Mit der Legalisierung von Cannabis rückt der Konsum zunehmend in die gesellschaftliche Mitte. Dabei darf eine besonders vulnerable Gruppe jedoch nicht aus dem Blick geraten: Schwangere. Der pränatale Cannabiskonsum kann mit schwerwiegenden Folgen für die kindliche Entwicklung einhergehen – deshalb braucht es ein stärkeres präventives Engagement.
Die 2024 beschlossene Legalisierung von Cannabis soll den Jugend- und Verbraucherschutz verbessern, den illegalen Markt eindämmen und zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen beitragen. Diese positiven Effekte der Legalisierung sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Menschen in bestimmten Lebensphasen besonders sensibel gegenüber Substanzkonsum sind – allen voran in der Schwangerschaft. Wie auch bei Alkohol oder Nikotin besteht ein erhöhtes gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind, wenn Cannabis während der Schwangerschaft konsumiert wird.
Warum Schwangere Cannabis konsumieren
In Deutschland liegen bislang kaum belastbare epidemiologischen Daten zum Cannabiskonsum in der Schwangerschaft vor. Ein Blick in die USA zeigt jedoch, dass viele schwangere Frauen die Substanz zur Linderung typischer Schwangerschaftsbeschwerden wie Übelkeit, Appetitlosigkeit oder Schlafstörungen einsetzen – oft in dem Glauben, Cannabis sei eine natürliche und sichere Alternative zu Arzneimitteln. Eine qualitative Studie von Chang et al. (2019) zeigt, dass mangelnde Gesundheitskompetenz ein zentraler Risikofaktor ist: Viele der befragten Frauen hielten Cannabis für „ungefährlich“ oder „natürlich“.
Trifft geringe Gesundheitskompetenz auf psychosoziale herausfordernde Lebensumstände, verschärft sich das Risiko für einen problematischen Cannabiskonsum. Studien aus den USA und Europa legen nahe, dass psychosoziale Vulnerabilität eng mit pränatalem Drogenkonsum korreliert. Gewalterfahrungen, depressive Symptome oder soziale Unsicherheit stehen in einem Zusammenhang mit riskantem Konsumverhalten. Die Vorsorgepraxis in Deutschland erhebt zwar die Risikofaktoren „psychische“ und „soziale Belastung“, deren präventives Potenzial bleibe jedoch laut aktuellen Studien weitgehend ungenutzt: Nur ein Viertel der Betroffenen wird überhaupt identifiziert (Brygger Venø et al. 2022).
Gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind
Aufgrund der bislang bekannten Studienergebnisse warnen Expert*innen eindringlich vor dem pränatalen Cannabiskonsum. Die Hauptsubstanz Delta-9-THC kann die Plazentaschranke überwinden und wurde auch in der Muttermilch nachgewiesen. Zahlreiche Studien belegen signifikante Risiken:
- Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht: Laut einer Metaanalyse erhöht Cannabiskonsum das Risiko für eine Frühgeburt um 68%, das für ein niedriges Geburtsgewicht um das 2,5-Fache (Sorkhou et al. 2024).
- Angeborene Fehlbildungen: Das Risiko für Malformationen, insbesondere des Verdauungstrakts, steigt um bis zu 22% (Delker et al. 2023).
- Transgenerationale Effekte: Eine Studie zeigt, dass weibliche Föten von Konsumentinnen ein um 35% erhöhtes Risiko haben, selbst Frühgeburten zu erleiden (Duko et al. 2023).
- Neurokognitive Entwicklungsstörungen: In Studien zeigten betroffene Kinder häufiger ADHS-Symptome, aggressive Verhaltensweisen (Bassalov et al. 2024; Keim et al. 2024) sowie strukturelle Hirnveränderungen, z. B. eine Verdickung des frontalen Kortex (El Marroun et al. 2016).
- Psychische Erkrankungen: Sowohl der mütterliche und auch der väterliche Konsum in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für Psychosen bei den Nachkommen (Bolhuis et al. 2018).
- Fruchtbarkeit und Fortpflanzung: Delta-9-THC beeinflusst das Endocannabinoid-System, das eine wichtige Rolle in der Fortpflanzung spielt. Cannabis kann u. a. Zyklusstörungen, Hormonveränderungen und Probleme bei der Embryoimplantation und -entwicklung verursachen (Lo et al. 2022).
Auch während der Stillzeit ist Vorsicht geboten: Studien deuten auf eine Wachstumsverzögerung sowie auf eine verlangsamte motorische Entwicklung bei Säuglingen hin, die über die Muttermilch mit THC belastet. Der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand hierzu ist jedoch noch begrenzt und bedarf weiterer Forschung.
Hebammen als Schlüsselfigur der Prävention
Die Studienlage macht deutlich: Wird Suchtprävention als integraler Bestandteil der Schwangerenvorsorge verstanden, muss auch über die schwerwiegenden Folgen von riskantem Cannabiskonsum aufgeklärt werden – ebenso wie über andere weit verbreitete Substanzen wie Alkohol oder Nikotin, deren schädliche Wirkung mannigfaltig nachgewiesen wurde. Bislang sind die Präventionsmaßnahmen unzureichend – auch weil die gesetzliche Schwangerenvorsorge dieses Problem zu wenig berücksichtigt.
Die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) verpflichtet angehende Fachkräfte zur evidenzbasierten Beratung über einen gesunden Lebensstil – dazu gehört auch die Aufklärung über Substanzmittelkonsum. Besonders wirksam könnten zielgruppenspezifische Ansätze sein, die soziales Milieu und psychische Belastungslagen berücksichtigen. Angesichts der Komplexität des Themas plädieren Fachleute für spezialisierte Versorgungsstrukturen: Die vertiefte Auseinandersetzung mit Substanzkonsum und Vulnerabilität im Kontext von Schwangerschaft könnte in Zukunft in einem erweiterten Aufgabenfeld für speziell qualifizierte Hebammen münden. (jr)
Tipp der Redaktion: |
Dieser Artikel basiert auf dem Fachbeitrag „Cannabis-Legalisierung birgt Risiken“ aus der aktuellen Ausgabe von HebammenWissen. Darin beleuchten Dr. Joachim Graf und Prof. Harald Abele die Folgen von Cannabis-Konsum in der Schwangerschaft. Dabei zeigen Sie Handlungsfelder für Hebammen in Kontext von Prävention und Gesundheitsförderung auf. Jetzt lesen! |