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02.10.2019 | Altenpflegeheim | Nachrichten

Pflegeheime werden anders bewertet

verfasst von: Anno Fricke

Aus für die Pflegenoten: Ein neues Bewertungssystem für Pflegeheime startet im November. Kassen können künftig bei schwerwiegenden Mängeln die Einrichtungen sanktionieren.

Frau läuft mit Rollator durch ein Pflegeheim (Symbolfoto) © Peter Atkins / FotoliaDer Erhalt der Mobilität von Pflegeheim-Bewohnern spielt künftig eine wichtigere Rolle in der Bewertung von Heimen.

Die Pflegenoten sind Geschichte. Am Dienstag haben der Spitzenverband der Kassen (MDS), die Medizinischen Dienste und der Sozialverband VdK in Berlin ein neues Modell der Qualitätsmessung der stationären Pflege vorgestellt.

Das neue Verfahren startet de facto am 1. November. Bis Ende 2020 sollen dann alle rund 14.000 Pflegeheime einmal vom Medizinischen Dienst (MDK) geprüft worden sein. Bereits Mitte nächsten Jahres sollen die ersten Ergebnisse im Netz stehen, kündigten Vertreter der Kassen und der Medizinischen Dienste an.

Das Konzept sieht vor, dass die Pflegeheime den Umsetzungsgrad von Qualitätsindikatoren halbjährlich an eine Datensammelstelle bei den Pflegekassen melden. Die Prüfer der Medizinischen Dienste gleichen diese Ergebnisse bei der Vor-Ort-Inaugenscheinnahme mit der Realität ab. Vorgesehen sind jährliche Prüfungen, die einen Tag vorher angekündigt werden sollen.

16 Qualitätsindikatoren

Aus den gemeldeten Daten werden sukzessive bundesweite Durchschnittswerte abgeleitet. Ziel sei, dass sich die Qualität der Heime bei jedem von 16 Qualitätsindikatoren über beziehungsweise unter dem ermittelten Durchschnitt einordnen lasse, sagte MDS-Geschäftsführer Dr. Peter Pick.

Im neuen Bewertungssystem sollen pflegerelevante Indikatoren künftig deutlich höher gewichtet werden. Gemeint sind unter anderem der Erhalt von Mobilität und Selbstständigkeit, die Hilfe im Notfall, das Vermeiden von Stürzen und die Bewältigung krankheits- und therapiebedingter Anforderungen.

Die Qualität des Essens und des Animationsprogramms einer Einrichtung sollen Schwächen bei pflegerischen Kernthemen nicht mehr ausgleichen können. Das war einer der Kernvorwürfe an das bisherige System.

Heime könnten Versorgungsauftrag verlieren

Bei schwerwiegenden Mängeln sollen die Krankenkassen künftig Auflagen erteilen können. Sie sollen einem Heim auch den Versorgungsauftrag entziehen können.

„Im Mittelpunkt stationären Prüfung steht künftig die Frage, wie gut es einer Einrichtung gelingt, auf die Bedarfe der Pflegebedürftige einzugehen“, sagte Dr. Monika Kücking, Leiterin der Abteilung Gesundheit des GKV-Spitzenverbands bei der Vorstellung des neuen Systems am Dienstag in Berlin.

„Ab jetzt wird der alte Pflege-TÜV mit seiner irreführenden Durchschnittsnote von 1,2 schrittweise abgeschaltet. Das ist ein guter Tag für all diejenigen, die sich fundiert und objektiv über Pflegeeinrichtungen informieren wollen“, jubelte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Andreas Westerfellhaus.

Informationsflut zu Heimen

Statt auf eine Schulnote wie bisher werden Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei der Suche nach einem guten Pflegeheim künftig auf ein „Datenkonvolut“ stoßen, kündigte Kücking an. Um sich einen Überblick zu verschaffen, werden Interessierte eine zweistellige Zahl von Seiten studieren müssen.

Bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden Verträge zwischen niedergelassenen Ärzten und Altenheimen. „Die Ärzte werden nicht einbezogen“, sagte Kücking. Eine strukturierte haus- und fachärztliche Versorgung in Altenheimen hat der Gesetzgeber mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz vorgegeben.

Dr. Ines Verspohl vom VdK forderte mehr Transparenz. Die bei den Kassen auflaufenden Daten dürften dort nicht monopolisiert werden. Auch Institutionen wie die „Weiße Liste“ sollten zugreifen dürfen.

Das von der Universität Bielefeld und dem Aqua-Institut in Göttingen gemeinsam mit dem VdK entwickelte Verfahren stößt nicht nur auf Zustimmung. Vertreter von Parteien und Patientenschützer forderten umgehend eine simplifizierende Darstellung der Qualitätsergebnisse und eine leichtere Vergleichbarkeit der Heime.

Der entscheidende Unterschied ist: Wir prüfen nicht mehr einzelne Kriterien ab, sondern bewerten umfassend Qualitätsaspekte der Versorgung.

Dr. Peter Pick Geschäftsführer des medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbands

Auch in der ambulanten Pflege sind Änderungen bei der Qualitätsprüfung geplant. Laut Angaben des Medizinischen Dienstes der gesetzlichen Krankenversicherung (MDS) wird ein Pilotprojekt des Berliner IGES-Instituts vorgeschaltet. Abgeschlossen sein soll es im April 2020.

Prüfungen in zwei Schritten

Die Prüfung der Heime soll in zwei Schritten erfolgen. Bei einer Zufallsstichprobe von jeweils neun Bewohnern eines Heimes prüfen die Beauftragten der Dienste die Situation per Inaugenscheinnahme. Kernfragen sind:

Wie gut werden Mobilität und Selbstversorgung beim Essen, Trinken, Waschen und Toilettengang unterstützt?

