Skip to main content
Erschienen in: Heilberufe 6/2019

01.06.2019 | Pflege Alltag Zur Zeit gratis

Baby-TV in der Neonatologie

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 6/2019

Moderne Technik für die Familienbindung Live-Stream-Kameras an Pflegeplätzen Frühgeborener sind ein moderner Service für Familien. Was dieser für den Pflegealltag und den Datenschutz auf Station bedeutet, zeigt ein Besuch auf der Ludwigshafener Früh- und Neugeborenenintensivstation Däumling.
Zwischen all den Apparaten und Halterungen fällt die kleine weiße Kamera zunächst nicht auf. Die Linse der Webcam ist auf das Neugeborene im Inkubator gerichtet und ein kleines grünes Lämpchen am Gehäuse signalisiert: Gerade schauen sich Familienangehörige ihren Winzling von irgendwo aus der Ferne an.

Emotionale Unterstützung für Familien

Seit etwa einem halben Jahr hängt über jedem Bettchen der Früh- und Neugeborenenintensivstation Däumling im Ludwigshafener St. Marien- und Anastiftskrankenhaus eine Webkamera. Eltern oder Verwandte können sich in ein Übertragungssystem einloggen und ihr Kind zu bestimmten Zeiten live auf dem Smartphone, Tablet oder PC betrachten. Für das Perinatalzentrum, in dem jährlich etwa 250 Frühgeborene, davon rund 40 unter 1.500 Gramm, betreut werden, ist das Videosystem ein wichtiger Baustein des Versorgungskonzepts: "Wir wollen die Kinder in möglichst stabile Familien entlassen", erklärt Pflegemanagerin Rita Schwahn, die Initiatorin des Projektes. "Wenn extrem kleine oder kranke Patienten wochen- oder monatelang auf der Station bleiben müssen, ist das Baby-TV für die Angehörigen eine wichtige emotionale Unterstützung."
Die Ludwigshafener Klinik ist damit eine von nur wenigen Einrichtungen in der Region, die diesen Service für Eltern ermöglichen. Denn die finanziellen und datenschutzrechtlichen Hürden für die Installation eines solchen Übertragungssystems sind hoch. Entsprechend lange dauerte es auch, bis das Projekt auf der Station Däumling umgesetzt werden konnte. "Stecker rein und los geht's - so einfach war es leider nicht", berichtet Fachkinderkrankenpfleger Mike Postel und stellvertretender Leiter auf der Station Däumling. Nachdem die Finanzierung durch Spendengelder sichergestellt war, übernahm er die Projektleitung für das Baby-TV auf seiner Station und investierte viel Zeit und Überzeugungskraft in die Umsetzung.

Beim Datenschutz auf Nummer sicher

Ein Knackpunkt war das reibungslose Zusammenspiel des Videosystems und des Sicherheitsservers von zwei verschiedenen Anbietern sowie die Integration des Ganzen in die hauseigene IT-Struktur. "Unsere EDV-Abteilung legt großen Wert auf Internetsicherheit und Datenschutz", zeigt sich der Fachkrankenpfleger verständnisvoll. "Daher mussten wir zunächst sicherstellen, dass das System stabil läuft und sowohl die W-Lan-Verbindung als auch persönliche Daten gegen Zugriffe von außen geschützt sind." Dank technischer Einschränkungen und strenger Nutzungsvorgaben konnten diese Auflagen schließlich erfüllt werden.

Wie Familien das System nutzen

Das Baby-TV wird von den Familien rege angenommen. Nachdem sie einen Nutzungsvertrag mit umfassenden Informationen zu Sicherheit und Datenschutz unterzeichnet haben, erhalten die Eltern per E-Mail den Link und das Passwort zum Live-Stream ihres Babys. Wem sie diesen weitergeben, entscheiden sie selbst. Während viele Mütter in einem Elternzimmer der Klinik ohnehin in der Nähe ihres Kindes bleiben, nutzen insbesondere Väter, Geschwisterkinder und im Ausland lebende Verwandte das Baby-TV. Die virtuellen Besuchszeiten sind aus Datenschutzgründen außerhalb der Versorgungszeiten angesetzt, werden ansonsten aber dem individuellen Familienrhythmus angepasst. Beliebte Zeiten sind morgens, vor dem Schul- oder Kita-Besuch, in der Mittagspause sowie abends, vor dem Schlafengehen. Mütter, die etwa wegen Infektionsgefahr oder der Betreuung von Geschwisterkindern nicht auf der Station sein können, nutzen das Baby-TV außerdem, um beim Abpumpen die Milchbildung zu fördern.

Meldungen besorgter Eltern kanalisiert

Das Angebot wird den Eltern etwa eine Woche nach der Aufnahme ihres Kindes vorgestellt. Dann haben sie die Abläufe auf der Station und das Team bereits kennengelernt und können manche schwierige Situation ihrer Kinder auch schon besser einschätzen und verarbeiten: "Eltern müssen erst lernen, eine kritische Situation live auszuhalten", verdeutlicht Mike Postel. "Sie wissen dann, dass wir rund um die Uhr da sind und - anders als sie selbst am Bildschirm - Alarmsignale hören, wenn etwas nicht stimmt und sofort reagieren." Trotz dieser Vorbereitung riefen in der ersten Zeit manchmal besorgte Eltern auf der Station an, wenn sich eine Elektrode gelöst hatte oder die Übertragung aus technischen Gründen gestört war. Um zu vermeiden, dass Pflegende ihre Arbeit wegen solcher Anrufe unterbrechen müssen, richtete das Projektteam eine Mailadresse für die Nutzer des Videosystems ein. Die Meldungen der Angehörigen laufen nun per Mail auf einem zentralen PC ein und werden regelmäßig eingesehen.

