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01.12.2017 | AIDS | Nachrichten

Leben mit HIV: Stigmatisierung beenden

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Dank moderner retroviraler Therapien ist eine HIV-Infektion zu einer chronischen Langzeitinfektion geworden. Immer mehr Menschen werden damit alt. Was heißt es heute, Menschen mit HIV/AIDS pflegerisch zu versorgen? Mit welchen Problemen kämpfen die Betroffenen und was können Pflegende leisten? Darüber sprachen wir mit Volker Wierz vom Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin. Als Stationspflegeleitung am Zentrum für Infektiologie und HIV betreut er seit 27 Jahren Menschen mit HIV/AIDS. Das von ihm entwickelte Beratungskonzept für Betroffene ist kürzlich mit dem Berliner Pflegepreis ausgezeichnet worden.

Volker Wierz  © privatVolker Wierz ist Stationspflegeleiter am Zentrum für Infektiologie und HIV des Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin.

Die Kampagne zum Welt-AIDS-Tag steht unter dem Motto „Mit HIV kann man leben. Weitersagen!“ Was verbinden Sie mit dieser Botschaft?

Zum einen sollte man die Menschen dazu anhalten, sich auf HIV testen zu lassen. Viele haben noch immer Angst, sich dieser Thematik zu stellen. Eine HIV-Diagnose bedeutet nicht, dass man keine Perspektive mehr hat. Wir wissen: Je früher Menschen mit HIV behandelt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie eine ganz normale Lebenserwartung haben. Und deshalb testen! Damit durchschlägt man natürlich auch die Infektionskette.

Der andere Punkt ist auch für die Pflege wichtig. Wenn man Menschen mit HIV in der Versorgung hat, muss man ihnen eine Perspektive eröffnen. Auf unserer Station versorgen wir viele Menschen, die bereits schwer krank sind und bei uns ihre Erstdiagnose erhalten. Es ist wichtig, ihnen Mut zu machen. Das Leben kann trotzdem weitergehen.

Was ist das Besondere an der Betreuung von Menschen mit HIV/AIDS und welche Rolle übernimmt die Pflege?

Wenn es um die rein händische Pflege geht, gibt es keine Unterschiede zu anderen Bereichen der Pflege. Wir versorgen ja nicht HIV, sondern wir versorgen Menschen mit den Folgen von HIV, beispielsweise einer Pneumonie. 

Mit einem Problem kämpfen unsere Patienten jedoch, das andere Patientengruppen so nicht kennen: der Stigmatisierung durch ihre Krankheit. Eine Studie der Deutschen AIDS-Hilfe zeigt, und das ist wirklich erschreckend: Die meisten Diskriminierungsfälle erfolgen im Gesundheitswesen! Menschen wenden sich an ein System, von dem sie sich Hilfe erhoffen, und werden dort diskriminiert und stigmatisiert. Pflege kann hier eine ganze Menge bewegen, indem sie mithilft dieser Diskriminierung entgegenzuwirken.

Welche Ursachen hat die Diskriminierung – fehlen Aufklärung und Mut?

Nach wie vor gibt es bei vielen Kollegen große Informationsdefizite. Es ist erschreckend, was sie über die Infektionswege bei HIV wissen. Immer noch wird nach „besonderen“ Hygienemaßnahmen gefragt. Dabei kann jeder beim Robert Koch-Institut (RKI) nachlesen, dass bei Patienten mit HIV die normale Basishygiene völlig ausreicht. Es sind keine besonderen Maßnahmen erforderlich.

Das andere Problem ist die Angst, die HIV immer noch auslöst. Wir haben ambulante Pflegedienste fortgebildet, die sich dennoch weigerten, HIV-Patienten zu versorgen. Es wird immer noch ein Szenario aufgebaut nach dem Motto: Das ist ja alles klar, aber was ist, wenn doch etwas passiert? Es braucht sehr viel Zeit dagegen anzukämpfen. Die Angst ist nachvollziehbar, wenn jemand nicht jeden Tag mit etwas zu tun hat, das erst einmal bedrohlich wirkt. Hier sind auch die Führungskräfte in der Verantwortung, mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu gehen.

Haben Sie eine Botschaft für die Kolleginnen und Kollegen in der Pflegepraxis?

Es geht darum, den Menschen zu sehen und nicht die Infektion in der Person. Diesen Menschen gilt es gut zu versorgen.

Und nicht zuletzt: Wir versorgen in Deutschland seit 30 Jahren Menschen mit HIV. Es gibt immer mehr, die mit der Infektion leben. Diese Menschen werden älter und kommen auch in andere Bereiche der Pflege. Das bedeutet auch für die Heime eine Herausforderung. Alle Bereiche des Gesundheitswesens müssen sich auf Menschen mit HIV einstellen. Es ist Zeit, sich endlich mit dem Thema zu beschäftigen!

Sie und ihr Team haben ein pflegerisches Beratungskonzept entwickelt, weshalb?

Zunächst war es aus der Not heraus geboren, dass unserer Station kein Psychologe mehr zur Verfügung stand. Wir konnten nicht warten, bis wir wieder jemanden gefunden haben, der die Patienten begleitet. Es war aber auch ein Anliegen unseres Teams, etwas anzubieten, das wir in dieser strukturierten Form bisher nicht hatten. Natürlich haben wir immer Patienten beraten und uns ihren Fragen gestellt. Aber wir brauchten ein strukturiertes Setting, eine Aufstellung von Themen, die wir dem Patienten je nach Lebenssituation anbieten können.

Was zeichnet das Konzept aus?

Beratung bedeutet in der Pflege meist, welchen Pflegedienst vermittele ich an den Patienten, welche Hilfsmittel benötigt er. Also ganz lebenspraktische Dinge. Das ist natürlich wichtig, aber wir wollten uns auch dem anderen Thema widmen: Wie geht es dem Menschen in seiner Lebensperspektive? Wir wollen die Patienten unabhängig machen von Pflege. Ziel ist es, sie wieder fit zu machen für das Leben und sie in diesem Prozess ein Stück zu begleiten. Wir können das nicht alleine leisten. Deshalb war unser Ansatz von Anfang an vernetzt zu arbeiten.

Was heißt das konkret?

Wir bewegen uns bei der Patientenversorgung in einem Netzwerk. Dieses „Schöneberger Modell“ leben wir seit 30 Jahren. Wir binden den Patienten frühzeitig an externe Dienste an, insbesondere an die Berliner AIDS-Hilfe. Dort erhält der Patient weitere Beratungseinheiten und wird möglicherweise in Selbsthilfegruppen eingebunden. Wir vermitteln darüber hinaus den Kontakt zu spezialisierten Arztpraxen. Oft gehen die Patienten unmittelbar nach der Entlassung zum niedergelassenen Spezialisten zum Erstgespräch. Wir werden daher mit dem Konzept auch an die Schwerpunktpraxen herantreten. Im Idealfall gelingen uns diese Schritte bis zur Entlassung. Wir können die Patienten ja nur ein Stückchen vorbereiten. Das muss „draußen“ weitergehen.

Das Gespräch führte Nicoletta Eckardt

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