generalisierten oder spezialisierten Bereich der Pflegepraxis. Die Ausgestaltung der Rolle der APN variiert in den verschiedenen Einsatzgebieten. International sind Advanced Practice Nurses (APNs) in Seniorenheimen ein gewohntes Bild. Eine zentrale Aufgabe einer APN besteht darin, Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf durch die Durchführung eines vertieften Assessments (ggf. verbunden mit der Anregung weiterführender Diagnostik) unmittelbar zu betreuen sowie in der Erstellung und Durchführung, dem Monitoring und der Evaluation eines evidenzbasierten und personzentrierten Versorgungsplanes. Darüber hinaus sind APNs befähigt, die Entwicklung einrichtungsbezogener Leitlinien und Standards anzustoßen, zu leiten und umzusetzen. Je nach Setting sind sie beratend für Mitglieder der eigenen Berufsgruppe zuständig, identifizieren Fortbildungsbedarfe und führen auch selbst Fortbildungen durch. Sie begleiten Angehörige und unterstützen die Aufrechterhaltung von Familienstrukturen, auch wenn ein Mitglied nun in einem Altenheim wohnt. Sie arbeiten eng mit anderen Gesundheitsberufen wie Haus- und Heimärzten zusammen. Evaluationsstudien zeigen positive Effekte des Einsatzes von APNs: Krankenhauseinweisungen, der Bedarf an ärztlichen Konsildiensten oder die Sturz- und Mortalitätsraten werden reduziert (Bensch 2020).

12.5 Zum Treiber von Veränderungen werden

Die in der Pflege Tätigen können dann zum Treiber von Veränderungen werden, wenn ihr Potenzial qualifikations- und aufgabenbezogen genutzt wird. Dies ist im Setting der Altenpflege neu aufzudecken. Jahrelange Orientierung an von außen gesetzten Normen und Routinen im Umgang mit dem Zeit- und Mitarbeitermangel müssen zugunsten einer Pflege und Versorgung umorientiert werden, die auf Förderung von Selbstständigkeit und Teilhabe ausgerichtet ist (Bartholomeyczik et al. 2021). Diese kann dann in verschiedenen Angebotsformen realisiert werden.
Zwingend erforderlich ist eine konsequente Umsetzung des Konzeptes Skill- und Grade-Mix, das die hochschulisch qualifizierten Pflegefachpersonen auf Bachelor- und auf Masterniveau umfasst. Die zielführende Integration von Assistenzpersonen, die vom Umfang her etwa ein Drittel der heutigen Belegschaft ausmachen (Rothgang et al. 2020), wird nur durch innovative Pflege- und Personalkonzepte verbunden mit überzeugender (pflege-)fachlicher Begleitung und Führung gelingen.
Treiber kann nur sein, wer Gestaltungsspielraum hat. Dieser ist für die Berufsgruppe der Pflegenden kaum vorhanden. Das Handlungsfeld ist von außen stark reglementiert. Aber auch innerhalb der Einrichtungen muss viel stärker eine partizipative Organisationskultur aufgebaut werden.
Um Treiber sein zu können, benötigt die Berufsgruppe die Kompetenz, ihre Konzepte politisch einbringen und ggf. durchsetzen zu können. Dieser Bereich wird aktuell stark von Träger und Anbieterseite dominiert (Vogler zit. n. Lücke 2021). Eine profunde Vertretung der Pflege in entsprechenden Gremien könnte durch eine Verkammerung des Pflegeberufes sichergestellt werden. Das zögerliche und teilweise aktiv behindernde Verhalten verschiedener Länder bis hin zur Abschaffung einer bereits installierten Pflegekammer (wie in Niedersachsen) lässt Zweifel daran aufkommen, ob es politisch gewollt ist, die Berufsgruppe Pflege in die Position eines Treibers von Veränderungen kommen zu lassen.
Die in der Pflege Tätigen werden nur zu Unterstützern und Treibern von Veränderungen und neuen Angebotsformen werden, wenn die Ursachen für den Engpass konsequent angegangen werden. Die Ansatzpunkte sind bekannt, im Konzept der Arbeitsqualität hinterlegt und auch von der „Konzertierten Aktion Pflege“ benannt. Leider fehlt es verschiedentlich an der Konsequenz bei der Umsetzung. Zwar einigte sich die „Konzertierte Aktion Pflege“ auf „mehr Ausbildung, mehr Personal und mehr Geld“ (BMG 2021), jedoch lässt die Realisierung der gut klingenden Ziele bislang zu wünschen übrig. Die Steigerung der Ausbildungszahlen – so sie denn erreicht wird –, wird begleitet durch eine hohe Abbrecherquote. Diese liegt, so die Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR), Christine Vogler, aktuell bei etwa 28 % (fos/aerzteblatt.de 2021). Gründe für den Abbruch der Pflegeausbildung liegen häufig im Bereich der Überforderung. Werbemaßnahmen wie die vom BMFSFJ beauftragte Miniserie „Ehrenpflegas“, die den augenscheinlich dümmsten der drei Protagonisten für die Altenpflege vorsieht, sind allerdings auch kaum geeignet, kluge Köpfe für die Arbeit in der Altenpflege zu motivieren.
