Skip to main content

18.01.2021 | Ausbildung | Nachrichten

„Wir müssen uns auf allen Ebenen auf den Weg machen“

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Mit dem „Pakt für die Pflege“ strebt der Berliner Senat für Gesundheit bis 2023 eine Verdopplung der Ausbildungszahlen in der Pflege an. Wie realistisch sind solche Ziele? Wir fragten nach bei Christine Vogler, Leiterin des Bildungscampus für Gesundheitsberufe Berlin.

Christine Vogler © Gudrun ArndtChristine Vogler, Pflegepädagogin und Geschäftsführerin des Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe. Am BBG werden für Charité und Vivantes etwa die Hälfte aller Berliner Pflegeschüler ausgebildet.

Frau Vogler, Berlin hat sich 2019 viel vorgenommen. Binnen fünf Jahren soll die Zahl der Auszubildenden in der Pflege verdoppelt werden. Wie sieht die bisherige Bilanz aus?

Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nur aus der Sicht des Bildungscampus einschätzen. Unsere Kooperationspartner haben im letzten Jahr die Plätze deutlich erhöht. Und der Bildungscampus ist auch gegründet worden, um höhere Kapazitäten ausbilden zu können. Das Gute an der politischen Aussage ist, dass eine Haltung „Pro-Ausbildung“ dahintersteht. Ich habe 15 Jahre meines Berufslebens erlebt, wie Ausbildungskapazitäten in den Gesundheitsberufen sukzessive abgebaut wurden. Da ist das schon ein Fortschritt.  

Angesichts des eklatanten Personalmangels in der Pflege sind solche ehrgeizigen Ziele verständlich. Sind sie auch realistisch?

Über die Konzertierte Aktion Pflege haben sich bundesweit alle Ausbildungspartner verpflichtet, bis 2023 10% mehr Pflegefachpersonen auszubilden. Das haben wir in Berlin seit 2019 aus meiner Sicht bereits über das Maß erreicht. Ausbildungskapazitäten unter den momentanen Bedingungen um 100% zu erhöhen, ist unter der Bedarfssituation nachvollziehbar. Die Rahmenbedingungen lassen das aber nicht zu. 

Woran hapert es denn an meisten?

Es fehlt tatsächlich überall: Der Fachkräftemangel bringt mit sich, dass generell zu wenig Pflegefachpersonen vorhanden sind, die kaum die gegenwärtige Arbeit bewältigen können. Ausbildung ist zwar immer ein Gewinn, benötigt aber auch Zeit! Praxisanleiter*innen generieren sich in der Regel direkt aus den Pflege-Teams. Fehlen Pflegefachpersonen, fehlen natürlich auch die qualifizierten Praxisanleitenden. Zudem haben wir regional eklatante Unterschiede in der Bewerber*innensituation. Nicht alle Ausbildungsplätze können besetzt werden. Wartelisten gibt es nicht mehr.

Ein weiterer Grund für die prekäre Lage stellt der bundesweite Lehrendenmangel dar. Studienplätze fehlen – das gilt vor allem für familienfreundliche Fernstudien- bzw. Teilzeit-Studienangebote an öffentlichen Universitäten und Hochschulen. Kurzum: Zu wenig Pflegefachpersonen, Bewerber*innen und Lehrende!

Hinzu kommt ein Bild in der Öffentlichkeit von einfachen, schlecht verdienenden, ausgebrannten Berufsangehörigen ohne Einflussmöglichkeiten.

Wie wirken sich die Zielvorgaben auf die Ausbildungsqualität aus?

Die Zielvorgaben waren bereits ohne Corona eine Herausforderung, jetzt werden sie zur Herkulesaufgabe. Die Auszubildenden, die 2020 als erste Jahrgänge in die generalistische Pflegeausbildung gestartet sind, befinden sich ausnahmslos im Ausbildungs-Coronamodus. Dafür finde ich es beeindruckend, mit welchem Engagement die Auszubildenden die Situation annehmen und versuchen, neben dem Lernen auch noch die praktische Ausbildung gut zu schaffen. Wir haben aber leider auch einige Auszubildende verloren. Sie stimmen dann eben mit den Füßen ab und suchen andere Berufswege.

Wichtig ist eine nachhaltige und deutliche Steigerung der Ausbildungszahlen. An welchen Stellschrauben muss gedreht werden?

Kurzfristig können wir an der Situation wenig verändern. Wir müssen uns auf allen Ebenen auf den Weg machen. Dazu gehört auch, die Strukturen und Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verändern. Neben angemessener Bezahlung, einer Orientierung an der Qualität und nicht an den Kosten, durchgängigen Aus- und Weiterbildungsstrukturen ist es vor allem wichtig, attraktive Arbeitsbedingungen für die Pflegenden zu sichern.

Wir benötigen dringend mehr Studiengänge für Lehrende. Die Träger der praktischen Ausbildung müssen strukturiert und kontinuierlich Praxisanleitende ausbilden. Insgesamt sollten wir für ein neues und engagiertes Ausbildungsverständnis in der Berufsgruppe werben.

Wenn wir all diese Punkte angehen, gelingt es uns in ein paar Jahren, ausreichend Menschen in die Ausbildung zu bekommen – Menschen, die in der Pflege eine echte Option sehen, einen nachhaltigen, angesehenen Beruf zu erlernen, den sie lebenslang ausüben können. Ich bleibe optimistisch!

Das Interview führte Nicoletta Eckardt.



print
DRUCKEN