Ausländische Pflegekräfte Die Integration ausländischer Pflegekräfte in das deutsche Gesundheitssystem ist kein einseitiger Prozess, sondern verlangt Anstrengungen von allen Beteiligten. Doch das scheint schwierig zu sein.
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Das Leben hier könnte so schön sein." Diesen Satz denkt Romy Padilla oft, wenn er nach der Nachtschicht mit der S-Bahn durch das noch dunkle Berlin zurück zu seiner Einzimmerwohnung fährt. Auch nach zwei Jahren in Deutschland genießt der 30-Jährige immer wieder die Freiheit, die es bedeutet, Tag und Nacht ohne Angst unterwegs sein zu können. In seiner Heimat auf den Philippinen, sagt er, war die Furcht vor nächtlichen Überfällen ein ständiger Begleiter.
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Romy Padilla ist studierter Krankenpfleger. 2021 kam er mit dem Programm Triple Win nach Deutschland. Seit genau zehn Jahren werben die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Bundesagentur für Arbeit damit ausländische Fachkräfte wie ihn gezielt an. Partnerländer sind neben den Philippinen auch Bosnien Herzegowina, Vietnam, Tunesien, Indonesien und Indien. Der Name Triple Win steht für den dreifachen Vorteil, den das Programm für alle Beteiligten mit sich bringen soll: Für die Arbeitskräfte selbst, die in ihren Heimatländern oft von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Für das Anwerbeland Deutschland, das dringend auf ausländische Fachkräfte angewiesen ist. Und für die Herkunftsländer, die vor allem von Rücküberweisungen und Know-How-Transfer profitieren sollen.
Mehr als 5.400 Menschen wurden in den vergangenen Jahren über Triple Win angeworben. Auch Romy Padillas Hoffnungen waren groß, als er im Internet davon las und sich bewarb. Denn trotz seines vierjährigen Studiums und beinahe zehn Jahren Berufserfahrung reichte sein Krankenpflegergehalt auf den Philippinen kaum zum Überleben. Noch in der Heimat absolvierte der 30-Jährige die Auswahlgespräche und erste Sprach- und Pflegefachkurse. Bei der Vorbereitung seiner Dokumente, dem Visaantrag und schließlich den Online-Bewerbungsgesprächen mit deutschen Krankenhäusern unterstützten ihn die Triple-Win-Mitarbeiter. Wenige Monate später landete er in Berlin, wo er inzwischen als anerkannte Pflegefachkraft genauso bezahlt wird wie seine deutschen Kolleginnen und Kollegen.
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Wenn er mit seiner Mutter oder den vier Geschwistern in der Heimat telefoniert, die dank seines deutschen Einkommens alle studieren können, dann schwärmt Romy Padilla von den modernen Geräten, die sie hier auf Station benutzen. Den fairen Arbeits- und Pausenzeiten. Und auch von dem Verhältnis zwischen Pflegekräften und Medizinern. "Auf den Philippinen" erzählt er, "stehen die Ärzte ganz oben und die Pfleger ganz unten. Aber hier werde ich immer wieder um meine Meinung gefragt. Das gefällt mir."
Angekommen in der Realität
Romy Padillas Beispiel könnte also eine Erfolgsgeschichte sein. Doch die Realität sieht anders aus. Denn glücklich ist der 30-Jährige in Berlin nicht. Im Gegenteil. "Wenn sich nicht bald etwas ändert", sagt er, "dann bewerbe ich mich anderswo. In den USA vielleicht. Oder in England." Vor allem die Beziehung zu seinen Kolleginnen und Kollegen auf Station sei schwierig, so Romy Padilla. Wenn er mit Deutschen im Team arbeite, fühle er sich häufig allein gelassen. Einige würden hinter seinem Rücken tuscheln, wenn er etwas falsch ausspreche. Andere hätten ihm gesagt, er sei doch nur hier um ihnen ihre Jobs zu stehlen. Romy Padilla weiß, dass das nicht stimmt. Seine Vorgesetzten haben ihm und den anderen ausländischen Kollegen schon beim Bewerbungsgespräch von dem Fachkräftemangel in Deutschland erzählt. Dass es mehr als genug Arbeit für alle gibt, sieht er an den Personallücken auf seiner Station. Allein in Berlin seien momentan 10.000 Stellen im Pflegebereich unbesetzt, bestätigt eine Sprecherin des Klinik-Konzerns Vivantes.
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Und doch begegnet Romy Padilla das Gefühl, nicht willkommen zu sein, immer wieder. Aus Gesprächen mit anderen ausländischen Kolleginnen und Kollegen - etwa aus Mexiko, Syrien oder Vietnam - weiß er, dass er damit nicht allein ist. 47% der Befragten einer Online-Studie, die die Hamburger Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose 2021 unter philippinischen Pflegekräften in Deutschland durchführte, gaben an, dass sie ihren Job nicht an Freunde oder Verwandte weiterempfehlen würden. Vor allem Heimweh, Diskriminierungen am Arbeitsplatz, aber auch das Gefühl, zu wenig berufliche Wertschätzung zu erhalten, werden als Gründe genannt.