Kaum Mehraufwand im Pflegeprozess

Für das rund 40-köpfige Pflegeteam bedeutet das Videoübertragungssystem geringen Mehraufwand. Hinzugekommen ist die Eingabe eines neuen Datensatzes sowie der gewünschten Uhrzeiten in ein spezielles Programm, sobald sich eine Familie für das Baby-TV entscheidet. Des Weiteren schaltet das Personal die Webkamera an den Pflegeplätzen manuell ein oder aus und richtet die Linse zu bestimmten Zeiten auf das Kind. Ein rotes Lämpchen am Gehäuse zeigt an, wenn eine Kamera online ist. Nur wenn das grüne Licht leuchtet, greift tatsächlich jemand auf die Bilder zu. Ein Monitor im Zentralbereich der Station zeigt an, welcher Pflegeplatz gerade online ist - im Schnitt sind das maximal sechs gleichzeitig. Im Rahmen einer Erstschulung haben alle Pflegefachkräfte gelernt, das System zu bedienen und mit Datenschutzfragen umzugehen.

Keine Angst vor Überwachung

Das Baby-TV wurde im Team gut angenommen und gehört mittlerweile zur Routine. "Big Brother is watching you", scherzen die Fachkräfte manchmal, wenn sie das grüne Lämpchen leuchten sehen. Doch im Grunde fühlt sich niemand durch die Kameras überwacht, schließlich bleiben diese zu den Versorgungszeiten ausgeschaltet. Zudem haben sowohl Ärzte als auch Pflegepersonal jederzeit die Möglichkeit, eine laufende Übertragung zu unterbrechen, wenn dies aus medizinischen oder organisatorischen Gründen nötig ist. Das hat nicht nur Datenschutzgründe: Die Eltern sollen nicht unnötig beunruhigt werden, wenn eine ungewohnte oder kritische Situation eintritt, die sie aus der Ferne nicht einordnen können. In dem halben Jahr, in dem das System nun schon im Einsatz ist, war dies glücklicherweise noch nie der Fall. "Hoffentlich vergesse ich nie, die Kamera in einer Notsituation auszuschalten", überlegt eine Pflegefachkraft. Ihre Kollegin sieht das eher pragmatisch: "Wahrscheinlich würden wir die Kamera ohnehin automatisch wegschieben, wenn wir an das Kind ran müssen."

Ethische Bedenken ernst nehmen

Derartige Überlegungen werden auf der Station Däumling ernst genommen. So diskutiert das Team bei allen Intensivpatienten zunächst, ob eine Live-Übertragung generell möglich sein sollte. Dabei werden auch die Wünsche der Eltern berücksichtigt. Die neue Technik und die Intention dahinter kommen an, auch bei Eltern, deren Kinder in einem kritischen Zustand sind. "Nach dem Tod eines Frühgeborenen bedankten sich die Eltern beim Pflegeteam explizit dafür, dass sie ihr Kind mithilfe des Videosystems intensiv begleiten durften." Das Baby-TV ist längst zu einem festen Element der Familienbetreuung geworden.

Wie der Datenschutz für das Baby-Tv sichergestellt wird

  • Der Livestream läuft über einen geschützten Server.
  • Angehörige brauchen ein individuelles Passwort zum Einloggen.
  • Es werden nur Bilder - und kein Ton - übertragen, zu sehen sind nur Kopf- und Brustbereich des Kindes.
  • Das System zeigt weder Namen noch Geburtsdatum des Kindes an, sondern nur die Nummer des Pflegeplatzes.
  • Die Kamera kann ausschließlich manuell an- oder ausgeschaltet und nicht ferngesteuert werden.
  • Es wird nichts aufgezeichnet oder gespeichert.
  • Die Kamera läuft nur außerhalb der Versorgungszeiten und darf jederzeit vom Personal abgeschaltet werden.

Nutzen Sie Ihre Chance: Dieser Inhalt ist zurzeit gratis verfügbar.

Unsere Produktempfehlungen

Heilberufe im Abo

Print-Titel

Print-Ausgabe, Zugriff auf digitale Inhalte und Teilnahme am PflegeKolleg.

Für Verbandsmitglieder

Mitglieder im ABVP, DRK und DGF erhalten Heilberufe übrigens zum Vorzugspreis. Schicken Sie einfach eine E-Mail mit den entsprechenden Angaben zu Ihrer Mitgliedschaft an: leservice@springer.com, Betreff: "Bestellung Heilberufe Abo".

Springer Pflege Klinik – unser Angebot für die Pflegefachpersonen Ihrer Klinik

Mit dem Angebot Springer Pflege Klinik erhält Ihre Einrichtung Zugang zu allen Zeitschrifteninhalten und Zugriff auf über 50 zertifizierte Fortbildungsmodule.

Metadaten
Titel
Baby-TV in der Neonatologie
Publikationsdatum
01.06.2019
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 6/2019
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-019-0081-5

Weitere Artikel der Ausgabe 6/2019

Heilberufe 6/2019 Zur Ausgabe