Wie bewältigt das Personal krankheits- und therapiebedingte Anforderungen, also Medikamentengabe und systematische Schmerzerfassung?

Hilft die Einrichtung bei der Bewältigung und Strukturierung des Alltags?

Werden soziale Kontakte unterstützt?

Kann das Personal mit dem herausfordernden Verhalten von Menschen mit einer Demenz umgehen?

Ist die Hilfsmittelversorgung gewährleistet?

Vier Kategorien

In einem weiteren Schritt werden die von der Einrichtung erhobenen Qualitätsindikatoren mit dem Eindruck der MDK-Prüfer abgeglichen und auf Plausibilität hin untersucht.

Die Ergebnisse sind in vier Kategorien eingeteilt:

  • Keine Auffälligkeiten oder Defizite
  • Auffälligkeiten, die keine Risiken erwarten lassen
  • Defizit mit Risiko negativer Folgen – zum Beispiel, wenn ein Pflegebedürftiger zu wenig isst, die Einrichtung darauf aber nicht reagiert
  • Defizit mit bereits eingetretenen negativen Folgen – zum Beispiel wenn jemand aufgrund von Versäumnissen der Einrichtung unterernährt oder dehydriert ist.

Reaktionen fallen unterschiedlich aus

Die Vorstellung des neuen Qualitäts- und Prüfsystems in der stationären Pflege wird von den Betroffenen, Patientenschützern und Politikerinnen höchst unterschiedlich aufgenommen.

"Wenn die Pflegenoten jetzt ersetzt werden, ist damit eine Reihe von Konsequenzen verbunden", sagte der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, am Dienstag der "Ärzte Zeitung".

Positiv am neuen Qualitäts- und Prüfsystem sei, dass die differenzierteren Ergebnisse eine gezielte Qualitätsentwicklung ermöglichten. Für die Pflegeheime steige allerdings der Aufwand.

"Allein zur Vorbereitung führen wir etwa 1000 Schulungen durch. Die bisherige Kritik der Verbraucher wird mit sehr umfangreichen Informationen aufgegriffen", betonte Meurer.

Grüne: Unsinnige Pflegenoten

"Seit Jahren fordern wir die Aussetzung der unsinnigen Pflegenoten“, begrüßte Kordula Schulz-Asche, pflegepolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, die Veränderung. Das neue System könne demnach nur besser sein. Nach Ansicht von Schulz-Asche werden allerdings die Angehörigen nur unzureichend in die Qualitätsprüfungen mit einbezogen.

Familien oder Freunde seien oft diejenigen, die vor dem beim Umzug in eine stationäre Einrichtung die zentrale Rolle bei der Versorgung in der eigenen Wohnung spielten und die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen gut kennten.

Schulz-Asche kündigte an, die Umsetzung des neuen Systems aufmerksam zu erfolgen. "Mehrbelastung der Pflegekräfte durch zusätzlichen Dokumentationsaufwand müsse verhindert oder ausgeglichen werden, damit Zeit für gute Pflege bleibt", sagte die Grünen-Politikerin.

SPD: Eigenverantwortung der Einrichtungen gestärkt

"Das neue Prüfsystem verändert den Blickwinkel auf die Situation in Pflegeheimen", merkte die Pflegebeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag, Heike Baehrens, an.

"Jetzt stehen die Versorgungsqualität und die gesundheitliche Situation der zu pflegenden Menschen im Mittelpunkt", sagte Baehrens am Dienstag. Die neue interne Qualitätsentwicklung stärke die Eigenverantwortung der Einrichtungen. Und die Gutachter der Medizinischen Dienste erhielten eine beratende Funktion. Das sei der richtige Ansatz.

"Die Einführung des neuen Pflege-TÜVs" ist ein Schritt zur Verbesserung der Qualitätsprüfungen, reicht aber nicht aus", meldete sich die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Nicole Westig zu Wort. Damit lasse sich die Qualität einer Einrichtung realistischer abbilden als mit den bisherigen Pflegenoten.

Dennoch seien die neuen Qualitätsberichte sehr umfangreich und komplex. "Wir brauchen einfachere und kompaktere Darstellungen". Der Mehraufwand für die Einrichtungen müsse zudem kompensiert werden.

Linke: Echte K.O-Kriterien nötig

"Menschen mit Pflegebedarf brauchen keine Marktübersicht, sondern verbindliche Standards", kritisierte die Sprecherin für Pflegepolitik der Fraktion Die Linke, Pia Zimmermann. Die Regierungsparteien seien dafür verantwortlich, Bedingungen herzustellen, unter denen Pflegekräfte gute Arbeit leisten könnten.

"Grundversorgung gehöre nicht in die Hände des Marktes, sondern muss vom Gesetzgeber garantiert werden", sagte Zimmermann. Zwar sei es sinnvoller, nun die Ergebnisqualität zu überprüfen statt wie bisher die Pflegedokumentation. Ohne echte K.O-Kriterien sei das neue System aber kein Prüfsystem, sondern ein Bewertungssystem, das guter Pflege ein Preisschild verpasse.

"Die Abschaffung der Pflegenoten bringt keine schnelle Übersicht", sagte Eugen Brysch, der Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Für eine rasche Vergleichbarkeit bei der Pflegeheimsuche seien eine aussagefähige Gesamtnote und K.O.-Kriterien aber dringend notwendig.

"Wenn Heime bei der Schmerztherapie, der Wundversorgung, dem Umgang mit der Fixierung und der Medikamentengabe durchfallen, muss dies für den Nutzer sofort erkennbar sein", forderte Brysch. (Mitarbeit: hom, ths)

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