Falsche Erwartungen
Es seien besonders die falschen Erwartungen, die ausländische und etablierte Pflegekräfte aneinander hätten, die für Frust und Konflikte sorgten, so die Frankfurter Sozial- und Migrationsforscherin Maria Kontos. So sei etwa die Ausbildung zur Pflegefachkraft in vielen Ländern eine akademische. Immer wieder seien ausländische Pflegerinnen deswegen überrascht über die Arbeiten, die im deutschen System zu ihrem Aufgabenbereich gehörten. Die Körperpflege der Patientinnen und Patienten etwa, die in ihrem Herkunftsland meist von Helfern und Helferinnen oder auch von Familienangehörigen durchgeführt würde.
Aus den Interviews, die Maria Kontos 2019 für die Studie "Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland" an der Universität Frankfurt durchführte, weiß sie: Für viele studierte Pflegerinnen und Pfleger bedeutet die Übertragung solcher Aufgaben zunächst eine Kränkung, einen Angriff auf ihr berufliches Selbstbewusstsein. "Die hier sozialisierten Pflegefachkräfte wiederum denken dann: Diese Zugewanderten haben zwar einen akademischen Abschluss, aber können nicht mal die Arbeit am Bett ausführen", so die Wissenschaftlerin. "Da wird auch gesagt, die sind faul oder die denken, sie sind was Besseres."
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Die Migrationsforscherin ist überzeugt: Nur eine bessere Vorbereitung beider Seiten auf das, was sie erwartet, kann solche Konflikte vermeiden. "Erwartungsmanagement" heißt das in der Fachsprache. Bei Romy Padilla war es Teil seines fünftägigen Vorbereitungskurses auf Deutschland. Doch nicht nur die anwerbenden Programme und Agenturen, sondern auch die deutschen Arbeitgeber müssten umdenken und investieren, glaubt Tatjana Sambale, Pflegefachkraft und Gewerkschafterin aus Mittelfranken. Etwa in Sprachkurse und längere Einarbeitungszeiten. Denn die im Ausland angeworbenen Fachkräfte seien für etablierte Teams oft nicht die versprochene und so dringend benötigte Entlastung, sondern eher eine zusätzliche Belastung, wenn sie parallel zum stressigen Alltagsbetrieb noch eingearbeitet und integriert werden müssten. Wenn Fachkräfte etwa in Notfallsituationen das Gefühl hätten, dass die neuen Kollegen sie nicht verstünden, sei das eine Überforderung, die nicht vom Personal, sondern von Klinik- und Einrichtungsleitungen abgefangen werden müsste, so Tatjana Sambale.
Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose sieht das ähnlich. Dass Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen ihre Personallücken schnell und günstig mit ausländischen Fachkräften zu stopfen suchten, zahle sich langfristig nicht aus, so die Wirtschaftspsychologin. Ein Blick in die sozialen Medien reiche aus um zu sehen, wie groß der Unmut gerade unter den ausländischen Pflegekräften inzwischen sei. Dort werde "immer präsenter", dass Deutschland nicht das Land sei, in dem sie langfristig bleiben wollten. Die Zahl derer, die wie Romy Padilla aus Berlin in andere Länder weiterziehen wollten, wachse. Das wiederum führe zu neuem Frust beim etablierten Personal, dem erst recht die Motivation fehle, neue Kollegen einzuarbeiten und zu integrieren, "wenn die doch dann eh alle wieder gehen". Was vielen Einrichtungen fehle, so Grace Lugert-Jose, sei ein strategischer Plan im Umgang mit ausländischem Personal.
Integration ist harte Arbeit
Um das zu ändern, bietet die gebürtige Philippinerin inzwischen als interkulturelle Trainerin bundesweit Workshops zum Thema Integration internationaler Pflegefachkräfte an. Ein Grundsatz dabei: Ob Integration gelingt oder nicht, ist kein Zufall. Und schon gar keine Selbstverständlichkeit. Sondern harte Arbeit für alle Beteiligten - die sich allerdings auszahlt, wenn sie professionell begleitet wird. Der Beginn, so Lugert-Jose, liege dabei häufig schon in kleinen, scheinbar anekdotischen Details.
Immer wieder etwa beschwerten sich deutsche Vorgesetzte in ihren Workshops darüber, dass philippinische Mitarbeitende auf Fragen grundsätzlich mit Ja antworteten. Selbst, wenn sie etwas offensichtlich nicht verstanden hätten. Einige nerve das nur - andere empfänden es gar als Lüge, so die Trainerin. "Und ich finde es auch wichtig, dass die Leute genau diese Dinge in so einem Workshop auch ansprechen."