Zu begrüßen ist das Bemühen des Bundesarbeitsministeriums um einen flächendeckenden Tarifvertrag. Dieses Bemühen ist durch die Ablehnung des vorliegenden von der Gewerkschaft ver.di und dem Arbeitgeberverband in der Pflegebranche (BVAP) ausgehandelten Tarifvertrages durch die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas gescheitert (Cleophas 2021). Die Diakonie hat daraufhin zu dem Tarifvertrag keinen Beschluss mehr gefasst. Private Anbieter äußern sich erleichtert (Hommel 2021). Angesichts dieses Verlaufs muss die Frage gestellt werden, ob – diesmal von der Arbeitgeberseite – die Dramatik der Situation umfänglich erkannt worden ist oder ob kurzfristig noch abschöpfbare Vorteile auf Kosten der in der Pflege Tätigen die Entscheidungen gelenkt haben. So jedenfalls gelingt es nicht, die Attraktivität dieses Berufsfeldes zu steigern und zukünftig in Anbetracht der generalistischen Pflegeausbildung mit dem Arbeitgeber Krankenhaus zu konkurrieren.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Beobachtung, dass Engpassberufe typischerweise geschlechtersegreggierte, also typische Männer- oder Frauenberufe sind (Bußmann 2015). In den ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten liegt der Anteil der weiblichen Beschäftigten bei 86,0 %, im Pflegeheim bei 82,7 % (Destatis 2020). Wie also kann dieses Berufsfeld für Männer interessant gemacht werden, oder anders, welche strukturellen Bedingungen halten Männer davon ab, in diesem Berufsfeld tätig zu werden? Hier sind u. a. der geringe Lohn, die Teilzeit- statt Vollzeitstellen sowie die geringen Einflussmöglichkeiten und Karriereoptionen zu nennen.
Treiber von Veränderungen kann nur sein, wer selbst engagiert und nicht resigniert oder ausgebrannt ist. Ein systematisches Review identifiziert unterstützende und behindernde Faktoren für Engagement und Zufriedenheit mit der Arbeit in einem Pflegeheim. Die vier wichtigsten fördernden Faktoren waren unterstützende Führung, fähige und motivierte Mitarbeitende, positive organisatorische Werte und soziale Unterstützungsmechanismen. Die vier wichtigsten Barrieren waren herablassender Führungsstil, (zu) hohe Arbeitsanforderungen, mangelnde Selbstfürsorge und fehlende Schulung im Umgang mit Bewohnerinnen und Bewohnern mit komplexen Pflegebedarfen (Lee et al. 2020).
Unabdingbar ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle in der Altenpflege Tätigen hinsichtlich der Dimensionen der Arbeitsqualität anstelle der aktuell beobachtbaren Bestrebungen, Personen im In- und Ausland zu akquirieren, die bereit sind, unter den hierzulande schwierigen Bedingungen in der Altenpflege zu arbeiten.
Beruflich Pflegende können Treiber von Veränderungen sein – das Potenzial ist vorhanden. Die Frage ist, ob es abgerufen wird oder werden kann. Die Wege sind bekannt. Die Frage ist, ob sie beschritten werden.
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Literatur
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Zurück zum Zitat Rothgang H, Görres S, Darmann-Finck I et al (2020) Abschlussbericht im Projekt Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c SGB XI (PeBeM). SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik; Institut für Arbeit und Wirtschaft (iaw); Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen (KKSB), Bremen. https://www.gs-qsa-pflege.de/wp-content/uploads/2020/09/Abschlussbericht_PeBeM.pdf. Zugegriffen: 30. Jan. 2021 Rothgang H, Görres S, Darmann-Finck I et al (2020) Abschlussbericht im Projekt Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c SGB XI (PeBeM). SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik; Institut für Arbeit und Wirtschaft (iaw); Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen (KKSB), Bremen. https://​www.​gs-qsa-pflege.​de/​wp-content/​uploads/​2020/​09/​Abschlussbericht​_​PeBeM.​pdf. Zugegriffen: 30. Jan. 2021
Metadaten
Titel
Beruflich Pflegende – Engpass oder Treiber von Veränderungen?
verfasst von
Prof Dr. Renate Stemmer
Copyright-Jahr
2021
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-63107-2_12