Gewalt und Grenzverletzungen in Alten- und Pflegeheimen sind keine Ausnahmeerscheinungen. Eine Studie zeigt: Regelmäßig werden pflegebedürftige Menschen dort zum Opfer von Gewalt.
Pflegebedürftige Menschen sind Gewalt besonders ausgeliefert. Sie sind auf Hilfe abgewiesen und können sich oft schlecht wehren oder mitteilen.
© Monika Skolimowska/dpa
Für die am Mittwoch vorgestellte Studie hatte das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) bundesweit mehr als 1.000 Leitungspersonen in Pflegeheimen zu ihren Erfahrungen befragt. Die Ergebnisse sind erschreckend:
- Fast 70 Prozent von ihnen gaben an, mindestens einen Vorfall von Gewalt gegen Bewohnerinnen oder Bewohner in der Einrichtung im zurückliegenden Jahr im Gedächtnis behalten zu haben.
- Mit Abstand am häufigsten handelte es sich dabei um Gewaltverhalten unter den Bewohnerinnen und Bewohnern: 63 Prozent der Befragten erinnerten sich an eine derartige Situation.
- Knapp ein Fünftel (19 Prozent) berichtete von Gewalthandlungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber Bewohnerinnen oder Bewohnern.
- Ebenso viele erinnerten sich an solche Ereignisse, die von Angehörigen oder Gästen der Einrichtung ausgingen.
- Insgesamt hält mehr als ein Drittel der Befragten aggressives und gewaltsames Verhalten gegen Bewohnerinnen und Bewohner für ein Problem, das ihre Einrichtung vor merkliche Herausforderungen stellt.
Viele Facetten von Gewalt
Wie die Studienautoren betonen, lassen diese Ergebnisse keine Aussagen darüber zu, wie häufig Bewohnerinnen und Bewohner insgesamt von entsprechender Gewalt betroffen sind. Die Zahlen führten aber vor Augen, „wie wichtig eine höhere gesellschaftliche Sensibilität für das Thema ist und wie nötig zusätzliche politische Impulse sind, um Gewaltprävention in Pflegeorganisationen stärker zu fördern“, erklärt der Vorstandsvorsitzende des ZQP Ralf Suhr.
Die Studie unterstreiche, dass es sich bei Gewaltvorkommnissen nicht um Einzelfälle handele, so Suhr weiter. Gewalt zu erfahren, bedeute für die oft hochaltrigen Betroffenen, dass sie beschimpft würden oder körperliche und teilweise auch sexualisierte Übergriffe erlebten. Aber auch Vernachlässigung oder die Missachtung des Selbstbestimmungsrechts von Bewohnerinnen und Bewohnern zählten dazu.
Prävention erfordert genügend qualifiziertes Pflegepersonal
Suhr machte deutlich, dass sich gewaltpräventive Konzepte nur umsetzen lassen, wenn Einrichtungen sich auf genügend qualifizierte Mitarbeiter*innen stützen können. Doch gerade die Personalgewinnung gestaltet sich laut Studie schwierig: Knapp drei Viertel (73 Prozent) der Leitungspersonen gaben an, dies sei nicht einfach. 59 Prozent sehen einen wiederkehrenden Mangel an geeigneten Bewerbungen von Pflegefachpersonen. Für die Gruppe der Pflegehilfskräfte stellten dies 39 Prozent der Befragten fest.
Für Suhr sind die Themen Gewaltprävention und Mitarbeiterzufriedenheit eng miteinander verwoben: „Die Etablierung einer von der Leitungsebene vorgelebten gewaltsensitiven Sicherheitskultur in Pflegeorganisationen zielt darauf ab, die sehr verletzlichen Bewohnerinnen und Bewohner besser zu schützen sowie zur Arbeitssicherheit des Personals beizutragen.“ Beides fördere attraktive Arbeitsbedingungen und könne die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich erhöhen. (ne)