Lugert-Joses Herangehensweise: Sie lässt die Teilnehmer das Ja ihrer philippinischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Workshop möglichst genau wiederholen, bittet sie, sich die Situation genau vor Augen zu führen. Wie und wohin hat ihr Gegenüber geschaut? Wie genau klang sie oder er? Was ließe sich womöglich aus der Körperhaltung ableiten? All das sei wichtig, da die non-verbale Kommunikation - also Mimik, Gestik und Tonfall - in anderen Kulturen eine viel größere Rolle als in Deutschland spielten. Wer das berücksichtige und sich dafür öffne, könne ein Ja gegebenenfalls ganz anders verstehen als zuvor, so Lugert-Jose. Denn eine mutwillige Lüge stecke ja im Normalfall nicht dahinter. Im Gegenteil. Eher seien die philippinischen Fachkräfte dankbar, dass sich jemand die Zeit nimmt, ihnen etwas zu erklären, dass sie sich scheuten zusätzliche Arbeit zu verursachen, indem sie sagten "nee, habe ich nicht verstanden. Erklären Sie mir bitte alles noch mal."
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Dass man in Deutschland anders, direkter kommuniziert, lernen die meisten ausländischen Pflegekräften zwar ähnlich wie die Unterschiede im Gesundheitssystem in ihren Vorbereitungskursen. Doch lebenslang antrainierte Verhaltensweisen ließen sich nicht in wenigen Tagen, Wochen oder Monaten ablegen, so Grace Lugert-Jose. Gegenseitiges Entgegenkommen sei deswegen unentbehrlich, wenn die Zusammenarbeit auch langfristig klappen solle. Deutsche Kolleginnen und Kollegen, so ihr Vorschlag, könnten z.B. üben ihre Fragen von Anfang an anders zu stellen, offener.
So geht es auch
Immerhin: Dass Integration kein einseitiger Prozess sei, sondern Anstrengungen von allen Beteiligten verlange, spreche sich in immer mehr Gesundheitseinrichtungen herum, so Lugert-Jose. Die Zahl derer, die das Thema aktiv anpacken wollten, wachse. Ein Beispiel unter vielen ist das Universitätsklinikum Tübingen, wo man aus Fehlern lernte und neben dem Angebot interkultureller Trainings für das etablierte Personal kürzlich auch den gesamten Ankommensprozess für ausländische Pflegekräfte neu strukturierte. Früher, so berichtet Patrizia Prestifilippo Cirimbolo, Leiterin des internationalen Pflege Pools am Universitätsklinikum Tübingen, reisten die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem vorgeschriebenen B1-Deutschniveau an und begannen praktisch direkt mit der Arbeit am Bett. Den Dialekt der Patientinnen oder eilige Anweisungen aus dem Team zu verstehen, überforderte sie allerdings regelmäßig und führte zu Frust bei allen Beteiligten.
Inzwischen folgt auf die Einreise nach Deutschland deswegen als erstes ein in Zusammenarbeit mit einer Sprachschule in Tübingen entwickelter Sprachkurs, der mit einer Prüfung auf Niveau B2 endet. Erst dann, so Patrizia Prestifilippo Cirimbolo, beginnen die internationalen Pflegekräfte mit ihrer Arbeit auf Station - mit deutlich größeren Zufriedenheitswerten für alle.
Um solche Beispiele auch unter ausländischen Bewerberinnen und Bewerbern bekannt zu machen, hat Grace Lugert-Jose 2022 das Siegel "Best places to work for international Nurses in Germany" entwickelt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland bewerten dabei ihre deutschen Arbeitgeber nach bestimmten Kriterien und küren damit diejenigen, die das Thema Integration besonders erfolgreich angehen. Neben dem Universitätsklinikum Tübingen wurden bereits acht weitere Einrichtungen ausgezeichnet - und können sich damit nun bei der Anwerbung neuer Fachkräfte im Ausland schmücken. Viele weitere hätten sich daraufhin bereits beworben, so Grace Lugert-Jose. Sie hofft darauf, dass sich der akute Fachkräftemangel letztendlich als Chance herausstellen wird - für ein neues Miteinander auf allen Stationen in Deutschland.
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Denn eines macht das Beispiel von Romy Padilla und viele andere seiner Art überall in Deutschland deutlich: Das bloße Anwerben und Bezahlen von ausländischem Personal reicht nicht, um das deutsche Gesundheitssystem in Zeiten des Fachkräftemangels auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Die Menschen auch langfristig hier zu halten und zu echten Kolleginnen und Kollegen zu machen - das muss das Ziel sein.
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